Im ausführlichen HSVlive-Interview spricht JAN GYAMERAH über seine ghanaischen Wurzeln, schmerzhafte Erfahrungen mit Rassismus und den großen Zusammenhalt innerhalb des HSV.

Frohnatur – dieser Begriff fällt einem schnell ein, wenn man Jan Gyamerah mit einem Wort beschreiben soll. Immer ein Lachen im Gesicht, stets einen lockeren Spruch auf den Lippen und durchgängig freundlich und höflich im Umgang mit seinen Mitmenschen – der Rechtsverteidiger des HSV, der im Sommer 2019 vom VfL Bochum an die Elbe wechselte, gilt als durch und durch positiver Typ. Ein echter Menschenfreund, der ohne Vorbehalte offen auf andere Menschen zugeht und mit ihnen ebenso leicht wie gern ins Gespräch kommt. Dabei steckt hinter Jan Kwasi Frimpong Gyamerah noch eine ganz andere, eine sehr nachdenkliche und gar verletzliche Seite, die zunächst im Kontrast zu seinem allseits bekannten Wesen zu stehen scheint und am Ende vielleicht eben jenes genauso geformt hat: Als Sohn eines ghanaischen Vaters und einer deutschen Mutter 1995 in Berlin geboren, wächst „Gyambo“ später als Kind und Teenager in der niedersächsischen Kleinstadt Stadthagen auf und erfährt dort aufgrund seiner Hautfarbe immer wieder Rassismus. Im Interview mit dem HSVlive-Magazin spricht der 25-Jährige ungemein offen über diese prägende Zeit und seine Erfahrungen mit einem Thema, das eigentlich keines sein sollte. Ein Gespräch, das den Fußball in sich trägt, gleichzeitig aber weit über ihn hinausgeht und doch dessen grundlegendste Botschaft in sich trägt: Jeder ist gleich.

Jan, was kommt dir als Erstes in den Sinn, wenn du an Ghana, das Heimatland deines Vaters, denkst?

Zuallererst gute Laune und fröhliche Menschen, die mit weniger glücklich sind als wir das hier in Deutschland oder generell in Europa gewohnt sind. Darüber hinaus tolles Wetter und verdammt leckeres Essen.

Inwieweit finden sich deine ghanaischen Wurzeln auch in deinem heutigen Alltag wieder?

Früher haben wir zuhause immer sehr viel afrikanische Musik gehört. Das mache ich auch heute noch sehr gern. Zudem war das Essen zuhause immer wahnsinnig lecker und hat mir später, als ich im Internat gewohnt habe, sehr gefehlt. Durch meinen Wechsel nach Hamburg ist das zuletzt wieder mehr geworden, da es hier eine große Auswahl an afrikanischen Restaurants gibt, so dass ich eigentlich wöchentlich afrikanisch, speziell ghanaisch esse. Einzig die Sprache ist heute nicht mehr so präsent wie früher, als mein Vater jeden Tag Twi gesprochen hat, wenn er mit seiner Familie oder seinen Freunden telefoniert hat.

Weil du die Sprache selbst nicht gelernt hast?

Genau, meine Schwester und ich finden das auch sehr schade, aber unser Vater hat es uns damals nicht beigebracht. Er hat immer sehr großen Wert auf Integration gelegt. Er wollte, dass wir perfekt Deutsch sprechen können, dass das unsere Muttersprache wird und wir sie perfekt beherrschen. Heute ist es leider sehr schwierig, Twi noch zu erlernen. Dass ich damals nicht zweisprachig aufgewachsen bin, ist etwas, was ich im Nachhinein etwas bereue.

Dein Vater ist nun schon mehrfach zur Sprache gekommen: Du hast mal verraten, dass er eine sehr große Rolle für deinen Weg im Fußball gespielt hat. Welche Erinnerungen sind dir diesbezüglich noch besonders präsent?

Ich habe viele Erinnerungen, aber zwei Erlebnisse sind prägend im Kopf geblieben: Zum einen ein Spiel in der E- oder F-Jugend, als ich bei bestem Sommerwetter mit meinen Kumpels eher so über den Platz getrabt bin und wir das Spiel mit 3:10 verloren haben. Daraufhin war mein Vater sehr stinkig, denn Fußball war damals mit Vereins- und Auswahlspielen nicht nur für mich zeitintensiv. Daraufhin hat er gesagt: „Entweder nimmst du es ernst oder nicht. So ein Larifari dazwischen macht keinen Sinn.“ Und der zweite Moment, den ich nie vergessen werde, war, als ich kurz vor den Sommerferien ein Probetraining bei der U15 von Hannover 96 absolviert habe und mir anschließend gesagt wurde, dass die Kaderplanung schon abgeschlossen wäre, so dass ich nicht zu 96 wechseln kann. Ich war damals sehr traurig und habe sogar geweint. Mein Vater hat mich dann sofort zur Seite genommen und hat gesagt: „Hör auf zu heulen. Wenn du wirklich Profi werden willst, dann kommst du auch bei einem anderen Bundesligisten unter.“ Er hat daraufhin bei Arminia Bielefeld angerufen und mich dort für ein Probetraining untergebracht. Und das hat dann auch geklappt.

Dein Vater hat demnach also sogar den entscheidenden Anteil an deiner Profikarriere.

Absolut, ohne meinen Vater wäre ich niemals Profi geworden. Für mich war das Thema nach dem Probetraining in Hannover vorbei, der Traum war begraben. Doch er hat mir gezeigt, dass es nicht nur die eine Möglichkeit, den einen Weg im Leben gibt. Er hat an mich geglaubt und sich für mich eingesetzt. Ich wollte damals schon unbedingt Profi werden, aber ohne ihn und seinen Einsatz wäre es nicht so weit gekommen. Dann hätte ich wohl ein weiteres Jahr in meinem Heimatverein mit meinen Kumpels gespielt und das wäre vielleicht das eine Jahr zu viel gewesen. Ich bin ihm dafür unendlich dankbar.    

Als du als Kind und Teenager mit dem Fußball aufgewachsen bist, erlebte die ghanaische Nationalmannschaft im Weltfußball einen besonderen Aufstieg: Bei der WM 2006 in Deutschland ging es ins Achtelfinale, 2010 in Südafrika sogar bis ins Viertelfinale. Wie hast du die Black Stars damals wahrgenommen?

Das war eine ganz besondere Zeit für mich. Die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland war die erste WM, die ich so richtig verfolgt und hautnah miterlebt habe. Ich kann mich noch genau an jedes Spiel erinnern, habe sofort parat, dass das erste Spiel Ghanas in Hannover gegen Italien war und die Black Stars mit 0:2 gegen den späteren Weltmeister verloren haben. Ich war damals richtig stolz auf diese Mannschaft und habe richtig mitgefiebert. Es war eine coole Truppe mit großen Spielern wie Michael Essien, Stephen Appiah oder Sammy Kuffour. Leider war für die Black Stars damals im Achtelfinale gegen Brasilien Schluss, aber 2010 in Südafrika wurde es umso besser – das war der Wahnsinn.

Inwiefern?

Ghana hatte eine unglaublich starke Mannschaft um Kevin Prince Boateng und hat auf dem Kontinent eine unglaubliche Euphorie ausgelöst. Noch nie stand eine afrikanische Mannschaft im Halbfinale einer Weltmeisterschaft und Ghana war ganz nah dran. Doch leider gab es das traurige Ende im Viertelfinale gegen Uruguay, als Luis Suárez in der letzten Spielminute das Tor per Handspiel auf der Linie verhindert hat, der fällige Elfmeter verschossen wurde und Ghana später im Elfmeterschießen verlor. Damals war ich richtig, richtig traurig. Ich weiß noch, dass wir anschließend in meinen Sommerferien nach Ghana zu unseren Verwandten gereist sind und die Menschen vor Ort unglaublich stolz auf die Nationalmannschaft waren. Zugleich waren sie überhaupt nicht gut auf Suárez zu sprechen. (lacht) 

Du hast vorhin schon ein paar Namen der Black Stars genannt. Waren das damals auch deine Vorbilder?

Mein absolutes Vorbild war immer Thierry Henry. Irgendwann kamen dann auch Kevin Prince und Jérôme Boateng dazu. Sie haben den gleichen Background wie ich: die Mutter aus Deutschland, der Vater aus Ghana. Zudem sind sie ebenfalls in Berlin geboren und echte Berliner. Als ein solcher würde ich mich nicht bezeichnen, da ich ja mit meiner Familie relativ früh weggezogen bin, aber ich fand die beiden einfach richtig cool.

Hast du die Boatengs mal kennengelernt? Die Fußballwelt ist ja bekanntlich klein.

Ja, ich habe Kevin Prince mal getroffen. Als ich 2016 für vier Wochen meine Reha in München absolviert habe, war er zur gleichen Zeit auch ein paar Tage da. Kurz zuvor kam seine Biografie heraus. Er hat mir dann das Buch signiert und wir haben zusammen ein Foto gemacht. Ein echt cooles Erlebnis.

Du selbst hast 2012 und 2013 vier Auswahlspiele für die U17 bzw. U18-Nationalmannschaft Deutschlands absolviert. Könntest du es dir heute vorstellen, für die A-Nationalmannschaft Ghanas aufzulaufen?

Ja, auf jeden Fall. Spätestens nach der WM 2010 war das ein Traum von mir, der immer noch lebt. Ich habe damals durch Videos von Kumpels auch ein paar Einblicke in die Mannschaft bekommen, habe gesehen, dass dort eine ganz andere Mentalität zu herrschen scheint. Dort wird im Mannschaftsbus laut Musik gehört, gelacht und getanzt – das ist etwas anderes im Vergleich zu Deutschland. Mich würde es reizen, so etwas mal live mitzuerleben. Bisher gab es leider noch keinen Austausch mit dem ghanaischen Verband, aber so sehr ich mich auch darüber freuen würde: Mein Glück hängt davon am Ende auch nicht ab.

Wie sieht heutzutage deine Verbindung zu Ghana aus? Du hast vorhin schon einmal erwähnt, dass du 2010 dort warst.

Genau, leider erst zum zweiten und bisher letzten Mal. Wir haben noch eine sehr große Familie vor Ort. Ich habe regelmäßig, sprich wöchentlich Kontakt zu meinem Onkel. Auch mit einem weiteren Onkel und meiner Cousine bin ich im Austausch. Meine Schwester und ich hatten eigentlich geplant, in diesem Sommer wieder hinzufliegen, aber durch die Corona-Pandemie weiß man aktuell ja leider nie, inwieweit einem die Entwicklungen einen Strich durch die Rechnung machen.

Welche Erinnerungen hast du denn noch an dein letztes Mal vor Ort?

Meine Familie kommt nicht direkt aus der Hauptstadt Accra, sondern wohnt rund zwei Stunden von dort entfernt in einem ländlichen Dorf. Die Verhältnisse waren sehr einfach, aber die Menschen unglaublich glücklich. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir früh morgens auf einem Bolzplatz – es war eher eine Wiese mit Steinen auf dem Boden, ohne richtige Tore – barfuß Fußball gespielt haben. Da lag einfach ein Ball in der Mitte, alle Kinder haben mitgespielt und es hat unglaublich Bock gemacht zu kicken. Ich habe nach kurzer Zeit gar nicht mehr darüber nachgedacht, dass ich keine Schuhe anhabe und auf Steinen spiele. Wir hatten einfach Freude, Spaß und keinerlei Sorgen in diesem Moment. Wenn du dann zurück nach Deutschland kommst, dann stellst du fest, dass du hier alles hast und die Leute trotzdem ständig am Meckern sind. Das ist sehr schade, denn woanders geht es den Menschen in vielen Belangen viel schlechter.

Wie betrachtest du diese Missstände und was kann dagegen unternommen werden?

Ich würde schon sagen, dass Lebensumstände auf der Welt generell ungerecht verteilt sind. Deshalb gibt es ja auch so viele Menschen, die einen schwierigen Weg auf sich nehmen, um woanders ein besseres Leben zu führen. Ich möchte darüber gar nicht urteilen, da ich nicht weiß, was diese Menschen im Detail durchmachen und wo genau ihre Probleme liegen. Ich kriege davon ja nur einen kleinen Einblick durch meine Verbindungen nach Ghana mit und wohne ansonsten in einem der besten Länder der Welt. Was ich allerdings immer wieder in Gesprächen mit den Leuten vor Ort höre, ist die Bedeutung der Bildung. Die Möglichkeit, dass jedes Kind zur Schule gehen kann. Wenn das gegeben ist, dann können die Menschen vor Ort viel bewegen. Hier können wir alle sicherlich mehr machen und mehr unterstützen. Denn die Entwicklungspotentiale in Ghana sind ohne Frage vorhanden.

Du selbst bist in Deutschlands Hauptstadt Berlin geboren, mit fünf Jahren dann ins beschauliche Stadthagen gezogen, weil dein Vater bei einem Automobilzulieferer als Ingenieur einen neuen Job erhalten hat. Von der multikulturellen Metropole ging es also in eine Kleinstadt. Hast du hier in Deutschland in dieser ganzen Zeit jemals Konflikte aufgrund deines ausländischen Backgrounds erlebt?

Leider ja. In Berlin habe ich es damals nicht so zu spüren bekommen, dass ich anders aussehe, aber als ich dann als Fünfjähriger nach Stadthagen gekommen bin, hat sich das spürbar geändert. Besonders innerhalb der Schule war das heftig. Ich habe als kleiner Junge so viele Erfahrungen mit Rassismus gemacht, das war zwischendurch schon eine traurige Zeit. Ich habe mich immer gefragt, ob es diese Probleme auch gegeben hätte, wenn wir als Familie in Berlin geblieben wären. Denn Berlin ist eine multikulturelle Weltstadt mit sämtlichen Nationen. Doch in Stadthagen war ich in der Schule der Einzige mit meiner Hautfarbe. Ich habe mich dadurch oft allein gefühlt, wurde ausgegrenzt oder auf meine Hautfarbe reduziert. Dann hieß es: „Natürlich ist der Schwarze der Schnellste“ oder „er kann gut Fußball spielen, weil er schwarz ist“. Es wurden auch viele Witze gemacht, die Kinder vielleicht gar nicht so meinen oder verstehen, aber die verletzend sind und etwas mit einem machen. Ich bin generell ein lauter Mensch, der viel und gern lacht. Aber damals als kleiner Junge wurde das weniger. Ich wollte nicht auffallen, damit keiner mehr einen Spruch machen konnte. Ich habe damals sehr darunter gelitten.

Hast du diese Anfeindungen irgendwann abschütteln können? 

(überlegt) Je älter ich wurde, desto besser konnte ich damit umgehen. Es trifft mich heute nicht mehr so stark wie früher, aber meine letzte Erfahrung mit Rassismus ist auch schon eine Weile her. Ich weiß gar nicht, warum es jetzt gefühlt weniger geworden ist. Ich habe auch mal gezielt mit Jungs von damals, die mich diskriminiert haben, gesprochen und sie gefragt, wie sie das heute sehen. Sie haben sich dabei über sich selbst erschrocken und hatten das gar nicht mehr so präsent vor Augen. Doch für mich ist das natürlich ein ganz anderes Thema. Ich habe diese Bilder immer noch im Kopf: Ich kann noch heute ganz genau sagen, wo, von wem und was über mich gesagt wurde. Sie konnten sich wiederum an nichts mehr erinnern und haben gesagt: „Krass, das ist echt schlimm.“

Zumal man als Kind solche Situationen überhaupt nicht verstehen kann und sicherlich hilflos ist.

Ja, mein Vater hat mir damals sehr geholfen und mich unterstützt, weil er sicherlich wusste, wie sich sowas anfühlt. Doch am Ende hätte auch innerhalb der Schule viel mehr aufgeklärt werden müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Lehrer das damals nie mitbekommen haben. Sie haben nicht eingegriffen, wenn das N-Wort gefallen ist, dabei hätten sie erklären müssen, dass das überhaupt nicht geht und es menschenverachtend ist. Doch damals war es scheinbar für viele normal, dieses Wort zu sagen.

Das Thema Rassismus ist durch die Unruhen in den USA und die „Black Lives Matter“-Bewegung im vergangenen Jahr stark in den gesellschaftlichen Fokus gerückt worden. Wie hast du diese Entwicklung vor dem Hintergrund deiner eigenen Erfahrungen wahrgenommen?

Ich fand es zunächst richtig beeindruckend zu sehen, wie viele Menschen auf die Straßen gegangen sind und gegen Rassismus demonstriert haben. Das zeigt, dass total viele Menschen wissen, wie wichtig es ist, über dieses Thema aufzuklären und etwas dagegen zu tun. Leider gibt es trotzdem noch immer auch viele Menschen, die anders darüber denken. Dieser Teil macht mir Sorgen. Ebenso Parteien, die gewisse Standpunkte in diese Richtung vertreten. Wenn diese von vielen Menschen unterstützt und gewählt werden, dann kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. Niemand sucht sich aus, wie und wo er auf die Welt kommt. Ich kann einfach nicht verstehen, wie man einen anderen Menschen nur wegen seines Aussehens hassen kann.

Du hast die Demonstrationen und Protestaktionen angesprochen. Diese haben sich im Sport von den US-amerikanischen Profiligen bis in die europäischen Sportligen erstreckt. Auch du hast auf deinen sozialen Medienkanälen ein Zeichen gesetzt, unter anderem auf die „Black Lives Matter“-Bewegung aufmerksam gemacht. Wie wichtig ist es dir, hier deine Öffentlichkeit als Fußballer zu nutzen, um auf das Thema aufmerksam zu machen? 

Ich denke, jeder kann diesbezüglich etwas machen. Ich bin jetzt vielleicht nicht so eine wichtige Person wie es andere Sportler sind, aber mir ist das Anliegen sehr wichtig. Ich fand es zum Beispiel super, dass Leroy Kwadwo, der im letzten Jahr als Spieler von Würzburg in einem Spiel gegen Preußen Münster rassistisch beleidigt wurde, ein oder zwei Wochen später nach diesem Vorfall im Sportstudio sitzen kann und darf, um darüber zu erzählen. Denn ich finde es wichtig, dass Leute über ihre rassistischen Erfahrungen berichten, damit andere Menschen verstehen, was das mit einem macht. Es wäre sicherlich sinnvoll, wenn noch mehr Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, ihre Geschichte erzählen.

Manchmal gibt es dann den Kritikpunkt, dass Sport und Politik nicht miteinander vereinbar sind. Wie denkst du darüber?

Ich verstehe nicht, warum man als Sportler nicht sagen sollte, was man denkt. Nach dem Tod von George Floyd im letzten Jahr hatten einige Spieler dazu T-Shirt-Botschaften unter ihren Trikots. Anschließend wurde darüber diskutiert, ob sie das dürfen oder nicht. Dass es darüber eine Diskussion gab, habe ich nicht verstanden. Wir wollen für Vielfalt, Integration und Anti-Rassismus stehen, dann spricht doch auch nichts dagegen, diese Haltung auch ohne Vorgaben mit Leben zu füllen.    

Dinge mit Leben zu füllen, ist die passende Überleitung: Du giltst in puncto gesellschaftlicher Verantwortung als engagierter Profi, bist zum Beispiel mit der Versteigerung des „Gaymerah“-Trikots auch für sexuelle Vielfalt eingestanden und hast zuletzt in einem vielfach beachteten Video der Spieleragentur, bei der du unter Vertrag stehst, gegen „Hass im Netz“ mitgewirkt. Was ist in deinen Augen vonnöten, um die Menschen gesellschaftlich wieder näher zusammenzubringen und ein Thema wie Rassismus nachhaltig zu bekämpfen?

Der wichtigste Punkt ist in meinen Augen die Bildung. Es ist wichtig, dass man bei der jüngsten Generation, den Kindern, anfängt und speziell in der Schule lehrt, was Rassismus ist und was schwarze Menschen in der Vergangenheit durchlebt haben. Man muss für dieses Thema früh sensibilisieren. Zudem denke ich, dass auch die Medien einen Teil dazu beitragen können, indem sie verantwortungsbewusst mit ihrer Berichterstattung umgehen. Gerade im Hinblick auf Straftaten halte ich es zum Beispiel für gefährlich, wenn dort Täter einer gewissen Gruppierung zugeordnet werden. Das sorgt dann mitunter dafür, dass pauschal eine Gruppe in eine Schublade gesteckt wird und dadurch eine Hetzjagd entsteht. Sowas ist nie gut. Letztlich gibt es nicht die eine Antwort auf diese Frage. Es ist einfach wichtig, dass jeder checkt, dass niemand sich aussucht, wie und wo er auf die Welt kommt. Man kann keinen Menschen dafür hassen, dass er europäisch, asiatisch oder afrikanisch aussieht oder in Europa, Asien oder Afrika geboren wurde und jetzt dort lebt.     

Der Hamburger SV gilt als weltoffener Verein, hat in diesem Kontext in den vergangenen Jahren, Monaten und Wochen viele Aktionen angetrieben. Nimmst du als Spieler solche Aktivitäten wahr und wie wichtig ist es für dich, dass dein Arbeitgeber für diese Werte einsteht?

Das nimmt man auf jeden Fall wahr, zumal das Thema viele von uns im Team betrifft. Es gibt einem ein gutes Gefühl, wenn der Club ganz klare Werte vertritt. Dabei finde ich es generell wichtig, dass ein Club im Hinblick auf solche Themen auch handelt und damit zeigt, dass es nicht nur leere Worte sind.

Du hast das Team angesprochen. Dies würden wir gern nutzen, um noch einen Blick auf das Sportliche zu werfen, sowohl die Mannschaft betreffend, aber auch speziell deine Situation. Du bestreitest hier beim HSV aktuell deine zweite Saison und hast schon eine Menge erlebt, darunter in der letzten sowie in dieser Saison auch wieder Verletzungen, die während deiner Karriere immer wieder eine Rolle gespielt haben und diese vor einigen Jahren auch fast beendet hätten. Wie schaffst du es, immer wieder zurückzukommen?

(überlegt) Für mich ist das eigentlich gar kein so großes Thema. Ich weiß, dass es irgendwann vorbei ist, eine Verletzung ausheilt. Der Wadenbeinbruch in der Vorsaison war schon eine schwere Verletzung, aber es gab nur ein kleines Fragezeichen. Für mich war klar, dass ich zurückkomme und ich konnte die Zeit absehen, wann es der Fall sein wird. In den ersten Tagen herrscht eine große Enttäuschung, dann akzeptierst du es und dann freust du dich irgendwann darauf, wieder zurückzukommen. Am schwersten war es eigentlich damals in Bochum mit meiner Schambeinverletzung, weil ich wirklich nicht absehen konnte, ob und wann ich wieder spielen kann. Mittlerweile habe ich das Mindset: Egal was da kommt, ich komme zurück.    

Immer wieder zurückkommen und aufstehen lautet auch das Motto in der laufenden Saison, die von vielen guten Phasen, aber auch immer wieder von Rückschlägen gekennzeichnet ist. Was macht dich zuversichtlich, dass ihr als Team am Ende erfolgreich sein werdet?

Ich glaube einfach, dass wir es schon oft in dieser Saison bewiesen haben, dass wir zurückkommen können. Wir hätten gern auf diese Rückschläge verzichtet, aber wir haben einfach einen geilen Team-Spirit. Wir haben eine coole Mannschaft, eine richtig gute Stimmung in der Kabine und in der Mannschaft. Das macht mich zuversichtlich, weil ich weiß, dass wir immer zusammenstehen. Das kann am Ende den Unterschied ausmachen. Wir haben es in dieser Saison bei gegnerischen Teams auch schon anders erlebt. Die haben sich dann nach Fehlern untereinander beleidigt und gegenseitig heruntergezogen. Sowas gibt‘s bei uns nicht. Natürlich wird auch mal ein ernstes Wort miteinander gesprochen, aber das passiert zum Wohle der Mannschaft, um beispielsweise mal jemanden wachzurütteln.

Welche Rolle nimmst du in diesem Zusammenhang mit deiner positiven Ausstrahlung ein? Versuchst du zum Beispiel bewusst in schwierigen Situationen diese Eigenschaft einzusetzen, um die Stimmung dadurch aufzulockern?

Ich bin sicherlich niemand, der ein Einpeitscher ist, das bin ich einfach nicht. Ich versuche aber, immer locker zu bleiben. Man soll spüren, dass Fußball immer Spaß machen sollte. Am Ende ist die Mischung wichtig. Ich weiß auch, dass wir Ziele haben und man fokussiert und konzentriert sein muss, um diese zu erreichen. Mit zu viel Lockerheit klappt es nicht, mit zu viel Verbissenheit aber auch nicht. Ich bin von Natur aus der lockere Typ und kann so auch am besten spielen.    

Wann und wie hast du diese Einstellung, sozusagen den Ansatz, dass die Lust aufs Siegen immer größer sein muss als die Angst vor dem Verlieren, für dich verinnerlicht?

Vielleicht sind es meine Verletzungen gewesen. Wenn man mal schwere Verletzungen erlitten hat, dann liegt man nach der Operation zuhause in seinem Krankenbett und denkt: Ich will einfach nur kicken, Fußball spielen und Spaß haben. Wenn man dann zurück ist, vergisst man diesen Gedanken schnell, dabei sind wir doch alle Profis geworden, weil wir Freude und Spaß am Spiel haben.    

Muss man sich diesen Gedanken, diesen Spaß am Spiel, als Profi immer wieder vor Augen führen?

Ich glaube, dass es guttut. Unser Reflexionscoach Martin Daxl bringt diesen Aspekt auch sehr häufig ein und erinnert uns alle daran, warum wir eigentlich angefangen haben, Fußball zu spielen. Jeder von uns hat angefangen, weil er einfach Spaß am Fußball hatte. Damals hat man sich doch keine Platte gemacht, sondern ist zum Bolzplatz gefahren, weil es Bock gemacht hat. Ich denke, diese Denkweise hilft uns allen und kann auch die nötigen Prozente bringen, um nach Rückschlägen wieder zurückzukommen und erfolgreich zu sein.

Passend dazu die abschließende Frage: Was würde es dir bedeuten, am Ende erfolgreich zu sein und das angestrebte Ziel mit deinen Jungs als Team zu erreichen?

Das wäre einfach geil. Ich würde mich riesig auf das Danach freuen: Wie wir zusammen marschieren und zusammen feiern. Das treibt mich unglaublich an. Ich will unbedingt nach dem letzten Spiel in der Kabine mit den Jungs feiern. Wer weiß, wie es dann mit Corona aussieht, das lässt sich ja alles nicht absehen, aber ich will, dass wir richtig Gas geben und die Grundlage dafür legen. Ich glaube, wir hätten mit dieser Mannschaft dann richtig, richtig viel Spaß.