Als es passiert war, konnte er es gar nicht realisieren. In der zweiten Minute der Nachspielzeit eingewechselt, köpfte Tom Sanne 60 Sekunden später im Heimspiel gegen den 1. FC Magdeburg sein erstes Profi-Tor für den Hamburger SV – und katapultierte sich zum jüngsten Zweitliga-Torschützen der Vereinsgeschichte. „In dem Moment habe ich es gar nicht wahrgenommen. Das ging alles so schnell. Weil wir in Rückstand lagen, habe ich nicht daran gedacht, groß zu jubeln. Das kam erst alles nach dem Spiel in der Kabine und im Anschluss im Gespräch mit meiner Familie“, berichtet der 18-Jährige vom 23. Oktober 2022, über den er einige Monate später sagt: „Dieser Tag hat mein Leben verändert!“
Binnen weniger Wochen vom Anfeuerer zum Angefeuerten
Von solchen Ereignissen träumen so ziemlich alle Nachwuchskicker, die eines Tages die große Bühne Profi-Fußball betreten wollen. Vor allem wenn sie seit Kindestagen Anhänger von dem Verein sind, für den sie auflaufen. „Ich bin von Geburt an HSV-Fan und war als Kind oft im Stadion. Damals habe ich mir vorgestellt, dass ich eines Tages für meinen Verein im eigenen Stadion ein Tor erziele – als ich das nun erreicht habe, war es schon etwas Außergewöhnliches“, gewährt der gebürtige Hamburger Einblicke in seine Gefühlswelt.
Apropos Stadion: Wie schnell es im Leben manchmal gehen kann, beweist die Sanne-Story einmal mehr. „Vor dem Heimspiel gegen Magdeburg war ich noch gegen Fortuna Düsseldorf mit meinen Kumpels auf der Nordtribüne und wir haben uns die Seele aus dem Leib geschrien. Beim übernächsten Heimspiel stand ich dann in der Nachspielzeit selbst auf dem Rasen und wurde von den Fans angefeuert. Das war schon völlig surreal“, beschreibt der Youngster, der in dem Moment des Anfeuerns der Mannschaft auf der Tribüne niemals daran gedacht hätte, „dass ich zwei Wochen später selbst auf dem grünen Rasen im Volksparkstadion stehen werde – nie im Leben.“
Keine Zeit verlieren: Nach seinem ersten Profi-Tor geht es für Tom Sanne (re.) direkt zurück zur Mittellinie. Ransford Königsdörffer und Ludovit Reis freuen sich mit dem Youngster.
»Der Moment des Tores entschädigt für so gut wie alles«
So überraschend schnell es mit dem Premierentreffer bei den Profis geklappt hat, desto weniger zufällig war es, dass ihn sein Weg auf den Fußballplatz geführt hat. Bereits seit dem fünften Lebensjahr hat der 1,72-Meter-Mann Berührungspunkte mit der runden Kugel – und zu dieser pflegt er ein spezielles Verhältnis. „Ich habe schon immer im Zentrum gespielt: von der Sechs über die Zehnhin zur Neun. Ich liebe es einfach, Tore zu schießen“, bekräftigt der beidfüßige Mittelstürmer sein Faible fürs Einnetzen.
Und das gelingt ihm mit der Raute auf der Brust sehr ordentlich: In seinen bisherigen zwei Spielzeiten für die Rothosen markierte Sanne für die U19 und U21 in 42 Partien 28 Treffer (Stand: 17. März 2023). „Der Moment des erzielten Tores entschädigt für so gut wie alles, was sonst noch auf dem Platz passiert“, strahlt der deutsche U19-Nationalspieler, der aber auch die Schattenseiten eines Neuners bestens kennt. „Es gibt für einen Stürmer oft unterschiedliche Partien, mal läuft es sehr gut mit den Toren und es bringt folgerichtig viel Spaß. In anderen Partien bin ich nicht viel im Strafraum unterwegs und weiter entfernt vom gegnerischen Tor, da habe ich dann andere Aufgaben und auch mal weniger Ballkontakte“, erklärt der Hamburger, der aber genau darin den Reiz dieser Position erkennt: „In solchen Situationen muss ich andere Lösungen finden, um am Spiel teilzunehmen. Das macht die Neun so interessant, weil sie nicht so einseitig ist.“
Tipps von Hrubesch – Vorbild Agüero
Um jederzeit auf dem Feld die besten Lösungen treffen zu können, bedarf es einer optimalen Vor- und Nachbereitung der eigenen Leistung – und dabei kommt Sanne in den Genuss eines prominenten Ratgebers. „Es ist schon ein cooles Gefühl, wenn Horst Hrubesch, der für unseren Verein Großes geleistet hat, nach dem Training zu mir kommt und mir den einen oder anderen Tipp gibt. Er zeigt mir auf dem Feld kleine Situationen, die mir im Spiel sehr viel bringen“, verrät der Blondschopf. Der direkte Austausch mit dem Direktor Nachwuchs, der jüngst seinen Vertrag beim HSV verlängert hat, ist dabei selbstverständlich nicht der einzige Berührungspunkt mit dem einstigen Ausnahmekönner. „Es ist für mich eine Ehre, auf dieser Position zu spielen, auf der in diesem Verein so verdiente Spieler wie Uwe Seeler oder Horst Hrubesch gespielt haben – das ist schon etwas ganz Besonderes“, unterstreicht Sanne.
Trotz namhafter Vorgänger auf seiner Position bleibt der Torjäger aber lieber gedanklich bei sich und spart mit großen Vergleichen. „Ich mache mir wenig Druck und vergleiche mich nicht mit anderen Angreifern. Ich schaue auf mich und ziehe mein Ding voll durch – darauf liegt mein Fokus“, verdeutlicht der Offensivspieler, der sich und seine Spielweise trotz seines jungen Alters schon haargenau charakterisieren kann. „Ich bin ein Spielertyp, der jederzeit anspielbar ist und sich nicht versteckt. Ich hole mir die Bälle sehr gerne ab und komme dementsprechend im Spielaufbau meinen Mitspielern oft entgegen. Ich muss am Spiel teilnehmen und brauche diese Situationen, um Sicherheit zu gewinnen. Wenn ich den Ball dann am Fuß habe oder klatschen lasse, soll es direkt nach vorne gehen – denn in der Box fühle ich mich am wohlsten.“
Sollte sich die Wohlfühloase Strafraum in einigen Phasen mal nicht so gut anfühlen, weiß Sanne, was neben dem Einholen des hilfreichen Feedbacks von Hrubesch & Co. noch zu tun ist: Er schaut sich alte Spielsequenzen seines Idols an. „Mein Vorbild war schon immer Sergio ,Kun‘ Agüero. Wie er sich trotz seiner kleineren Köpergröße auf dem Platz bewegt und die Situationen fußballerisch gelöst hat, war faszinierend. Ich habe mir seine Partien und seine Tore schon etwas genauer angeschaut.“ All diese Kniffe sollen dazu führen, dass solche Momente wie am 23. Oktober 2022 im Volksparkstadion in Zukunft des Öfteren vorkommen – in der Hoffnung, diese Erfolgsmomente dann auch in Echtzeit realisieren und genießen zu können.