Sweet home Itzstedt: Jean und Kevin Keegan und ihre Bobtails Heidi und Oliver.

KEVIN KEEGAN und HAMBURG eine innige Liebesbeziehung mit Anlaufschwierigkeiten.  

Hot love? Von wegen! Eher das Gegenteil. In seiner 2018 erschienenen Autobiografie „My Life in Football“ charakterisiert Kevin Keegan seine ersten sechs Monate in Hamburg als „nightmarish“ – „alptraumhaft“. Während Fans und Medien die Ankunft des Superstars aus England euphorisch feierten, hielt sich die Begeisterung über den neuen Mitspieler im Mannschaftskreis zunächst in überschaubaren Grenzen. Keegan erinnert sich an einen „frosty dressing room“, die erste Trainingseinheit verlief extrem enttäuschend: „Ich sah kaum den Ball. Wenn ich mich freilief, war es schon erstaunlich, wie oft der Pass nicht kam. So etwas hatte ich noch nie zuvor erlebt.“

Futterneid, Sprachprobleme, Hotel-Koller

Statt Zuspielen und Zuspruch gibt es von den neuen „Kameraden“ kräftig auf die Socken. Die Sprachbarriere – Keegan konnte kein Deutsch, kaum ein Mitspieler fließend Englisch – machte die Eingewöhnung nicht leichter. Die ersten Testspiele verliefen zwar vielversprechend, doch die Bundesliga-Premiere des englischen Wirbelwinds ging mit 2:5 in Duisburg gehörig in die Hose. Zwar folgten vier HSV-Siege am Stück und dabei gegen Kaiserslautern auch Keegans erstes Bundesliga-Tor, doch auch beim sensationellen 0:2 im ersten Bundesliga-Derby gegen Aufsteiger und Underdog FC St. Pauli Anfang September wirkte der kleine Engländer noch immer wie ein Fremdkörper im HSV-Spiel. Nicht nur für Insider war offensichtlich, dass Keegan von Teilen des Teams geschnitten wurde. Ein klarer Fall von Futterneid auf den neuen Top-Verdiener. Der von Peter Krohn eingefädelte spektakuläre Millionen-Transfer – nicht mehr als eine schnöde Geldheirat? Ein großes Missverständnis?

Best buddies: Keegan und Horst Bertl Anfang 1979 in der Kindersendung Dr. h.c. Cäsar.

„Ich wäre am liebsten gleich wieder bei Nacht und Nebel geflüchtet“, gibt Keegan rückblickend zu, denn auch abseits des Sportplatzes war sein Leben in Hamburg zunächst alles andere als ein „walk in the park“. Mit seiner Frau Jean und den beiden Bobtails Heidi und Oliver bewohnte der Fußballer eine Suite im 19. Stock eines Hotels mitten in der City. Was erst noch bequem und luxuriös anmutete, ging allen vier Engländern rasch auf den Geist. Sie beschlossen umzuziehen und erwarben im holsteinischen Itzstedt, einer 2.500-Seelen-Gemeinde zwischen Norderstedt und Bad Segeberg, einen 4-Zimmer-Bungalow – der entscheidende Schritt, um endlich anzukommen. „Unser Heim“, jubelte Jean Keegan Ende 1977 in einem Interview mit der „Liverpool Daily Post“, „ist jetzt tipptopp und vollständig eingerichtet. Wir haben uns moderne Möbel gekauft, weil es ein modernes Haus ist. Nur das Gästezimmer ist altdeutsch eingerichtet. (…) Zuerst hatte ich ein wenig Heimweh, aber mittlerweile habe ich mich gut eingelebt. Ich kann mich immer noch nicht an die Vorstellung gewöhnen, dass man so einfach mit dem Auto ins Ausland fahren kann. Nach Dänemark braucht man zum Beispiel nur die Autobahn nach Norden zu nehmen. Ich fühle jetzt erst richtig, dass ich Europäerin bin.“

Ein Platzverweis als Tief- und Wendepunkt

Der Ball lief allerdings noch immer nicht rund. Bei einem bedeutungslosen Testkick beim VfB Lübeck am Silvestertag 1977 entlud sich Keegans Frust über seine bisherige sportliche Performance. Gegenspieler Erhard „Mucker“ Preuß interpretierte den Kontext „Freundschaftsspiel“ auf seine spezielle Weise und beackerte den HSV-Star gleich derart heftig, dass dieser sich in der 5. Minute mit einem klassischen Kinnhaken revanchierte – direkt vor den Augen des Schiedsrichters. Platzverweis! Was für ein Silvester-Böller! Der Tiefpunkt an der „Low“-mühle. Keegan wurde für acht Wochen gesperrt, ein Gnadengesuch des HSV vom DFB abgewiesen. Der Superstar wollte nun endgültig weg aus Hamburg, kokettierte öffentlich mit einem Wechsel nach Spanien zu Real Madrid oder zum FC Barcelona. Das teilte er auch dem neuen Manager Günter Netzer bei dessen Dienstantritt Anfang 1978 unmissverständlich mit. Das harte, offene Gespräch mit Netzer empfand Keegan rückblickend als eine der Ursachen, warum er in Hamburg „mit seinen phantastischen Menschen und seinem phantastischen Publikum“ doch noch glücklich wurde. Netzer brachte das nötige Einfühlungsvermögen für den sensiblen Ballstreichler mit. Keegan erklärte: „Er war im Ausland bei Real Madrid Profi und kannte die Nöte, wenn man nicht in der Heimat spielt.“

Hot love: Kevin-Mania im Volkspark – besonders auch bei weiblichen HSV-Fans.

Die unfreiwillige Auszeit durch die Sperre brachte die Wende. Keegan verbesserte seine Deutschkenntnisse, autodidaktisch mit Hilfe von Schallplatten, Tonbändern und Büchern. Als er in einem Interview erwähnte, wie sehr er britisches Getreide vermisste, das er in den Supermärkten in Deutschland nicht finden konnte, überfluteten ihn die HSV-Fans mit Paketen seines Lieblingsmüslis und Lieferanten-Listen. Und Schwiegermutter schickte von der Insel regelmäßig Care-Pakete mit englischer Orangenmarmelade und Trinkschokolade. Auch sonst fühlten sich Kev und Jean in Itzstedt immer heimischer. Mit dem Sänger und Liedermacher David Parker und seiner Frau Monika, zwei in der Nachbarschaft wohnenden Landsleuten, lernten sie echte Freunde kennen. Innerhalb der Mannschaft wurde Horst Bertl für Keegan zum besten Kumpel und verständnisvollen Ratgeber.

Sportlicher Aufschwung, privates Glück

Als zur Saison 1978/79 Branko Zebec das HSV-Training übernahm und Keegan spielerische Freiheiten zubilligte, lief es. Und wie: Die Mouse wurde „mighty“ und spielte die wohl beste Saison ihrer Laufbahn und sich so nachhaltig in die Herzen unzähliger Fans. Zahlreiche Kevins, die heute um die 40 Jahre alt sind, legen davon eindrucksvolles Zeugnis ab. Und auch bei den Keegans kam zum sportlichen das größte private Glück dazu: Am 15. November 1978 um 16 Uhr brachte Jean in einer Privatklinik in Winterhude Töchterchen Laura-Jane zur Welt. Eine „Hamburger Deern“. 50 Zentimeter und 3250 Gramm, die den Fußballer dahinschmelzen ließen: „Jetzt bin ich endgültig hin. Das ist die schönste Zeit in meinem Leben!“

Keegan’s in love. Doch noch. Auf den zweiten Blick. Dafür umso heftiger. Hals über Kopf. Im Februar 1979, nur ein gutes Jahr nach dem Tiefpunkt, schrieb das Hamburger Abendblatt über den HSV-Fußballer: „Kaum hat er hanseatische Gestade für ein, zwei Tage verlassen, geht ihm das Herz über. Die verlassene Ehehälfte (HSV) müsste eigentlich ganz verlegen werden vor so viel Liebesschwüren, die Kevin über den Kanal schickt. In London gab er eine Liebeserklärung für seinen Verein und das Publikum im Volksparkstadion ab. Und wie das in einer Ehe so ist, man verändert sich. Auch Kicker Keegan: ,Ich habe Zeit gefunden, über mich selbst nachzudenken. Und das half mir dabei, ein besserer Mensch und auch ein besserer Spieler zu werden.‘“

Overtime: Anfang 1979 verkündete Keegan, noch ein drittes Jahr in Hamburg dranzuhängen.

Cute heartbreaker: Jean und Kevin Keegan mit ihrer „Hamburger Deern“ Laura-Jane.

Eternal heroes: „Uns Uwe“ und „Uns Kevin“ 2011 beim „Tag der Legenden“.