Günter Netzer ist eine große Persönlichkeit. Und der heute 78-Jährige war vor allem einer der ganz Großen des deutschen Fußballs: Er avancierte zur Spielmacher-Legende bei Borussia Mönchengladbach, wo er ab 1963 im Mittelfeld Regie führte und zwei deutsche Meisterschaften sowie den DFB-Pokal gewann; er schloss sich als erster deutscher Fußballprofi dem Weltverein Real Madrid an und gewann mit den Königlichen zwei spanische Meisterschaften und zweimal den spanischen Pokal; er wurde 1972 Europameister und 1974 Weltmeister mit der deutschen Nationalmannschaft; und er prägte als Manager die erfolgreichste Zeit der Vereinsgeschichte des Hamburger SV. Dass er später gemeinsam mit Gerhard Delling zu einem der beliebtesten TV-Gesichter der deutschen Fußball-Fernsehlandschaft und in dieser Funktion sogar mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wurde – wen wundert es bei diesem außergewöhnlichen Mann, der ganz offensichtlich so vieles von dem zu Gold werden lässt, was er anfasst.
Gleiches gelang ihm ab 1977 beim HSV, dem Verein, den Netzer bis heute noch als kritischer, aber geneigter Beobachter verfolgt. Damals habe er nicht so genau gewusst, was er nach seiner gerade beendeten Spielerkarriere machen solle, erinnerte sich Netzer einst, und da bot er dem HSV an, dessen Stadionzeitung zu verlegen, so wie er es einst bei seiner Borussia bereits getan hatte. Der damalige HSV-Präsident Paul Benthien erkannte jedoch den Mehrwert Netzers und gab ihm die gewünschte Anstellung – inklusive aller Kompetenzen als Manager. „Das kann ich nicht“, sei damals sein erster Gedanke gewesen, „und das wollte ich auch nicht“, lauten Netzers Erinnerungen daran. Und doch nahm er das Angebot an. Zum Glück für alle Beteiligten.
Da ist das Ding! Manager Günter Netzer (r.) mit seinem Trainerteam Ernst Happel (2.v.r.) und Aleksandar Ristic (l.) sowie Siegtorschütze Felix Magath (2.v.l.) auf der kleinen Feier nach dem Europapokalsieg.
„Ich hatte ein gutes Fußballwissen und aus meiner Zeit in Mönchengladbach einen guten Geschäftssinn, und außerdem besaß ich schon immer eine gute Menschenkenntnis“, beschrieb Netzer später seine Fähigkeiten, die ihn schlussendlich doch dazu brachten, die Aufgabe beim Hamburger SV anzunehmen und sich direkt der Königsdisziplin zu widmen: „Den richtigen Trainer zu finden, ist die wichtigste Aufgabe für einen Manager“, hatte Netzer festgestellt. Branko Zebec war eigentlich schon der richtige, aber leider auch schwer alkoholkrank. Im Dezember 1980 erfolgte die Trennung, und Netzer holte das nach, was er Ende der 70er-Jahre im ersten Anlauf noch nicht geschafft hatte: Ernst Happel kam nach Hamburg. Und mit ihm endgültig der große Erfolg. „Ich wollte ihn unbedingt haben, nachdem ich seine Mannschaften hatte spielen sehen“, so Netzer. Seine Mannschaften – das waren damals vergleichsweise kleine Teams in den Beneluxländern, mit denen Happel jedoch Erfolg um Erfolg feierte, ehe er auf größerer Bühne die niederländische Nationalmannschaft 1978 ins WM-Finale führte. Und fünf Jahre später den HSV in Europas größtes Endspiel.
Ernst Happel verpasste der ohnehin schon starken Hamburger Mannschaft, die unter Architekt Netzer und Happel-Vorgänger Zebec bereits die deutsche Meisterschaft gefeiert hatte, sein aggressives Pressing. So wurden die Rothosen immer besser, immer dominanter, blieben zwischen Januar 1982 und Januar 1983 in 36 Liga-Spielen ungeschlagen und zogen schließlich im Mai ins Finale um den europäischen Thron ein. Der Rest ist Geschichte.
Im Falle Netzers ist es eine Geschichte ohne jeglichen Augenblick-Fotobeweis, denn im größten Triumph hielt sich der Architekt des Erfolgs dezent zurück – „diese Momente gehören der Mannschaft“, sagte Netzer später – und betrachtete von der Tribüne aus in aller Stille sein Werk. Und verdrückte dabei sogar eine Träne. „Das ist etwas, was ich beim Fußball ganz selten erlebt habe, ich habe mich selbst nicht wiedererkannt“, erinnerte sich Netzer Jahrzehnte später in einem Abendblatt-Interview noch sehr genau an diesen besonderen Moment, den er für sich voll auskostete, ehe er den verletzten Lars Bastrup, der sich einen doppelten Kieferbruch zugezogen hatte, ins Krankenhaus begleitete und sich erst nach Mitternacht auf der anschließenden Siegesfeier zum Team gesellte und ins rund um den Pott nicht enden wollende Blitzlichtgewitter eintrat. Und damit erstmals den Pokal in den Händen hielt, der auch im Leben des so häufig siegreichen Günter Netzer eine ganz besondere Rolle einnimmt.