Vieles ist in dieser Saison anders. Keine Zuschauer, keine Winterpause – und keine Wintertransfers. Zumindest nicht beim HSV, der sich in der Phase des Wintertransferfensters bewusst dagegen entschied, den Kader noch einmal zu ergänzen. HSV-Vorstand JONAS BOLDT begründet im ausführlichen HSVlive-Interview diesen Entschluss, den er vor allem als Kompliment an die Mannschaft verstanden wissen möchte. Und der 39-Jährige verrät, wie er das Team und die Liga im Detail einschätzt, welche Rolle der Trainer dabei spielt und was ihm an der Entwicklung der Mannschaft gefällt. Jonas Boldt im Gespräch – von heute bis damals und von Kittel bis Keegan.
Jonas Boldt, das Winter-Transferfenster dieser unter besonderen und schwierigen Bedingungen durchgeführten Saison hat gerade geschlossen. Ist die Tatsache, dass der HSV in dieser Phase nicht noch einmal aktiv geworden ist, eng mit den angesprochenen Bedingungen in Zusammenhang zu bringen? Oder liegt es vielmehr an der guten bisherigen Saison der Mannschaft?
Vor allem Letzteres, aber dieses Thema ist etwas komplexer. Mittlerweile ist ja ein regelrechter Hype um die Winter-Transferphase entstanden, bei dem es nur noch darum geht, wer wen holt – und weniger darum, was wirklich sinnvoll ist. Ich sage ganz offen: Ich bin kein großer Freund von Wintertransfers. Und im Idealfall musst du zu diesem Zeitpunkt auch gar keinen Spieler holen, weil du in der Saisonvorbereitung sehr gut gearbeitet hast, deine Mannschaft gut genug ist, du sie weiterentwickelt hast und keiner deiner Spieler den Verein verlassen hat. Nur: Das kommt so in der Praxis nicht allzu häufig vor. Letztes Jahr beispielsweise haben wir gemerkt, dass Bedarf da ist, daher haben wir drei Spieler geholt, die die Möglichkeit hatten, kurzfristig zu helfen. Dieses Jahr wiederum ist es so, dass zwei Spieler unzufrieden waren. Einen haben wir mit Xavier Amaechi verliehen, damit er Spielpraxis sammeln kann, und mit Lukas Hinterseer haben wir einen abgegeben, der uns im Sommer ohnehin ablösefrei verlassen hätte. So haben wir sogar noch Geld eingenommen. Trotzdem sind wir selbst nicht aktiv geworden, weil wir der Meinung sind, dass wir diese Abgänge kompensiert bekommen und weil wir unserer Mannschaft vertrauen, denn wir sehen ihre Entwicklung.
Und welche Rolle hat die derzeitige Situation gespielt?
Die gehört genauso zur Wahrheit dazu. Es ist Fakt, dass der Transfermarkt in Corona-Zeiten speziell ist und sich insgesamt wenig getan hat. Wir haben uns deshalb voller Überzeugung für einen anderen Weg entschieden und setzen beispielsweise auf Spieler wie Ogi Heil, den wir zuletzt näher herangeführt haben. Und wir setzen auf Rick van Drongelen, der in absehbarer Zeit zurückkommt. Und auf Bobby Wood, der deutlich mehr Einsätze hat, als viele ihm zugetraut haben. Das kompensiert die Abgänge. Hinzu kommt, dass wir beim HSV über Kurzarbeit und Gehaltsverzichte diskutieren, da können wir nicht auf der anderen Seite irgendwelche großen Summen herausblasen, das funktioniert für mich nicht. Wir haben Corona, wir haben eine Zeit ohne Zuschauer und wir haben fehlende Einnahmen. Da müsste es schon wirklich ein Spieler sein, der dich so sehr besser macht und dir auch perspektivisch weiterhilft, dass es fahrlässig wäre, diesen Transfer nicht zu tätigen. Das haben wir immer so kommuniziert, gleichzeitig aber auch gesehen, dass der Markt diesen Spieler nicht hergab. Daher gehen wir unseren Weg weiter, vertrauen unserer Mannschaft und setzen auf ihre Entwicklung.
Was macht die aktuelle HSV-Mannschaft denn derzeit so gut? Und was stimmt dich positiv, dass das Team im Vergleich zu den beiden letzten Jahren auch bis zum Schluss – um es in den Worten des Trainers zu sagen – resistent sein kann?
Mich interessieren weniger die letzten beiden Jahre, sondern das Hier und Jetzt. Und da muss ich sagen, dass wir die 2. Liga jetzt deutlich besser angenommen haben. Paderborns Trainer Steffen Baumgart hat es nach dem letzten Spiel gegen uns auf den Punkt gebracht: Ja, der HSV spielt guten Fußball, aber vor allem im Spiel gegen den Ball haben sie sich entwickelt, da sind sie viel entschlossener geworden. Das teile ich. Wir sind bei Standards und allgemein in der Luft – was im Vorjahr noch eine Schwäche war – deutlich besser geworden, was auch an Stephan Ambrosius und Toni Leistner liegt. Zudem haben wir uns auch fußballerisch ein Stück weiterentwickelt. Darum geht es. Es sind immer die kleinen Schritte, durch die wir Woche für Woche versuchen, wieder ein Stück weiterzukommen. Wir haben jetzt 20 Spiele absolviert und stehen zurecht dort, wo wir stehen. Aber: Wir müssen immer wieder daran anknüpfen. Das ist ganz entscheidend. Denn wir müssen uns vor jedem Spiel darüber klar sein, dass diese 2. Liga wahrscheinlich die ausgeglichenste Liga in ganz Europa ist.