Zürich, London, St. Gallen, Hamburg – der Schweizer MIRO MUHEIM hat in jungen Jahren schon eine Menge gesehen und erlebt. Im HSVlive-Interview spricht der 23-jährige Links­ver­teidiger über sein Interesse an Archi­tektur, seine fuß­baller­ische Aus­bildung beim FC Chelsea und über seine zweite Station im Aus­land beim HSV.

Hamburg, Am Sand­tor­kai – hier stehen die hoch­moderne HafenCity und die altehr­würdige Speicher­stadt im krassen Kontrast unmittel­bar zueinander: Hier die futuristisch anmutenden Gebäude des seit 2001 komplett neu hochge­zogenen Hamburger Stadt­teils mit zahlreichen Solitär-Bauten und der Elb­phil­harmonie als Wahr­zeichen; und dort die bereits zwischen 1883 und 1927 in neugotischer Back­stein­architektur geschaffenen und einst als Lager­häuser für Kaffee, Tee und Gewürze genutzten Bau­werke, die heute Museen, Agenturen und Teppich­händler beheimaten und zum UNESCO-Weltkultur­erbe zählen. Miro Muheim findet an dieser Location sichtlich gefallen. Schließ­lich hat der Schweizer als Teen­ager eine Aus­bildung zum Hoch­bau­zeichner ange­fangen und besitzt dadurch durch­aus ein Faible für Architek­tur.

Dass der er­kun­dungs­freu­dige 23-Jährige an diesem speziellen Ort, wo Historie auf Moderne trifft, Modell für das HSVlive-Titel­shooting steht, hat er jedoch seiner eigentlichen Berufung zu verdanken: dem Fußball. Einst in seiner Heimat beim FC Zürich mit dem runden Leder aufge­wachsen, wechselte Miro Max Maria Muheim zur Saison 2014/15 als Teenager in die Jugend­abteilung des großen FC Chelsea. Fernab seiner Schweizer Heimat genoss der Links­verteidiger in London eine gute fuß­ballerische Aus­bildung und legte den Grund­stein für eine Profikarriere, die ihn nach einer kurz­zeitigen Rückkehr in die Heimat zum FC Zürich und zuletzt zum FC St. Gallen im ver­gangenen Sommer erneut ins Ausland führte. Warum für Miro Muheim in Hamburg und beim HSV dieses Mal vieles anders läuft und inwie­weit ihm die England-Erfah­rungen von damals helfen, das verrät der Linksfuß, der sich im Jahres­end­spurt unglückliche­rweise einen leichten Muskel­faser­riss zuzog, im aus­führlichen HSVlive-Gespräch.

Miro, als Teenager hast du parallel zum Fußball eine Ausbildung zum Hochbauzeichner angefangen. Wie bist du damals dazu gekommen?

Als ich auf der Suche nach einer Lehre war, bin ich auf diesen Ausbildungsweg gestoßen und habe mir gedacht: „Hey, das klingt interessant und könnte etwas für mich sein.“ Ich habe es dann probiert und habe tatsächlich Gefallen daran gefunden. Als ich in der Jugend zum FC Chelsea gewechselt bin, musste ich die Lehre zwar abbrechen, aber das Interesse an der Architektur hat dadurch insgesamt zugenommen und ist noch immer vorhanden.     

Macht sich dieses Interesse auch heute noch bemerkbar, wenn du durch die Straßen läufst und verschiedene Viertel und ihre Bebauung siehst?

Ja, das spielt in solchen Situationen definitiv eine Rolle. Ich mag schöne Gebäude und von daher gefällt es mir, durch die Gegend zu laufen und neue Facetten einer Stadt kennenzulernen. Ich bin diesbezüglich insgesamt ein Entdecker, war auch schon häufiger hier in der Gegend und habe mir unter anderem die „Elphi“ angesehen – ein echt cooles Bauwerk.   

Wie gefällt dir in diesem Zusammenhang insgesamt die Hansestadt Hamburg? 

Hamburg gefällt mir sehr gut. Es gibt viele moderne Gebäude und gleichzeitig findet man überall in der Stadt auch alte Bauten. Hier in der HafenCity ist dieser nicht immer einfache Spagat in meinen Augen gut gelungen. Und auch insgesamt gibt es viele unterschiedlich aufgebaute und geprägte Gegenden. Ich wohne zum Beispiel in Eimsbüttel nahe des Schanzenviertels. Zum einen ist das Schulterblatt nur fünf Gehminuten entfernt, zum anderen liegt Planten un Blomen gleich um die Ecke. Also zwei komplett verschiedene Welten in unmittelbarer Nähe. 

Gibt es Parallelen zu deinen bisherigen Wohnorten? Du bist als Kind in Zürich aufgewachsen, hast als Teenager in London gelebt und warst vor deinem Wechsel zum HSV in St. Gallen zu Hause. 

London ist eine Mega-Stadt, eine riesige Metropole, die rund um die Uhr pulsiert und nicht mit den anderen Orten vergleichbar ist. Wenn ich Hamburg und Zürich miteinander vergleiche, dann gibt es schon viele Parallelen. Bei uns in Zürich gibt es südlich der Stadt angrenzend den Zürichsee, hier in Hamburg die Alster. Zudem gibt es ebenfalls schöne Architektur und auch die Verschmelzung zwischen Historie und Moderne kennzeichnet das Stadtbild. St. Gallen ist wiederum eine eher kleine und übersichtliche Stadt.  

Du hast London ange­sprochen: Im Jahr 2014 hast du mit 16 Jahren ein Angebot vom FC Chelsea erhalten und fortan statt deiner Aus­bildung zum Hochbau­zeichner voll auf die Karte Fuß­ball gesetzt. Wie leicht ist dir diese Entschei­dung gefallen? 

Einfach ist mir die Entschei­dung nicht gefallen. Ich habe sehr lang überlegt, da es viele Spieler probiert haben, in frühen Jahren nach England zu wechseln. Dabei gab es viele schlechte Bei­spiele, so dass ich über­legt habe, lieber beim FC Zürich in der ersten Mann­schaft anzu­greifen und mich dort Schritt für Schritt zu entwickeln. Schluss­endlich habe ich mir aber gedacht, dass ich es irgend­wann bereuen würde, diese Chance nicht ergriffen zu haben. 

Wie hast du deine Zeit beim FC Chelsea an­schließend erlebt?

Mit 16 Jahren allein dorthin zu ziehen, in einer Gast­familie zu leben und sich tagtäg­lich dem Kon­kurrenz­kampf zu stellen, ist sicher­lich nicht einfach gewesen. Besonders zu Beginn. Aber ich habe brutal viel gelernt. Sowohl auf dem Platz, wo ich viele gute Trainer hatte, als auch abseits davon, wo ich viel selbst­ständiger geworden bin. In London bin ich sozu­sagen erwachsen geworden. Rück­blickend kann ich sagen, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, weil ich eine Menge fürs Leben gelernt habe.   

Auf welche Komponenten wurde beim FC Chelsea in der fuß­bal­lerischen Aus­bildung besonders Wert gelegt? 

Ein großes Thema war die Winner-Mentalität. Zuvor hatte ich es oft so erlebt, dass es nicht in erster Linie ums Gewinnen, sondern ums Besser­werden geht. Doch das war beim FC Chelsea anders. Der Anspruch war stets, auch als Sieger vom Platz zu gehen. Ich denke, es ist wichtig, dass man so eine Einstel­lung auch in jungen Jahren entwickelt. Man muss lernen, alles für den Sieg zu investieren. Mir persönlich ist dieser Aspekt nicht schwer­gefal­len, da ich ohnehin ein sehr ehrgeiziger Spieler bin. Ich bin ein Kämpfer, der nie verlieren will. Schon als Kind war ich sehr anstrengend, was das angeht, habe auf Nieder­lagen in allen Bereichen aller­gisch reagiert. Mir hat die Heran­gehens­weise beim FC Chelsea also voll in die Karten gespielt.

Wie hast du den Konkurrenz­kampf in so einer renommierten Talent­schmiede wahrgenommen? 

Es gibt beim FC Chelsea eine Menge Talente, die alle ihren Traum jagen. Jeder bringt eine hohe Qualität mit, so dass der Konkurrenz­kampf schon extrem groß war. Am Ende bringt dich aber auch diese Konstel­lation weiter und bereitet dich auf den Profi­fußball vor. Es wird immer Konkurrenz­kampf geben und es macht dich nur besser, wenn du ihn auch an­nimmst. 

Und wie bist du damit umge­gangen, erstmals fernab deiner Heimat und Familie zu leben?      

Das war wie gesagt ein großer Schritt. Ich habe zum ersten Mal nicht mehr bei meinen Eltern gewohnt und musste mich sofort im Ausland zurecht­finden. Doch auch in London habe ich nette Leute kennen­gelernt, mit denen ich immer mal wieder auch privat etwas gemacht habe. Das Nach­wuchs­zentrum und unsere Unter­künfte lagen zwar rund eine Stunde von London entfernt, dennoch sind wir häufig in die City gefahren und haben dort etwas unter­nommen – sei es eine Runde Golf, Kino oder Essen­gehen. Mir ist es schon immer wichtig gewesen, auch eine gewisse Ablen­kung vom Fußball zu haben. Der Fuß­ball ist meine größte Leiden­schaft, aber es tut mir nicht gut, wenn ich nur den Fuß­ball habe.

Wann wurde diese Leiden­schaft eigentlich bei dir entfacht? Kannst du dich noch an deine ersten Berührungen mit dem runden Leder erinnern? 

(überlegt) Puh, ehrlich gesagt kaum. Ich habe auf jeden Fall sehr früh ange­fangen. Bereits mit fünf Jahren habe ich beim FC Zürich bei den „Pampers“ gespielt. Doch wie es genau dazu ge­kommen ist, das weiß ich nicht mehr. Weder meine Mutter noch mein Vater waren oder sind total fußball­verrückt. Ich glaube, ich habe einfach von klein auf ange­fangen, mit Bällen zu kicken, so dass ich beim FC Zürich im Verein gelandet bin. Irgend­wann als Teenager hat sich dann der Traum in mir entwickelt, dass ich Fuß­baller werden will. 

Was haben deine Eltern von dieser Träumerei gehalten?  

Sie haben mich in jedem Fall immer super unterstützt. Meine Eltern fanden es immer schön, dass ich etwas habe, dass mir Spaß und Freude bereitet. Dennoch war für sie auch immer klar, dass die schulische Aus­bildung ebenso wichtig ist und man zunächst beides unter einen Hut kriegen muss. 

2017 bist du zunächst als Leih­spieler zum FC Zürich und 2018 fest zum FC St. Gallen ge­wechselt. Wolltest du damals gezielt zurück in die Heimat? 

Mein primäres Ziel war es, in einer 1. Mann­schaft Profi­fußball zu spielen. Die Schweizer Liga war dafür genau das richtige Niveau. Ich wollte nicht zu früh einen zu großen Schritt machen. Während meiner Leihe zum FC Zürich habe ich für die 2. Mann­schaft in der 3. Liga Einsätze gesammelt und habe es bei den Profis, die damals in der 2. Liga ge­spielt haben, mehr­mals in den Kader geschafft. Rund ein Jahr später, nachdem ich zwischen­durch zum FC Chelsea zurück­gekehrt war, habe ich beim FC St. Gallen ein Probe­training absol­viert und dann hat es auch mit dem Wechsel zu einem Erst­ligisten und meinen ersten Erst­liga-Spielen ge­klappt.    

Im Sommer 2021 ging es nun mit dem Wechsel zum HSV erneut auf Reisen. Wie hast du diesen Wechsel wahrge­nommen?

Zunächst einmal war es wieder der nächste Schritt in meiner Karriere. Der Hamburger SV ist ein riesiger Verein mit großen Ambi­tionen. Die Möglich­keit, hier etwas Neues aufzu­bauen und ein Teil davon zu sein, hat mich sehr gereizt. Ich hatte gute Gespräche mit den Verant­wortlichen, die mich voll von diesem Weg über­zeugt haben. Dieses Mal ist der Wechsel ins Aus­land auch eine andere Situation für mich. Ich bin viel älter geworden, allein deshalb ist es schon nicht mehr das Gleiche wie damals. 

Wie fühlt sich dieser Schritt denn dieses Mal für dich an?  

Es ist vieles leichter, denn ich habe diese Situation bereits einmal erlebt. Ich weiß, was auf mich zukommen wird und kann aus meinen Erfahrungen, die ich beim FC Chelsea gesam­melt habe, schöpfen. Ich bin jetzt auch nicht allein hier oder wohne bei einer Gast­familie, sondern bin mit meiner Freundin nach Hamburg gezogen. Das ist eine große Hilfe und sorgt auto­matisch für eine andere Wohl­fühl­atmosphäre.    

Ist es für dich und auch euch als Paar in gewisser Weise das Schicksal eines Profi­fuß­ballers, dass du jetzt in den vergangenen drei Jahren an vier verschiedenen Orten gelebt hast und auch beim HSV nur auf Zeit unter Vertrag stehst? 

Ja. Wenn du Fußball­profi bist, dann musst du mit diesen Begleit­um­ständen leben und umzu­gehen lernen. Das ist manch­mal nicht einfach, aber es kann immer mal wieder passieren, dass dich dein Weg an andere Orte führt. Mir persön­lich fällt es nicht schwer, mich auf eine neue Umge­bung einzu­lassen, wenn­gleich ich es auch noch nicht so oft erlebt habe. Doch auch hier stelle ich fest, dass mir die Erfahrung von damals hilft, mich schnell auf Neues einzu­lassen.   

Zu Saison­beginn bist du beim HSV kaum zum Einsatz gekommen, da mit Tim Leibold ein starker Konkurrent auf deiner Position gesetzt war. Wie geduldig warst du zu dieser Zeit? 

Ich wusste, dass es als Neuer nicht auf Anhieb wie ge­schmiert laufen würde. Das funktioniert nicht mit einem Finger­schnips, sondern man muss sich rein­kämpfen. Das war mir bewusst. Ich bin in dieser Zeit einfach dran­ge­blieben und habe auf meine Chance gewartet. Jetzt habe ich sie bekommen und es kommt darauf an, dass ich gute Leistungen bringe und zeige, was ich kann.

Tim Leibold hat sich in Nürnberg das Kreuz­band gerissen. Eine Verletzung, die du leider nur allzu gut aus erster Hand kennst. Wie sehr hast du mit­gefühlt?

Tim ist ein guter Typ. In diesem Moment blendet man die Konkurrenz­situation aus. Zumal ich die Verletzung am eigenen Leib erfahren habe. Sowas ist extrem schlimm. Ich bin mir aber sicher, dass Tim stärker zurück­kommen wird. Bei mir war das damals auch so. Es ist wichtig, dass man in der Reha immer dran­bleibt und positiv bleibt.    

An­schließend bist du sozusagen ins kalte Wasser geschmissen worden, standest viermal in Serie in der Start­elf und hast jeweils über die volle Distanz gespielt. Wie hast du diese Um­stellung wahr­genommen?

Es war nicht einfach, sofort richtig rein­zu­kommen. Besonders am Anfang fehlte mir die Match-Fitness. Ich glaube, dass ich es aber von Spiel zu Spieler besser gemacht habe. Letzt­lich habe ich genau auf diese Chance gewartet, war mental bereit und wusste, dass ich einfach genug Spiel­minuten brauche, um auch so richtig anzu­kommen.    

Wie nimmst du dies­bezüg­lich die Qualität in der 2. Liga wahr? Zunächst hast du viel von außen beobachten können, jetzt hast du das Spiel­niveau selbst auf dem Platz erlebt. 

Die Qualität ist sehr gut und vor allem ausge­glichen, was auch die Tabelle wider­spiegelt, in der die Teams eng bei­sammen liegen. Der größte Unter­schied zur Schweizer Liga ist die Physis. In der 2. Bundes­liga geht es viel körperlicher zur Sache. Es gibt viele Zwei­kämpfe und sehr intensive Spiel­phasen. Genau daran musste ich mich zu Beginn auch gewöhnen.   

Wir haben anfangs über Architektur gesprochen. Wenn wir uns mal das Gerüst des HSV-Teams anschauen, was entsteht hier für ein Bauwerk?  

Ein modernes. Wir haben viele junge und talentierte Spieler, die zugleich in einem Konstrukt mit erfahrenen Spielern eingebaut sind. Zu Saison­beginn mussten wir uns mit vielen neuen Leuten und auch einem neuen Spiel­system noch etwas finden, aber wir sind auf einem guten Weg. 

Du sprichst das Spiel­system an. Hast du sowas in der Art schon­mal erlebt oder ist es auch für dich etwas komplett Neues? 

Nein, sowas habe ich noch nie erlebt. So frei und offensiv zu spielen, ist neu und macht riesigen Spaß. Wenn wir alle mit- und den Plan durch­ziehen, dann funktioniert es über­ragend. Mir gefällt dieser Spiel­stil, zumal ich persönlich auch viel Neues lernen kann.  

Abschließend: Was kann und muss noch besser werden? 

Wir haben noch viel, viel vor uns. Wir können das Spiel­system noch mehr verinner­lichen, uns in vielen Bereichen noch weiterent­wickeln. Besonders im Hinblick auf die Effizienz müssen wir noch besser werden. Wir spielen uns so viele Mög­lich­keiten heraus. Das ist ein positives Zeichen. Gegen Regens­burg und Ingol­stadt haben wir auch gezeigt, dass wir mehr Tore schießen können. Doch wir haben auch viele Spiele, in denen wir unsere Chancen zu wenig nutzen. Ich bin aber zu­ver­sichtlich, dass wir hier in den kommenden Monaten die nächsten Schritte machen werden.