Hamburger Jungs

JEREMY DUDZIAK, STEPHAN AMBROSIUS, JOSHA VAGNOMAN & CO.  die Zahl der in Hamburg geborenen HSV-Profis ist in dieser Saison besonders hoch und zeigt auf, welchen Weg man geht und dass dieser Weg durchaus funktionieren kann. Denn so viel Hamburg steckte seit 50 Jahren nicht mehr im HSV. Ein Grund zur Freude! Und deshalb auch ein Grund, ruhig mal etwas genauer hinzuschauen und die Situation der Hamburger Jungs im HSV-Kader nicht nur aus dem aktuellen Blickwinkel, sondern auch vor dem historischen Hintergrund zu beleuchten.

Als die Schwere der Verletzung von Stephan Ambrosius Ende April die Runde machte, waren die Mitspieler entsetzt. Kreuzbandriss. Schon wieder. Sie alle fühlten mit dem 21-Jährigen, der sich in diese Mannschaft hineingearbeitet, hineingekämpft hatte und im Laufe der Saison zur absoluten Stammkraft aufstieg. Sie mögen ihn, den lustigen Kerl, der auf dem Platz so gar keinen Spaß versteht. Und sie achten ihn. Für seine Leistungen, für seine Hingabe und für seine Identifikation. Denn Stephan Ambrosius lebt den HSV, und das schon seit knapp zehn Jahren. Seit 2012 trägt er die Raute auf dem Trikot und im Herzen. Stephan Ambrosius ist ein echter Hamburger Jung.

Für diesen Verein zu spielen, für diese Mannschaft, das ist für den im Stadtteil Wilhelmsburg aufgewachsenen Abwehrrecken etwas Besonderes. „Ich zocke mit meinen besten Kumpels zusammen bei den Profis“, stellte er kürzlich gerade wieder leicht erstaunt fest, als es in einer der vergangenen HSVlive-Ausgaben um seinen Weg zum HSV und in den Profi-Kader ging. Seine besten Kumpels – und damit nimmt die Geschichte der Hamburger Jungs dann allmählich Fahrt auf – heißen Josha Vagnoman und Jonas David, mit denen er bereits im Jugendbereich des HSV zusammenspielte. „Wir kennen uns schon so lange, wir spielen so viele Jahre zusammen, schon damals in der B-Jugend, und sind jetzt gemeinsam als Hamburger Jungs bei den HSV-Profis – das ist echt sehr besonders“, spricht Ambrosius für das Hamburger-Jungs-Trio.

In dieser Saison zählen aber noch mehr Spieler dazu. Spieler, die in Hamburg geboren sind und nun für den Club ihrer Heimatstadt spielen. Robin Meißner beispielsweise, oder Aaron Opoku, der allerdings derzeit an den SSV Jahn Regensburg ausgeliehen ist. Und nicht zu vergessen Jerry Dudziak, auch wenn man bei ihm ehrlicherweise hinzufügen muss, dass er zwar in Hamburg geboren, aber in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen ist. Dennoch: Geburtsort Hamburg, und – nach dem Durchlaufen der Nachwuchsbereiche des MSV Duisburg, FC Schalke 04 und von Borussia Dortmund – seit nunmehr sechs Jahren wieder in der Hansestadt zu Hause, zwei davon im Volkspark. Das geht definitiv als Heimatstadt durch, zumal auch Dudziak selbst sagt: „Hamburg ist für mich Heimat“.

In der Summe kommen wir so nicht nur auf eine sehr ordentliche Anzahl an zum Einsatz gekommenen Eigengewächsen und gebürtigen Hamburgern, sondern auch auf eine Anzahl von Einsätzen, die es in dieser Form lang nicht mehr gegeben hat (siehe Tabelle auf der nächsten Seite). Genauer: 22,2% aller in dieser Saison eingesetzten Rothosen stammen aus Hamburg und verbuchen insgesamt 17,7% aller HSV-Spielminuten – ein Wert, den es so das letzte Mal vor sage und schreibe 50 Jahren gegeben hat. Oder anders gesagt: Im aktuellen HSV steckt so viel Hamburg wie zuletzt vor einem halben Jahrhundert, als Willy Brandt Bundeskanzler war, Roy Black mit „Für dich allein“ die Charts stürmte und Uwe Seeler gemeinsam mit seinem kongenialen Partner und Freund Charly Dörfel seine letzte HSV-Saison spielte.

Die gezielte Förderung der eigenen Talente und das vermehrte Zurückgreifen auf die eigenen Ressourcen – natürlich auch durch die aktuelle sportliche und wirtschaftliche Situation angestoßen, so ehrlich sollten wir sein – beginnt also Früchte zu tragen. Das jüngste Beispiel ist Robin Meißner, der in den vergangenen Wochen etliche Male von der Bank kam und erste Erfahrungen im Profi-Bereich sammelte, nachdem er sich durch gute Leistungen in der U21 der Rothosen für höhere Aufgaben empfohlen hatte. Es läuft also etwas an im Volkspark und speziell links von der Osttribüne des Volksparkstadions tut sich viel: in der Alexander-Otto-Akademie, wo sich die Nachwuchskräfte entwickeln und nach dem Blick auf das Stadion auch vermehrt ihre ersten Schritte darin wagen. Ein guter Weg.

Vor 50 Jahren, in der Saison 1971/72, in der letztmals mehr Hamburger für den HSV auf dem Rasen standen als aktuell, sah das freilich noch etwas anders aus. In den Vorjahren, sprich: in den 60er Jahren, war es normal, dass sich in den Clubs fast ausnahmslos Spieler aus der eigenen Stadt tummelten. Doch für die heutigen Verhältnisse ist es schon besonders, wie sich der aktuelle Kader der Rothosen zusammensetzt, wie auch ein Blick auf die Tabelle der nächsten Seite beweist. Ein Weg, den der HSV weitergehen will. Damit Josha Vagnoman, Jonas David, Jerry Dudziak und auch Pechvogel Stephan Ambrosius (v.l.n.r.) weitere Hamburger Jungs im Volkspark folgen.

Sechs Jahrzehnte, sechs Namen – dies sind die Hamburger Jungs, die in den sechs zurückliegenden Dekaden die meisten Spiele für den HSV absolvierten: In den 60er Jahren war es HSV-Legende Charly Dörfel, in den 70ern Abwehrrecke Hans-Jürgen „Dittschi“ Ripp, die 80er Jahre prägte der bis heute für den HSV tätige Michael Schröder, in den 90er Jahren war es HSV-Eigengewächs Marijan Kovacevic, die 2000er gehörten dem heute im Rothosen-Nachwuchs tätigen Christian Rahn und der jüngste Dekaden-Hamburger-Jung ist der gerade von seinem fünfjährigen Hongkong-Abenteuer in die Hansestadt zurückgekehrte Zhi Gin Lam. Welches Bild wir wohl in ein paar Jahren für die 2020er Jahre ergänzen dürfen?