AUSSER­GEWÖHN­LICHER ARCHI­TEKT

Als Horst Hrubesch am 25. Mai 1983 auf der Ehren­tribüne des Olympia­stadions den Europa­pokal in Empfang nimmt und den Pott freude­strahlend in den Athener Nacht­himmel reckt, da sind alle Kameras auf den Hamburger Kapitän gerichtet – und keine auf die Tribüne. Dorthin, wo der Mann sitzt, der sich als Bau­herr dieses Erfolgs bezeichnen darf, und der in diesem Augen­blick eine kleine Träne verdrückt: GÜNTER NETZER.

Günter Netzer ist eine große Persön­lichkeit. Und der heute 78-Jährige war vor allem einer der ganz Großen des deutschen Fuß­balls: Er avancierte zur Spiel­macher-Legende bei Borussia Mönchen­glad­bach, wo er ab 1963 im Mittel­feld Regie führte und zwei deutsche Meister­schaften sowie den DFB-Pokal gewann; er schloss sich als erster deutscher Fußball­profi dem Weltverein Real Madrid an und gewann mit den König­lichen zwei spanische Meister­schaften und zwei­mal den spanischen Pokal; er wurde 1972 Europa­meister und 1974 Welt­meister mit der deutschen National­mann­schaft; und er prägte als Manager die erfolgreichste Zeit der Vereins­geschichte des Hamburger SV. Dass er später gemein­sam mit Gerhard Delling zu einem der beliebtesten TV-Gesichter der deutschen Fußball-Fernseh­land­schaft und in dieser Funktion sogar mit dem Grimme-Preis ausge­zeichnet wurde – wen wundert es bei diesem außer­gewöhn­lichen Mann, der ganz offen­sichtlich so vieles von dem zu Gold werden lässt, was er anfasst.

Gleiches gelang ihm ab 1977 beim HSV, dem Verein, den Netzer bis heute noch als kritischer, aber geneigter Beob­achter verfolgt. Damals habe er nicht so genau gewusst, was er nach seiner gerade been­deten Spieler­karriere machen solle, erinnerte sich Netzer einst, und da bot er dem HSV an, dessen Stadion­zeitung zu verlegen, so wie er es einst bei seiner Borussia bereits getan hatte. Der damalige HSV-Präsident Paul Benthien erkannte jedoch den Mehr­wert Netzers und gab ihm die gewünschte An­stellung – inklusive aller Kompe­tenzen als Manager. „Das kann ich nicht“, sei damals sein erster Gedanke gewesen, „und das wollte ich auch nicht“, lauten Netzers Erinne­rungen daran. Und doch nahm er das Angebot an. Zum Glück für alle Beteiligten.

Da ist das Ding! Manager Günter Netzer (r.) mit seinem Trainer­team Ernst Happel (2.v.r.) und Aleksandar Ristic (l.) sowie Sieg­tor­schütze Felix Magath (2.v.l.) auf der kleinen Feier nach dem Europa­pokal­sieg.

„Ich hatte ein gutes Fuß­ball­wissen und aus meiner Zeit in Mönchen­glad­bach einen guten Geschäfts­sinn, und außerdem besaß ich schon immer eine gute Menschen­kenntnis“, beschrieb Netzer später seine Fähig­keiten, die ihn schluss­endlich doch dazu brachten, die Aufgabe beim Hamburger SV anzu­nehmen und sich direkt der Königs­disziplin zu widmen: „Den richtigen Trainer zu finden, ist die wichtigste Aufgabe für einen Manager“, hatte Netzer fest­gestellt. Branko Zebec war eigent­lich schon der richtige, aber leider auch schwer alkohol­krank. Im Dezember 1980 erfolgte die Trennung, und Netzer holte das nach, was er Ende der 70er-Jahre im ersten Anlauf noch nicht geschafft hatte: Ernst Happel kam nach Hamburg. Und mit ihm end­gültig der große Erfolg. „Ich wollte ihn unbe­dingt haben, nachdem ich seine Mann­schaften hatte spielen sehen“, so Netzer. Seine Mann­schaften – das waren damals vergleichs­weise kleine Teams in den Benelux­ländern, mit denen Happel jedoch Erfolg um Erfolg feierte, ehe er auf größerer Bühne die nieder­ländische National­mannschaft 1978 ins WM-Finale führte. Und fünf Jahre später den HSV in Europas größtes Endspiel.

Ernst Happel verpasste der ohnehin schon starken Hamburger Mannschaft, die unter Architekt Netzer und Happel-Vorgänger Zebec bereits die deutsche Meister­schaft gefeiert hatte, sein aggressives Pressing. So wurden die Rot­hosen immer besser, immer dominanter, blieben zwischen Januar 1982 und Januar 1983 in 36 Liga-Spielen unge­schlagen und zogen schließ­lich im Mai ins Finale um den europäischen Thron ein. Der Rest ist Geschichte.

Im Falle Netzers ist es eine Geschichte ohne jeglichen Augen­blick-Foto­beweis, denn im größten Triumph hielt sich der Architekt des Erfolgs dezent zurück – „diese Momente gehören der Mann­schaft“, sagte Netzer später – und betrach­tete von der Tribüne aus in aller Stille sein Werk. Und verdrückte dabei sogar eine Träne. „Das ist etwas, was ich beim Fußball ganz selten erlebt habe, ich habe mich selbst nicht wieder­erkannt“, erinnerte sich Netzer Jahr­zehnte später in einem Abend­blatt-Interview noch sehr genau an diesen besonderen Moment, den er für sich voll auskostete, ehe er den verletzten Lars Bastrup, der sich einen doppelten Kiefer­bruch zuge­zogen hatte, ins Krankenhaus begleitete und sich erst nach Mitternacht auf der an­schließenden Sieges­feier zum Team gesellte und ins rund um den Pott nicht enden wollende Blitz­licht­gewitter eintrat. Und damit erstmals den Pokal in den Händen hielt, der auch im Leben des so häufig siegreichen Günter Netzer eine ganz besondere Rolle einnimmt.