Die Spieltage 33 und 34 stehen noch auf dem Plan. TONI LEISTNER und der HSV sind nach wie vor mittendrin im Kampf um die entscheidenden vorderen Plätze, auch wenn es die Rothosen nicht mehr in der eigenen Hand haben. Wie geht man mit dieser Situation am besten um, hat sich die HSVlive-Redaktion gefragt – und Routinier Leistner hat geantwortet. Ein vielseitiges und rein sportliches Gespräch, in dem es immer wieder um eines geht: den Blick auf sich selbst.
Man gewinnt immer wieder den Eindruck, dass diesen Typen nichts aus der Ruhe bringt. Egal ob er nach wochenlanger Verletzungspause aufs Feld zurückkehrt und direkt das Zepter übernimmt oder ob er jetzt mit seinem Team in die entscheidenden Spiele geht – Toni Leistner hat die Ruhe weg. Und genau das braucht die Mannschaft in der jetzigen Situation. Ruhe, Abgeklärtheit, Überzeugung. All dies strahlt der erfahrene Abwehrmann auch im HSVlive-Interview aus, in dem es um die Lehren aus den vergangenen Wochen und vor allem um die letzten Spiele der Saison geht. Ein sportliches Gespräch über die Aufs und Abs der HSV-Saison mit offenen, ehrlichen und ungeschönten Antworten. Und gleichzeitig aber auch voller Optimismus. Ein echter Leistner, dessen Kernaussage auf alle angesprochenen Bereiche und Themen zutrifft, egal ob sie den Rückspiegel oder den Blick nach vorn betreffen: „Wir müssen auf uns schauen!“
Toni, die Saison befindet sich auf der Zielgeraden. Was ist – unabhängig vom HSV, sondern ganz allgemein – das Rezept für einen erfolgreichen Endspurt: Beißen und kratzen oder locker im Kopf bleiben und Spaß am Fußball haben?
Grundsätzlich ist die Mischung aus beidem schon ein sehr gutes Rezept, um die Chance zu erhöhen, am Ende erfolgreich zu sein. Aber ich denke, dass man einen Unterschied machen muss, worum man in den letzten Spielen kämpft. Wenn es gegen den Abstieg geht, ist es ein negativer Druck, der auf einem lastet, weil man immer im Hinterkopf hat, dass mit einem Abstieg auch viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Damit einher geht dann die Definition über den Kampf. Wenn man hingegen um den Aufstieg spielt, sollte es ein positiver, ein schöner Druck sein, den man im Idealfall umgemünzt bekommt in positive Energie.
So wie zuletzt gegen Nürnberg? Oder trübt die Tatsache, dass in den vergangenen Wochen in der Tabelle die Aufstiegsplätze hergegeben wurden und man es nicht mehr selbst in der Hand hat, diesen positiven Druck?
Auch in dieser Situation ist es möglich, nochmal eine Euphorie zu entfachen, und zwar nicht nur in der Mannschaft, sondern auch im ganzen Club und bei den Fans. Ich finde, man hat es im Spiel gegen die Nürnberger gesehen. Und man sieht es beispielsweise auch an Teams wie Fortuna Düsseldorf, die schon etliche Male abgeschrieben waren, plötzlich aber wieder da sind und ihre Siege feiern, als hätten sie die Meisterschaft gewonnen. Und ganz nüchtern: Die Saison hat 34 Spieltage, erst danach wird abgerechnet – und die Konkurrenz muss schließlich auch erst einmal ihre Spiele erfolgreich absolvieren. Aber klar ist: Wir müssen auf uns schauen, müssen jetzt stabil bleiben und unsere Spiele gewinnen, alles andere zählt für uns nicht.
Der Fokus liegt auf den eigenen Spielen, das ist logisch. Aber natürlich macht man sich ja auch Gedanken darüber, was auf den anderen Plätzen passiert. Wie schätzt du die Lage ein?
Wie gesagt: Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Das ist das, was für uns zählt, alles andere können wir nicht beeinflussen. Aber Fakt ist auch, dass Fürth noch gegen Paderborn spielen muss, die man – wie man zuletzt gesehen hat – in keinem Spiel abschreiben darf. Und dann haben sie am letzten Spieltag vielleicht ein echtes Endspiel gegen Fortuna Düsseldorf, die selbst noch ihre Chance im Aufstiegskampf sehen. Bei Holstein Kiel muss man abwarten, wie sie ihre extreme Situation, die es ja in dieser Form noch nicht gegeben hat, wegstecken und ob sie wirklich bis zum Ende durchziehen können, auch wenn sie das bisher natürlich unglaublich souverän getan haben. Ich denke, dass es bis zum 34. Spieltag spannend bleiben wird und dass wir unseren Teil dazu beitragen werden.
Was bedeutet das auf den HSV bezogen, auf den Außenseiter, den Jäger, in dessen Position sich die Mannschaft ja befindet?
Der VfL Bochum, Greuther Fürth und Holstein Kiel spielen eine richtig gute Saison, Fortuna Düsseldorf lauert von hinten, wir sind auch noch dabei, aber klar ist: Es liegt nicht mehr in unserer Hand, es spielt also auch das Prinzip Hoffnung mit. Aber das nötige Quäntchen Glück wollen wir uns in den letzten Spielen erarbeiten, indem wir unsere Punkte holen. Und dann schauen wir am Ende, wofür es reicht.
Die Mannschaft muss sich mit der Rolle des Außenseiters begnügen, weil – so ehrlich müssen wir sein – eine bessere Ausgangslage aufgrund der langen Durststrecke ab dem 20. Spieltag vergeben wurde. Du warst in dieser Phase verletzt und hattest deshalb neben der Nähe zum Team auch den Blick von außen aufs Geschehen. Wie hast du diese Phase wahrgenommen?
In dieser Zeit hatten wir einige Ups und Downs, das heißt, dass nach zwei schlechten Spielen auch immer wieder ein gutes dazwischen war, beispielsweise die Siege gegen Bochum und Heidenheim. Das hat vielleicht dazu geführt, dass wir die schlechten Spiele ein bisschen vergessen und nicht entscheidend aus ihnen gelernt haben. Ich denke, dies war rückblickend unser größtes Problem, unser größter Fehler. Denn eigentlich haben wir genügend auf den Deckel bekommen, woraus man hätte lernen müssen: drei Gegentore in Aue, drei Gegentore in Würzburg, drei Gegentore in Hannover, dazu das sehr schlechte Spiel in Sandhausen. Es gab genügend Zeichen, aber augenscheinlich haben wir die Fehler nicht ausreichend angesprochen oder haben es nicht richtig angenommen. Eigenwahrnehmung und Selbstkritik sind jedenfalls Punkte, die wir zukünftig noch mehr in den Mittelpunkt stellen müssen.
Welche Rolle spielt zudem die Erwartungshaltung rund um den HSV, die eine andere ist als an vielen anderen Standorten Fußball-Deutschlands?
Natürlich gibt es beim HSV einen größeren Druck als anderswo, die Erwartungshaltung bei Fans, Medien und allen Betrachtern ist größer als bei vielen anderen Clubs der 2. Liga. Aber damit muss man umgehen können, auch wenn es bedeutet, dass zu Saisonstart selbst nach fünf gewonnenen Spielen in Serie keine richtige Euphorie entsteht, sondern es als Normalzustand gewertet wird. Aber vielmehr sollten wir unsere eigenen Themen in den Vordergrund stellen, die, die wir beeinflussen können. Und wir sollten überlegen, woran es liegt, dass es wieder in der Rückrunde passiert ist, dass die Ergebnisse ausbleiben. Denn dass die nötige Qualität in der Mannschaft steckt, darüber brauchen wir ja nicht zu diskutieren. Diese aber über 34 Spieltage konstant abzurufen, darum geht es, daran müssen wir hart arbeiten. Wir müssen verhindern, dass nach einer guten Hinrunde ein paar Prozent nachgelassen wird, weil man vielleicht unterbewusst denkt, so wird es schon weitergehen. Das darf nicht sein, das darf nicht passieren. Denn es wird knallhart bestraft.
Welche Rolle spielt in solchen Situationen der Kopf?
Wenn man diese Situation jetzt im dritten Jahr nacheinander erlebt, dann spielt es vielleicht wirklich eine Rolle. Allerdings wurde der Kader in den Jahren ja auch immer verändert, auch die handelnden Personen waren nicht immer die gleichen. Diese eine schlüssige und für alles herhaltende Erklärung gibt es deshalb aus meiner Sicht nicht.