Am 22. Juli feiert HARRY BÄHRE seinen 80. Geburtstag. Als Profi mit der Lizenznummer 001 ist er auf ewig mit der Bundesliga-Geschichte und den Anfängen des Profitums verknüpft. Doch für den Mann, der auch als Unternehmer eine sehr erfolgreiche Karriere hinlegte, bedeutete der Fußball in erster Linie Spaß und Kameradschaft. In der HSVlive blickt der Jubilar noch einmal mit Freude, aber ohne Wehmut zurück auf 65 Jahre HSV-Mitgliedschaft und die alten Zeiten.
Kriegskind, Mottenburger Jung, Straßenfußballer
Die alten Zeiten waren nicht immer gut: Harry Bähre ist ein Kind des 2. Weltkriegs: Als er das Licht der Welt erblickte, hatte der schreckliche Weltenbrand durch den Angriff der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion gerade eine neue Dimension erreicht. Unmittelbar nach seinem zweiten Geburtstag starteten britische und US-amerikanische Bomberverbände ihre „Operation Gomorrha“ und entfachten einen beispiellosen Feuersturm, der große Teile seiner Heimatstadt verwüstete. Der Vater kehrte als Soldat nicht wieder heim, Mutter Lina brachte seine vier Geschwister und den lütten Harry, das Nesthäkchen, allein durch schwere Zeiten. Ich bin ein „Mottenburger“, sagt Harry Bähre noch heute mit Stolz von sich. Für die Herkunft des seit den 1870er Jahren gebräuchlichen Spitznamens des Hamburger Stadtteils Ottensen, in dem Bähre aufwuchs, gibt es diverse Deutungen. Eine davon bezieht sich auf die einst hier ansässigen Glas¬bläsereien und andere Betriebe. Berufskrankheiten der Arbeiter und die ungesunden Wohnverhältnisse führten häufig zu Tuberkulose. Die Lunge wurde „wie von Motten zerfressen“. Nicht jedoch die von Harry Bähre. Das rotblonde Energiebündel hatte Luft für mehr als zwei Halbzeiten und begann im Alter von acht Jahren organisiert Fußball zu spielen. Sein Heimatverein war der Ottensen 07, der Anfang der 1950er-Jahre mit den ambitionierten Betriebssportlern des norddeutschen Textilhauses Peter Holm, genannt „Betten-Holm“, zum FC Grün-Weiß 07 Hamburg fusionierte. Für Holm arbeiteten und kickten Vorbilder wie Weltmeister und „Held von Bern“ Jupp Posipal und Dieter Seeler vom HSV oder Alfred „Coppy“ Beck vom FC St. Pauli.
Begeisterte Straßenkicker und Freunde fürs Leben: Beim FC Lessing bufften mit Bernd Dörfel (l.), Hubert Stapelfeldt (2.v.l.), Jürgen Wähling (4.v.l.), Gert Dörfel (Mitte), Harry Bähre (4.v.r.) und Heiko Kurth (r.) u.a. sechs spätere Bundesliga-Spieler.
Mit dem Anschauungsunterricht und den Übungseinheiten im Verein war Harry aber lange nicht ausgelastet. Nach der Schule hieß es deshalb oft sofort: „Ruck zuck övern Zaun!“ – Rumbuttschern, Äppelklaun (am liebsten im Hinterhof der nahegelegenen Polizeiwache, wo die schönsten Früchte wuchsen) und natürlich Kicken bis zum Umfallen in den damals noch wenig befahrenen Altonaer Straßen. Zusammen mit dem drei Monate älteren Kumpel Hubert Stapelfeldt führte er das Team von der „Kreuzkirche“ an, deren Wege sich oft und gern mit den Jungs von der (Max-Brauer-)„Allee“ um die Brüder Charly und Bernd Dörfel kreuzten. Gemeinsam gründeten sie den Straßenfußballklub „FC Lessing“, für den der nahegelegene Lessing-Tunnel Namenspate stand – Freundschaften fürs Leben. Neben den Dörfels, Bähre und Stapelfeldt kamen mit Heiko Kurth sowie Jürgen Wähling allein sechs Spieler vom FC Lessing zu Bundesliga-Ehren. Auch Kalle Bergmann zählte zur Truppe. Legendär der Auftritt der Altonaer Straßenkicker im Jahr 1957, als 3000 (!) Zuschauer auf dem Sportplatz am Veilchenweg den 3:1-Sieg über die Elf vom Eimsbütteler Grandweg verfolgten.
Mit Bockwurst und Fassbrause zum HSV
Stapelfeldt war es auch, der Bähre zum HSV lotste. Wann war das? Wir wollen es ganz genau wissen und lassen den Jubilar seinen Mitgliedsausweis hervorkramen: Eintrittsdatum: „1. Juli 1956. Die noch vierstellige Mitgliedsnummer: 1030. – Da bin ich ein bisschen sauer drüber“, witzelt Bähre, der spätere Bundesliga-Spieler Nr. 001. „Hubert war schon 1955 von Ottensen 93 zur HSV-Jugend gegangen und schwärmte mir immer vor.“ So richtig lecker machte den Vereinswechsel aber schließlich HSV-Betreuer Herbert Wegener: „Von dem gab es einmal im Jahr neue Fußballschuhe. Dazu nach jedem Spiel Bockwurst und Fassbrause und eine Mark Fahrgeld. Für einen 15-Jährigen damals der Himmel auf Erden. Teile des Fahrgelds, den Groschen für die Straßenbahn, habe ich mir dabei gespart. Ich bin damals immer von unserer Wohnung in Altona zum Bahnhof Schlump gejoggt. Ich sah das als Training. Das Geld investierte ich für die Kinovorstellung am Sonnabend, die kostete 50 Pfennig.“
Knackige Ablöse: Nach jedem Spiel eine Bockwurst.
Über die B-Jugend und zwei Jahre bei der A-Jugend („Jungmannen“) kam Harry Bähre 1959 zu den HSV-Amateuren. Die Nähe zu den Stars der Liga-Mannschaft war zwar gegeben, der Weg in die erfolgreiche Oberliga-Elf aber trotzdem weit. Nur wenigen aus dem Nachwuchs gelang damals der Sprung nach ganz oben. „Anfangs war es eher so, dass Jungspunde die Balljungen für Uwe Seeler, Jürgen Werner, Jochen Meinke, Horst Schnoor & Co. waren“, erinnert sich Bähre. „Bei jedem Training der ersten Mannschaft postierten wir uns hinter dem Tor, in der Hoffnung unsere Idole würden daneben schießen. Dann fischten wir die Bälle aus den Gebüschen und hatten einen guten Grund zu ihnen zu gehen. Wir konnten kurz schnacken oder uns ein neues Autogramm für unser Album ergattern.“
Doch schon als A-Jugendlicher und später als Amateur war Bähre mittendrin und nicht nur dabei, durfte die Bälle nicht nur holen, sondern auch flanken, passen und verwerten. In der Meistersaison 1959/60 trainierte er regelmäßig bei den „Großen“ mit. „Mein Respekt war anfangs so groß, dass ich die Spieler gesiezt habe. Bis Uwe Seeler und Jürgen Werner sagten, ich solle endlich ,Du‘ sagen.“ Zum Endspiel gegen Köln war für Bähre allerdings kein Platz im HSV-Tross. Die Delegationen waren anders als heute sehr überschaubar. Außer den Elf, die spielen sollten, vielleicht noch zwei Ersatzleute, für alle Fälle. Spielerwechsel wurden erst 1967 eingeführt. Bähre war trotzdem beim Finale 1960 mit dabei. Als Fan. „Ich bin damals per Anhalter nach Frankfurt.“
Debüt 1: In der Oberliga gegen Holstein
Einstand nach Maß: Im Oberliga-Spiel gegen Kiel erzielte Harry Bähre (Foto: im Duell mit Holstein-Läufer Klaus-Hinrich „Bonzo“ Jess) das goldene Tor zum 1:0-Sieg.
Der erste Einsatz in der Liga-Mannschaft sollte aber alsbald folgen. Eine kuriose, immer wieder gern erzählte Geschichte, bei der Bähre wieder Fahrgeld sparte, diesmal allerdings unfreiwillig.
19. Oktober 1960, ein Mittwoch. Für den späten Nachmittag war das Oberliga-Spiel gegen Holstein Kiel angesetzt. Uwe Seeler und Charly Dörfel mit der Nationalmannschaft unterwegs – die Chance für den jungen Halbstürmer aus dem Nachwuchs. Harry Bähre erinnert sich: „Ich war 19 Jahre alt und absolvierte eine Lehre als Lithograf in der Hamburger Innenstadt, in der Neuen ABC-Straße, direkt am Gänsemarkt. Morgens erfuhr ich, dass ich spielen sollte. Anstoß war um 17 Uhr am Rothenbaum. Blöd war nur, dass ich erst um 17 Uhr Feierabend hatte. Mein Chef ließ nicht mit sich reden, denn er interessierte sich überhaupt nicht für Fußball. Also machte ich die Mittagspause durch und verschwand um kurz nach halb fünf aus dem Büro. Ich war dennoch zu spät. An der Haltestelle sah ich noch die Straßenbahn abfahren. Also Plan B: Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte los. Drei Kilometer bis zum Rothenbaum, mit den Buffern unterm Arm. Ich kam völlig verschwitzt an. Nun musste ich aber erstmal reinkommen. Am Spielereingang stand ein Ordner, der mich fragte: ,Was willst Du denn hier?‘ Ich antwortete: ,Ich soll hier jetzt mitspielen.‘ Der Ordner grinste nur und sagte: ,Das sagen sie alle.‘ Zum Glück kam genau in diesem Moment mein Trainer Günter Mahlmann um die Ecke, schrie: ,Wo kommst Du denn her? Schweinerei!‘ und zog mich dann in die Kabine.“
Bähre lief also quasi direkt vom Gänsemarkt aufs Spielfeld. Warmgemacht hatte er sich ja unterwegs schon. Was so holperig begann, endete phänomenal: In der 55. Minute erzielte Debütant Bähre per Schlenzer den 1:0-Siegtreffer. Das Abendblatt feierte den Amateurspieler: „Nicht deshalb, weil er das siegbringende Tor mit einer bemerkenswerten Kaltblütigkeit erzielte, sondern weil alles, was er machte, Hand und Fuß hatte.“ Das Sahnehäubchen: „Nach dem Spiel kam Mahlmann zu mir und drückte mir was in die Faust. Als ich meine Hand öffnete, sah ich einen 50-Mark-Schein. ,Nicht weitererzählen‘, zwinkerte mir Mahlmann zu. Als Lehrling bekam ich damals zwischen 30 und 40 Mark – im Monat! Nun einen Fuffi als Torprämie. Ich war Onassis Sohn!“
Lizenzspieler 001
Nach knapp sechs Jahrzehnten hat Harry Bähre die Zahlen noch gut im Kopf: Sein erster Zwei-Jahresvertrag als Bundesliga-Spieler, datiert vom 20. Juni 1963, sah ein Grundgehalt von 500 DM vor. Dazu eine Leistungszulage von 50 DM pro Einsatz. Grundsalär und Zulage durften im Jahresdurchschnitt nicht mehr als 1.200 DM monatlich betragen. So die offizielle Version. Inoffiziell dank üppiger Prämien und Sonderzahlungen – „Man kann es heute ja sagen, ist alles verjährt.“ – gab es jedoch ein Vielfaches. Als Siegprämie winkten 250 Mark, bei einer ausbleibenden Nominierung wurde der Spieler immerhin noch mit 30 Mark entschädigt. „Pro Mann und Spiel gab es immer 100 bis 500 Mark direkt dazu“, verrät Bähre und rechnet vor: „Ein sehr gut bezahlter Angestellter kam damals vielleicht auf 300 bis 400 DM, ein VW kostete 3.000 DM. Wir waren also schon sehr weit oben, kann man sagen.“
Bundesliga-Salär anno 1963: Nicht mehr als 1.200 DM – offiziell.
Eine andere Zahl ist in Zusammenhang mit der Bundesliga ohnehin unvergesslich, ja schon zu Harry Bähres Beinamen geworden. Verwunderlich eigentlich, dass sie nicht in seinen Ausweisdokumenten zu finden ist. Gemeint ist seine Lizenzspielernummer 001. Zu der kam Bähre, weil der HSV bei der Einführung Profi-Spielklasse im Jahr 1963 der erste Klub war, der eine Lizenz für die neue Spielklasse beantragte und erhielt. Die Spielerpässe wurden entsprechend des Alphabets durchnummeriert. Und da es im damaligen HSV-Kader keinen Spieler gab, dessen Nachname mit dem Anfangsbuchstaben „A“ begann, war Harry Bähre derjenige, der den Pass mit der legendären Nummer 001 bekam und somit laut DFB-Unterlagen offiziell der erste Bundesliga-Spieler ist. „Uwe Seeler zog ich damit ein wenig auf, weil ich endlich mal vor ihm stand“, schmunzelt Bähre. Doch Charly Dörfel, der Schelm und alte Kumpel aus Straßenfußball-Tagen, flachste: „Harry, Du bist zwar 001, doch ich bin 007!“ Erst viel später fand Bähre heraus, dass das gar nicht stimmte: „Charly bekam nach Fritz Boyens, Hoddl Dehn und seinem Bruder Bernd die Nummer 005.“ Der Spieler mit der berühmten Kennung des britischen Geheimagenten und Kino-Helden dürfte dementsprechend Torhüter Hans Krämer gewesen sein.
Debüt 2: In der Bundesliga gegen Hertha
Eins mit Stern: Bei seinem Bundesliga-Debüt erspielte sich Harry Bähre als rechter Läufer die Bestnote.
Zum Einsatz kam die 001 aber erst in HSV-Bundesliga-Spiel Nummer 6. Bei der historischen Premiere am 24. August 1963 in Münster stand Bähre noch nicht im Aufgebot, konnte diesmal aber immerhin im Mannschaftsbus mitfahren. Unvergessliche Eindrücke: „Das Stadion war rappelvoll. Wir Spieler, die zusätzlich mitdurften, standen ganz oben auf einem Schutthaufen und schauten uns das Spiel an.“ Am 5. August durfte dann auch Bähre den Bundesliga-Rasen betreten, im heimischen Volkspark gegen die Berliner Hertha. Und wie schon bei seinem Oberliga-Debüt drei Jahre zuvor, gelang ihm ein Traum-Einstand. Das Fachblatt Sportmagazin bewertete seine Leistung beim fulminant herausgespielten 5:1-Erfolg mit einer glatten „1“ und begründete das im Spielbericht wie folgt: „Höchstes Lob neben Uwe Seeler und Dörfel gebührt vor allem Bähre als Seitenläufer, der mit herrlichen Lang- und Kreuzpässen aus der Tiefe das HSV-Spiel ungemein befruchtet.“
Vom Regisseur zum Terrier
Die Idee und Anweisung kam von Georg Gawliczek, dem HSV-Cheftrainer von 1964 bis April 1966.
Statt selbst das eigene Spiel zu gestalten, sollte Bähre fortan den gegnerischen Spielmachern auf den Füßen stehen. „Ich war ein Techniker, ich wollte Fußball spielen, nicht treten, aber weil ich ein Teamplayer war, fügte ich mich“, sagt Bähre und nimmt die korrekte historische Einordnung seiner Spielweise selbst vor. „Gawliczek hat mich zum Terrier ab-, nein, ich würde sagen, hingerichtet.“ Andererseits: Auch in der Rolle des Manndeckers und Zerstörers wusste der laufstarke Bähre durchaus zu glänzen. Und die Spiele gegen die Netzers, Konietzkas und Siemensmeyers, die vom Hamburger „Wadenbeißer“ aggressiv, konsequent und meistens mit großem Erfolg bewacht wurden, sind noch in bester Erinnerung. „Ich habe mich für die Mannschaft geopfert. Gegen mich hat selten mal einer ein Tor geschossen.“ Sein bester Gegenspieler? Bähre muss nicht lange überlegen: „Wolfgang Overath – wie der gespielt, aber auch geackert und eine Mannschaft gepusht hat – sensationell, das hat mir sehr imponiert.“
Angesichts der Defensiv-Aufgaben hat es zu eigenen Toren für Bähre dann nur noch selten gereicht: In der Bundesliga stehen zwei zu Buche: im Februar 1964 zum 1:0 beim 2:1-Auswärtssieg im Berliner Olympiastadion gegen Lieblingsgegner Hertha sowie im April 1965 zum 2:1-Erfolg vor heimischer Kulisse im Volksparkstadion gegen den 1. FC Nürnberg.
Elegant und rustikal: Bundesliga-Spieler Bähre 1964 beim Ballett mit Herthas Lutz Steinert (Foto links) und beim eingesprungen Tackling gegen Kölns Hannes Löhr (Foto rechts).
Der Auswahlspieler
Die Leistungen im HSV-Trikot qualifizierten Harry Bähre schon früh zu höheren Weihen. Als Amateur gewann er mit der Hamburger Auswahl 1961 den Länderpokal. Unter Verbandstrainer Martin Wilke, der 1962 auch sein Übungsleiter beim HSV wurde, agierte Bähre dabei als spielstarker Regisseur mit der Nummer 10, nachträglich zu bewundern in der ARD-Retro-Mediathek. Den knappen 2:1-Finalsieg gegen Schleswig-Holstein im Victoria-Stadion auf der Hoheluft verfolgten live vor Ort auch Bundestrainer Sepp Herberger und sein Assistent Helmut Schön. Bähre hatte sich nicht nur in Herbergers berühmtes Notiz-, sondern auch in dessen Adressbuch gespielt und bekam fortan regelmäßig Post vom 54er-Weltmeister und mehrfach auch Einladungen zu Länderspielen.
Doch sein HSV-Trainer Günter Mahlmann erklärte seinem Schützling: „Das schaffst du nicht. Ich habe schon für dich abgesagt.“ Der Hintergrund: Der HSV stellte Anfang der 60er-Jahre fünf deutsche A-Nationalspieler, mehr hielt Mahlmann für überflüssig – und Bähre zudem noch für zu jung. Heute sagt Bähre ohne Groll: „Klar war ich traurig und sauer. Ich habe Mahlmann nach meiner Karriere auch mal richtig Feuer gegeben, und er hat sich entschuldigt. Aber was sollten wir damals machen? Wir waren alle brave Jungs.“
Später sorgten einige Verletzungen zur Unzeit dafür, dass es Bähre für Deutschland „nur“ auf ein Amateurländerspiel brachte. Noch im März 1964 schrieb Herberger: „Lieber Harry Bähre, aus unserer zuletzt in Kaiserau geführten Unterhaltung ist Ihnen bekannt, daß sie aufgrund Ihrer in jenen Wochen gezeigten Leistung zum Kreis unserer Nationalmannschaft gehören. Nur Ihre damalige Verletzung war schuld, daß Ihre Berufung zum Länderspiel unterblieben ist. Ich hoffe, daß Sie jetzt wieder bei bester Gesundheit sind und möchte Sie mit diesen Zeilen erneut wissen lassen, daß bei guten Leistungen ein Platz in der Nationalmannschaft auf sie wartet.“
Der Kleinste ganz groß: Harry Bähre und die Hamburger Amateur-Auswahl, Länderpokal-Sieger 1961. Hinten (v.l.): Verbandssportlehrer Wilke, Schmidt (Paloma), Sonnemann (Sperber), Winter (Victoria), Neudorf (HTB), Bähre (HSV), Warszta (Wilhelmsburg 09), Spielausschussvorsitzender Hacke. Vorn (v.l.): Lewandowski (HTB), Schröder (Victoria), Torwart Krakow (Victoria), Usko (HTN) und Brauer (Victoria).
Fleißiger und erfolgreicher Geschäftsmann, zufriedener Privatier
1963 unterzeichnete Harry Bähre beim HSV zwar einen Vertrag als Vollprofi, seinen unternehmerischen Drang drosselte er deswegen aber keineswegs. „Ich wollte mir immer eine berufliche Perspektive außerhalb des Fußballs aufbauen und sichern“, erinnert sich Bähre. Als selbständiger Handelsvertreter teilte er sich seine Zeit wohlorganisiert zwischen Trainings, Spiel- und geschäftlichen Terminen auf. „Während die anderen Karten kloppten, habe ich gearbeitet.“ Bähres Fleiß zahlte sich aus: Der gelernte Chemigraf legte als Inhaber eines mittelständischen Unternehmens im Bereich Offset-Reproduktionstechniken eine Erfolgstory hin. Als anerkannter Lithograph arbeitete er u.a. für die renommierten Künstler wie Paul Wunderlich (1927-2010) und vor allem Horst Janssen (1929-1995). Letzterer zählte zudem zu Bähres engsten Freunden. Oft diskutierten und philosophierten beide nächtelang über den HSV. Kunstfreund Bähre besitzt eine große Janssen-Sammlung und erinnert sich lachend an dessen spezielle Art, ihm zu guter Arbeit zu gratulieren: Sieht aus wie Pisse im Schnee.“
Großer Künstler, guter Geschäftspartner, enger Freund: Horst Janssen (Selbstporträt).
1996 übergab Bähre die Firma an seine Mitarbeiter. „Mein Ziel war es früher immer, mit 55 aufzuhören. Das habe ich geschafft. Ich bin seit 25 Jahren ein sehr zufriedener Privatier.“ Eine kleine Ausnahme macht Bähre dabei aber noch immer für seinen Ex-Mitspieler Uwe Seeler („Ein sensationeller Typ. Ich bin nach wie vor ein Riesenfan von Uwe“), indem er regelmäßig über Freunde und ehemalige Geschäftspartner den Nachschub-Druck für dessen hochwertige und noch immer sehr gefragten Autogrammkarten organisiert.
Multifunktionaler und treuer HSVer
Seitenwechsel: Harry Bähre 1970 als HSV-Amateurtrainer mit den Talenten Wolfgang Kampf und Hans-Peter Gummlich (v.r.).
Dem HSV ist Harry Bähre in den 65 Jahren seiner Vereinsmitgliedschaft stets treu und wohlwollend verbunden geblieben. Zum Karriereende wechselte er von 1967 bis 1970 zwar noch einmal die Farben, trug dabei aber auch weiter einen HSV-Dress: den aus Barmbek-Uhlenhorst in der damals zweitklassigen Regionalliga Nord. Anschließend kehrte er als (Spieler-)Trainer zu den Amateuren und in den Jugendbereich zum HSV zurück.
Bähre betont: „Ich nehme für mich in Anspruch, dass wohl kein ehemaliger Profi so viele Ämter wie ich in seinem Verein bekleidet hat.“ Wohlgemerkt Ehrenämter. „Ich nahm nie einen Pfennig, Geld habe ich nur in meinem Beruf verdient.“ Bähre, der beim HSV viel Gutes erfahren und eine „ganz tolle Zeit“ erlebt hat, zahlte gerne zurück. Er diente dem HSV u.a. als Mitglied des Vorstandes, Jugend-, Amateur- und Bundesliga-Co-Trainer (unter Claus-Dieter Ochs), Scout, Rechnungsprüfer und war allein zwölf Jahre als Manager der HSV-Altliga tätig, für die er unvergessliche Reisen rund um den ganzen Globus organisierte.
Ehrenmitglied Bähre eröffnete im Jahr 2006 gemeinsam mit Charly Dörfel, Manni Kaltz, Peter Nogly, Hermann Rieger und Willi Schulz den mittlerweile rund 50 Vereinslegenden umfassenden Walk of Fame rund um den großen Uwe-Seeler-Fuß an der Nord-Ost-Ecke des Volksparkstadions.
Seinem HSV wünscht er endlich Kontinuität in der Führungsebene. „Die vielen Wechsel waren katastrophal, es wurden immer wieder nur die falschen Leute geholt, keine Fußball-Experten. Die meisten Vorstände kamen nur zum HSV, um sich die Taschen vollzustopfen. Grausam. Das waren ganz schlimme Jahre, die wir da mitmachen mussten, und die den Verein dorthin gebracht haben, wo er heute steht. In die Zweitklassigkeit.“ In die Zukunft blickt Bähre verhalten hoffnungsfroh: „Ich freue mich darüber, dass sich Fußballer wie Marcell Jansen und Bernd Wehmeyer zur Verfügung stellen. Endlich mal Leute vom Fach. Ich traue den beiden und Michael Papenfuß zu, dass sie Ruhe in unseren HSV bringen, dass auch die Störenfriede aufgeben oder abserviert werden.“
Eher entspannte Ruhe statt den großen Rummel wünscht sich Bähre zu seinem Geburtstag. Schon zum 70. flüchtete er aus Hamburg, damals nach Mallorca. Und auch zum aktuellen runden Jubeltag haut er lieber ab und feiert mit seinen Liebsten in der Toskana. „Wenn du 100 Leute einlädst und eine Riesen-Party veranstaltest, dann sind 200 sauer, dass sie nicht auf der Gästeliste stehen. Das brauche ich nicht. Ich treffe meine Freunde dann lieber einzeln, in kleinem Kreis.“ So hofft Harry Bähre auf ein rasches Ende der Pandemie-Einschränkungen und damit verbunden wieder viele persönliche Begegnungen. Auch bei Spielen des HSV im Volksparkstadion mit den alten Mitspielern und Vereinskameraden. Die Fassbrause ist inzwischen längst durch ein frisch gezapftes Pils ersetzt, die knackige Bockwurst gibt’s noch immer. Bähre lacht: „Eigentlich stört dann manchmal nur der Fußball.“