In der Rubrik „Meine Wurzeln“ spricht in jeder Ausgabe ein HSVer über seine Anfänge im Fußball. Dieses Mal: Co-Trainer MERLIN POLZIN.

Ich weiß noch genau, dass ich an meinem 5. Geburtstag, also am 7. November 1995, beim Hamburger Stadtteilclub Bramfelder SV eingetreten bin. Vorher war dies noch nicht möglich, weil ich zu jung war. Auf diesen Tag habe ich also wirklich hingefiebert. Da meine Eltern sehr sportaffin waren und sind, war der Ball aber auch schon in den Jahren zuvor immer dabei. Seitdem ich laufen konnte, hat mich der Fußball immer deutlich mehr fasziniert als irgendwelche Spielautos oder Bauklötze. Mit fünf Jahren durfte ich dann aber endlich im Verein bei den Mini-Kickern, wie es damals noch hieß, anfangen. An diese Zeit habe ich sehr viele schöne Erinnerungen. Der Bramfelder SV ist ein total familiär geführter Verein, was allein die Tatsache belegt, dass ich mit vielen ehemaligen Wegbegleitern noch heute gut befreundet bin. Damalige Mitspieler waren gleichzeitig auch meine Mitschüler, so dass wir uns täglich gesehen haben und dadurch natürlich enge Bindungen entstanden sind. Aus dieser Zeit sind mir sportlich gesehen vor allem zahlreiche internationale Turniere in Erinnerung geblieben, die wir mit dem BSV bestritten haben. Wir haben damals beispielsweise ein Vier-Länder-Turnier mit Mannschaften aus Dänemark, England, den Niederlanden und Deutschland organisiert, welches wir dann auch gewinnen konnten. Den Pokal in Dänemark in die Höhe zu strecken, das war schon ein schöner Moment.

Wie bei so vielen Sportlern, hat auch bei mir mein Vater in der Jugendzeit eine ganz besondere Rolle eingenommen. Bis zur C-Jugend war er mein Co-Trainer beim BSV, so dass mein Papa auf und neben dem Sportplatz immer an meiner Seite war. Ab der C-Jugend hatte ich dann stetig wechselnde Trainer, daher fällt es mir schwer, einen Coach herauszupicken, der mich in der Jugendzeit stark geprägt hat. Beim BSV war es eher ein großes Miteinander, so dass ich von allen Persönlichkeiten irgendetwas für meine spätere Laufbahn mitnehmen konnte. Dazu gehörten neben vielen positiven Eindrücken natürlich auch Eigenschaften, von denen ich heute sagen kann, dass ich diese nicht unbedingt verkörpern möchte. Ohnehin habe ich schon als aktiver Spieler viele Entscheidungen oder Anweisungen meiner Trainer hinterfragt und häufig gedacht, dass eine andere Herangehensweise in dem Moment vielleicht die effektivere wäre. Zudem war ich durchgehend Kapitän meiner Mannschaften und als Innenverteidiger oder Sechser, der vielleicht nicht das größte fußballerische Talent mitbrachte, sehr viel im Coaching unterwegs und habe als zentraler Spieler versucht, meine Vordermänner zu dirigieren. Das sind Dinge, die ich schon sehr früh gemerkt und für mich mitgenommen habe und die aus heutiger Sicht für mich als Trainer sehr hilfreich sind. Durch die Erkenntnis, dass ich ein Leader sein kann, der es zu verstehen weiß, was der Gegner macht und was wir benötigen, um den Gegner dementsprechend zu knacken, ist bei mir schon ein Licht aufgegangen, dass der Trainerbereich in späteren Jahren etwas für mich sein könnte.

Mein größter sportlicher Erfolg als Spieler war dann sicherlich der Aufstieg von der Landesliga in die Oberliga. Es war mein erstes Seniorenjahr, in dem ich als 18-Jähriger neben gestandenen Fußballern meinen Teil zum Aufstieg beitragen konnte – das war schon besonders und hat mich mit Stolz erfüllt. Apropos gestandene Fußballer: Als glühender Anhänger des HSV, der in seiner Hochzeit auch lange Auswärtsfahrten auf sich genommen hat, um live bei den Spielen dabei zu sein, haben mich als zentraler Defensivspieler besonders Akteure wie Daniel van Buyten oder Tomáš Ujfaluši begeistert. Auf internationaler Ebene würde ich Alessandro Nesta nennen, der für mich die perfekte Mischung aus resolutem Verteidigen und spielerischer Eleganz verkörpert hat. Ich habe schon versucht, mir von diesen Spielern das eine oder andere abzuschauen. Selbst heute würde ich noch sagen, dass das aktive Fußballspielen nach wie vor das Größte für mich ist und sich durch nichts ersetzen lässt.

Dennoch hat mich der Gedanke an das Trainerdasein immer begleitet. In der Aufgabe, eine Gruppe zu formen und gleichzeitig Inhalte zu platzieren, von denen man überzeugt ist und die im besten Falle zum Erfolg führen, gehe ich wirklich total auf. Somit war es für mich im Oktober 2007, also mit 16 Jahren, der logische Schritt, meine erste Jugendmannschaft als Coach beim Bramfelder SV zu übernehmen. Meine Woche bestand von da an wirklich nur noch aus Fußball – Montag, Mittwoch, Freitag und Samstag habe ich selber gespielt, Dienstag, Donnerstag und Sonntag war dann Training und Spiel mit den Kleinen. Auch damals habe ich die Einheiten mit meinen Kids genauso akribisch vorbereitet, wie ich es heute mache. Ich wollte möglichst viel lernen, mir Wissen anlesen und alles aufsaugen, was mir über den Weg lief. Und das immer mit dem Anspruch, die Jungs und mich so gut wie möglich weiterzuentwickeln und natürlich auch den größtmöglichen Erfolg zu haben. Das Ganze war also nie nur ein Hobby für mich, sondern wirkliche Passion.

2010 habe ich mit der C-Lizenz dann auch meinen ersten Trainerschein gemacht, auf den in den folgenden Jahren dann weitere Lehrgänge bis hin zur Absolvierung der A-Lizenz folgen sollten. Mit meinen noch jungen 30 Jahren stehe ich nun schon seit 13 Jahren, also fast mein halbes Leben, als Trainer an der Seitenlinie – das kann ich manchmal selbst nicht glauben. Über ein Engagement beim Hamburger Fußballverband und die Tätigkeit im Nachwuchsbereich des HSV ging es für mich dann zum Studium nach Osnabrück. Dort hatte ich die 2014 die Möglichkeit, Daniel Thioune kennenzulernen und mit ihm zusammen die U17 vom VfL Osnabrück zu übernehmen. Zuvor hatte ich nie eine Mannschaft auf dem Großfeld trainiert und heute, sieben Jahre später, sind wir Trainer der ersten Mannschaft des Hamburger SV – das ist schon verrückt. Daher spielt Daniel für meine Entwicklung in diesem Bereich eine sehr große und prägende Rolle. Ich konnte gerade in der Anfangszeit unheimlich viel von ihm lernen und mittlerweile sieht er mich in der inhaltlichen Ausrichtung der Mannschaft als gleichwertigen Part an – das rechne ich ihm hoch an.

Die entscheidendste Rolle auf meinem gesamten Weg hat aber definitiv meine Familie gespielt. Während andere Menschen in meinem Umfeld eine Ausbildung oder ein Studium angefangen haben, habe ich auf 450€-Basis im Nachwuchs gearbeitet und wollte mich als Trainer irgendwie durchkämpfen. Meine Eltern haben mich dabei immer mit aller Kraft unterstützt. Das liegt wohl auch daran, dass mein Vater selbst Trainer war und ist und auch mein „kleiner“ Bruder bereits seit zehn Jahren eine Inklusionsmannschaft beim Bramfelder SV trainiert und darin total aufgeht. Und auch meine Freundin, mit der ich seit 2010 zusammen bin, macht diesen ganzen Wahnsinn nun schon seit elf Jahren mit und hat es geduldet, dass ich damals beispielsweise an einem Sonntagmorgen drei Stunden nach Braunschweig gefahren bin, um meine Mannschaft bei einem Spiel zu coachen, das niemanden interessiert hat. Ihr und meiner Familie kann ich daher gar nicht genug danken.