Im HSVlive-Interview erinnert sich HORST HRUBESCH an einen in allen Bereichen mitreißenden Teamkameraden KEVIN KEEGAN – einen herausragenden Fußballer und Weltstar, der dem Mannschaftsgefüge trotz seiner immensen Popularität stets alles untergeordnet hat und der am 14. Februar seinen 70. Geburtstag feiert.

Dreifacher englischer Meister, zweifacher UEFA Cup-Sieger sowie einmal englischer Pokalsieger und Europapokalsieger der Landesmeister mit dem FC Liverpool, Kapitän und unumstrittener Anführer der englischen Nationalmannschaft, zweifacher und bisher einziger Hamburger Gewinner des Ballon d’Or, Deutscher Meister mit dem HSV – nicht viele Fußballer weltweit können auf eine von derart vielfältigen Highlights und Titeln durchzogene Karriere zurückblicken wie Kevin Keegan. Nachdem Keegan mit seiner Art Fußball zu spielen sechs Jahre lang die Fans des FC Liverpool und der Premier League verzückt hatte, wechselte der Lockenkopf 1977 in den Volkspark und wurde nach Anlaufschwierigkeiten im ersten Jahr auch an der Elbe schnell zur schillernden Figur des Kaders, die auf und neben dem Platz die Sympathien der HSV-Anhänger auf sich zog. 90 Bundesliga-Begegnungen absolvierte Keegan in seinen drei Spielzeiten für den HSV, erzielte dabei 32 Tore und riss seine Mannschaft mit seiner Begeisterungsfähigkeit in der Spielzeit 1978/79 in einen Flow, der schließlich im Gewinn der deutschen Meisterschaft mündete.

Dabei eng an seiner Seite stand sein damaliger Sturmpartner und heutige HSV-Nachwuchsdirektor Horst Hrubesch. Inwiefern Hrubesch insbesondere in seiner Hamburger Anfangszeit vom Spielertypen Kevin Keegan profitiert hat, warum ihm das legendäre Foto der Sturmpartner auf der Leiter immer in Erinnerung bleiben wird und inwiefern gemeinsame Kaffeekränzchen nach dem Training zum großen Erfolg der Mannschaft beigetragen haben, berichtet Hrubesch im HSVlive-Interview.

Horst, du hast gemeinsam mit Kevin Keegan zwei Jahre lang für Furore im HSV-Sturm gesorgt, ihr habt in dieser Zeit gemeinsam 73 Tore für die Rothosen erzielt. Wie hast du Kevin Keegan als Spielertypen wahrgenommen?

Kevin war ein Wahnsinnsfußballer, der alles mitgebracht hat: Obwohl Keegy nicht der Größte war, war er unglaublich kopfballstark. Dazu schnell, wendig, flink, mit einem guten Ballgefühl und einem Auge für die Mitspieler. Er war super schwer zu verteidigen, weil er mit seinem niedrigen Körperschwerpunkt so beweglich war und trotzdem extrem stark darin, die Bälle festzumachen. Dazu hat Kevin in jedem Spiel wirklich alles gegeben, er kannte nur Vollgas. Das war ein Spielertyp, wie ihn sich auch heute noch jede Mannschaft nur wünschen kann. In erster Linie deshalb, weil er sich immer der Mannschaft untergeordnet hat. Er war durch und durch ein Mannschaftsspieler, der viele Löcher für andere gerissen hat. Ich kann mich jedenfalls an keine Begegnung erinnern, in der er nicht für seine Mitspieler eingestanden ist. Kevin hat mit seiner Art alle um sich herum angezündet.

Welche Eigenschaften waren es, die sein Spiel auch für seine Mitspieler so ansteckend gemacht haben?

Das ist schwer zu beschreiben: Keegy wirkte immer so unschuldig und war mit seinen Locken, seinem Lächeln, seiner immer positiven Art auf der einen Seite der Liebling der Schwiegermütter. Auf der anderen Seite war er auf dem Platz der größte Kämpfer, den man sich vorstellen kann. Ganz egal, wie sehr ihn seine Gegenspieler genervt und umgetreten haben. Er hat immer Vollgas gegeben, das war wirklich imponierend. Angst hatte er auch keine. Wenn man sich heute mal Spiele von früher anschaut, wie die Gegenspieler da hinter ihm her sind, an ihm gezerrt und ihn gesägt, ihn umgetreten haben. Und Kevin macht was? Nimmt das hin und lacht noch dabei. Das war phänomenal. Ich habe in meiner Karriere mit vielen tollen Fußballern zusammenspielen dürfen, beispielsweise mit Jürgen Milewski, Manni Burgsmüller und Karl-Heinz Rummenigge. Alles super Typen. Aber mit Keegy war es sensationell. Wir haben zwei Jahre lang eine durch und durch harmonische Ehe geführt. (lacht)

Als du 1978 zum HSV gekommen bist, hatte Keegan gerade ein erstes und durchaus schwieriges Jahr im Trikot der Rothosen erlebt. War eure Beziehung auf dem Platz trotzdem direkt so harmonisch, wie sie heute vielfach erinnert wird?

Absolut, so habe ich es empfunden. Es gab von Beginn an keine großen Abstimmungsprobleme zwischen uns. Kevins erste Saison in Hamburg lief sicherlich anders ab, als alle es erwartet hatten. Der HSV ist nur Zehnter geworden, auch für ihn persönlich lief es nicht so gut, er musste sich erst akklimatisieren. Ich glaube, Horst Bertl hat ihm dabei sehr geholfen. Die beiden hatten eine großartige Allianz. Das hat dann zu einer richtigen Leistungsexplosion im zweiten Jahr geführt. Keegy hat aufgedreht und alle mitgerissen – mich eingeschlossen. Dass er einen großen Sturmpartner neben sich hat, kannte er ja schon aus Liverpool mit John Toshack. Die Geschichte hat sich dann durch meinen Wechsel nach Hamburg gewissermaßen wiederholt. Für mich war es der Wahnsinn, dass ich neben so einem Spieler spielen durfte. Kevin hat mir sehr geholfen, in Hamburg Fuß zu fassen.

Weil er dich auf dem Platz geführt hat?

Genau. Er war ein Anführer, jemand, der immer vorneweg ging. Davon habe ich profitiert. Wenn du als Zweitligaspieler neu nach Hamburg kommst und erstmal beweisen musst, dass du das Format hast, hier zu bestehen, dann ist das natürlich einfacher, wenn du solche exzellenten Mitspieler hast, die dich immer wieder mitreißen. Ich war ja, so würde man heute sagen, ein Spätstarter. Ich bin mit 24 Jahren zu Rot-Weiss Essen gegangen, habe dort drei Jahre in der zweiten Liga gespielt. Ich galt zwar als extrem torgefährlich, aber dennoch war der Sprung nach Hamburg und in die erste Liga für mich riesig. Meine Mitspieler hießen plötzlich Felix Magath, Manni Kaltz, Kevin Keegan, Horst Bertl, Peter Nogly. Mit solchen Topleuten Fußball zu spielen, hat mir unglaublich Spaß gemacht, aber ich musste lernen, mich da reinzubeißen. Kevin war einer derjenigen, die mich ganz entscheidend mitgezogen haben. Dafür bin ich ihm heute noch dankbar.

Keegan war nominell als Linksaußen im Einsatz, auf dem Platz aber überall zu finden. Wie habt ihr euch abgesprochen: Gab es eine klare Aufgabenverteilung?

Es gab zumindest keine Verteilung, die wir im Vorfeld abgesprochen hätten. Aber es hat sich dann zunächst so dargestellt, dass ich derjenige war, der ihm die Dinger serviert hat, Keegy hat sie eiskalt verwandelt. Das hat gut funktioniert, auch wenn meine Quote zunächst nicht stimmte. In meiner ersten Halbserie beim HSV habe ich relativ wenig Tore geschossen, die kann ich an einer Hand abzählen. Im November war ich schon abgestempelt und galt als Fehleinkauf. Unser Trainer Branko Zebec hat dann immer gesagt: „Mach dir keine Sorgen, Horst. Hör auf, die Zeitung zu lesen, leg einfach weiter die Bälle ab. Keegy übernimmt den Rest.“ Genauso haben wir es dann auch gemacht. In der Zeit hat mich Kevin extrem mitgerissen.

Das Duo Keegan und Hrubesch war schnell in aller Munde, eben weil ihr so schnell zueinander gefunden habt. Noch heute kennt vermutlich jeder HSVer das Foto von euch beiden auf der Leiter. Was hat es damit eigentlich auf sich?

Der Kleine wollte halt auch mal groß sein. (lacht) Nein, ernsthaft: Da Keegy in Liverpool schon mit John Toshack einen großen Sturmpartner neben sich hatte und es da gewisse Parallelen zu uns gab, kam dieses Shooting in der Sommervorbereitung zustande. Wir haben dabei so viel gelacht. Heute mag ich das Bild vor allem deshalb so gerne, weil es mich an eine Szene erinnert, die zeigt, wie sehr sich Kevin in jede Situation geschmissen hat.

Und zwar?

Ich kann das genaue Spiel nicht mehr nennen, aber es war eine Standardsituation. Damals war Manndeckung noch die Art, mit der bei ruhenden Bällen verteidigt wurde. Entsprechend waren wir alle mit unseren Gegenspielern belegt. Wir hatten uns eine Idee zurechtgelegt, wie wir uns davon lösen können und im Training vorher Laufwege, Blockverhalten und so weiter einstudiert. Unsere Standards waren durchgeplant. In der Szene habe ich mich abgesetzt und wollte einen Gegenspieler wegblocken, als der Ball in die Mitte kam. Der Ball kam auch genau in meinen Bereich. Auf einmal merkte ich, dass ich jemanden im Kreuz sitzen hatte und hab mich zunächst schwarzgeärgert, dass mein Gegenspieler offenbar höher springen kann als ich. Dann habe ich mich umgeguckt und meinen kleinen Freund Kevin gesehen, der so hochgesprungen ist, dass er mit seinem Hintern wirklich auf meiner Schulterhöhe saß (lacht). Er ist dann vorne rüber gefallen, ich habe ihn noch mit aufgefangen. Ich weiß nicht mehr, wie er das gemacht hat, aber der Ball war auf jeden Fall im Tor. Eine Wahnsinnssprungkraft, die Kevin hatte – und ein unbändiger Wille, jeden Ball zu erreichen. Daran erinnert mich dieses Bild im Nachhinein.

Deinen Beschreibungen nach also ein absoluter Vollblutfußballer.

Ja, einfach ein brutal guter Fußballer. Viel entscheidender ist aber für mich noch das Verhalten neben dem Platz. Und da war er einfach bombastisch. Charakterlich ein Wahnsinnstyp, der für jedermann da gewesen ist. Wenn es Kevin nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Keegy hat einfach Spaß gemacht. Egal, ob auf der Geschäftsstelle, bei Medienterminen, im Training oder im Spiel. Ob er Autogramme unterschrieben hat, gerade bei Hermann Rieger war, egal was war – Kevin hatte immer ein Lachen auf den Lippen. Es schien ihm einfach nie zu viel zu werden. Wir anderen haben uns manchmal wirklich darüber gewundert, weil er ja von allen Seiten angefragt wurde. Ähnlich wie Franz Beckenbauer etwas später war Kevin schließlich ein Superstar, wurde zweimal Europas Fußballer des Jahres, dazu sein musikalischer Hit. Das alles ist ihm aber nie zu Kopf gestiegen, Kevin war nie hochnäsig oder arrogant. Er war da ganz bei sich.

Ob im Spiel oder beim Training auf der Anlage Ochsenzoll in Norderstedt: Die mannschaftliche Geschlossenheit bewertet Hrubesch heute als zentrales Erfolgsmerkmal der Meistermannschaft von 1979.

Mit ihren insgesamt 30 Treffern hatten Keegan und Hrubesch in der Saison 1978/79 maßgeblichen Anteil am Gewinn der deutschen Meisterschaft.

Du sprichst den extremen Hype an: „Mighty Mouse“ kam bereits als Legende des FC Liverpool in den Volkspark und wurde auch in Hamburg schnell zur Marke, zum Superstar. War das auch Thema in eurer Kabine?

Natürlich haben wir darüber gesprochen, aber es war nie ein Thema, das zwischen uns gestanden hätte. Wir waren eine verschworene Gemeinschaft, die auf dem Platz und auch daneben einfach gut harmoniert hat. Da gab es keinen Platz für Egos. Das klingt platt, war aber so. Und ich glaube, das hat uns letztlich auch so stark gemacht.

Wodurch ist dieser Zusammenhalt so stark geworden?

Es waren zwei Dinge: Zum einen mussten wir unter Branko viel und hart trainieren. Wir saßen alle im selben Boot. Ich weiß nicht, ob das Trainerteam das in der Form beabsichtigt hatte, aber wir sind so sehr schnell zu einer geschlossenen Einheit geworden. Zum anderen hatte uns niemand auf dem Zettel. Zu Saisonbeginn dachten viele, wir spielen ausschließlich gegen den Abstieg. Das war der Tenor, schließlich hatte man vor der Saison verdiente Spieler wie Ferdinand Keller, Buffy Ettmayer und Arno Steffenhagen abgegeben. Stattdessen kamen dann mit Bernd Wehmeyer, Hans-Günther Plücken, Jimmy Hartwig und Horst Hrubesch nur Zweitligaspieler nach. Entsprechend hatte uns niemand auf dem Zettel. Und auch wir waren nicht mit der Ambition der Meisterschaft in die Saison gestartet. Dass es dann von Anfang an so rund lief, hat uns noch enger verbunden.

Hat euch euer Erfolg damals selbst überrascht?

Wir haben am Anfang zunächst an alles geglaubt, aber doch nicht an die Deutsche Meisterschaft. Aber wir sind immer klarer und stabiler geworden. Auch das Umfeld hat relativ schnell gemerkt, dass wir mit dem Abstieg eher nichts zu tun haben werden. Erst sehr viel später wurde jedoch auch von außen wahrgenommen, dass wir ernsthafte Chancen haben, oben mitzuspielen. Uns in der Mannschaft war zumindest schon etwas eher klar, was uns ausmacht.

Womit wir wieder beim Stichwort Teamgeist wären. Wie hat sich diese mannschaftliche Geschlossenheit in euerm Alltag geäußert?

Ich kann da gar kein einzelnes großes Ereignis nennen, das hat sich eher in kleinen Aktionen gezeigt. Wir haben damals noch in Ochsenzoll trainiert, auf Platz 12. Je nach Jahreszeit war das eher ein Schlammfeld als ein Rasenplatz. Und trotzdem sind wir alle nach dem Training oft noch länger geblieben, haben Flanken geübt, Bälle durch Löcher im Zaun oder in Mülltonnen geschossen. So einen Quatsch haben wir noch gemacht. (lacht) Teilweise sind wir erst eine dreiviertel Stunde nach Trainingsschluss in die Kabine gegangen. Wir hatten einfach unfassbar viel Spaß und konnten nicht genug vom Fußballspielen bekommen. Nach dem Training sind wir dann oft zusammen gegenüber beim Bäcker Kaffee trinken gegangen. Irgendwann haben wir auch eingeführt, dass wir immer montags zusammen frühstücken. Alles natürlich freiwillig, nicht verpflichtend. Aber am Ende waren trotzdem immer fast alle da. Diese kleinen Geschichten bleiben mir aus der Zeit sehr präsent in Erinnerung.

Und all das führte am Ende dazu, dass du mit Kevin Keegan ein kongeniales Duo auf dem Platz bilden konntest?

Genau. Alle Dinge, die wir im und auch nach dem Training noch einstudiert haben, haben dazu geführt, dass wir richtig gut eingespielt waren. Bei jeder Hereingabe wusste ich, wo Keegy steht und wie ich den Ball ablegen muss. Umgekehrt genauso. Ich habe mir im Nachhinein viele Gedanken dazu gemacht, was wohl in dieser Saison passiert wäre, wenn wir mal eine längere schlechte Phase gehabt hätten, in der die Ergebnisse vielleicht ausgeblieben wären. Wie hätten wir reagiert? Hätten wir noch funktioniert und uns da herausziehen können? Und ich glaube ganz einfach: Ja. Weil wir uns aufeinander verlassen konnten.

Gibt es eine Begegnung aus dieser Zeit, an die du dich besonders gern zurückerinnerst?

Natürlich gibt es besondere Partien wie das 5:1 gegen Real Madrid hier im Volksparkstadion, oder auch Partien gegen Bayern München oder in Dortmund. Ich kann aber gar kein einzelnes Spiel nennen, das mir besonders in Erinnerung geblieben ist, weil wir wirklich immer viel Spaß hatten. Auch in Spielen, in denen wir nicht guten Fußball gespielt haben – und die gab es natürlich auch bei uns. Aber wir haben funktioniert. Von uns hast du immer 100 Prozent bekommen. Es hat sich keiner hängenlassen oder rausgezogen. Alle sind immer marschiert, alle haben angetrieben. Der einzige etwas ruhigere Typ war Rudi Kargus, dem wir immer gesagt haben: „Rudi, du musst nur die Bälle halten, den Rest machen wir.“  Hat funktioniert. (lacht)

1980 wechselte Kevin Keegan schließlich zurück nach England zum FC Southampton, um seine so erfolgreiche Karriere auf der Insel fortzusetzen. Du bist noch bis 1983 in Hamburg geblieben, ehe es dich nach Lüttich zog. Seid ihr nach eurer gemeinsamen Zeit beim HSV noch in Kontakt geblieben?

Na klar, wir sind immer wieder aufeinandergetroffen. In den zurückliegenden Jahren hat sich das zwar etwas verlaufen, aber die Verbindung ist noch da. Kevin und ich haben uns auch später als Trainer immer wieder gesehen. Mein Eindruck war, dass er sich genau das behalten hat, was ihn als Spieler schon so einzigartig gemacht hat: Immer gradlinig, offen und ehrlich zu sein und dem Fußball wirklich alles unterzuordnen. Davor und vor Kevin als Mensch kann ich nur meinen Hut ziehen.

Stets, überall und auch über all die Jahre und bis heute eine ganz besondere Verbindung: Horst Hrubesch und Kevin Keegan.