U21-Trainer PIT REIMERS belegt mit seiner Mannschaft einen Spitzenplatz in der Regionalliga und arbeitet daran, die beiden elementaren Aufgaben des Profi-Unterbaus zu verbinden: Spieler zu entwickeln und erfolgreichen Fußball zu spielen. Ein Gespräch über die Besonderheiten des Trainerlebens im Nachwuchs.

In der Vergangenheit war die zweite Mannschaft der Rothosen öfter mal das Sorgenkind des HSV, doch seit einigen Jahren macht der Club in diesem Bereich große Schritte und vollzieht eine sehr positive Entwicklung. Entscheidenden Anteil daran hat auch Trainer Pit Reimers, der seit mehr als 15 Jahren im Nachwuchs des HSV arbeitet und mit seinem Team in dieser Saison Großartiges leistet. Zur Winterpause Tabellenplatz 2, zudem mit 51 Toren in 21 Spielen die beste Offensive der gesamten Regionalliga Nord, und all das trotz einer neuen Philosophie, die durchaus auch Risiken barg. Über diese spricht Reimers im HSVlive-Interview – ebenso wie über seine persönliche Entwicklung sowie die seiner Spieler und der gesamten Mannschaft.

Pit, ihr stellt die jüngste Regionalliga-Mannschaft, müsst mit ständigen Abstellungen zu den Profis arbeiten und spielt trotzdem eine grandiose Saison. Wie erklärst du dir diesen Erfolg?

Wir haben im vorletzten Sommer einen großen Umbruch vollzogen und eine wegweisende Entscheidung getroffen. Nämlich, fortan auf die sonst üblichen drei, vier erfahrenen Führungsspieler zu verzichten und es ausschließlich mit unseren jungen Leuten zu versuchen. Die Spieler, mit denen wir jetzt seit eineinhalb Jahren intensiv arbeiten, haben in dieser Zeit ein extrem großes Gemeinschaftsgefühl entwickelt und haben gelernt, auf und neben dem Platz für sich und für die Gruppe Verantwortung zu übernehmen. Denn die erfahrenen Spieler, hinter denen man sich früher auch mal verstecken konnte, gab es plötzlich nicht mehr. Die Jungs mussten jetzt selbst dafür sorgen, dass sie als Mannschaft so eng zusammenstehen, dass sie auch bei Gegenwind oder sogar Sturm nicht umfallen, sondern stehen bleiben. In der vergangenen Saison haben sie zehn bis zwölf Spiele dafür gebraucht, aber ab da hat es klick gemacht. Und seitdem entwickeln sich die Mannschaft und jeder einzelne Spieler extrem weiter.

Hat sich die Mannschaft seitdem nicht nur den Teamspirit betreffend, sondern auch fußballerisch verbessert?

Wir konnten in dieser Spielzeit auf das aufsetzen, was wir uns in der sehr lehrreichen vergangenen Saison erarbeitet hatten. Das hilft uns jetzt. Viele Abläufe funktionieren mit den Monaten immer besser und jedem einzelnen Spieler helfen natürlich die Erfahrungen, schließlich ist es für viele von ihnen jetzt schon die zweite Saison in der Regionalliga. Hinzu kommt: Wir haben einen relativ kleinen Kader, weshalb alle Spieler regelmäßig zum Einsatz kommen und sich über diese Spielzeiten natürlich weiterentwickeln.

Auffällig oft wirkte es in der Regionalliga, als träfe dort Männerfußball auf „Jugend forscht“. Wie siehst du die Entwicklung deiner Mannschaft gegen die Teams, in denen fast alle Spieler um die 30 Jahre alte Haudegen sind?

Das ist für uns die größte Herausforderung, wenn unser ältester Spieler beim Gegner der jüngste wäre. Wenn die Gegenspieler älter, erfahrener, cleverer, abgezockter und auch körperlich robuster sind und mit mehr Wucht kommen, dann sind das die Spiele, in denen wir wachsen und lernen und reifer werden. Und in denen meine Jungs feststellen: Keiner ist wichtiger als das Team, denn gerade in diesen Partien bestehst du definitiv nur als Einheit. Und wenn die Mannschaft glänzt, dann glänzt auch jeder einzelne. Das zu lernen, zählt zur Persönlichkeitsentwicklung, und dieser Bereich ist mindestens so wichtig wie die fußballerischen Aspekte unserer Ausbildung.

Zählt hierzu im weitesten Sinne auch der Einbau der Spieler, die von oben herunterkommen, um Spielpraxis zu sammeln?

Natürlich, denn hierbei ist es ein ganz wichtiger Aspekt, dass unsere jungen Spieler verstehen, dass dies für ihre Entwicklung niemals ein Rückschritt ist. Wenn Valon Zumberi, um ein Beispiel zu nennen, es aus unserer Jugend über die U21 zu den Profis schafft, dann freuen wir uns alle riesig. Und natürlich haben alle das Ziel und den Wunsch, dass er sich bei den Profis etabliert. Dazu gehört aber auch Spielzeit, und wenn Valon die bei uns in der U21 sammeln soll, dann ist er sofort wieder einer von uns. Valon ist seit der E-Jugend beim HSV, ich habe ihn in der U12, der U17 und der U21 trainiert, er kennt mich als Trainer und alle seine Mannschaftskameraden, und da fällt es natürlich leicht, ihn sofort wieder zu integrieren. Das ist der Vorteil, wenn wir es schaffen, unsere eigenen jungen Spieler bis zu den Profis zu entwickeln.

In der U12 hast du damals als HSV-Jugendcoach angefangen, mittlerweile arbeitest du auf der Stufe direkt unter den Profis. In welchen Bereichen hast du dich auf diesem Weg am meisten entwickelt?

Ich hatte das Glück, den Trainerberuf wirklich von der Pike auf lernen zu können. Angefangen mit den sechs Jahren im Bereich U12 bis U13. In dieser Zeit konnte ich sehr viel ausprobieren und Erfahrungen sammeln und daraus meinen eigenen Weg entwickeln. Ein weiterer Vorteil, wenn man alle Altersklassen von der U12 bis zur U17 durchläuft, liegt darin, dass man nicht nur unglaublich viel über die technischen, taktischen und athletischen Fähigkeiten der Spieler in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen lernt, sondern auch über ihre Persönlichkeit. Nehmen wir das Beispiel Jonah Fabisch, den ich bereits in der U12 trainiert habe und der heute mein Kapitän in der U21 ist. Jonah hatte in der U12 nicht nur schon die gleiche Frisur wie heute, sondern hatte auch früher schon eine sehr hohe Eigenmotivation, war extrem ehrgeizig und wollte schon damals in jeder erdenklichen Situation Verantwortung tragen. Und exakt das spiegelt sich heute wider, genau das sind die Tugenden, die ihn heute auszeichnen und die dafür gesorgt haben, dass er beim HSV seinen Weg von der U12 bis zum Kapitän der U21 gegangen ist. Und die Spieler auf diesem Weg zu fördern, das ist eine spannende Aufgabe.

Pit Reimers im engen Austausch mit seinem Kapitän Jona Fabisch (l.), den er bereits seit der U12 kennt und der mittlerweile A-Nationalspieler Simbabwes ist. Im Hintergrund Bent Andresen, der sich als U21-Spieler unter Reimers empfehlen konnte und bereits bei den Profis in der 2. Liga debütierte.

Macht es dich stolz, wenn Spieler einen Weg wie die angesprochenen Valon Zumberi oder Jonah Fabisch gehen?

Es ist mein täglicher Antrieb, dass es möglichst viele meiner Jungs schaffen, irgendwann einmal im Volksparkstadion aufzulaufen. Insofern macht es mich schon stolz, aber ich mag es gar nicht, sich so etwas ans eigene Revers zu heften. Denn an einem solchen Erfolg arbeiten im Nachwuchs über viele Jahre so viele Menschen mit, und in allererster Linie natürlich der Spieler selbst, dass es absolut vermessen wäre, sich selbst solche Erfolge zuzuschreiben. Aber ich freue mich natürlich, wenn ich meinen Teil dazu beigetragen habe und wenn ich zu dieser Teamarbeit meine paar Prozente beisteuern konnte.

Du bist für die Entwicklung der Spieler verantwortlich, aber wer hatte auf deinen persönlichen Werdegang den größten Einfluss?

Ich schaue jeden Tag, was ich besser machen kann und von wem ich etwas mitnehmen kann. Und es gab beim HSV in meinen fast 16 Jahren – man muss sagen: leider – sehr viele Trainer und sportlich Verantwortliche. Aber für mich gab es dadurch auch die Chance, mich von vielen verschiedenen Persönlichkeiten inspirieren zu lassen. Besonders glücklich bin ich, dass ich mit Bernhard Peters zusammenarbeiten durfte, der sehr großen Wert auf die inhaltliche und methodische Arbeit gelegt hat. Und ich freue mich, dass ich seit meinem Beginn als U21-Trainer Horst Hrubesch an meiner Seite weiß. Er verfügt über einen unglaublichen Erfahrungsschatz, gerade im Bezug auf Menschen- und Mannschaftführung, von ihm kann ich sehr viel profitieren. Ich bin dankbar, dass ich von zwei so großen Sport-Persönlichkeiten lernen durfte und darf.

Worin besteht für dich als Trainer der größte Unterschied zwischen Jugend- und Herrenfußball?

Bei den jüngeren Jahrgängen arbeitet man im deutlich kleineren Team und die Themen mit den Jungs einer U12 sind natürlich andere als mit den Spielern der U21. Ansonsten bestehen für mich aber der größte Unterschied und die größte persönliche Weiterentwicklung darin, dass es im Erwachsenen-Leistungssport nicht mehr ausreicht, ein guter Fußballtrainer auf dem Platz zu sein. Es geht nämlich darüber hinaus auch um Kader-Management, um die Führung seines Staffs, seines Trainerteams mit den vielen verschiedenen Experten und auch darum, den Umgang mit Beratern, Medien und anderen Clubs zu händeln.

Das Lernen und die Weiterentwicklung hören also nie auf?

Richtig. Als Trainer lernt man nie aus, ich entwickle also nicht nur meine Spieler weiter, sondern auch mich selbst. Das ist auch mein Anspruch. Im Vordergrund steht aber natürlich, möglichst viele Spieler an unseren Profi-Kader heranzuführen oder ihnen zu helfen, bei anderen Clubs im Profi-Fußball Fuß zu fassen, falls es beim HSV nicht möglich ist.

Und mit deiner Mannschaft – um den Kreis dieses Gesprächs zu schließen – erfolgreichen Fußball zu spielen und in dieser Saison bestmöglich abzuschneiden?

Die Weiterentwicklung der Spieler hin zu unserer Profi-Mannschaft steht immer an erster Stelle, aber natürlich möchte ich mit meinen Jungs erfolgreichen Fußball spielen. Das eine schließt das andere schließlich nicht aus, deshalb gehen wir diesen Weg weiter. Im letzten Regionalliga-Spiel 2022 standen beispielsweise vier aktuelle U19-Spieler in der Startelf, was es so noch nie gab. Das war die jüngste U21, die jemals für den HSV ein Pflichtspiel bestritten hat – und die Jungs haben den Tabellenvierten Jeddeloh in deren Stadion mit 3:0 besiegt. Das begeistert mich! Ebenso wie die Tatsache, dass wir in dieser Saison bereits zwölf U19-Spieler eingesetzt haben, was ebenfalls Rekord ist. Das macht einfach Spaß und zeigt, dass wir mit unserer Nachwuchsarbeit in sehr vielen Bereichen auf einem sehr guten Weg sind.