Alphabet: Von Adler bis Zwoch, von Tor-Wächtern und Tor-Stürmern
Exakt 77 Namen umfasst aktuell die Liste der Spieler, die seit etwas mehr als einem Jahrhundert in mindestens einem Pflichtspiel das HSV-Tor hüteten. Erwartbar mit dabei: der für diesen Job allein schon namenstechnisch höchst prädestinierte Stefan Wächter (Foto ganz oben), der zwischen 2001 und 2007 in 64 Pflichtspielen die exklusive Position einnehmen durfte. Kurios hingegen das Fundstück unter dem Buchstaben „S“, wie Stürmer, Klaus (Foto links): Qua Personalausweis vorbestimmtes Einsatzgebiet eigentlich am anderen Spielfeldende, wo der Angreifer zwischen 1954 und 1961 an der Seite seines Kumpels Uwe Seeler seinem Auftrag mit 140 Pflichtspieltoren sehr erfolgreich nachkam. Im August 1961 jedoch, im Oberliga-Punktspiel gegen den SC Concordia, reüssierte er mit stylischer Schiebermütze auch als Kurzzeit-Torverhinderer.
Chronologie: Von Borck bis Johansson
Die Ahnenreihe der Schlussmänner eröffnete am 14. September 1919 ein Mann mit schillernder Biografie und einem für einen Premieren-Keeper absolut passenden Spitznamen: Der in Eimsbüttel geborene Walter Borck begann seine Fußballkarriere im Seniorenbereich im Jahr 1907 als 16-jähriger Torwart beim HSV-Vorgänger-Verein Hamburger FC von 1888, wo er wegen seines Alters anfangs „Baby“ genannt wurde. Während seines Medizinstudiums trat Borck von 1910 bis 1914 für den MTV München an, für den er Ende 1911 einmalig (beim 1:4 gegen Ungarn) sogar zu Nationalspieler-Ehren kam. Derart hochdekoriert und noch dazu mit einem Doktortitel im Gepäck kehrte er 1919 nach Stationen in Duisburg und Schwerin in seine Heimatstadt und zu seinem Stammverein zurück und verlebte beim 8:0-Sieg über die Wandsbeker Concordia einen ziemlich entspannten Sonntagnachmittag auf dem Sportplatz am Rothenbaum.
Eintagsflieger
Für 14 der 77 HSV-Schlussmänner blieb das Debüt auch ihr einziger Auftritt zwischen den HSV-Pfosten: Die gelernten „Handwerker“ Kling (1922), Bruno Jensen (1942), Löwe (1946), Dieter Wöbcke (Intertoto-Runde 1974, Foto oben) sowie in der Bundesliga Andreas Reinke (1991, Mitte) und Andreas Hirzel (2015, unten) hätten sich sicher mehr Einsätze erhofft.
Als nominelle Feldspieler und ausgebildete „Fußwerker“ hingegen begaben sich nur ausnahms- und aushilfsweise folgende Sportkameraden ins Tor: Hans Flohr (1921), Hans Noack (1940) sowie Helmut Tetzner (1946), alle drei jeweils aus Personalnot sogar in der Startelf! Aufgrund von Verletzungen bzw. der Hinausstellung des Stammtorhüters halfen während des Spiels einmalig aus: Jochenfritz Meinke (1955) und Klaus Stürmer (1961) in der Oberliga Nord, Willi Giesemann (1965) und Wolfgang Rolff (1985) in der Bundesliga sowie Heinz Gründel (1986) im DFB-Pokal.
Stammkräfte
Etwas mehr als zwei Torwart-Hände voll ist die Zahl der Keeper, die es auf über 100 HSV-Pflichtspiele brachten und allein schon deshalb Legenden-Status erreichten. Horst Schnoor ist dabei neben Manni Kaltz (744) und Uwe Seeler (587) einer von drei HSVern mit mehr als 500 Einsätzen in Punkt- oder Pokalspielen und führt damit die Top-Elf der Dreistelligen an. (s. Tabelle unten)
Unerreichbar wohl auch der Top-Wert, für den Walter Warning (Zeichnung) verantwortlich zeichnet: Der gebürtige Rostocker, der als Leichtathlet (Hamburger Jugendmeister im Hochsprung) und Hallballtorwart bei der SpVgg Polizei begonnen hatte, kam 1933, im Alter von 16 Jahren, zum HSV. Zwischen seinem Pflichtspiel-Debüt für die Liga-Mannschaft, dem 5:4-Sieg im Tschammer-(DFB)-Pokal-Erstrundenspiel bei Werder am 1. September 1935, und seinem „Abschiedsspiel“, dem 6:4-Heimsieg in der Oberliga Nord gegen den VfB Oldenburg am 22. April 1951, lagen genau 5712 Tage oder umgerechnet mehr als 15,5 Jahre!
Das Rennen um die Bestmarke für die meisten Punktspiele am Stück im HSV-Kasten ist denkbar knapp – und muss wegen Gleichstands durch Auszählen der in Serie absolvierten Spielminuten entschieden werden: Die längste ununterbrochene Einsatzzeit schaffte hiernach Uli Stein mit 128 Bundesliga-Partien und insgesamt 11.520 Spielminuten (5/1981-3/1985). Auch Frank Rost stand 128-mal in Folge im HSV-Bundesliga-Tor (1/2007 bis 10/2010), wurde während dieser Serie aber dreimal ausgewechselt. Beide Dauer-Einsätze endeten übrigens unfreiwillig und infolge von Verletzungen: Bei Stein nach einem heftigen Zusammenprall inkl. Gehirnerschütterung mit Bielefelds Siggi Reich, bei Rost mit einem Teilanriss des Außenbandes im Knie nach einem Foul von Bayerns Bastian Schweinsteiger.
Und nochmal Frank Rost: „Fäustel“ stellte 2008/09 den HSV-Rekord für die meisten Pflichtspiele binnen einer Saison auf, als er sage und schreibe 53-mal auflief und dabei 14-mal zu Null spielte. Auch dank Rosts Leistung kam der HSV in dieser Spielzeit in der Bundesliga auf Rang 5 sowie im DFB- und UEFA-Cup jeweils bis ins Halbfinale.
Wechselzone
Die Torwart-Position ist in der Regel keine, auf der permanent gewechselt wird. Konstanz ist wichtig, die Nummer 1 sollte – auch nach Patzern – das Vertrauen des Trainers spüren. In seinen bislang 102 abgeschlossenen Spielzeiten seit 1919 kam der HSV entsprechend schon 19-mal in den anliegenden Pflichtspielen mit nur einem Keeper aus, zuletzt 2008/09 mit Frank Rost. Wilhelm Blunk (1925/26, 1930/31 und 1931/32, siehe Zeichnung) und Uli Stein (1981/82, 1982/83 und 1985/86) gelang dabei jeweils dreimal das Kunststück, eine komplette Saison durchzuspielen.
Schwankende Leistungen, Verletzungen, Platzverweise oder Meinungsverschiedenheiten brachten die Torwart-Hierarchie beim HSV und damit auch die Aufstellungen jedoch in manchen Jahren auch mal gehörig durcheinander. Im 7,32 mal 2,44 Meter großen Gehäuse ging es dann zu wie im Taubenschlag: 1924/25 (Hans Martens, Walter Brauer, Adalbert Jäger, Wilhelm Blunk), 1987/88 (Uli Stein, Richard Golz, Mladen Pralija und Jupp Koitka) und zuletzt 2015/16 (René Adler, Andreas Hirzel, Jaroslav Drobny, Tom Mickel) stellten die HSV-Trainer gleich vier verschiedene Torhüter auf. Zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, als der Club froh war, überhaupt den Spielbetrieb aufrecht erhalten zu können, waren es teilweise noch mehr: 1939/40 fünf, 1942/43 sechs und 1941/42 sogar sieben verschiedene Schlussmänner.
In der laufenden Saison 2021/22 teilten sich beim HSV schon fünf verschiedene Torhüter die Kader-Plätze in Pflichtspielen auf: Daniel Heuer Fernandes und Marko Johansson kamen in der 2. Bundesliga und im DFB-Pokal zum Einsatz, Tom Mickel, Leo Oppermann und U19-Keeper Finn Böhmker (als Blitz-Backup Anfang November beim Punktspiel in Karlsruhe) saßen in dieser Saison auf der Bank.
Jungspunde und Routiniers
Erfahrung zählt zu den wichtigsten Skills im Repertoire eines Torhüters. „Oldies but Goldies“ finden sich deshalb viele auf dieser speziellen Position in den Altershitlisten. In der „ewigen Top Ten“ der Bundesliga beispielsweise sind es momentan sechs. Torwart-Methusalem ist Uli Stein (Foto oben), der bei seinem letzten Spiel in der Eliteklasse, am 11. April 1997 auf der Bielefelder Alm für die Arminia ausgerechnet (!) gegen seinen langjährigen Verein HSV, knapp 42,5 Lenze auf dem Tachometer hatte. Bei seinem 228. und letzten Bundesliga-Einsatz für den HSV, Anfang Mai 1995 in Leverkusen, war er 40,5 Jahre alt. Und die Rookies im HSV-Kasten? Reichlich milchgesichtig kam im September 1971 Rudi Kargus (Foto oben) daher. Nur 27 Tage nach seinem 19. Geburtstag debütierte er in der Bundesliga beim 1:1 in Braunschweig. Kein Profi-Keeper des HSV war jünger. Die ewige Grünschnabel-Bestmarke ist das allerdings längst nicht. Deren Inhaber ist seit dem 9. Januar 1927 ein gewisser Heinz Dorn, der beim 8:1-Auswärtserfolg beim Eimsbütteler TV seine Premiere in der Liga-Elf feierte, exakt zwei Wochen vor seinem 18. Geburtstag.
Schicke Garderobe
Mehr als 1000-mal stand sie schon, die hübsche HSV-Pflichtspiel-Null. 52 der bisher 77 HSV-Torhüter gelang es, ihren Kasten mindestens einmal sauber zuhalten. Die Spezialisten: Horst Schnoor mit 139 „Weißen Westen“. Sonnenklar, dass er mit diesem Fachwissen nach seiner Kicker-Karriere auch als Inhaber einer chemischen Reinigung erfolgreich war. Auch Richard Golz war ein echter „Saubermann“ und „Meister Proper“. Er hält den HSV-Bundesliga-Rekord mit 80 Spielen ohne Gegentreffer, darunter eines, in dem er gemeinsam mit Uli Stein die Null festhielt.
Eine Co-Produktion ist auch der bisherige Saisonrekord: 2005/06 bissen sich die gegnerischen Angreifer in Bundesliga, UI- und UEFA-Cup insgesamt 26-mal die Zähne an der HSV-Abwehr um Stefan Wächter (18 Zu-Null-Spiele) und Sascha Kirschstein (8) aus.
Unüberwindbar
Leverkusens Roman Geschlecht mit einem Kopfball-Aufsetzer aus elf Metern am 8. Oktober 1985 im Volkspark und Frankfurts Ralf Sievers per Rechtsschuss von der Strafraumgrenze am 3. Dezember 1985 im Waldstadion – zwischen diesen beiden Bundesliga-Treffern liegen exakt 602 Minuten bzw. mehr als zehn volle Stunden und sechs komplette HSV-Punktspiele gegen Uerdingen (3:0 A), Köln (0:0 H), Nürnberg (1:0 A), Düsseldorf (4:0 H), Mannheim (1:0 A) und Bochum (1:0 H), in denen Torwart Uli Stein (Foto) keinen einzigen Ball passieren ließ. Es ist die längste HSV-Serie ohne Gegentor. Pssst! Wir lauschen nochmal: Ticktackticktack … hört sich schön an, oder?
Killer
Absolute Musik in den Ohren der HSV-Fans auch das, was Rudi Kargus 1977 auf Vinyl pressen ließ: „Auch Elfmeter kann man halten!“ Und wie! Dem Gesang ließ der Torwart eindrucksvolle Taten folgen: Allein in der Bundesliga vereitelte er 29 von 76 Strafstößen, davon 16 im HSV-Trikot – ewiger Rekord! 23 dieser Schüsse parierte er aktiv, drei klatschten an den Pfosten, einer an die Latte, drei weitere hypnotisierte Kargus über seinen Kasten.
Legendär aber auch Rudis umjubelte Achtelfinal-Showdowns unter Flutlicht kurz vor Weihnachten 1973 auf Volksparkschnee im DFB-Pokal gegen Gladbach mit drei gehaltenen Borussen-Bällen im Elferschießen und knapp ein Jahr später im UEFA-Cup auf morastigem Geläuf im Dresdner Harbig-Stadion (Foto oben), als er einen Foulelfmeter gegen Claus Lichtenberger und dessen Wiederholung gegen Dixie Dörner (27.-30.) parierte und so den heißlaufenden Dynamo entscheidend ins Stocken brachte.
Keeper? Getter!
„Buttbuttbuttbuttbutt!“ … Ab September 1998, in seiner zweiten Saison im Rauten-Dress, war das die unmissverständliche Aufforderung für die Nummer 1 des HSV, schleunigst die Strafräume und die Rollen zu wechseln: vom Torverhinderer zum Torjäger. Und Jörg Butt lieferte. Mit Ausnahme zweier Fehlschüsse versenkte er stets nervenstark vom Elferpunkt: 19-mal in der Bundesliga, einmal im Liga-Pokal und einmal auch in der Champions League beim epischen 4:4 am 13. September 2000 gegen Juve. Ebenfalls denkwürdig: Am 22. Mai 1999 schnürte Butt als erster (und bis heute auch einziger) Bundesliga-Torwart einen Tor-Doppelpack (Foto). Ein Kunststück, das er nur drei Monate und drei Spieltage später an derselben Stelle gegen denselben Gegner (Stuttgarts Franz Wohlfahrt) wiederholte.
Vor Butt haben übrigens schon zwei andere HSV-Torhüter per Elfmeter ins gegnerische Netz getroffen, jeweils am Rothenbaum: Werner Schadly (im Dezember 1955 zum 4:0-Endstand im Halbfinale des NFV-Pokals gegen den FC St. Pauli) sowie Horst Schnoor gleich zweimal in der Oberliga Nord (im Februar 1959 zum 6:0-Endstand gegen Bremerhaven 93 und im März 1961 zum 1:0 beim 4:2 über den VfR Neumünster).
Kicker-Elite
Leistungsträger
Seit dem ersten Bundesliga-Spieltag werden die Aktionen der Profis kritisch begutachtet. Mit der Traumnote, einer „glatten Eins“, wurden seither 13 verschiedene HSV-Torhüter insgesamt 91-mal ausgezeichnet. Erster Primus war Horst Schnoor gleich beim historischen Ligastart im August 1963 in Münster. Als Oberstreber glänzte zudem Rudi Kargus, dem es vom 15. bis zum 18. Spieltag der Saison 1975/76 gelang, sensationelle viermal in Folge (!) die Bestnote zu erhalten. Die Bundesliga-Musterschüler des HSV auf der Torwartposition laut Zeugnis im „Sportmagazin“ bzw. „kicker“: Rudi Kargus (20 „Einser“), Uli Stein (18), Horst Schnoor (13), Richard Golz (12), Özcan Arkoc (11), René Adler (7) Jupp Koitka (4) sowie Jörg Butt, Gert Girschkowski, Uwe Hain, Christian Mathenia, Martin Pieckenhagen und Erhard „Tas“ Schwerin (je 1). In der 2. Bundesliga ergatterte bislang nur Daniel Heuer Fernandes eine 1,0 (am 1. Spieltag der laufenden Saison beim 3:1 auf Schalke).
Elf des Tages
Auch die imaginäre Traum-Mannschaft der besten Spieler einer Bundesliga-Runde ist fast schon so alt wie die Liga selbst. Am elften Spieltag der Saison wurde sie erstmals nominiert. Seither schafften es im HSV-Trikot 18 verschiedene Torhüter insgesamt 109-mal auf diesen illustren Platz zwischen den Pfosten und im Magazin-Layout. In der Bundesliga (1964-2018) waren das: Rudi Kargus (19 Nominierungen), Uli Stein (16), Richard Golz (14), René Adler (13), Jörg Butt (9), Özcan Arkoc und Frank Rost (je 6), Jupp Koitka und Martin Pieckenhagen (je 5), Jaroslav Drobny (3), Sascha Kirschstein (2) sowie Gert Girschkowski, Christian Mathenia, Julian Pollersbeck, Mladen Pralija und Horst Schnoor (je 1). In der 2. Bundesliga (seit 2018): Daniel Heuer Fernandes (4) und Sven Ulreich (2).
Männer des Tages
Es geht noch exklusiver: Zur Saison 1971/72 hob der „kicker“ zusätzlich zur Top-Elf auch noch einen Spieler pro Spieltag als „Mann des Tages“ aus der Taufe. Insgesamt achtmal bekam ein HSV-Torwart diesen „Ehrenplatz“ zugewiesen, erstmalig Rudi Kargus am 2. März 1974 mit einer herausragenden Partie beim 2:1-Auswärtssieg beim 1. FC Köln auf der Müngersdorfer Radrennbahn (siehe Ausriss). Alle Schlussmänner des Tages vom HSV: Rudi Kargus, Uli Stein und Richard Golz (je zweimal) sowie René Adler und Christian Mathenia (je einmal).