Vor 100 Jahren nahm der HSV erstmals an der ENDRUNDE. zur Deutschen Meisterschaft teil. Auftakt für zahlreiche legendäre Partien, denkwürdige Momente und ewige Rekorde.
Der Mai – seit jeher auch fußballerisch der absolute Wonnemonat. Traditionell die Zeit, in der die Saison auf ihre Zielgerade einbiegt, sich das Liga-Geschehen noch einmal dramatisch zuspitzt und die ganz spannenden Entscheidungen anstehen: „Großkampftage“ sagte man früher dazu, „Crunchtime“ heißt es heute. Beim HSV hat es in den vergangenen Jahren bekanntlich nur noch an der Schwelle zwischen erster und zweiter Spielklasse gecruncht. Ganz oben hingegen, da wo Trophäenschränke und Briefköpfe neu bestückt und gesetzt werden, war zuletzt kein Knistern und Prickeln mehr zu vernehmen. Angesichts der neunten Bayern-Meisterschaft in Folge ist höchstens ein gleichförmig-ruhiges Schnarchen zu hören, allenfalls unterbrochen durch vereinzelte Gähnlaute.
Die Älteren werden sich erinnern: Das Rennen um die Salatschüssel war mal ziemlich aufregend und produzierte – lange vor Netflix – verlässlich und in Serie Gänsehaut, oftmals buchstäblich bis zur letzten Sekunde des letzten Spieltags. Noch Ältere schwärmen wehmütig von den Tagen, da dieser Thrill quasi per Spielmodus garantiert war. Bis zur Einführung der Bundesliga zur Saison 1963/64 wurde der Deutsche Meister in einer sogenannten Endrunde ermittelt – zunächst im K.-o.-Verfahren, später dann, in einer Art „nationaler Champions League“, auch mit Gruppenspielen, stets mit dem ultimativen Showdown, dem großen Finale, am Ende.
Erinnerung an 1903: Eintritts-karte (Deutsches Fußballmuseum, Dortmund), Gedenkstein (Rondenbarg 6, Hamburg).
Weh & Au an der Wedau
Besteigen wir in diesen tristen Tagen also einfach nochmal kurz die Zeitmaschine und reisen zurück zu den Anfängen der Deutschen Meisterschaft. Schließlich steht ein Jubiläum an: Exakt 100 Jahre ist es nämlich her, dass der HSV erstmalig mitmischen durfte. Am 22. Mai 1921 reiste der frischgebackene Nordmeister (vgl. HSVlive #8, S. 68-72) zu Westdeutschlands Titelträger, dem Duisburger Spiel-Verein. Fans, Fach- und Lokalpresse begleiteten die Mission voller Vorfreude und Optimismus. Die „Neue Hamburger Zeitung“ etwa schrieb: „Da die Spiele um die Deutsche Meisterschaft nach dem Pokalsystem abgewickelt werden, scheidet der Besiegte rettungslos aus. Deshalb werden die Hamburger trotz der bekannten Tatsache, daß die Spielstärke Norddeutschlands als größer als diejenige Westdeutschlands anzusehen ist, von vornherein mit dem ihrer Mannschaft eigenen zähen Siegeswillen und der für sie typischen Wucht in den Kampf ziehen müssen. (…) Wir haben volles Vertrauen (…) und erwarten einen eindrucksvollen Sieg.“
Daraus wurde allerdings nichts. Die Nord- und Vorschusslorbeeren welkten rasch, da sich das sehr schmale Spielfeld des Duisburger Borussia-Platzes als „ungeeignet für das weitmaschige System des Hamburger Angriffs“ erwies. Vor allem DSV-Mittelläufer und Ex-Nationalspieler Heinz Ludewig vermochte immer wieder, die gefürchtete Angriffsreihe des HSV zu stoppen. Lediglich der rechte Sturmflügel „schuf gefahrvolle Lagen für Duisburg“. Der Underdog hingegen konterte geschickt, setzte nervige Nadelstiche und ging schließlich durch einen umstrittenen Strafstoß nach angeblichem Handspiel von HSV-Rechtsverteidiger Gustav Schmerbach in Führung. Trotz weiterhin „glatter Überlegenheit“ und viel Ballbesitz gelang dem HSV erst eine Viertelstunde vor Spielende der Ausgleich, ebenfalls per Handelfer. Spezialist Kalle Schneider verwandelte souverän. Der Linksaußen sicherte sich so den Ehrenplatz als erster HSV-Endrunden-Torschütze und seinem Team die Verlängerung – nicht aber mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Der DSV blieb gefährlich und glücklicher. Die Entscheidung fiel in Minute 112, in der Duisburgs Halblinker Peter Sackenheim „plötzlich durchläuft (…) und unter tosendem Beifall der über 20.000 Zuschauer placiert einsendet“.
Interessant für Groundhopper und Nostalgiker: Die Spielstätte von einst existiert im Prinzip noch immer. Unter dem wenig spektakulären Namen „Bezirkssportanlage Wedau III“ befindet sie sich nur wenige hundert Meter südlich der „Schauinsland-Reisen-Arena“, Heimstätte des Traditionsvereins, Bundesliga-Gründungsmitglieds und aktuellen Drittligisten MSV. Dessen Vorgängerbau war 1921 noch im Werden und wurde erst 1926 offiziell eingeweiht. Die Endrunden-Kulisse, unterschiedliche Quellen nennen Zuschauerzahlen zwischen 18.000 und mehr als 20.000, erscheint heute unglaublich, denn es gab am Borussia-Platz damals keine Stehränge, geschweige denn eine Tribüne mit Sitzplätzen. Erst 1954 wurde die später als „Fugmann-Kampfbahn“ benannte Anlage mit Stehtraversen versehen und erreichte ein Fassungsvermögen von ca. 10.000 Zuschauern.