Die laufende DFB-POKAL-SAISON der Rothosen ist nach drei Elfmeterschießen in Serie und einem atemberaubenden Viertelfinale schon jetzt historisch. Im Halbfinale gegen den SC Freiburg wollen die Walter-Schützlinge der Pokal-Reise ihr nächstes Kapitel hinzufügen und das Ticket nach Berlin lösen.


Als Daniel O‘Shaughnessys Elfmeter an den rechten Torpfosten klatschte, gab nicht nur das Aluminium mehrere Sekunden lang vibrierend nach. Im ganzen Rund des unter Corona-Bedingungen ausverkauften Volksparkstadions sorgten die 25.000 Zuschauer für ein kollektives Beben und feierten im frenetischen Jubelrausch den Einzug des HSV ins diesjährige DFB-Pokal-Halbfinale. Der Fehlschuss des KSC-Spielers markierte den Höhepunkt eines der spektakulärsten Hamburger Fußballabende der jüngeren Vergangenheit. Ein Abend, der ebenso wie die diesjährige DFB-Pokal-Saison der Rothosen das Prädikat „historisch“ verdient hat. Doch der Reihe nach … 

Dreimal Showdown im Elfmeterschießen

Zunächst einmal drehte der HSV im besagten Viertelfinale gegen den Karlsruher SC zum vierten Mal überhaupt in seiner 86-jährigen und mehr als 200 Spiele umfassenden Pokal-Historie einen Zwei-Tore-Rückstand, um doch noch eine Runde weiterzukommen – darunter gleich das allererste Spiel 1935 bei Werder Bremen, als man von 2:4 (70.) noch auf 5:4 stellte. Mittelstürmer Robert Glatzel egalisierte 87 Jahre später mit einem Doppelpack (52., 90.+1) die Treffer von Heise (40.) und Hofmann (50.). Doch damit nicht genug: Da sich die Karlsruher trotz einstündiger Unterzahl mit allen Kräften wehrten, ging es für die Rothosen nach der 2. Runde in Nürnberg (5:3 n.E.) und dem Achtelfinale in Köln (5:4 n.E.) zum dritten Mal in Serie ins nervenaufreibende Duell vom Punkt, zugleich die 254. Shoot-Out-Auflage des Wettbewerbs. Gleich drei Elfmeterschießen in einer DFB-Pokal-Saison – das wiederfuhr zuvor nur fünf weiteren Teams: Lok Altmark Stendal (Saison 1995/96), dem VfB Stuttgart (1996/97), Carl Zeiss Jena (1997/98), Eintracht Frankfurt (2016/17) und Jahn Regensburg (2020/21). Während Stendal als einziges Team in einem der drei Elfmeterschießen das Nachsehen hatte und ausschied, holten die Schwaben unter Trainer Joachim Löw und die Adlerträger unter Niko Kovac jeweils den Pott – ein wilder Pokalritt dient also durchaus als Blaupause für den ganz großen Wurf. 

Ungeheuer Heuer 

Dass auch die Rothosen weiter vom Pokaltriumph, ihrem dann vierten nach 1987, 1976 und 1963, träumen dürfen, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Daniel Heuer Fernandes. Der 29-jährige Deutsch-Portugiese avancierte gleich mehrfach zum Elfmeterheld und heimste die letzten drei „Man of the Match“-Trophäen ein. Nur selbstredend, dass „Ungeheuer Heuer“ damit historisch unterwegs ist. In vier Elfmeterschießen – sein erstes in der 1. Runde der Saison 2019/20 beim Chemnitzer FC (8:7 n.E.) – ist „Ferro“ im HSV-Dress noch ungeschlagen. Dabei vereitelte er neun (fünf gehalten, vier verschossen) der insgesamt 21 abgegebenen Schüsse – jeweils Spitzenwert im HSV-Kosmos (s. Tabelle rechte Seite).

Selbst HSV-Legende Rudi Kargus, seines Zeichens bis heute mit insgesamt 23 gehaltenen Strafstößen der erfolgreichste „Elfmetertöter“ der Bundesliga-Geschichte, dürfte angesichts dieser Leistungen seinen imaginären Hut vor seinem Nachfolger gezogen haben. Denn Kargus war es auch, der dem ersten HSV-Elfmeterschießen im DFB-Pokal seinem Stempel aufdrückte, als er am 21. Dezember 1973 im Achtelfinale gegen Borussia Mönchengladbach – auf von Schnee bedecktem Geläuf – drei von vier gegnerischen Elfmetern parierte und die Rothosen zum 4:2-Sieg führte. Anschließend ging es für die Elf von Kuno Klötzer sogar bis ins Finale des Wettbewerbs, wo man der Eintracht aus Frankfurt denkbar knapp mit 1:3 nach Verlängerung unterlag. 

Pokal-Helden der Gegenwart und Vergangenheit – Teil 1: Daniel Heuer Fernandes avancierte dreimal in Serie zum Elfmeterkiller. Torwartlegende Rudi Kargus machte sich wiederum in der HSV-Erstauflage eines Elfmeterschießens im Pokal-Wettbewerb – hier im Duell mit Gladbachs Dietmar Danner – unsterblich.   

Letzte Hürde SC Freiburg  

Apropos Finale: In dieses will der HSV nun zum siebten Mal in seiner Pokal-Historie einziehen. Letzte verbleibende Hürde, die es auf diesem Weg zu überwinden gilt, ist der Sport-Club aus Freiburg. Die Breisgauer sind ihrerseits zum zweiten Mal überhaupt ins Halbfinale des Pokals eingezogen, standen dort letztmals in der Saison 2012/13 gegen den VfB Stuttgart (1:2) und warten ebenso wie die beiden weiteren Halbfinalisten RB Leipzig und Union Berlin auf ihren allerersten DFB-Pokal-Sieg. Die Hamburger haben im Kampf der letzten Vier also nicht nur die Titelerfahrungen voraus, sondern standen ihrerseits bereits 15-mal im Halbfinale. Sechsmal gelang dabei der Finaleinzug.      

Dass die Rothosen nun zum neunten Mal im Halbfinale Heimrecht haben und am 19. April den Sport-Club (Anstoß um 20.45 Uhr, live im Ersten und HSVnetradio) im Volksparkstadion empfangen dürfen, ist Bob-Olympiasiegerin Laura Nolte zu verdanken. Sie fungierte bei der Auslosung Anfang März im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund als Losfee an der Seite von Bundestrainer Hansi Flick, der als Ziehungsleiter ebenfalls seine Finger, bzw. besser gesagt Augen mit im Spiel hatte. „Wir müssen sicher über unsere Grenzen hinausgehen und brauchen einen Tag, an dem alles gelingt. Aber im Pokal ist nichts unmöglich, gerade vor unseren eigenen Fans. Wir freuen uns auf unser Heimspiel“, erklärte Clubmanager Bernd Wehmeyer, der in Dortmund ebenfalls vor Ort war. 

„Fummel“ kennt sich dabei bestens mit Pokal-Spielen gegen den SC Freiburg aus. Am 8. Oktober 1983 stand er in einem der bisher nur zwei DFB-Pokal-Duellen mit dem SC Freiburg auf dem Platz. Im Freiburger Dreisamstadion siegten die Rothosen in der 2. Runde durch die Treffer von Michael Schröder (16.), Dieter Schatzschneider (19., 90.) und Manfred Kaltz (69., FE) souverän mit 4:1. Die zweite und bis dato auch letzte Auflage stieg in der Saison 2007/08 ebenfalls in der 2. Runde. Damals setzte sich der HSV am 31. Oktober 2007 vor 39.261 Zuschauern im Volksparkstadion durch Tore von Piotr Trochowski (17.), Ivica Olic (52.) und Rafael van der Vaart (90., FE) durch.

Pokal-Helden der Gegenwart und Vergangenheit – Teil 2: Viermal traf Robert Glatzel im laufenden Wettbewerb schon ins Schwarze – aktuell Rang 1 in der Torschützenliste. Hier schloss auch HSV-Legende Uwe Seeler in der Saison 1962/63 ganz oben ab, Dreierpack beim 3:0-Sieg im Finale gegen Borussia Dortmund inklusive.   

Lang, lang ist’s her, so dass in der dritten Auflage dringend neue Pokalhelden gesucht werden: Beim HSV drängt sich hierfür neben Daniel Heuer Fernandes Top-Torjäger Robert Glatzel auf. Der 28-jährige Mittelstürmer rangiert mit vier Treffern im laufenden Wettbewerb auf dem geteilten ersten Rang der Torschützenliste. Die ebenfalls Erstplatzierten Eric Maxim Choupo-Moting (FC Bayern), Maximilian Beier (Hannover 96), Milos Pantovic (VfL Bochum) und Erling Haaland (Borussia Dortmund) sind allerdings schon allesamt aus dem Wettbewerb ausgeschieden und können nicht mehr nachlegen, so dass „Bobby“ gute Chancen besitzt, der sechste DFB-Pokal-Torschützenkönig des HSV zu werden (s. Tabelle). Nur: So weit ist es noch nicht, erwarten die Rothosen mit dem SC Freiburg doch ein Spitzenteam der aktuellen Bundesliga-Saison. So holten die Breisgauer 45 Punkte aus den bisherigen 27 Ligaspielen und belegen damit den fünften Tabellenplatz. Der Kontrahent um Trainerlegende Christian Streich, der mittlerweile über Jahrzehnte an einem kleinen Standort herausragende Arbeit abliefert und über eine ganz klare, erfolgreiche DNA verfügt, ist also in der Favoritenrolle. 

Der HSV geht wiederum als Underdog in dieses Duell, benötigt einen perfekten Abend und das eine oder andere Quäntchen Spielglück. So wie am 2. März, als O‘Shaughnessys Fehlschuss das ausverkaufte Volksparkstadion zum Beben brachte und im ganzen Rund die „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!“-Sprechchöre einsetzten. Hoffentlich nicht zum letzten Mal!