Der Wettbewerb liegt ihm einfach. Schon Mitte November schwärmte Robert Glatzel im Gespräch beim Podcast „Pur der HSV“ vom Reiz des DFB-Pokals. Der HSV-Mittelstürmer erzählte von seinem „persönlichen Karriere-Highlight“, einem Dreierpack für seinen damaligen Club Heidenheim im Viertelfinale 2019 bei der spektakulären 4:5-Niederlage gegen den FC Bayern in seiner Heimatstadt München. Zum Zeitpunkt besagter Podcast-Aufnahme stand Glatzel mit dem HSV im Pokal-Achtelfinale. In der ersten Runde in Braunschweig hatte er per Abstauber den 2:1-Siegtreffer besorgt, in Runde zwei in Nürnberg war er leer ausgegangen. Dann folgte die große Show, denn alle weiteren in der regulären Spielzeit erzielten Pokal-Treffer des HSV gingen auf das Konto der Nummer 9: Ein Kopfball zum 1:0 im Achtelfinale in Köln, eine Kopfball-Bogenlampe und eine Last-Minute-Direktabnahme, mit der er das schon verloren geglaubte Viertelfinale gegen den KSC noch drehte. Dazu ein – für die Torjäger-Statistik nicht zählender – verwandelter Ball im Elfmeterschießen. Kurz vor Ende des Halbfinales gegen Freiburg schließlich ein weiteres Kopfballtor zum 1:3-Endstand.
Nicht mehr als „Ergebniskosmetik“ und ein bisschen „Balsam“ für die in der extrem unglücklich verlaufenen Partie geschundene HSV-Seele – so dachten viele. Doch auch ein im Wortsinn echter „Ehrentreffer“, wie sich einen Monat später herausstellen sollte. Dieses Tor nämlich, Glatzels fünftes im laufenden Wettbewerb und seine Nummer zwölf im elften DFB-Pokal-Einsatz (Traumquote: 1,1/Spiel), wurde von keinem anderen Spieler erreicht. In den 120 finalen Minuten von Berlin etwa landeten die Versuche von Freiburgs Standard-Spezialist Vincenzo Grifo nicht im Ziel. Und der Treffer von Leipzigs Christopher Nkunku führte dessen Team am Ende zwar zum Pokal, den Franzosen selbst aber nur auf Rang 2 der Schützenliste. So errang in Hamburg, auf der heimischen Couch, Beobachter Robert Glatzel den inoffiziellen Titel des Cup-Knipsers 2021/22. Er reiht sich damit als laufende Nummer sieben in eine sechsköpfige Ehrengalerie ein. Blicken wir nochmal auf die Pokal-Historie: Wer waren Glatzels Vorgänger im Trikot mit der Raute?
1939
Edmund Adamkiewicz – torgefährlicher als die Polizei erlaubt
Der erste unserer Schützenkönige erzielte seine Treffer für zwei Klubs – und gewissermaßen auch in zwei Epochen. Und das kam so: Adamkiewicz war im Mai 1938 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen worden und wurde beim Bau des „Westwalls“, dem gewaltigen, 630 Kilometer langen militärischen Verteidigungssystem entlang der Westgrenze des Deutschen Reiches, eingesetzt. Eintracht Frankfurt, um die Schusskraft und Abschlussqualitäten des Wilhelmsburger Jungs wissend, ließ seine Beziehungen spielen und sicherte sich die Dienste des Stürmers. Sonntags holten sie „Ede Adam“ zu den Spielen ab und brachten ihn anschließend wieder zurück ins Reichsarbeitslager. Ende August und damit kurz vorm Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, trafen die Adlerträger vom Main in der 1. nationalen Schlussrunde des damals nach dem Reichssportführer benannten „Tschammer“-Pokals auf den Bonner Stadtteilverein SV Beuel 06. Adamkiewicz war beim 5:0 gleich dreimal erfolgreich. Im Herbst 1939 kehrte er dann in seine Heimatstadt zurück und schloss sich dem HSV an, für den er dann in der zweiten Pokalrunde auf Torejagd ging. Und wie: Am 19. November 1939 gelangen ihm als Mittelstürmer beim 11:2-Kantersieg im Derby gegen den Polizei SV bis heute unerreichte sechs Tore. Mit zwei weiteren Buden, jeweils einer beim 2:0 im Achtelfinale gegen Westende Hamborn und einer beim 2:6-Viertelfinal-Aus bei Waldhof Mannheim, kam Adamkiewicz auf elf Pokal-Tore – auch das ein bis heute gültiger HSV-Rekord.
1955/56
Uwe Seeler – nur zwei Tore für die Krone
Von Mitte der 1950er- bis Anfang der 1960er-Jahre reichten – bedingt durch den damaligen Wettbewerbsmodus – nur vergleichsweise wenige Tore für die Knipser-Krone: So nahmen an der Endrunde auf Bundesebene nur die fünf regionalen Cupsieger teil, das DFB-Pokal-Turnier bestand lediglich aus einem Qualifikationsspiel, den beiden Halbfinals und dem Endspiel. 1955/56 hatte Uwe Seeler zwar auf Nordebene schon im Viertelfinale gegen St. Pauli und im Finale gegen Holstein Kiel (2) getroffen, in die nationale Wertung kamen jedoch nur seine beiden 1:0-Führungstore aus dem 2:1-Halbfinal-Sieg bei Fortuna Düsseldorf und der 1:3-Final-Niederlage gegen den Karlsruher SC (Foto: im Duell mit Walter Baureis). Der inoffizielle Titel des Schützenkönigs – kein wirklicher Trost für den damals 19-jährigen HSV-Youngster, zumal er ihn sich auch noch mit den beiden KSCern Heinz Ruppenstein (Halbfinal-Doppelpack vs. Pirmasens) und Berni Termath (Final-Doppelpack vs. HSV) teilen musste.
1962/63
Uwe Seeler – finale Sternstunde in Hannover
Sieben Jahre später verewigte sich Uwe Seeler erneut in der DFB-Pokal-Ruhmeshalle, dieses Mal mit sechs Toren: Doppelpack beim 5:2 im Achtelfinale im bayerischen Hof, 1:0-Siegtor im Viertelfinale am Rothenbaum gegen Saarbrücken und ein sensationeller Dreierpack im Endspiel gegen Borussia Dortmund in Hannover. Seelers „Alleingang“: Zwei Kopfbälle vor der Pause, ein Solo danach (siehe Fotos). Drei Endspiel-Tore gelangen später nur noch Roland Wohlfahrt (FC Bayern, 1986) und Robert Lewandowski (Borussia Dortmund, 2012).
1980/81
Jimmy Hartwig und Horst Hrubesch – eigentlich unerhört!
HSV-Scheibenschießen 1980/81: 11:1 gegen Wormatia Worms, 7:3 bei Arminia Hannover, 11:0 gegen RW Frankfurt, 4:1 gegen den VfL Bochum und schließlich Endstation beim 3:4 n.V. im Viertelfinale in Braunschweig. Zusammengerechnet 36 HSV-Tore in fünf Spielen! Davon entfielen jeweils sieben, also jeweils knapp ein Fünftel, auf Horst Hrubesch und Jimmy Hartwig (Portraits r.). Beim Drittrunden-Schützenfest, das nicht nur die Amateure aus Frankfurt, sondern auch die Anzeigetafel im Volkspark überforderte (Foto o.), trafen beispielsweise beide Spieler dreimal: Hrubesch legte früh den Grundstein, netzte zum 1:0 (3.), 2:0 (19.) und 5:0 (57.) ein. Die schwer genervte Mutter eines Gästespielers wurde anschließend zitiert: „Ein Frechheit, dass Sie so viele Tore geschossen haben, Herr Hrubesch!“ Auch der in der 34. Minute eingewechselte Hartwig hätte noch Schimpfe verdient gehabt. Er schraubte als Joker das Resultat mit einem lupenreinen Hattrick innerhalb von nicht einmal zehn Minuten (61., 65. und 70.) zwischenzeitlich auf 9:0 in die Höhe.
2008/09
Ivica Olic und der Abschluss der Wiese-Trilogie
Ambitionen auf die Knipser-Krone 2008/09 meldete Ivica Olic bereits in der 1. Runde beim 3:1 in Ingolstadt an. Sein Doppelschlag (51., 54.) drehte die Partie zugunsten des HSV. Beim 3:1-Heimsieg im Achtelfinale über 1860 München traf der Kroate dann sogar dreifach. Wünschenswert wäre auch ein Tor-Päckchen im Halbfinale gegen Werder Bremen gewesen. Olic traf zwar zum 1:1 und erzwang dadurch die Verlängerung und das Elfmeterschießen, in dem er dann aber – neben anderen – an Werder-Torwart Tim Wiese scheiterte. Es war binnen nicht mal eines Jahres nach der denkwürdigen Kung-Fu-Einlage (5/2008) und dem sehenswerten Tor des Monats (11/2008) der Höhepunkt und Abschluss der epischen Privat-Duell-Trilogie im Volkspark mit dem Bremer Schlussmann.
Die Nummer 1
Elfer-König Daniel Heuer Fernandes – Pokalheld 2021/22?
Ein weitere „Pokal-Ehrung“ könnte für den HSV noch kommen. Für den 2014 eröffneten „Walk of Fame“ des Wettbewerbs am Berliner Olympiastadion wird noch der „Pokalheld 2021/22“ gesucht. Sechs Akteure (für jede Spielrunde einer) stehen hierfür zur Auswahl, darunter auch HSV-Torhüter Daniel Heuer Fernandes, der nach den siegreichen Elfmeterschießen gegen Nürnberg, Köln und Karlsruhe (Foto) dreimal in Serie zum „Man oft he Match“ gekürt wurde. Seine Leistung gegen den KSC machte ihn zudem zum „Helden des Viertelfinales“. Die übrigen Nominierten: Sven Köhler (VfL Osnabrück; 1. Runde), Breel Embolo (Borussia M’gladbach; 2. Runde), Maximilian Beier (Hannover 96; Achtelfinale), Emil Forsberg (RB Leipzig; Halbfinale) sowie Nico Schlotterbeck (SC Freiburg; Finale).