Zeitreise: Ein Kind der Bundesliga als Coach der Rothosen

FILIP TAPALOVIC ist im Trainerteam des HSV derjenige Coach, der auf eine eigene Karriere als Bundesliga-Profi zurückblicken kann. Eine Vergangenheit als Spieler, die ihn zu dem Trainer gemacht hat, der er heute ist. Und der zeit seines Fußballerlebens von ganz besonderen Ikonen lernen durfte.

Zeiten ändern sich. Das ist im Fußball nicht anders als im normalen Leben. Und so liest sich eine Statistik aus dem weltweiten Lieblingssport sehr interessant, die sich auf den Job als Trainer bezieht. Denn wenn es früher noch völlig normal und eher die absolute Regel war, dass ein Bundesliga-Trainer auch auf eine eigene Karriere als Bundesliga-Spieler zurückblicken kann, so hat sich in den vergangenen Jahren das Bild des Fußballlehrers etwas verändert. Dank besserer Ausbildung seitens des DFB sowie professionalisierter Jugendarbeit in den Clubs haben es im zurückliegenden Jahrzehnt auch viele Fußball-Experten in den Profibereich geschafft, die selbst keine Bundesliga-Stars waren. Aktuell trifft dies in der Bundesliga auf ein Drittel aller Cheftrainer zu, in der 2. Liga ist das Verhältnis mit 9:9 sogar ausgeglichen. Auch beim HSV agiert mit Tim Walter ein hauptverantwortlicher Trainer, der nicht selbst als Profi aktiv war – der sich diesbezüglich aber auf die Erfahrungen und die Expertise seines Co-Trainers verlassen kann: Filip Tapalovic.

„Tapa” hat seine Fußspuren in der deutschen Fußball-Landschaft hinterlassen. Groß geworden in Gelsenkirchen, von klein auf Bewunderer des FC Schalke und stets sein ewiges Idol im Blick: Olaf Thon. „Wenn du in den 80er-Jahren auf Schalke aufwächst und dich für Fußball und Schalke interessierst, dann bewunderst du Olaf Thon, das geht gar nicht anders”, erinnert sich der heute 46-Jährige an seine Anfänge im Fußball, der später sein Beruf wird – auch dank seines großen Idols. „Als Schalker Jugendspieler durfte ich ein paar Mal bei den Profis mittrainieren, und nach einer dieser Einheiten ging unser Routinier Olaf Thon zu Rudi Assauer und sagte: Der Tapa, der wird mal ein Guter, den müssen wir behalten.” Die Profikarriere von Filip Tapalovic hatte begonnen.

Nach 161 Spielen und sechs Toren in der 1. und 2. Bundesliga für Clubs wie eben jenen FC Schalke 04, den VfL Bochum und 1860 München sowie seinen anschließenden Stationen in Österreich und Kroatien wird 2009 ganz allmählich die zweite Karriere Tapalovic‘ eingeleitet – allerdings zunächst eher ein bisschen unfreiwillig und nicht wirklich geplant. „Ich habe mich nach meinem Vertragsende bei meinem letzten Club in Kroatien lange Zeit privat fitgehalten und wollte unbedingt noch weiterspielen”, kramt Tapalovic in seinen Erinnerungen. Die Liebe zum Spiel war so groß, das Aufhören eigentlich noch keine Option, doch je mehr Zeit verstrich, umso klarer wurde ihm: Ein neues Kapitel steht an, und dieses wollte der ehemalige kroatische Nationalspieler eigentlich in einem ganz anderen Bereich schreiben. Als Sohn einer Gastronomen-Familie mit Hotel und angeschlossenem Restaurant direkt in Gelsenkirchen war der Traum einer eigenen Gastronomie schnell geboren und hätte durchaus Gestalt annehmen können. Doch irgendetwas hält ihn zurück. Was es ist, das merkt der Bruder von Bayerns und Manuel Neuers Torwarttrainer Toni Tapalovic, als er dem Ruf eines Freundes folgt, den Sommer in Zagreb, wo auch Filips Schwester lebt, zu verbringen und dort für ein paar Wochen als Trainer der Fußballschule des FC Barcelona zu arbeiten. Diese paar Wochen sorgen für den Startschuss zu Teil 2 der tapalovic’schen Profikarriere.

Der heutige Hamburger Co-Trainer und Spezialist für Standardsituationen trainiert mit den Kindern, findet den Spaß an der Arbeit als Trainer, absolviert daher nach seiner Rückkehr nach Deutschland die B-sowie die A-Lizenz und nutzt schließlich die alten Kontakte zum TSV 1860 München. „Ich wollte dort gern ein Praktikum im Nachwuchsbereich machen, reinschnuppern, lernen”, sagt Tapalovic und muss selbst schmunzeln. Denn aus dem Praktikum werden in der Folge die Jobs als Trainer der U17 und der U19 in der Junioren-Bundesliga – mit tollen Talenten wie den heutigen Bundesliga-Spielern Florian Neuhaus aus Gladbach und Felix Uduokhai aus Augsburg – und sogar als Co-Trainer der 1. Mannschaft. Spätestens jetzt hat ihn der Ehrgeiz gepackt, und er nimmt mit dem Erwerb des Fußballlehrers auch die finale Hürde auf dem Weg ins Trainerleben – und lernt während des 15-monatigen Lehrgangs seinen Mit-Absolventen Tim Walter richtig kennen und schätzen, nachdem man bereits in der Junioren-Bundesliga, in der Walter den Karlsruher SC coacht, gegeneinander gespielt hat.

Teil des Teams: Gemeinsam bilden Sven Höh, Julian Hübner, Tim Walter, Filip Tapalovic und Merlin Polzin (v.l.) das Trainerteam des HSV, in dem sich „Tapa“ rundum wohlfühlt und die Arbeit über alle Maßen schätzt.

Walter und Tapalovic – es ist die Verbindung, die „Tapa” als echtes Kind der Bundesliga schlussendlich wieder nach Hause bringt. Denn nach Fußball- und Lebensabenteuern in Australien, wo er insgesamt vier Jahre in Adelaide und Melbourne als Co-Trainer von Marco Kurz arbeitet und mit Frau und Kind lebt – „neues Land, neue Kultur, eine großartige Erfahrung”, lautet heute sein Resümee –, kommt 2021 nach seiner Rückkehr nach Deutschland der entscheidende Anruf: Walter unterschreibt beim HSV und sieht in dem ehemaligen Bundesliga-Profi, zu dem er seit den gemeinsamen Monaten beim Fußballlehrer-Lehrgang den Kontakt hält, den idealen Partner für den Job. „Das Pflaster in Hamburg war nicht gerade das kühlste, deshalb habe ich über das Angebot kurz nachgedacht”, sagt er ganz ehrlich, freut sich heute aber umso mehr über seine Zusage: „Es war genau die richtige Entscheidung, denn ich bin extrem zufrieden mit der Aufgabe, mit meinen Trainer-Kollegen, der Mannschaft und dem gesamten Staff. Ich kann mir die Arbeit in einem Club und einem Team nicht besser vorstellen als hier beim HSV.”

Mit seiner Profi-Erfahrung, dem Wissen aus der Arbeit in einem Nachwuchsleistungszentrum sowie den theoretischen Kenntnissen aus der Fußballlehrer-Ausbildung kann Tapalovic ein sehr komplexes Know-how-Paket einbringen. „Die Erfahrungen aus meiner Profizeit, die kann man sich nicht anders aneignen, und die haben mir in den Jahren der Trainer-Ausbildung ungemein geholfen”, sagt der 46-Jährige rückblickend und öffnet die Kiste mit den ganz besonderen Erinnerungsstücken: „Klaus Toppmöller war mein erster Trainer, der wollte immer richtig Fußball zocken. Dann kam Huub Stevens, der mir die holländische Schule mit ganz viel Passspiel beibrachte, das kannten wir damals so noch nicht. Werner Lorant war ein sehr harter Brocken, der wie kaum ein anderer Wille und Mentalität vermitteln konnte und einem nach einem 25-Kilometer-Lauf durch den Wald auch gern mal ein „Müdigkeit kann man sich auch einbilden” an den Kopf warf. Peter Neururer war in seiner ganzen Art als Trainer und Mensch einfach ein Unikat. Und der spätere russische Nationaltrainer Stanislav Tschertschessow war ein extrem menschlicher Trainer, von dem ich gelernt habe, dass das Anschreien eines Spielers die Botschaft auch nicht klarer macht. Es waren tolle und spannende Trainer, und von jedem einzelnen konnte ich etwas für meine eigene Arbeit mitnehmen.”

So kommt es, dass Tapalovic innerhalb von fünf Jahren vom aushilfsweisen Fußballschulentrainer zum anerkannten Fußballlehrer wird. „Das war rückblickend wie ein Überfall auf mich”, ordnet er die Jahre ein, in denen unglaublich viel passierte, „ohne die praktischen Erfahrungen aus meiner eigenen Profizeit hätte ich es nie geschafft, das in der Ausbildung vermittelte theoretische Wissen und das methodische Arbeiten, wie man es in den Trainerlehrgängen erlernt, so zu verstehen und zu verinnerlichen und vor allem auch anzuwenden und zu vermitteln.” Heute fühle er sich durch den Mix aus praktischen Erfahrungen und theoretischem Wissen als „echter und richtiger Trainer”, wie er es nennt. Und der HSV ist für ihn der ideale Club, weshalb er mittlerweile auch seine Frau und seinen Sohn nach Hamburg geholt hat: „Hier ist jetzt unser Lebensmittelpunkt.” Wie sehr die ganze Familie die neue Heimat angenommen hat, erkennt Filip Tapalovic insbesondere an seinem siebenjährigen Sohn. „Er ist riesiger Fußball- und vor allem HSV-Fan, läuft in der Schule nur in Trikots rum, singt permanent die HSV-Songs und nimmt an der HSV-Fußballschule teil.” Dabei hatte ihn Opa Tapalovic direkt bei seiner Geburt bei Hajduk Split als Mitglied angemeldet, „aber der Junge kennt mittlerweile nichts anderes als den HSV.” Ja, Zeiten ändern sich.