Im HSVlive-Interview spricht CLAUS COSTA, Direktor Profi­fuß­ball beim HSV, über die verschie­denen Arten von Mittel­stürmern, das besondere Mindset dieser Spezies und die Heraus­forderung, den passenden Torjäger für sein Spiel­system zu finden.

Claus Costa muss ein wenig schmunzeln. Aus­gerech­net er, der während seiner 13-jährigen Laufbahn als Profi­fuß­baller lediglich sieben Treffer in 92 Drittliga-Spielen erzielte und bei 55 Zweit­liga-Einsätzen gänzlich ohne Tor blieb, soll über das Tore­schießen referieren. Klar, er hat mit Simon Zoller, Rouwen Hennings oder Simon Terodde an der Seite von gleich mehreren Top-Stürmern gespielt, er selbst war als defensiver Mittel­feld­spieler aber mehr Ab­räumer denn Vollstrecker. „Ich habe den Fuß­ball gearbeitet, war ein guter Drittliga-Spieler, der nach dem Auf­stieg mit Fortuna Düssel­dorf in die 2. Liga auch dort die Welle der Euphorie mitgesurft ist. Doch das war dann auch mein Limit“, blickt der einstige Profi selbst­reflek­tiert zurück.

Dass er nun aber doch hier sitzt, um in seiner neuen Funktion als Direktor Profifuß­ball des HSV seine Einschätzung über die Eigen­schaften und den Wandel der Mittel­stürmer­position abzu­geben, das hat er seiner Karriere nach der Karriere zu verdanken, und diese ist schon jetzt beachtlich: Zunächst als Co-Trainer bei Viktoria Köln (2016-17), dann als Scout bei Bayer 04 Lever­kusen (2017-19) tauchte Costa aus einer anderen Perspektive in die Welt des Fußballs ab und wechselte im Sommer 2019 schließ­lich als Chef­scout zum Hamburger SV. Nach fast vier Jahren in dieser Funktion erfolgte nun die Beför­derung zum Direktor Profi­fußball. Und das im Alter von 38 Jahren. Eine Entwicklung, die unter­streicht, dass Costa mit viel Analyse­fähigkeit, Über­zeugung und Team­play gute Arbeit leistet. Eigen­schaften, die auch im Stürmer-Interview mit der HSVlive-Redaktion immer wieder hervor­stechen und verdeut­lichen, dass man hier genau dem richtigen Gesprächs­partner für dieses Thema gegen­über­sitzt. Torjäger hin oder her.             

Claus, wie sieht für dich persönlich der perfekte Mittel­stürmer aus?

Das ist zunächst einmal eine Interpre­tations­frage. Denn es geht immer darum, wie du spielen willst und was der Neuner können muss, um dir in deinem Spiel zu helfen. Du kannst einen Neuner als Fixpunkt vorn drin definieren, der mit dem Rücken zum Tor agiert, Bälle fest­macht und Zeit für nach­rücken­de Spieler gewinnt. Dieser kommt dann über eine besondere Körper­lichkeit und Größe. Wenn du aller­dings mehr über das Umschalt­spiel kommen willst, möchtest du mit einem schnellen Spieler, der permanent hinter die Kette sprintet, agieren. Wenn es darum geht, wie der perfekte Neuner grund­sätzlich aus­sieht, dann kann er also im besten Fall alles. Wenn es um meine persön­liche Präferenz geht, dann mag ich den Spielertypen, der eine gewisse Physis mitbringt und vorn allein spielen kann. Am Ende ist die Position des Neuners aber so viel­fältig, dass wir genau deshalb ja ein Gespräch darüber führen. 

Wie viel­fältig ist diese Position im Detail? Du hast bereits einzelne Spielerprofile eines Mittel­stürmers umrissen. Wie sehen diese insgesamt für euch aus?

Wir unterscheiden dies­be­züglich in verschiedene Kategorien: „Wand­spieler“, ein Typ wie Philipp Hofmann, der vorn als Ankerspieler Bälle festmacht; „Tiefgänger“, bei­spiels­weise jemand wie Timo Werner, der viel Speed und Tiefenläufe hat; der „Physische Neuner“, ein Spieler, der eine unfassbare Wucht mit­bringt und Abwehr­reihen komplett allein beschäftigt; „Schwimmer“, das sind Akteure wie Mario Götze, Max Kruse, Lars Stindl oder Luca Waldschmidt, die sich mehr fallen lassen und das Spiel technisch und spielerisch fortsetzen; und letztlich „der komplette Neuner“, der mehr oder weniger ausgewogen sämtliche Aspekte des Spiels abdeckt wie etwa Robert Lewan­dowski oder mittler­weile auch Erling Haaland. Für uns sind diese Kategorien Orientierungs­punkte, um die Spieler­profile bestmöglich zu clustern und vergleich­bar zu machen. Wichtig ist dabei, dass dabei keine qualitative Wertung vorliegt, dass beispiels­weise der „Wand­spieler“ generell besser ist als ein „Tiefgänger“. Es ist eine Differen­zierung nach Fähigkeiten, und dann kommt es darauf an, was du brauchst und welche Idee vom Fußball der Club und Trainer verfolgen.

Im Sommer 2021 habt ihr mit Robert Glatzel einen Mittel­stürmer ver­pflichtet, der sich selbst als klassische und zugleich mit­spielende Neun betrachtet. In welche Kategorie der Spieler­profile fällt er aus deiner Sicht und welche Gedanken­spiele hattet ihr bei seiner Verpflichtung?

Robert Glatzel ist auf seine Art in der 2. Liga ein ausge­wogener Mittel­stürmer. Er kann Bälle festmachen, kommt in die letzte Kette rein, hat die technische Qualität, um sich fallen zu lassen und mit­zuspielen, und er verfügt zudem über eine besondere Physis. Er deckt mit seiner Spiel­weise verschiedene Facetten aller Profile ab. Ein „kompletter Neuner“ kann in jeder Mann­schaft mit­spielen, dennoch muss man auch immer betrachten, welcher Stürmer sich als alleinige Spitze wohl­fühlt. Auch dieses Thema muss man differenzieren und es hat bei seiner Ver­pflichtung eine Rolle gespielt. Im Sturm kannst du dich letztlich tot­diskutieren. Und trotz­dem ist es manchmal dann doch wieder so einfach, dass du sagst: „Wir brauchen einfach jemanden, der die Tore macht.“ Wenn jemand das Näschen hat, vorn die Dinger knipst und 20 Saisontore macht, ist das auch okay. (lacht)         

Bei „Bobby“ Glatzel ist neben seinem Tor­riecher auf­fällig, dass er sein eigenes Spiel im fort­ge­schrittenen Alter nochmal deut­lich ange­hoben hat. Ist das eure Ideal­vorstellung eines ambi­tionierten und „entwicklungs­fähigen“ Spielers, wie ihr sie in den vergangenen Transfer­perioden gesucht habt?

Für mich ist der Stürmer generell die deutlichste Position, auf der man im Alter noch die größten Fort­schritte machen kann. Mir fallen spontan zum Bei­spiel nicht sehr viele Rechts­verteidiger ein, die mit 24 Jahren eher Durch­schnitt und mit 28 dann Welt­klasse waren, aber bei Stürmern spielt die Erfahrung eine große Rolle. Es ist vor allem das Verständnis für Situationen: Wo stelle ich den Körper rein? Wo lasse ich einen Sprint mal weg und spare Kraft? Wie setze ich meine begrenzte Energie best­möglich ein? Daher sind Stürmer häufig nicht mit 19 oder 20 Jahren, sondern erst im fortge­schrittenen Alter so richtig am Scoren. Bei ihnen ist die Entwicklung nie abge­schlossen. Bei Robert Glatzel wusste man schon zu seiner Zeit in Heiden­heim, was er kann, doch dann ist er nach England ge­wechselt, wo es nicht ganz so gut funktioniert hat, und auch in Mainz hat er nicht regel­mäßig gespielt. Wir wussten bei der Ver­pflichtung also, dass er nicht auf dem Peak seiner Karriere ist, dass da noch viel Potenzial schlummert. Und in meinen Augen benötigte er dafür das maximale Vertrauen, was für einen Stürmer auch immer eine wichtige Rolle spielt.

Inwieweit?

Ich hatte das Gefühl, dass „Bobby“ zu Beginn seiner HSV-Zeit allen zeigen wollte, was er kann. Es hatte den Anschein, als wollte er unbedingt erzwingen, dass er hier der Torjäger wird. Er war vielleicht etwas zu verkopft, auch wenn ich nie mit ihm darüber ge­sprochen habe. Anschließend ist der Knoten aber geplatzt. Er hat ange­fangen zu treffen, dann sind der Zu­spruch der Leute und das Vertrauen des Vereins mehr und mehr gewachsen. Und jetzt spielt er seit mehr als einem Jahr mit einer besonderen Über­zeugung, Selbst­ver­ständ­lichkeit und auch Geduld. Auch dieser Aspekt ist bei einem Stürmer wichtig. Bei ihm habe ich das Gefühl, dass er das Vertrauen von allen Leuten hier spürt und sich daher auch nicht verrückt macht. Im Gegen­teil: Er weiß auch bei zu­nehmender Spiel­dauer, dass sein Moment, seine Chance noch kommen wird. 

Mit Andras Nemeth wurde in der Winter­pause ein weiterer klarer Mittel­stürmer lang­fristig ver­pflichtet. Wie kam es zu dieser Ent­scheidung?

Bei ihm haben wir ebenfalls das Schlag­wort „ausge­wogen“ gesehen. Er ist als Mittel­stürmer sehr breit aufge­stellt. Es ist total schwierig, Stürmer zu finden, die dieses Breit­auf­gestellte in sich tragen und damit zu vielen verschiedenen Facetten des Fuß­balls passen. Wir versuchen den Kader insge­samt sehr ausge­wogen zusammen­zubauen, um auf viele verschiedene Sachen reagieren zu können. Bei Andras hatten wir die Über­zeugung, dass er sofort in der 2. Liga für uns funk­tionieren kann. Zudem hat er sich in den Gesprächen mit der ihm zugedachten Rolle identi­fiziert. Wir haben bei ihm Parallelen zu „Bobby“ gesehen. Er hat das Facetten­reichtum, die Physis, das Spiel­ver­ständnis und das Merk­mal, als alleinige Spitze agieren zu können und hat damit den Kader sinn­voll und hoch­wertig ergänzt.

Welches Gefühl gibt es, wenn das dann auch alles funktioniert?

Es ist immer die Frage, wann man das Fazit zieht. Ich versuche das relativ rational und unaufgeregt zu beurteilen. Ich freue mich eher darüber, dass er schnell ange­kommen und in der Gruppe integriert ist oder wenn ich eine positive Rück­meldung seitens des Trainer­teams über die Per­sönlich­keit und den Sportler bekomme. Das ist unab­hängig davon, dass er ein Tor macht, wenngleich das natürlich die harte Währung ist und uns es sehr freut, dass er sofort zwei Treffer erzielt hat. 

Du bist von 2003 bis 2016 selbst mehr als ein Jahr­zehnt lang als Profi aktiv gewesen. Inwie­weit hast du die Spezies der Stürmer damals selbst erlebt und wo liegen die größten Unter­schiede und Ent­wicklungen zu heute?

Bei mir hat vor allem eine immense Bewusst­seins­erweiterung stattgefunden, wie wichtig es ist, dass der Stürmer auch zur Gesamt­idee des eigenen Spiels passt. Ich habe Stürmer früher vor allem klassisch an ihren Toren gemessen und habe mich darüber gefreut, wenn wir einen Mit­spieler verpflichtet haben, der in der vergangenen Saison 15 Tore gemacht hat. Ich habe mir aber weniger Gedanken darüber gemacht, ob er jetzt von der Spiel­weise auch zu uns passt. Ich habe damals beispiels­weise unter anderem mit Simon Terodde und Simon Zoller zusammen­gespielt – zwei gute Stürmer, aber dennoch zwei komplett verschiedene Spieler­typen. Mein Bewusstsein für das Stürmer­bild hat sich also verändert. Stürmer ist nicht gleich Stürmer, aber der Stürmer an sich hat sich nicht verändert. Ich tue mich schwer, dies­bezüg­lich einen Trend ab­zuleiten.

Gibt es denn in den vergangenen 30 bis 40 Jahren eine Art Entwicklung der Stürmerposition oder beschränkt es sich auf einzelne Trends?   

Es hat am Ende auch sehr viel damit zu tun, welches Spieler­material überhaupt da ist und was möglich ist. Hier spielt auch die Qualität der Trainer eine Rolle, die Spieler so einzusetzen, dass sie optimal spielen. Ich würde mal die steile These aufstellen: Wenn es den Spielertypen Haaland unzählige Male geben würde, dann würde wahr­scheinlich fast jede Mann­schaft auch mit Haaland als Neuner spielen. Wenn man diesen Spieler aber einfach nicht hat, dafür aber über einen Spieler verfügt, der die falsche Neun super interpretiert, dann kann man daraus wieder eine Stärke formen. Dann passt man das Spiel eben an. Es funktioniert einfach nicht, mit einer falschen Neun permanent lange, hohe Bälle zu spielen oder aufs Umschalt­spiel zu setzen, das macht keinen Sinn. Die Tendenzen auf der Neuner-Position gehen also mehr mit dem Spieler­material einher. Ein physischer Neuner, der schnell, robust, fuß­ballerisch gut und kopfball­stark ist, wird immer seinen Platz haben. Doch wenn es diesen Typen nicht gibt, dann muss man es anders lösen. Vielleicht wurde die falsche Neun aus der Not heraus geboren. 

Glücklich über die Zusammen­arbeit mit zwei ähnlichen Stürmer­typen, deren Rollen­verhält­nis ganz klar ist: Direktor Profi­fußball Claus Costa mit Robert Glatzel und Andras Nemeth sowie Sport­vorstand Jonas Boldt. 

Wir haben über die verschiedenen Stärken und Fertig­keiten der Stürmer gesprochen. Aber welche Rolle spielt auf dieser Position der Kopf? Schließlich können Stürmer ähnlich wie Tor­hüter mit einer Aktion Depp oder Held sein.

Stürmer sind vom Gefühl her eher etwas sensibel und brauchen dieses Vertrauen, um geduldig zu sein. Es gibt diesen Satz, dass ein Stürmer an Toren gemessen wird, aber ebenso wichtig ist das Wissen, dass es eben nicht aus­schließ­lich darum geht. Auch hier spielt die Erfahrung eine Rolle. Wenn du weißt, dass du 150 Tore in der 2. Liga gemacht hast, dann weißt du, dass dein 151. Tor auch kommen wird. Anders ist es, wenn du als 19-Jähriger vier Spiele ohne Tor bist, dir selbst riesigen Druck machst, in der Zeitung von deiner Tor-Krise liest und die Gelassen­heit dann natür­lich fehlt. Denn am Ende ist ja jeder Stürmer geil auf Tore.          

Inwieweit kann man dieses Mindset eines Stürmers vor der Verpflichtung abklopfen.

Vorab: Ein treffsicherer Stürmer ist das Seltenste, was du auf dem Markt finden kannst, ent­sprechend schwierig ist die Ver­pflichtung, denn jeder sucht einen solchen Stürmer. Die meisten davon, die in den großen inter­nationalen Ligen spielen und regel­mäßig viele Tore schießen, kann jeder selbst heraus­finden, aber die passen dann ohnehin nicht in unser Budget, so dass man eben auf Stürmer guckt, die noch großes Ent­wicklungs­potenzial haben oder hier und da mal Lade­hemmungen oder weniger Einsätze hatten. Dann steigt man in die Ge­spräche ein, aber im Zweifel wird man dieses Mindset niemals hundert­prozentig ab­prüfen können. Umso spannender ist es, wenn man wie im Fall von Robert Glatzel weiß, was er kann und was man bekommt, weil man seine Karriere­phasen stetig verfolgt hat, und sich dann plötz­lich für dich eine Tür für die Ver­pflichtung öffnet. Denn „Bobby“ hatte in den sechs Monaten in Mainz nicht zwölf Tore erzielt, so dass klar war, dass er dort bleiben wird. Da macht sich dann das jahrelange Scouting bezahlt und schlägt die schnelle Trans­fermarkt.de-Recherche.        

Wer sind für dich persönlich in den vergangenen Jahren Ausnahme­spieler auf der Stürmer­position gewesen?

Wenn ich Haaland sehe, dann ist die Ent­wicklung beein­druckend. Jeder kannte ihn, jeder hatte ihn oft gesehen und gescoutet, und dennoch fasziniert mich diese Selbst­verständ­lich­keit, die er entwickelt hat. Es ist eigentlich klar, dass er ein Tor macht, wenn er spielt. Seine Quote ist unfassbar: Er hat in 25 Champions League Spielen 33 Tore erzielt. Und: Er ist noch so jung! Wir haben darüber gesprochen, dass ein Stürmer im fortge­schrittenen Alter nochmal richtig interessant wird. Doch er führt diese Sicht­weise komplett ad absur­dum. Er schießt mit 22 Jahren die Champions League und die Premier League aus­einander. Es ist unfass­bar beein­druckend, mit welcher Über­legen­heit, Konstanz und Klarheit er spielt. Er ist trotz des Alters und Spiel­niveaus einfach nochmal ein Stück besser als die Konkurrenz. Das ist Wahn­sinn.    

Transfers sind für Claus Costa immer eine Gemein­schafts­arbeit, die von großem Team­work gekenn­zeichnet ist. Neben Vorstand Jonas Boldt ist Trainer Tim Walter dabei sein wichtigster Kommu­nikations­partner.

Was geht dir bei einem Stürmer wie Ibrahimovic durch den Kopf, der mehr als 20 Jahre älter ist?

Zlatan ist in seinem Gesamt­kunst­werk eine schillernde Figur. Er ist ein ganz spezieller Spieler, der über Jahre seine Qualitäten gezeigt hat. Das sind natürlich totale Ausnahme­spieler auf der Stürmer­position, zu denen wir dann selbst­ver­ständ­lich auch noch Lewandowski, Ronaldo und Messi zählen müssen. Doch auch bei Zlatan ist die spannende Frage, wie er denn mit 21 Jahren war? Ich kann mich zum Beispiel auch noch daran erinnern, dass Bayer Leverkusen vor meiner Zeit dort Arkadiusz Milik verpflichtet hat. Er hat in Lever­kusen damals nicht funktioniert, zählt dann bei Ajax Amster­dam zu den Top-Torjägern in der Eredivisie und wechselt darauf­hin für eine sehr hohe Ablöse­summe in die Serie A. Das Gleiche gilt für Victor Osimhen: Beim VfL Wolfs­burg hat er nicht funktioniert, dann trifft er bei Sporting Charleroi in der belgischen Liga wie am Fließband und jetzt zählt er beim SSC Neapel zu den besten Spielern der Champions League. Die Entwicklung im Alter, die Passung zu der Spielidee, der Spiel­rhyth­mus und das Vertrauen im gesamten Setting – das alles spielt eine Rolle.

Es spielen also immer ganz viele Faktoren eine Rolle, ob ein Stürmer ein­schlägt oder nicht.

Genau, und das macht es ja so komplex. Wir müssen am Ende nur Leit­linien finden, wie wir unsere Gedanken strukturieren. Wir würden niemals die Arroganz haben, um zu sagen, dass wir die Weis­heit haben, warum ein „Tief­gänger“ oder „Schwimmer“ nicht zusammen funktio­nieren können. Im Fußball kann alles jederzeit funktio­nieren. Du brauchst manch­mal auch Glück. Du kannst dir über Monate Gedanken machen, sämtliche Videos sehen und Daten analy­sieren und letztlich hat der andere etwas mehr Glück und gewinnt. Das ist das Schöne am Fußball. Es gibt kein richtig oder falsch, sondern es gibt hunderte verschiedene Optionen. Und trotz­dem sind wir überzeugt davon, dass wir die Wahr­scheinlich­keit auf den Erfolg erhöhen, wenn wir eine Idee hinter der Kader­planung bekommen. Man muss für sich einen Weg finden, Struktur in die Wulst an Namen zu bekommen. Ich bin froh, dass wir jetzt auf der Neuner-Position gut auf­gestellt sind. Und mit Tom Sanne haben wir nochmal ein ganz anderes Profil, das spannend für die Zukunft ist.

Inwiefern?

Tom ist sehr beeindruckend auf seine Art und Weise: Er macht aus der Not eine Tugend sozu­sagen, macht es zu seinem Vorteil, dass er so klein ist. Am Ende ist entscheidend, dass er trifft. Man kann ihn in irgendeine Schub­lade reinpacken, aber am Ende macht er immer Tore: Er spielt U19 und trifft, er spielt U21 und trifft, er spielt bei den Profis und trifft! Immer Glück ist Können, hat Hermann Gerland einmal gesagt.

Abschließend: Du bist vom Leiter Scouting zum Direktor Profi­fuß­ball auf­ge­stiegen, hast im Vorfeld dieser Beför­derung betont, dass dir Titel nicht wichtig sind. Wie fühlt es sich nun dennoch an, mit Ende 30 Direktor Profifuß­ball des HSV zu sein?

Zunächst einmal ist es für mich ein Zeichen absoluter Wert­schätzung. Ich bin dankbar, dass mir der Verein dieses Vertrauen in der etwas veränderten Funktion geschenkt hat. Darüber hinaus macht es einfach unfassbar Bock in dieser Konstellation, in diesem Team zu arbeiten. Da beziehe ich nicht nur Jonas Boldt und Tim Walter als meine wichtigsten Kommunikations­partner ein, sondern ich meine damit das komplette Team: die Scouts, die Spiel­analyse und auch Personen wie Lennart Coerdt und Nadja Kischkat, die im Hinter­grund an der Abwicklung von Trans­fers mitar­beiten. Das wird selten erwähnt, ist aber ein ganz wichtiger Faktor. Ebenso wie die Justiziare und Personen aus der Finanz­abteilung. An einem Transfer arbeiten letztlich so viele Parteien mit. Wenn man dann spürt, dass man in diesem Konstrukt eine gute Rolle und ein tolles Mit­einander mit den Protago­nisten hat, dann fühlt sich das total stimmig an.