Athletik-Trainer DANIEL MÜSSIG und Reha-Trainer SEBASTIAN CAPEL sind seit siebeneinhalb Jahren beim HSV für die Profi-Mannschaft zuständig und damit die Konstante im Trainerteam. Im HSVlive-Interview sprechen sie über das Erfolgsrezept der athletisch-medizinischen Abteilung, die Einflüsse zahlreicher Cheftrainer und ihre prägendsten Momente und Spieler beim HSV.

Seit 2015 bilden sie die feste Konstante in einem Trainerteam, das in diesem Zeitraum von neun Cheftrainern mit jeweils ganz unterschiedlichen Handschriften und Prinzipien geführt wurde: Die Rede ist von Daniel Müssig (40) und Sebastian Capel (37). Während Müssig als Athletik-Trainer für die körperliche Fitness der Rothosen verantwortlich ist, sorgt Capel als Reha-Trainer federführend für die Rehabilitation der verletzten HSV-Profis. Gemeinsam mit dem Ärzte- und Physiotherapeuten-Team des HSV sowie Athletik-Trainer und Datenanalyst Pierre Houben sind die beiden Bürokollegen, die den Hauptteil ihres Arbeitsalltags allerdings auf dem Platz und im Kraftraum verbringen, ein zentraler Bestandteil der athletisch-medizinischen Abteilung des HSV. Ein Team, das sich im wahrsten Sinne des Wortes als solches versteht und in den vergangenen Jahren hervorragende Arbeit geleistet hat. Welches Erfolgsrezept dahintersteckt, warum sich HSV-Jahre wie Hundejahre anfühlen und welche Spieler am meisten Eindruck hinterlassen haben, das verraten die beiden Coaches im Gespräch mit dem HSVlive-Magazin.   

Daniel, Sebastian, wie würdet ihr den HSV in drei Worten beschreiben?

Daniel Müssig: Tradition, Reichweite und Herausforderung.

Sebastian Capel: Strahlkraft, aufregend und wild.

Ihr seid jeweils die achte Saison für das Athletik- bzw. Reha-Training der Profi-Mannschaft verantwortlich. Wie prägend war diese Zeit für euch und welche Momente sind euch besonders in Erinnerung geblieben?

Müssig: Wir haben eine Menge erlebt, so dass man beim HSV eher in Hundejahren rechnet. An anderen Standorten sind acht Jahre acht Jahre, hier sind es gefühlt 56. Meine prägendsten Momente sind die Relegation in Karlsruhe, das späte Tor von Luca Waldschmidt und der Abstieg in die 2. Liga. Bei der Relegation 2015 war ich gerade frisch in Hamburg und habe noch zwischen dem Nachwuchs und den Profis gependelt. Ich war damals nicht mit vor Ort in Karlsruhe, habe das Spiel aber auf der Terrasse daheim verfolgt und weiß noch genau, dass sich dabei auch entschieden hat, wie es für mich persönlich weitergeht.    

Capel: Für mich sind es auf jeden Fall auch das Retter-Tor durch Luca Waldschmidt und der Abstieg. Im Abstiegsspiel gab es einen Moment, als den Fans klar wurde, dass der VfL Wolfsburg uneinholbar vorn liegt. In diesem Moment war es komplett still, ehe das gesamte Stadion „Mein Hamburg lieb ich sehr“ gesungen hat. Das war der krasseste Moment – Gänsehaut pur. In der Neuzeit war außerdem noch die jüngste Relegation sehr prägend. Wie Daniel schon gesagt hat, haben wir sicherlich eine der intensivsten Zeiten in der Clubgeschichte hautnah miterlebt.

Es waren bewegte Zeiten, in denen der große Wurf ausgeblieben ist. Doch wie messt ihr in eurem Tätigkeitsbereich eigentlich Erfolg? Zählt immer nur
Sieg oder Niederlage oder bewertet ihr auch andere Parameter für eure Arbeit?

Capel: Ich muss ja irgendwo eine andere Bemessung heranführen. Für mich ist es immer ein emotionaler Moment, wenn ein Spieler nach einer langen Verletzungsphase eingewechselt wird. Auch der ganze Prozess einer Reha ist von einzelnen Erfolgen geprägt. Wenn ein Spieler dann erfolgreich zurückkehrt – besonders nach schweren Verletzungen –, ist das für mich persönlich auch immer ein kleiner Sieg.

Müssig: Am Ende des Tages zählt immer nur Sieg oder Niederlage, da interessiert niemanden die Lauf- oder Verletztenstatistik. Wenn wir es aber auf unseren Bereich herunterbrechen, dann ist es natürlich schöner, wenn man gewinnt und zugleich mehr läuft als der Gegner, auch wenn das natürlich immer mit dem Spielsystem und Spielverlauf zusammenhängt. Es ist gut zu wissen, dass die Jungs viele Kilometer und Sprints gehen können. Wenn der HSV am Ende der Saison unter den Top 3 in den Laufstatistiken liegt und auch die Ausfallzeiten im Rahmen bleiben, ist das ein Erfolg.

In den besagten siebeneinhalb Jahren wart ihr die Konstante im Trainerteam. Ihr habt unter neun verschiedenen Cheftrainern gearbeitet. Wie findet man hier immer wieder seinen Platz?

Müssig: Wenn man die Fluktuationsrate eines Athletiktrainers in den ersten beiden deutschen Fußball-Ligen nimmt, dann liegt man bei anderthalb Jahren. Warum wir über die Jahre immer konstant geblieben sind, liegt in meinen Augen an einem ganz klaren, aber dennoch flexiblem Konzept, das wir als medizinisch-athletische Abteilung zusammen entwickelt haben und hinter dem wir zu 100 Prozent stehen. Wir gehen dabei alle in die gleiche Richtung und verstehen uns auch persönlich sehr gut. Es gibt in Profi-Clubs oft irgendwelche Kräftemessen zwischen Trainern, Ärzten, Athletiktrainern und Physiotherapeuten – und die gibt es bei uns nicht. Bei uns gibt es kein Konkurrenzdenken. Wir tauschen uns absolut kritisch und konstruktiv aus. Da gibt es auch immer Diskussionspunkte, aber am Ende des Tages wollen wir immer das Gleiche: den bestmöglichen Erfolg für den Spieler. Dadurch haben wir es geschafft, jeden Cheftrainer von uns zu überzeugen. Denn die Trainer haben gemerkt, dass diese Abteilung auch eine Wucht und gewisse Macht hat, da sie geschlossen und mit klarem Konzept auftritt.     

Capel: Die vielen Wechsel hatten – wenn man das so sagen kann – auch irgendwo eine positive Komponente. Denn man ist dadurch immer gezwungen, aus seiner Komfortzone herauszukommen und sein Konzept gegebenenfalls anzupassen. Außerdem mussten wir uns jedes Mal aufs Neue wieder beweisen. Dadurch entwickelt man sich immer weiter und baut eine Resistenz und Flexibilität auf. Wir haben nicht immer stur an unserem Konzept festgehalten und uns zugleich nicht zum Spielball des Cheftrainers machen lassen.

Inwiefern spürt ihr in diesem Zusammenhang auch, dass ihr durch eure Erfahrung und Dienstzugehörigkeit innerhalb des Trainerteams mittlerweile eine gewachsene Rolle einnehmt?

Capel: Wenn man nicht komplett mit geschlossenen Augen durch sein Leben läuft, dann gewinnt man immer mehr an Erfahrung. Das wirkt sich natürlich positiv aus. Im Profi-Fußball ist es einfach so, dass man in vielerlei Situationen unter Druck steht und Entscheidungen treffen muss. Je mehr Hintergrundwissen man hat, desto schneller kann man diese fällen und trifft sie vermehrt richtig. Die Art und Weise, wie man seine Position vertritt, wird also automatisch überzeugender.

Müssig: Ein Top-Manager, den ich trainiert habe, hat einmal zu mir gesagt: „Daniel, ich kann dir folgenden Tipp fürs Leben geben: Mund halten, unentbehrlich machen, Mund aufmachen.“ Da ist etwas Wahres dran. Wir haben ganz viele verschiedene Trainer-Typen und -Charaktere erlebt, die unsere Arbeit ganz unterschiedlich bewertet und angesehen haben. Man ist also auf der einen Seite ein Chamäleon, das sich immer wieder anpassen muss, und auf der anderen Seite muss man auch seinen Job machen und die eigenen Positionen vertreten. Wir haben durch Bücher und Fortbildungen unglaublich viel Wissen angesammelt, aber am meisten lernt man über die Erfahrungen im Umgang mit dem Cheftrainer, der, wie der Begriff ja auch impliziert, am Ende unser Chef ist.   

In dieser Spielzeit herrscht seit langem gegenüber der Vorjahre Kontinuität. Wie fühlt sich das für euch an und wie nehmt ihr die Mannschaft im Hinblick auf die zurückgelegte Hin- und bevorstehende Rückründe wahr?

Müssig: Dadurch, dass wir in dieser Konstellation saisonübergreifend arbeiten, was es zuletzt unter unserem ersten Trainer Bruno Labbadia sowie unter Christian Titz gegeben hat, hat sich das Ganze gut eingespielt. Die Zusammenarbeit klappt super. Im Hinblick auf die Spieler haben wir aktuell super Charaktere im Team. Es gibt kaum Diskussionen und die Jungs sind total umgänglich. Alle kennen das Ziel und ziehen an einem Strang. Da macht die Arbeit im Trainerteam und mit den Spielern absolut Spaß.

Capel: Die Hierarchie in der Mannschaft stimmt total. Man hat das Gefühl, dass die Spieler allesamt Bock haben und in die gleiche Richtung marschieren. Hierbei nimmt das Trainerteam unmittelbar Einfluss auf die ganze Mannschaft. Und das betrachte ich als große Stärke. Alle stehen bedingungslos hinter dem Plan und nur dann kann man auch erwarten, dass die Spieler mitziehen. In meinen Augen ist es für jeden Trainer ein Erfolgsrezept, authentisch zu sein. Unser jetziger Cheftrainer ist sehr authentisch. Er ist ehrlich und direkt, und mit dieser Art kommen wir sehr gut klar.   

In euren bald acht Jahren habt ihr nicht nur neun Cheftrainer gesehen, sondern auch exakt 114 Spieler erlebt. Welcher Akteur hat euch dabei am meisten beeindruckt?

Müssig: „Bascho“ (Sebastian Schonlau, Anm. d. Red.). Er ist ein absoluter Vorzeigeprofi, der immer ohne Widerworte den Ansagen folgt und sie umsetzt. Zudem ist er ein cooler Charakter: bodenständig, nett und zuvorkommend. Er ist ein guter Kapitän, weil er das, was das Trainerteam vorgibt, nicht negativ in die Mannschaft trägt, sondern voll dahintersteht. Damit ist er ein wichtiger und guter Link zwischen Trainerteam und Mannschaft. Zudem möchte ich noch Simon Terodde erwähnen, der aus einem ähnlichen Holz geschnitzt ist.

Capel: Relativ eindeutig „Bascho“. Für mich persönlich ist zudem noch Jairo Samperio zu nennen. Er hat damals nach seiner schweren Knieverletzung eine Diagnose erhalten, die so schwer war, dass man zu Beginn nicht sicher sagen konnte, ob er je wieder zur vollen Leistungsstärke zurückfinden wird. Mit welcher Einstellung er sein Comeback angegangen ist – immer bescheiden, immer Vollprofi, immer Maschine –, war beeindruckend.

Der engste Ansprechpartner im Hinblick auf den Athletik- und Reha-Bereich ist bei euch jeweils immer gleichgeblieben. Hand aufs Herz: Wie habt ihr es all die Jahre miteinander ausgehalten?

Capel: In einem Bereich, in dem so viel Druck herrscht und in dem man so viel Zeit miteinander verbringt, ist es nicht möglich, sich irgendwie zu verstellen, damit man gut miteinander arbeitet. Es gibt folglich sehr viele Parallelen im Fachlichen und Persönlichen, die uns gut miteinander zusammenarbeiten lassen. Das Entscheidende ist: Wir haben uns in den letzten Jahren schon auch mal gestritten, aber fachlich und menschlich spazieren wir geradeaus – das ist immer so gewesen.

Müssig: Ich werde heute noch von meiner Frau damit aufgezogen, dass ich nach meiner ersten Leistungsdiagnostik beim HSV – damals waren wir ja noch ganz neu in Hamburg und kannten niemanden – in einem emotionalen Moment abends zur ihr gesagt habe, dass der Sebastian ein guter Freund werden könnte. Mittlerweile verstehen sich nicht nur unsere Frauen untereinander, sondern auch die Kinder. Wie eingangs erwähnt: Uns verbindet einfach eine unfassbare Zeit.