Liebe Ilka,
liebe Familie Seeler,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
liebe Gäste, Familienangehörige,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe HSVer,

es gibt einen Unterschied zwischen Berühmtheit und Beliebtheit.
Wenn Sie berühmt sind, bemerken die Menschen Ihre Anwesenheit.
Wenn Sie beliebt sind, bemerken die Menschen Ihre Abwesenheit.

Uwe Seeler hinterlässt eine riesige Lücke. Wir werden ihn immer vermissen!

Die Art und das Ausmaß der Ehrung, die Uwe Seeler in den vergangenen drei Wochen zuteil wurde, zeigt sehr gut, welch große Spuren er in der Fußballgeschichte und in der Historie Hamburgs hinterlassen hat.

HSV-Ikone, WM-Legende, Fußball-Idol, Ehrenspielführer und Hamburger Wahrzeichen. Die Ehrungen wetteifern miteinander, um ihre Bewunderung für diesen einzigartigen Spieler auszudrücken. 

Bei vier WM-Teilnahmen hat Uwe Seeler die Farben der Nationalmannschaft getragen, in nahezu 600 Pflichtspielen mehr als 500 Tore für seinen HSV erzielt. Deutscher Meister und erster Bundesliga-Torschützenkönig.

Diese Langlebigkeit und Konstanz an Spitzenleistungen verdankte er einem außergewöhnlichen Talent, gepaart mit Fleiß, Energie, Wille und Disziplin. Egal ob per Fallrückzieher, Seitfallzieher, Flugkopfball, Heber, Distanz- oder Volleyschuss, ob mit der Pike oder per Abstauber – Hauptsache, der Ball war drin!

Doch Uwe ist mehr als Titel und Trophäen. Ja, Uwe Seeler war und ist die perfekte Verkörperung des Fußballs. Er ist der ideale und ehrgeizige Spieler, von dem jeder Trainer und Manager nur so träumt. Er ist der perfekte Mitspieler, den sich jeder Fußballer an seiner Seite wünscht und den die Gegenspieler fürchten. 

Er ist der, den sich alle Fans wünschen: 

immer an der Spitze, aber immer erreichbar. Ständig oben, aber bodenständig. Gewinnen wollen, aber verlieren können. Uwe Seeler verkörpert den Fußball, aber auch Geradlinigkeit, Fairness, Konsequenz und Treue über alles.

„Uns Uwe“. Ein Idol, ein Mann des Volkes, den jeder nur lieben kann, weil er so wunderbar normal war. Stinknormal, wie er es selbst formulierte. Er ist einer von uns – nur besser. Ein Vorbild. Generationenübergreifend.

„Uns Uwe“. Nichts beschreibt besser die Nähe, die jeder bei seinem Anblick verspürte. Aber die Bezeichnung ist nicht „besitzergreifend“. Denn wenn Uwe jemals jemandem gehört hat, dann seiner Ehefrau Ilka. Dem, wie er selbst sagte, besten Treffer seines Lebens.

Liebe Ilka, dir gehört uns aller Mitgefühl!

Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du auch mir die Tür zu eurem Haus geöffnet hast und mir die Chance gegeben hast, einige Momente mit dir und deiner Familie zu teilen.

Die Familie war Uwe immer wichtig. Der Türöffner für mich war vor gut zehn Jahren der Enkel Levin, der auf sich aufmerksam gemacht hatte. Ich hatte enormen Respekt, das erste Mal Uwe als derjenige gegenüberzustehen, der seinen Enkel vom HSV weglotste. Doch Uwe war wie immer ehrlich und locker. Und nachdem er mir ein Bier und den Platz neben sich angeboten hatte, waren seine Worte: „Ihr meint es ernst mit ihm und das ist mir wichtig.“

Er sollte Recht behalten. Mit gerade einmal 17 Jahren gab sein Enkel Levin sein Debüt im Profifußball und folgte ihm in seine Fußstapfen – heute genau auf den Tag vor neun Jahren.

Ich habe es unglaublich genossen, mit Uwe zu philosophieren. Egal ob auf der kleinen Tribüne in Norderstedt, hier im Volkspark bei seinem besten Freund Heinrich Höper in der Loge oder wie jüngst im Kreise seiner Liebsten im Rahmen seines 85. Geburtstags. Er war immer voller Leidenschaft, unabhängig davon, ob es um gemeinsame Hobbies wie das Skifahren in Obertauern, den Fußball an sich oder eben die Familie ging.

„Jetzt setz’ dich erstmal und trink’ ein Bier mit mir…“, war meist der Satz, bevor es losging.

Vorhin habe ich gesagt, dass Uwe der perfekte Fußballer und zweifellos ein Mann mit Qualitäten ist, nach denen sich jeder sehnt. Aber Uwe war nicht perfekt. Er war Mensch. Er hat Fehler gemacht. Zwei Fehler, um genauer zu sein. Er hat es selbst gesagt: „Ich habe in meinem Leben zwei große Fehler gemacht: Ich habe zweimal nicht auf meine Frau gehört.“ Dann hat er gelächelt. Gegrinst, wie man in Hamburg sagt. Und gezwinkert.

Liebe Ilka, wenn Uwe in der Öffentlichkeit so beliebt war, bin ich überzeugt, dass dies auch daran lag, dass ihr beide euch innig geliebt habt. Uwe hat diese Liebe ausgestrahlt. 

Uwe Seeler. Der Name ist schon Programm. Uwe, auf Englisch: „You“-„We“, du und wir. Wir sind eins. Ja, mein lieber Uwe, du und wir, wir alle fühlen uns auf ewig miteinander verbunden. Deine Karriere verschmilzt unweigerlich mit der Identität dieses Vereins, mit der Raute. Man sagt, dass Kultur das ist, was übrigbleibt, wenn man alles vergessen hat. Nun, wenn wir nur eine Sache vom HSV behalten sollten, dann bist das du – Nur der Uwe!

Auch wenn ich dich leider nie habe live spielen sehen, werde auch ich viele deiner fußballerischen Momente in Erinnerung behalten. Wir alle haben sicher einige davon vor Augen. Ob dein Tor des Jahrhunderts gegen Herne oder dein Comeback nach dem Achillessehnenriss – humpelnd, kämpfend, aber natürlich auch treffend – als Zeichen für deine Widerstandsfähigkeit.

Wir werden auch nie den italienischen Koffer vergessen, der bis zum Rand mit Geld gefüllt war, den du aber abgelehnt hast. Aus Liebe zu deiner Familie, zu deiner Stadt und zu deinem Heimatverein. Zu uns.

Vor allem aber werden wir nie dein riesiges Herz vergessen.

Lieber Uwe, nur wenige Schritte von hier entfernt steht die Bronzeskulptur deines Fußes. Um ehrlich zu sein, man hätte dort auch die Bronzedarstellung deines Herzens aufstellen können. Auch dieses hat eine gewaltige Größe.

„Uns Uwe“, du bist von uns gegangen. Aber niemand kann uns die Momente nehmen, die du uns geschenkt hast, die Begeisterung entfacht haben, die Stolz auf einen Hamburger Jung verursacht haben und die noch immer unsere Herzen zum Schwingen bringen.

Ich bin felsenfest davon überzeugt: Es gibt etwas Stärkeres als den Tod.
Es ist die Anwesenheit der Abwesenden in den Herzen der Lebenden.

Lieber Uwe, du bist für immer in unseren Herzen.

Wir werden alles daransetzen, deine Mentalität, deine Menschlichkeit und deine Werte für den HSV in Ehren zu halten.

Uwe Seeler war, ist und wird für immer der größte HSVer aller Zeiten sein!

Ruhe in Frieden, oder wie du selber gesagt hast:

„Im Himmel wird auch Fußball gespielt!“

Es war mir eine Ehre!

Jonas Boldt, 10. August 2022