Mittelfeldspieler GIORGI CHAKVETADZE kam im Winter als Leihgabe zum HSV und zeigte zuletzt seine speziellen Qualitäten. Diese sind genauso spannend wie die abwechslungsreiche Vergangenheit des 22-jährigen Georgiers. Ein Porträt.

Einen viel besseren Zeitpunkt für seinen ersten Scorerpunkt im HSV-Trikot hätte er sich nicht aussuchen können: Die Rothosen haben im DFB-Pokal-Achtelfinale gegen den Karlsruher SC soeben das 0:2 kassiert und sind händeringend auf der Suche nach einer sportlichen Antwort, als Giorgi Chakvetadze seine Qualitäten erstmals in etwas statistisch Zählbares ummünzt. Mit einer Mischung aus Dynamik und Leichtigkeit zieht der Winterneuzugang an KSC-Rechtsverteidiger Marco Thiede vorbei, flankt butterweich zum zweiten Pfosten und bereitet den 1:2-Anschlusstreffer von Robert Glatzel vor. Knapp eine Stunde und ein gewonnenes Elfmeterschießen später steht fest: Der Assist des Georgiers hat für die Wende gesorgt und den Viertelfinal-Einzug der Rothosen maßgeblich mitermöglicht.

Es sind Szenen wie diese, die verdeutlichen, warum sich die Verantwortlichen im Volkspark im Januar für eine leihweise Verpflichtung des 22-Jährigen entschieden. Die Bewegungen von Chakvetadze, der sowohl auf der Spielmacher- als auch auf der Linksaußen-Position seine Stärken einbringen kann, wirken oftmals geradezu virtuos und lassen schwierige Dinge teilweise sehr leicht aussehen. Aufgrund seiner schmalen Statur kommen die 1,83 Meter des Mittelfeldspielers im Grunde genommen deutlich kleiner rüber, sein Körperschwerpunkt befindet sich bei den Dribblings gefühlt nur knapp über der Grasnarbe. „Giorgi ist ein flexibel einsetzbarer Offensivspieler, der technisch stark und torgefährlich ist. Wir beobachten seinen Weg schon länger. Mit ihm erweitern wir unsere Möglichkeiten im Offensivbereich“, sagte HSV-Sportdirektor Michael Mutzel im Zuge der Verpflichtung, die aufgrund der spannenden Vita des Neuzugangs für viel Aufsehen gesorgt hatte.

Anfänge in Tiflis und Durchbruch bei der U19-EM
Die Anfänge dieser sportlichen Lebenslinien sind in Tiflis zu finden. In der georgischen Hauptstadt (rund 1,1 Millionen Einwohner) ist Giorgi Chakvetadze am 29. August 1999 geboren und machte seine ersten fußballerischen Schritte beim FC Norchi Dinamoeli Tiflis, ehe er im Sommer 2010 zum großen Stadtnachbarn, dem 18-fachen Meister FC Dinamo Tiflis, wechselte und dort die Nachwuchsteams in der renommierten Akademie durchlief. Im November 2016, im Alter von nur 17 Jahren und zwei Monaten, feierte der schmächtige Tempodribbler schließlich sein Debüt für die Profimannschaft des Traditionsclubs und tauchte danach erstmals in den Notizblöcken der europäischen Talent-Späher auf.

Es folgten neun Scorerpunkte in 18 Ligaspielen, ehe die U19-EM im Sommer 2017 den endgültigen Durchbruch brachte. Die Georgier mussten sich beim Heimturnier zwar in der Vorrunde aus dem Turnier verabschieden, sorgten in der Gruppenphase mit einem 2:1-Sieg gegen die hochfavorisierten Schweden aber für einen viel beachteten Überraschungserfolg. Maßgeblichen Anteil am Coup hatte der schmächtige Flügelspieler mit der Nummer 10. Sein für Mitteleuropäer schwer zu buchstabierender Name: Giorgi Chakvetadze.

Nach diesem Auftritt rutschte der schüchtern wirkende Rechtsfuß plötzlich bei vielen Scouts und Sportdirektoren auf der Prioritätenliste nach oben, zog laut Medienberichten das Interesse von Manchester United, Bayern München und auch Bayer 04 Leverkusen (damals noch mit Jonas Boldt in sportlicher Verantwortung) auf sich – und sorgte mit seiner Wahl des neuen Arbeitsgebers schließlich für eine große Überraschung. Die KAA Gent hatte allen anderen Mitbewerbern ein Schnippchen geschlagen und das aufstrebende Talent aus Kaukasien schon vor dem UEFA-Turnier verpflichtet. Einen Tag nach seinem 18. Geburtstag, am 30. August 2017, wechselte Chakvetadze zum belgischen Erstligisten.

Doppelter Rückschlag und willkommener Wechsel
In der Hafenstadt im Nordwesten Belgiens musste sich der gerade erst volljährige Straßenkicker zunächst ein halbes Jahr lang an die neue Umgebung und Liga gewöhnen, im Kalenderjahr 2018 gelang ihm dann aber mit fünf Toren in den ersten sieben Länderspielen und acht Scorerpunkten für die Koninklijke Atletiek Associatie – was frei übersetzt so viel wie Königliche Sport-Vereinigung heißt – der nächste Entwicklungsschritt. Wieder kamen Gerüchte rund um die „Big Player“ auf, eine hartnäckige Knieverletzung beendete aber alle Spekulationen und sorgte für den ersten großen Karriere-Rückschlag. Auch nach dem Comeback im Dezember 2019 fand „Chaki“, wie er von seinen Mitspielern gerufen wird, seine gewohnte Form nicht wirklich wieder – und verletzte sich nach der Corona-bedingten Unterbrechung im Frühjahr 2020 erneut schwer, so dass in der Saison 2020/21 letztendlich nur vier Pflichtspieleinsätze zustande kamen. Und auch wenn das erste Halbjahr der laufenden Spielzeit für den Offensiv-Allrounder wieder verheißungsvoller verlief (fünf Scorerpunkte in 20 Einsätzen), bot die Leihe zum HSV eine willkommene Option, um wieder regelmäßigere Spielpraxis zu bekommen.

Die erste Gelegenheit dazu erhielt Chakvetadze am 6. Februar, als er beim 5:0-Auswärtssieg in Darmstadt sein Rothosen-Debüt als Joker feierte und eine erste Kostprobe seines Könnens ablieferte. Nach einigen weitere Einwechslungen und den ersten Startelf-Einsätzen ist die neue Nummer 7 des HSV voll im Plan, was laut eigenen Aussagen auch auf die Integration ins Teamgefüge zutrifft: „Ich fühle mich sehr wohl beim HSV. Wir haben tolle Spieler hier, die mich sehr gut aufgenommen haben“, berichtete der erste Georgier der Vereinsgeschichte vor einigen Wochen – und auch Michael Mutzel gefallen die ersten Eindrücke: „Wir sind sehr zufrieden mit ihm, gerade weil wir wussten, dass er in Gent zuletzt keine leichte Zeit hatte. Es war klar, dass er nicht von Beginn an starten kann und muss. Er ist ein ruhiger und bodenständiger Typ, passt in die Truppe und wird sich sportlich sicherlich noch weiter steigern.“

Chancen dazu gibt es bis Saisonende noch genug. Bis dahin ist auch das Leihgeschäft mit seinem belgischen Stammclub vereinbart. Reichlich Möglichkeiten also für Chakvetadze, seine auffälligen und vor allem im modernen Fußball immer seltener gewordenen Eins-gegen-eins-Qualitäten noch des Öfteren auf den Rasen zu bringen – und dabei das Schwere ganz leicht aussehen zu lassen. So wie bei seinem ersten Scorerpunkt gegen den KSC.