Am 22. Juli feiert HARRY BÄHRE seinen 80. Geburtstag. Als Profi mit der Lizenznummer 001 ist er auf ewig mit der Bundesliga-Geschichte und den Anfängen des Profitums verknüpft. Doch für den Mann, der auch als Unternehmer eine sehr erfolgreiche Karriere hinlegte, bedeutete der Fußball in erster Linie Spaß und Kameradschaft. In der HSVlive blickt der Jubilar noch einmal mit Freude, aber ohne Wehmut zurück auf 65 Jahre HSV-Mitgliedschaft und die alten Zeiten.

Kriegs­kind, Motten­burger Jung, Straßen­fußballer

Die alten Zeiten waren nicht immer gut: Harry Bähre ist ein Kind des 2. Weltkriegs: Als er das Licht der Welt erblickte, hatte der schreck­liche Welten­brand durch den Angriff der deutschen Wehr­macht auf die Sowjetunion gerade eine neue Dimension erreicht. Unmittelbar nach seinem zweiten Geburtstag starteten britische und US-amerikanische Bomberverbände ihre „Operation Gomorrha“ und entfachten einen beispiel­losen Feuer­sturm, der große Teile seiner Heimat­stadt verwüstete. Der Vater kehrte als Soldat nicht wieder heim, Mutter Lina brachte seine vier Geschwister und den lütten Harry, das Nest­häkchen, allein durch schwere Zeiten. Ich bin ein „Motten­burger“, sagt Harry Bähre noch heute mit Stolz von sich. Für die Herkunft des seit den 1870er Jahren gebräuch­lichen Spitz­namens des Hamburger Stadt­teils Ottensen, in dem Bähre aufwuchs, gibt es diverse Deutungen. Eine davon bezieht sich auf die einst hier ansässigen Glas¬bläsereien und andere Betriebe. Berufskrankheiten der Arbeiter und die ungesunden Wohn­verhältnisse führten häufig zu Tuberkulose. Die Lunge wurde „wie von Motten zerfressen“. Nicht jedoch die von Harry Bähre. Das rotblonde Energie­bündel hatte Luft für mehr als zwei Halb­zeiten und begann im Alter von acht Jahren organisiert Fußball zu spielen. Sein Heimat­verein war der Ottensen 07, der Anfang der 1950er-Jahre mit den ambitionierten Betriebs­sportlern des norddeutschen Textil­hauses Peter Holm, genannt „Betten-Holm“, zum FC Grün-Weiß 07 Hamburg fusionierte. Für Holm arbeiteten und kickten Vorbilder wie Welt­meister und „Held von Bern“ Jupp Posipal und Dieter Seeler vom HSV oder Alfred „Coppy“ Beck vom FC St. Pauli.

Begeisterte Straßen­kicker und Freunde fürs Leben: Beim FC Lessing bufften mit Bernd Dörfel (l.), Hubert Stapel­feldt (2.v.l.), Jürgen Wähling (4.v.l.), Gert Dörfel (Mitte), Harry Bähre (4.v.r.) und Heiko Kurth (r.) u.a. sechs spätere Bundes­liga-Spieler.

Mit dem Anschau­ungs­unterricht und den Übungs­einheiten im Verein war Harry aber lange nicht ausgelastet. Nach der Schule hieß es deshalb oft sofort: „Ruck zuck övern Zaun!“ – Rumbuttschern, Äppelklaun (am liebsten im Hinterhof der nahegelegenen Polizei­wache, wo die schönsten Früchte wuchsen) und natürlich Kicken bis zum Umfallen in den damals noch wenig befahrenen Altonaer Straßen. Zusammen mit dem drei Monate älteren Kumpel Hubert Stapel­feldt führte er das Team von der „Kreuz­kirche“ an, deren Wege sich oft und gern mit den Jungs von der (Max-Brauer-)„Allee“ um die Brüder Charly und Bernd Dörfel kreuzten. Gemein­sam gründeten sie den Straßen­fußball­klub „FC Lessing“, für den der nahe­gelegene Lessing-Tunnel Namens­pate stand – Freund­schaften fürs Leben. Neben den Dörfels, Bähre und Stapelfeldt kamen mit Heiko Kurth sowie Jürgen Wähling allein sechs Spieler vom FC Lessing zu Bundesliga-Ehren. Auch Kalle Berg­mann zählte zur Truppe. Legendär der Auftritt der Altonaer Straßen­kicker im Jahr 1957, als 3000 (!) Zuschauer auf dem Sport­platz am Veilchen­weg den 3:1-Sieg über die Elf vom Eims­bütteler Grand­weg verfolgten.

Mit Bock­wurst und Fass­brause zum HSV

Stapel­feldt war es auch, der Bähre zum HSV lotste. Wann war das? Wir wollen es ganz genau wissen und lassen den Jubilar seinen Mitglieds­ausweis hervorkramen: Eintritts­datum: „1. Juli 1956. Die noch vier­stellige Mitglieds­nummer: 1030. – Da bin ich ein bisschen sauer drüber“, witzelt Bähre, der spätere Bundesliga-Spieler Nr. 001. „Hubert war schon 1955 von Ottensen 93 zur HSV-Jugend gegangen und schwärmte mir immer vor.“ So richtig lecker machte den Vereins­wechsel aber schließlich HSV-Betreuer Herbert Wegener: „Von dem gab es einmal im Jahr neue Fußball­schuhe. Dazu nach jedem Spiel Bock­wurst und Fass­brause und eine Mark Fahr­geld. Für einen 15-Jährigen damals der Himmel auf Erden. Teile des Fahrgelds, den Groschen für die Straßen­bahn, habe ich mir dabei gespart. Ich bin damals immer von unserer Wohnung in Altona zum Bahn­hof Schlump gejoggt. Ich sah das als Training. Das Geld investierte ich für die Kino­vorstellung am Sonnabend, die kostete 50 Pfennig.“

Knackige Ablöse: Nach jedem Spiel eine Bockwurst.

Über die B-Jugend und zwei Jahre bei der A-Jugend („Jung­mannen“) kam Harry Bähre 1959 zu den HSV-Amateuren. Die Nähe zu den Stars der Liga-Mannschaft war zwar gegeben, der Weg in die erfolgreiche Oberliga-Elf aber trotzdem weit. Nur wenigen aus dem Nach­wuchs gelang damals der Sprung nach ganz oben. „Anfangs war es eher so, dass Jungspunde die Ball­jungen für Uwe Seeler, Jürgen Werner, Jochen Meinke, Horst Schnoor & Co. waren“, erinnert sich Bähre. „Bei jedem Training der ersten Mann­schaft postierten wir uns hinter dem Tor, in der Hoffnung unsere Idole würden daneben schießen. Dann fischten wir die Bälle aus den Gebüschen und hatten einen guten Grund zu ihnen zu gehen. Wir konnten kurz schnacken oder uns ein neues Auto­gramm für unser Album ergattern.“ 

Doch schon als A-Jugendlicher und später als Amateur war Bähre mitten­drin und nicht nur dabei, durfte die Bälle nicht nur holen, sondern auch flanken, passen und verwerten. In der Meister­saison 1959/60 trainierte er regel­mäßig bei den „Großen“ mit. „Mein Respekt war anfangs so groß, dass ich die Spieler gesiezt habe. Bis Uwe Seeler und Jürgen Werner sagten, ich solle endlich ,Du‘ sagen.“ Zum Endspiel gegen Köln war für Bähre aller­dings kein Platz im HSV-Tross. Die Dele­gationen waren anders als heute sehr überschaubar. Außer den Elf, die spielen sollten, vielleicht noch zwei Ersatz­leute, für alle Fälle. Spieler­wechsel wurden erst 1967 eingeführt. Bähre war trotzdem beim Finale 1960 mit dabei. Als Fan. „Ich bin damals per Anhalter nach Frankfurt.“

Debüt 1: In der Oberliga gegen Holstein

Ein­stand nach Maß: Im Oberliga-Spiel gegen Kiel erzielte Harry Bähre (Foto: im Duell mit Holstein-Läufer Klaus-Hinrich „Bonzo“ Jess) das goldene Tor zum 1:0-Sieg. 

Der erste Einsatz in der Liga-Mann­schaft sollte aber alsbald folgen. Eine kuriose, immer wieder gern erzählte Geschichte, bei der Bähre wieder Fahr­geld sparte, diesmal allerdings unfrei­willig.

19. Oktober 1960, ein Mittwoch. Für den späten Nach­mittag war das Oberliga-Spiel gegen Holstein Kiel angesetzt. Uwe Seeler und Charly Dörfel mit der National­mannschaft unterwegs – die Chance für den jungen Halb­stürmer aus dem Nachwuchs. Harry Bähre erinnert sich: „Ich war 19 Jahre alt und absolvierte eine Lehre als Lithograf in der Hamburger Innen­stadt, in der Neuen ABC-Straße, direkt am Gänsemarkt. Morgens erfuhr ich, dass ich spielen sollte. Anstoß war um 17 Uhr am Rothenbaum. Blöd war nur, dass ich erst um 17 Uhr Feier­abend hatte. Mein Chef ließ nicht mit sich reden, denn er interessierte sich überhaupt nicht für Fußball. Also machte ich die Mittags­pause durch und verschwand um kurz nach halb fünf aus dem Büro. Ich war dennoch zu spät. An der Halte­stelle sah ich noch die Straßen­bahn abfahren. Also Plan B: Ich nahm meine Beine in die Hand und rannte los. Drei Kilometer bis zum Rothen­baum, mit den Buffern unterm Arm. Ich kam völlig verschwitzt an. Nun musste ich aber erstmal rein­kommen. Am Spieler­eingang stand ein Ordner, der mich fragte: ,Was willst Du denn hier?‘ Ich antwortete: ,Ich soll hier jetzt mitspielen.‘ Der Ordner grinste nur und sagte: ,Das sagen sie alle.‘ Zum Glück kam genau in diesem Moment mein Trainer Günter Mahl­mann um die Ecke, schrie: ,Wo kommst Du denn her? Schweinerei!‘ und zog mich dann in die Kabine.“ 

Bähre lief also quasi direkt vom Gänse­markt aufs Spielfeld. Warm­gemacht hatte er sich ja unter­wegs schon. Was so holperig begann, endete phänomenal: In der 55. Minute erzielte Debütant Bähre per Schlenzer den 1:0-Siegtreffer. Das Abendblatt feierte den Amateur­spieler: „Nicht deshalb, weil er das siegbringende Tor mit einer bemerkens­werten Kalt­blütigkeit erzielte, sondern weil alles, was er machte, Hand und Fuß hatte.“ Das Sahne­häubchen: „Nach dem Spiel kam Mahlmann zu mir und drückte mir was in die Faust. Als ich meine Hand öffnete, sah ich einen 50-Mark-Schein. ,Nicht weiter­erzählen‘, zwinkerte mir Mahl­mann zu. Als Lehrling bekam ich damals zwischen 30 und 40 Mark – im Monat! Nun einen Fuffi als Torprämie. Ich war Onassis Sohn!“ 

Lizenzspieler 001

Nach knapp sechs Jahr­zehnten hat Harry Bähre die Zahlen noch gut im Kopf: Sein erster Zwei-Jahres­vertrag als Bundes­liga-Spieler, datiert vom 20. Juni 1963, sah ein Grund­gehalt von 500 DM vor. Dazu eine Leistungs­zulage von 50 DM pro Einsatz. Grund­salär und Zulage durften im Jahres­durch­schnitt nicht mehr als 1.200 DM monatlich betragen. So die offizielle Version. Inoffiziell dank üppiger Prämien und Sonderzahlungen – „Man kann es heute ja sagen, ist alles verjährt.“ – gab es jedoch ein Viel­faches. Als Sieg­prämie winkten 250 Mark, bei einer ausbleibenden Nominierung wurde der Spieler immerhin noch mit 30 Mark ent­schädigt. „Pro Mann und Spiel gab es immer 100 bis 500 Mark direkt dazu“, verrät Bähre und rechnet vor: „Ein sehr gut bezahlter Ange­stellter kam damals vielleicht auf 300 bis 400 DM, ein VW kostete 3.000 DM. Wir waren also schon sehr weit oben, kann man sagen.“

Bundesliga-Salär anno 1963: Nicht mehr als 1.200 DM – offiziell.

Eine andere Zahl ist in Zusammen­hang mit der Bundes­liga ohnehin unver­gesslich, ja schon zu Harry Bähres Beinamen geworden. Verwunderlich eigent­lich, dass sie nicht in seinen Ausweisdokumenten zu finden ist. Gemeint ist seine Lizenz­spieler­nummer 001. Zu der kam Bähre, weil der HSV bei der Ein­führung Profi-Spiel­klasse im Jahr 1963 der erste Klub war, der eine Lizenz für die neue Spiel­klasse beantragte und erhielt. Die Spieler­pässe wurden entsprechend des Alphabets durch­nummeriert. Und da es im damaligen HSV-Kader keinen Spieler gab, dessen Nach­name mit dem Anfangs­buchstaben „A“ begann, war Harry Bähre derjenige, der den Pass mit der legendären Nummer 001 bekam und somit laut DFB-Unter­lagen offiziell der erste Bundesliga-Spieler ist. „Uwe Seeler zog ich damit ein wenig auf, weil ich endlich mal vor ihm stand“, schmunzelt Bähre. Doch Charly Dörfel, der Schelm und alte Kumpel aus Straßen­fußball-Tagen, flachste: „Harry, Du bist zwar 001, doch ich bin 007!“ Erst viel später fand Bähre heraus, dass das gar nicht stimmte: „Charly bekam nach Fritz Boyens, Hoddl Dehn und seinem Bruder Bernd die Nummer 005.“ Der Spieler mit der berühmten Kennung des britischen Geheim­agenten und Kino-Helden dürfte dement­sprechend Torhüter Hans Krämer gewesen sein.

Debüt 2: In der Bundesliga gegen Hertha

Eins mit Stern: Bei seinem Bundesliga-Debüt erspielte sich Harry Bähre als rechter Läufer die Bestnote.

Zum Einsatz kam die 001 aber erst in HSV-Bundes­liga-Spiel Nummer 6. Bei der historischen Premiere am 24. August 1963 in Münster stand Bähre noch nicht im Aufgebot, konnte diesmal aber immerhin im Manns­chaftsbus mitfahren. Unvergess­liche Eindrücke: „Das Stadion war rappelvoll. Wir Spieler, die zusätzlich mitdurften, standen ganz oben auf einem Schutt­haufen und schauten uns das Spiel an.“ Am 5. August durfte dann auch Bähre den Bundes­liga-Rasen betreten, im heimischen Volkspark gegen die Berliner Hertha. Und wie schon bei seinem Oberliga-Debüt drei Jahre zuvor, gelang ihm ein Traum-Einstand. Das Fachblatt Sport­magazin bewertete seine Leistung beim fulminant heraus­gespielten 5:1-Erfolg mit einer glatten „1“ und begründete das im Spiel­bericht wie folgt: „Höchstes Lob neben Uwe Seeler und Dörfel gebührt vor allem Bähre als Seiten­läufer, der mit herrlichen Lang- und Kreuz­pässen aus der Tiefe das HSV-Spiel ungemein befruchtet.“

Vom Regisseur zum Terrier

Die Idee und Anweisung kam von Georg Gawliczek, dem HSV-Chef­trainer von 1964 bis April 1966. 

Statt selbst das eigene Spiel zu gestalten, sollte Bähre fortan den gegnerischen Spiel­machern auf den Füßen stehen. „Ich war ein Techniker, ich wollte Fußball spielen, nicht treten, aber weil ich ein Team­player war, fügte ich mich“, sagt Bähre und nimmt die korrekte historische Einordnung seiner Spiel­weise selbst vor. „Gawliczek hat mich zum Terrier ab-, nein, ich würde sagen, hingerichtet.“ Andererseits: Auch in der Rolle des Mann­deckers und Zerstörers wusste der lauf­starke Bähre durch­aus zu glänzen. Und die Spiele gegen die Netzers, Konietzkas und Siemens­meyers, die vom Hamburger „Waden­beißer“ aggressiv, konsequent und meistens mit großem Erfolg bewacht wurden, sind noch in bester Erinnerung. „Ich habe mich für die Mann­schaft geopfert. Gegen mich hat selten mal einer ein Tor geschossen.“ Sein bester Gegen­spieler? Bähre muss nicht lange überlegen: „Wolfgang Overath – wie der gespielt, aber auch geackert und eine Mann­schaft gepusht hat – sensationell, das hat mir sehr imponiert.“

Angesichts der Defensiv-Aufgaben hat es zu eigenen Toren für Bähre dann nur noch selten gereicht: In der Bundesliga stehen zwei zu Buche: im Februar 1964 zum 1:0 beim 2:1-Auswärts­sieg im Berliner Olympia­stadion gegen Lieblings­gegner Hertha sowie im April 1965 zum 2:1-Erfolg vor heimischer Kulisse im Volks­park­stadion gegen den 1. FC Nürnberg.

Elegant und rustikal: Bundesliga-Spieler Bähre 1964 beim Ballett mit Herthas Lutz Steinert (Foto links) und beim eingesprungen Tackling gegen Kölns Hannes Löhr (Foto rechts).

Der Auswahl­spieler

Die Leistungen im HSV-Trikot quali­fizierten Harry Bähre schon früh zu höheren Weihen. Als Amateur gewann er mit der Hamburger Auswahl 1961 den Länderpokal. Unter Verbands­trainer Martin Wilke, der 1962 auch sein Übungsleiter beim HSV wurde, agierte Bähre dabei als spiel­starker Regisseur mit der Nummer 10, nach­träglich zu bewundern in der ARD-Retro-Mediathek. Den knappen 2:1-Finalsieg gegen Schleswig-Holstein im Victoria-Stadion auf der Hohe­luft verfolgten live vor Ort auch Bundes­trainer Sepp Herberger und sein Assistent Helmut Schön. Bähre hatte sich nicht nur in Herbergers berühmtes Notiz-, sondern auch in dessen Adress­buch gespielt und bekam fortan regel­mäßig Post vom 54er-Welt­meister und mehrfach auch Ein­ladungen zu Länder­spielen.  

Doch sein HSV-Trainer Günter Mahl­mann erklärte seinem Schützling: „Das schaffst du nicht. Ich habe schon für dich abgesagt.“ Der Hinter­grund: Der HSV stellte Anfang der 60er-Jahre fünf deutsche A-National­spieler, mehr hielt Mahl­mann für über­flüssig – und Bähre zudem noch für zu jung. Heute sagt Bähre ohne Groll: „Klar war ich traurig und sauer. Ich habe Mahl­mann nach meiner Karriere auch mal richtig Feuer gegeben, und er hat sich entschuldigt. Aber was sollten wir damals machen? Wir waren alle brave Jungs.“

Später sorgten einige Verletzungen zur Unzeit dafür, dass es Bähre für Deutschland „nur“ auf ein Amateur­länderspiel brachte. Noch im März 1964 schrieb Herberger: „Lieber Harry Bähre, aus unserer zuletzt in Kaiserau geführten Unter­haltung ist Ihnen bekannt, daß sie auf­grund Ihrer in jenen Wochen gezeigten Leistung zum Kreis unserer National­­mann­schaft gehören. Nur Ihre damalige Verletzung war schuld, daß Ihre Berufung zum Länder­spiel unter­blieben ist. Ich hoffe, daß Sie jetzt wieder bei bester Gesund­heit sind und möchte Sie mit diesen Zeilen erneut wissen lassen, daß bei guten Leistungen ein Platz in der National­­mann­schaft auf sie wartet.“

Der Kleinste ganz groß: Harry Bähre und die Hamburger Amateur-Auswahl, Länder­pokal-Sieger 1961. Hinten (v.l.): Verbands­sportlehrer Wilke, Schmidt (Paloma), Sonne­mann (Sperber), Winter (Victoria), Neudorf (HTB), Bähre (HSV), Warszta (Wilhelms­burg 09), Spiel­ausschuss­vorsitzender Hacke. Vorn (v.l.): Lewandowski (HTB), Schröder (Victoria), Torwart Krakow (Victoria), Usko (HTN) und Brauer (Victoria).  

Fleißiger und erfolg­reicher Geschäfts­mann, zufriedener Privatier

1963 unter­zeichnete Harry Bähre beim HSV zwar einen Vertrag als Voll­profi, seinen unter­nehmerischen Drang drosselte er des­wegen aber keines­wegs. „Ich wollte mir immer eine berufliche Pers­pektive außerhalb des Fuß­balls aufbauen und sichern“, erinnert sich Bähre. Als selbst­ändiger Handels­vertreter teilte er sich seine Zeit wohl­organisiert zwischen Trainings, Spiel- und geschäft­lichen Terminen auf. „Während die anderen Karten kloppten, habe ich gearbeitet.“ Bähres Fleiß zahlte sich aus: Der gelernte Chemi­graf legte als Inhaber eines mittel­ständischen Unternehmens im Bereich Offset-Reproduktions­techniken eine Erfolgstory hin. Als anerkannter Litho­graph arbeitete er u.a. für die renommierten Künstler wie Paul Wunderlich (1927-2010) und vor allem Horst Janssen (1929-1995). Letzterer zählte zudem zu Bähres engsten Freunden. Oft diskutierten und philo­sophierten beide nächte­lang über den HSV. Kunst­freund Bähre besitzt eine große Janssen-Sammlung und erinnert sich lachend an dessen spezielle Art, ihm zu guter Arbeit zu gratulieren: Sieht aus wie Pisse im Schnee.“ 

Großer Künstler, guter Geschäftspartner, enger Freund: Horst Janssen (Selbst­porträt).

1996 übergab Bähre die Firma an seine Mit­arbeiter. „Mein Ziel war es früher immer, mit 55 auf­zuhören. Das habe ich geschafft. Ich bin seit 25 Jahren ein sehr zufriedener Priva­tier.“ Eine kleine Aus­­nahme macht Bähre dabei aber noch immer für seinen Ex-Mitspieler Uwe Seeler („Ein sensa­­tioneller Typ. Ich bin nach wie vor ein Riesen­fan von Uwe“), indem er regel­mäßig über Freunde und ehemalige Geschäfts­­partner den Nach­schub-Druck für dessen hoch­­wertige und noch immer sehr gefragten Auto­gramm­karten organisiert.

Multifunktio­naler und treuer HSVer

Seitenwechsel: Harry Bähre 1970 als HSV-Amateurtrainer mit den Talenten Wolfgang Kampf und Hans-Peter Gummlich (v.r.).

Dem HSV ist Harry Bähre in den 65 Jahren seiner Vereins­mitglied­schaft stets treu und wohl­wollend verbunden geblieben. Zum Karriere­ende wechselte er von 1967 bis 1970 zwar noch einmal die Farben, trug dabei aber auch weiter einen HSV-Dress: den aus Barmbek-Uhlen­horst in der damals zweit­klassigen Regional­liga Nord. An­schließend kehrte er als (Spieler-)Trainer zu den Amateuren und in den Jugend­bereich zum HSV zurück.

Bähre betont: „Ich nehme für mich in Anspruch, dass wohl kein ehe­maliger Profi so viele Ämter wie ich in seinem Verein bekleidet hat.“ Wohlgemerkt Ehren­ämter. „Ich nahm nie einen Pfennig, Geld habe ich nur in meinem Beruf verdient.“ Bähre, der beim HSV viel Gutes erfahren und eine „ganz tolle Zeit“ erlebt hat, zahlte gerne zurück. Er diente dem HSV u.a. als Mitglied des Vorstandes, Jugend-, Amateur- und Bundesliga-Co-Trainer (unter Claus-Dieter Ochs), Scout, Rechnungs­prüfer und war allein zwölf Jahre als Manager der HSV-Altliga tätig, für die er unvergess­liche Reisen rund um den ganzen Globus organisierte. 

Ehren­mitglied Bähre eröffnete im Jahr 2006 gemein­sam mit Charly Dörfel, Manni Kaltz, Peter Nogly, Hermann Rieger und Willi Schulz den mittler­weile rund 50 Vereins­legenden umfassenden Walk of Fame rund um den großen Uwe-Seeler-Fuß an der Nord-Ost-Ecke des Volks­park­stadions.

Seinem HSV wünscht er endlich Kontinuität in der Führungs­ebene. „Die vielen Wechsel waren katas­trophal, es wurden immer wieder nur die falschen Leute geholt, keine Fußball-Experten. Die meisten Vor­stände kamen nur zum HSV, um sich die Taschen voll­zustopfen. Grausam. Das waren ganz schlimme Jahre, die wir da mit­machen mussten, und die den Verein dorthin gebracht haben, wo er heute steht. In die Zweit­klassig­keit.“ In die Zukunft blickt Bähre verhalten hoffnungs­froh: „Ich freue mich darüber, dass sich Fußballer wie Marcell Jansen und Bernd Wehmeyer zur Verfügung stellen. Endlich mal Leute vom Fach. Ich traue den beiden und Michael Papen­fuß zu, dass sie Ruhe in unseren HSV bringen, dass auch die Stören­friede aufgeben oder abserviert werden.“

Eher entspannte Ruhe statt den großen Rummel wünscht sich Bähre zu seinem Geburtstag. Schon zum 70. flüchtete er aus Hamburg, damals nach Mallorca. Und auch zum aktuellen runden Jubeltag haut er lieber ab und feiert mit seinen Liebsten in der Toskana. „Wenn du 100 Leute einlädst und eine Riesen-Party veran­staltest, dann sind 200 sauer, dass sie nicht auf der Gäste­liste stehen. Das brauche ich nicht. Ich treffe meine Freunde dann lieber einzeln, in kleinem Kreis.“ So hofft Harry Bähre auf ein rasches Ende der Pandemie-Ein­schränkungen und damit verbunden wieder viele persön­liche Begegnungen. Auch bei Spielen des HSV im Volks­park­stadion mit den alten Mitspielern und Vereins­­kameraden. Die Fass­brause ist inzwischen längst durch ein frisch gezapftes Pils ersetzt, die knackige Bock­wurst gibt’s noch immer. Bähre lacht: „Eigentlich stört dann manchmal nur der Fußball.“