BERND WEHMEYER steht wie kaum ein anderer für den Hamburger SV. Früher als Spieler und seit fast vier Jahr­­zehnten als Funktionär lebt er den HSV – und war selbst­­ver­ständ­­lich auch mitten­­drin statt nur dabei, als der größte Erfolg der Vereins­­geschichte Wirklich­­keit wurde. Im HSVlive-Interview spricht er über die fas­zinierende Wirkung dieses Potts und erklärt, welch große Rolle der Sieg von damals auch heute noch spielt.

Bernd Weh­meyer zählt zweifels­ohne zu den ganz großen Persönlich­keiten der HSV-Historie, und es stand außer Frage, dass er, der 1983 im Athener Olympia­stadion 90 Minuten lang auf dem Feld alles gab und noch heute für seinen HSV arbeitet, im HSVlive-Magazin über diesen ganz besonderen Abend sprechen soll.

Doch doppelt hält bekanntlich besser. Und was ist besser als eine HSV-Legende? Zwei HSV-Legenden! Und Legenden dieses Clubs, das sind sie in der Tat: Weh­meyer, heute 70 Jahre alt, und sein alter Kamerad und Kumpel Horst Hrubesch, gerade 72 geworden. Beide waren damals als Spieler live und hautnah dabei, als der HSV den Titel-Thron erklomm und sich die Krone des euro­päischen Fuß­balls aufsetzte Und genau wie Wehmeyer als Club-Manager und Vize-Präsident arbeitet auch Hrubesch als Leiter des Nachwuchses für seinen Verein. Einmal HSV, immer HSV.

Bessere Gesprächs­partner hätte man sich also nicht aus­suchen können, um diesen Abend des 25. Mai in Athen noch einmal nachzuerzählen und nachzuerleben, ihn noch einmal lebendig werden zu lassen. Und deshalb haben HSVtv und HSVlive die beiden Zeitzeugen ins HSV-Museum einge­laden, um dort, wo die Erinnerungen an den größten Tag des Vereins zum Greifen nah sind, anlässlich des 40. Jahres­tages dieses grandiosen Erfolgs noch einmal die Erinnerungskisten zu öffnen und in den Anekdoten zu stöbern, um die schönsten Schätze der Vergangen­heit hervor­zukramen und zu erfahren, welch große Rolle der Erfolg von einst auch heute noch spielt. Den Anfang macht Bernd Wehmeyer.

Bernd, wir sind im HSV-Museum, dem Ort, wo auch der Triumph von 1983 mit vielen Erinnerungs­stücken in Ehren gehalten wird. Gibt es solche Andenken auch bei dir zu Hause?   

Ja, jeder Spieler hat nach dem Finale eine Miniatur­aus­führung des Landesmeisterpokals bekommen. Und der steht bei mir zu Hause im Treppen­haus. Das Programm­heft des Endspiels habe ich auch noch. Dazu kommen ein paar Erinnerungs­stücke. Dort schaue ich auto­matisch immer wieder mal hin. Ich bleibe jetzt nicht an­dächtig davor stehen, aber die Erinnerung kommt zwangs­läufig mal zurück. Und an dieses Spiel erinnert man sich natürlich gern. Zuletzt war ich mit einem NDR-Team gemeinsam mit Manfred Kaltz und Felix Magath noch einmal in Athen. Das Finale ist jetzt 40 Jahre her, doch die Wirkung ist noch immer unglaub­lich. Wenn wir vor Ort mit Menschen ge­sprochen und erzählt haben, dass wir aus Hamburg kommen, dann haben sie direkt über das Finale ge­sprochen und die Namen Magath, Hrubesch und Kaltz genannt. (lacht) Ich habe ihnen dann gesagt: Ja, da vorne sitzt Herr Magath, und die Leute sind ausgeflippt.  

Hier im HSV-Museum steht auch eine Kopie des echten Landes­meister­pokals. Wie oft hattest du ihn leer und voll in deinen Händen?  

Nach dem Spiel sicher­lich häufiger, danach noch ein­mal auf der Moor­weide. Ganz so leicht ist er nicht. Aber das merkt man in dem Moment, in dem man den Pott gewinnt, gar nicht. Da ist das Gewicht völlig egal. Man ist einfach eupho­risiert und will das Ding einmal hoch­halten. Diese Bilder kennt man ja aus den Vorjahren. Es ist ein sehr markanter Pokal, der ja auch heute noch immer ver­geben wird. Den Henkel­pott einmal selbst in die Luft halten, das musst du ja allein deshalb machen, um aufs Foto zu kommen. (lacht)

Bernd Wehmeyer, Sieg­tor­schütze Felix Magath, der Pott und das „unbe­schreibliche Gefühl“: Als der HSV nach Hamburg zurück­kommt, wird die Mann­schaft noch auf dem Rollfeld von den Fans empfangen und gefeiert – und muss immer wieder den Pokal präsentieren.

Und diesen begehrten Pokal guckt man sich vor dem Spiel aus Aber­glauben bewusst nicht an, oder?  

Das weiß ich nicht. Seinerzeit habe ich mir keinen Kopf darum gemacht. Heute sieht man solche und solche Spieler­typen. Manche gehen an dem Pokal vorbei, ohne ihn eines Blickes zu würdigen, andere bleiben stehen und küssen ihn ganz bewusst. Da gibt es kein Richtig oder Falsch. Was ich aber weiß: Es ist ein unbeschreib­liches Gefühl, wenn man weiß, dass man diesen Pokal nach dem Gewinn gleich in den eigenen Händen halten wird. Wir hatten zuvor ja auch zwei Final­spiele verloren: 1980, als es um den gleichen Pokal ging, und 1982, als wir im Finale des UEFA-Pokals standen und Göteborg unterlagen. Es ist ein ganz grausames Gefühl, wenn du ein Finale spielst, am Ende aber nicht den Pott gewinnst. Du stehst dann mit leeren Händen da und musst zugucken, wie der Gegner das Ding hochhebt. Das ist – auf gut deutsch gesagt – einfach ein Scheiß­gefühl.

Vor dem Finale habt ihr schon einmal im Wett­bewerb am gleichen Ort gegen Piräus gespielt. Hat das für die Abläufe des Finals irgendeine Rolle gespielt?  

Ein Stück weit vielleicht. Wir kannten das Stadion und hinzu kam, dass die Sympa­thien der Griechen, der Athener, auf unserer Seite waren. Wir hatten Piräus relativ deutlich ausge­schaltet und vielleicht hatten sie es lieber, dass ihre Mann­schaft gegen den späteren Pokal­sieger ausge­schieden ist. Aller­dings waren es ja gar nicht so viele Griechen im Stadion, sondern zu zwei Drittel Italiener.

Inwiefern habt ihr das während des Finales auch so wahr­genommen?  

Wir sind am Vormittag zum obli­gatorischen Spaziergang etwas raus­gefahren, da unser Mann­schafts­hotel mitten in der Stadt lag. Wir waren auf einem Golf­platz, der etwas ober­halb gelegen war. Unter­halb dessen war der Flughafen von Athen, und man sah in der Tat alle paar Minuten eine grün-weiße Maschine von Alitalia dort landen. Wir wussten schon am Morgen, dass die italienischen Fans in der Überzahl sein werden. Das hat uns aber keine Angst gemacht, sondern uns noch mehr motiviert. Zugleich wussten wir, dass auch etwa 10.000 HSVer im Stadion vertreten sind. Das war eine Menge, so dass wir sicher sein konnten, auch reichlich Unter­stützung zu haben.

Auf dem legendären Golf­platz kam es auch zur taktischen Besprechung. Wie hast du diese wahrgenommen? 

Die entscheidenden Dinge passierten im Training. Wir haben dort unter Ernst Happel sehr viel unter der Woche erarbeitet. Die eigentliche Mann­schafts­besprechung war deshalb stets kurz und bündig. Das war kein Monolog über eine halbe Stunde, sondern ging nur wenige Minuten. Wir sind damals raus­gefahren, weil es in der Stadt einfach zu hektisch war. Happel hat sich dann mit einzelnen Spielern zurückge­zogen für eine Besprechung. Er hat dabei ein wenig abgefragt, wie die Spieler das kommende Spiel sehen, doch am Ende hat der Alte dann eh allein entschieden, was wir machen. Und der Rest der Spieler hat auf dem Green ein wenig geputtet.

Ihr habt bei der Anreise vor dem Spiel bewusst auf die Club­anzüge verzichtet, da das im Finale 1980 gegen Notting­ham kein Glück gebracht hatte. Das war letztlich mit Trainings­anzügen eher der Dresscode eines Underdogs, oder?  

Wir waren ja auch der Underdog. Juventus war das Maß aller Dinge in Europa. Italien war im Jahr zuvor Welt­meister geworden und sechs Spieler aus dem Team standen gegen uns in der Start­elf. Zudem belegten mit Platini und Boniek zwei euro­päische Spitzen­spieler die Ausländer­plätze. Diese Mann­schaft war haushoher Favorit. Dementsprechend war auch ihr Erscheinungsbild. Sie kamen sehr elegant daher, eben wie mode­bewusste Italiener. Wir sind dagegen wie bei jedem Bundes­liga-Spiel im Trainingsanzug angereist. Ich weiß noch nicht einmal, ob wir damals überhaupt Clubanzüge hatten.

Wie hast du deine persönliche Rolle beim HSV und in diesem End­spiel wahr­genommen? Der HSV hatte dich einst als Stürmer geholt, doch mit der Zeit und auch im Finale spieltest du den Linksverteidiger.  

Ja, ich bin sozusagen einmal diagonal nach hinten rüber. Ich bin damals von Günther Netzer als Rechts­außen gekauft worden. Am Ende, zu meiner besten Zeit, war ich linker Verteidiger. Mir kam als ehemaliger Stürmer das offensiv ausgerichtete Spiel von Ernst Happel entgegen. Nach heutiger Inter­pretation war ich wohl eine Art Schienen­spieler. Meine Rolle habe ich so interpretiert, dass man auf der Außenbahn nach vorn spielt. Dabei war es selbst­erklärend, dass man seine Seite dicht­halten muss. Wir haben praktisch mit einer Viererkette gespielt und trotzdem die beiden Außen­verteidiger vorge­schoben, weil Jakobs und Hieronymus alles weggeräumt haben. Wir standen hinten ganz gut.

Du sprichst die offensive Ausrichtung an: Ihr hattet damals im Finale unglaublich viel Platz über deine linke Seite.        

Ja, es war der taktische Kniff, dass um Mittelstürmer Horst Hrubesch mit Lars Bastrup eine schnelle und lauf­starke zweite Spitze spielt. Das wussten die Italiener, so dass sie Gentile auf ihn abge­stellt haben. Die Idee war, dass Bastrup ihn immer wieder rüber auf die rechte Seite zieht, so dass wir auf links Platz haben. Das hat gut ge­klappt, letztlich ist ja auch das Tor über die linke Seite gefallen. Und zugleich war Gentile so frustriert, dass er Bastrup mit einem Faust­schlag den Kiefer gebrochen hat. Heut­zutage hätte das eine Kamera eingefangen, aber den VAR gab es damals noch nicht.

Bernd Wehmeyer hatte Trainer Ernst Happel vor dem Finale gegen Juventus Turin ange­kündigt, seine linke Seite im Griff zu haben – und hält Wort, so dass Happel nach dem Spiel für seine Verhält­nisse geradezu über­­schwäng­lich mit seinen Spielern feiern kann, so wie hier mit Manni Kaltz.

Bernd Wehmeyer hatte Trainer Ernst Happel vor dem Finale gegen Juventus Turin ange­kündigt, seine linke Seite im Griff zu haben – und hält Wort, so dass Happel nach dem Spiel für seine Verhält­nisse geradezu über­schwäng­lich mit seinen Spielern feiern kann, so wie hier mit Manni Kaltz.

Wie muss man sich darüber hinaus die Vor­bereitung auf das Spiel und den Gegner vorstellen?  

Auch dies­bezüglich passierte bereits viel unter der Woche im Training. Happel hatte sich zum Beispiel Wolf­gang Rolff zu sich geholt und Aus­schnitte von Juventus und speziell von Michel Platini gezeigt. Ansonsten haben wir uns gesagt, dass wir so weitermachen müssen wie bisher und unseren Spielstil nicht ändern müssen. Wir wollten wie immer nach vorn spielen. So haben wir es dann auch umge­setzt. Die Abläufe waren die gleichen, wir waren ja auch mitten im Bundes­liga-Spiel­betrieb. Wir hatten zuvor das Spiel in Kaisers­lautern, dann das Finale in Athen und danach wieder das Heimspiel gegen den BVB. Aber vor dem Finale waren wir recht entspannt, denn wir wussten um unsere Außen­seiter­rolle und waren zugleich so selbst­bewusst, dass wir an den Sieg geglaubt haben.

Diese Einstellung spürt man auch, wenn man das Spiel noch einmal guckt. Ihr hattet diesen klaren Plan und das Selbst­verständnis, während Juventus viel mit sich selbst beschäftigt war.  

Sie waren sicherlich etwas überrascht, dass wir uns nicht zurück­gezogen haben, sondern sogar sehr früh das Tor erzielt haben. Juventus hatte zwar noch aus­reichend Zeit, das Spiel wieder zu drehen, aber wir selbst hatten auch noch die eine oder andere Chancen. Der Sieg war in der Rück­schau verdient. Uli Stein hat in der Anfangs­phase einen Flug­kopf­ball toll gehalten, auch da wussten wir, dass beim Uli an diesem Tag nichts an­brennt. Wir haben also nicht versucht, hinten irgend­wie zu mauern. Dafür waren die Italiener individuell auch zu stark. Sie hätten es ausge­nutzt, wenn wir uns nur hinten reinge­stellt hätten.

Was hast du nach all der langen Zeit vom Spiel außer­dem noch im Kopf?  

Ich weiß zum Beispiel, dass ich mir immer wieder gesagt habe, dass ich nach vorn gehen soll, wenn ich etwas Platz hatte: „Ab nach vorn mit dem Ding, und zwar so schnell wie möglich, denn je weiter du vom eigenen Tor entfernt bist, desto weniger kann passieren.“ Interessant ist zudem der Moment, wie das Tor entstanden ist: Manni Kaltz hatte den Ball eigentlich in halb­rechter Position. Joshi Groh hat ihm die Kugel dann weggeschnappt und zu Felix gespielt. Daraufhin war Manni im ersten Moment sauer. Er hat sogar noch richtig gepöbelt.

Mit dem Abpfiff lachte dann nicht nur Manni Kaltz wieder, sondern auch Trainer Ernst Happel. Ein ganz seltenes Bild. Uli Stein hat einmal erzählt, dass Happel im Anschluss völlig durchgedreht sei, und zwar „in einer Art und Weise, die so un­wahr­schein­lich war wie ein öffentlicher Auftritt des Papstes in Badehose“. Kannst du dich daran erinnern?     

Mein Eindruck war, dass der Trainer vor dem Spiel etwas ange­spannter war als normaler­weise. Er hat mit mir irgendwie noch über Tardelli sprechen wollen, aber ich habe nur beruhigend gesagt: „Trainer, keine Sorge, da brennt nichts an auf meiner Seite.“ Nach dem Spiel war er sicher­lich deutlich gelöst – und ist für seine Verhält­nisse ausge­rastet. Wenn Uli das so in Erinnerung hat, dann hat er die Bilder sicher­lich noch vor Augen. Es ist nahe­liegend, weil es sich auch mit meiner Beobachtung über seine Anspannung vor dem Spiel deckt. In der Bundes­liga hat es ihn manch­mal gar nicht interessiert, wie der Gegner spielt. Das war gegen Juventus anders. Denn das war für uns alle ein besonderes Spiel.