Was SONNY KITTEL am Ball kann, ist im deutschen Profifußball längst bekannt. In dieser Saison fällt der Fußball-Virtuose zudem mit intensiver Arbeit gegen den Ball auf. Im HSVlive-Interview spricht der Mittelfeldspieler über diese bewusste Entwicklung seines Spiels, sein spezielles Denkmuster im Zweikampf und den Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft.

10/15, 10/6, 11/7 und aktuell 5/7 lautet die Tore/Assists-Ausbeute von Sonny Kittel in seinen letzten vier Zweitliga-Spielzeiten. Der 28-jährige Offensivakteur zählt in dieser Zeitspanne zu den Top-Scorern im deutschen Profifußball, kann mit seiner exzellenten Ballbehandlung und begnadeten Schusstechnik immerzu den Unterschied ausmachen. Der gebürtige Gießener ist dabei schon qua Position ein offensiv denkender Spieler, überzeugt in der laufenden Saison aber nicht nur als kreativer Künstler am Ball, sondern ebenso als kratzender Kämpfer gegen das Kunstleder. Ein Aspekt seines Spiels, an dem Kittel bewusst gearbeitet hat und der in dieser Saison die gesamte Mannschaft vereint, wie er im HSVlive-Interview verrät.

Sonny, Kunst und Kampf – inwieweit lässt sich das auf dem Fußballplatz verbinden?

In dieser Saison funktioniert das für mich ganz gut. Von allen Trainern, Mitspielern und einem selbst ist es immer gewünscht, dass man in beide Richtungen des Feldes gut arbeitet: Nach vorn mit Kreativität, Spielfreude und Spielwitz, um Tore zu erzielen; und nach hinten mit Laufbereitschaft und Aggressivität in den Zweikämpfen, um schnellstmöglich den Ball wieder in den eigenen Reihen zu haben. Denn das macht gerade für einen Offensivspieler am meisten Spaß.

Du giltst als begnadeter Techniker, fällst in dieser Saison aber eben auch mit guter Arbeit gegen den Ball auf. War das ein Bereich, in dem du dich gezielt weiterentwickeln wolltest?

Auf jeden Fall. Ich bin ein Mensch und ein Fußballer, der sich jeden Tag verbessern und von Saison zu Saison steigern will. Ich denke, es werden viele meiner Trainer, die ich in den vergangenen Jahren hatte, bestätigen, dass ich in diesem Bereich Nachholbedarf hatte. Dementsprechend wollte ich mich hier verbessern. Ich denke, dass dieser Aspekt in dieser Saison auch mehr ins Gewicht fällt und optisch mehr auffällt: Wir wollen nicht nur schön spielen, sondern auch eklig sein. Diese Art Fußball zu spielen, konnten wir in vielen Partien als Mannschaft gut umsetzen und daran hat jeder seinen Anteil.

Fällt dir diese Arbeit gegen den Ball manchmal schwer? Wenn du an deine Anfänge im Fußball zurückdenkst, dann war die Defensivarbeit als Offensivspieler vielleicht nicht immer attraktiv, oder?

Als Offensivspieler will man grundsätzlich vorn den Ball haben und nicht unbedingt hinten Zweikämpfe führen, aber das hat sich mit der Zeit auch verändert und entwickelt. Du willst dich schließlich nicht von anderen Offensiv- oder Defensivspielern vernaschen lassen. Für mich ist daraus ein persönliches Ding geworden: Ich will das Duell Eins-gegen-Eins nicht verlieren – egal gegen wen. Ich weiß, was ich auch gegen den Ball kann und nehme es deshalb jedes Mal persönlich, sollte ich doch geschlagen werden.

Ist dieses Denkmuster dann auch das Erfolgsrezept für die richtige Zweikampfführung?

Auf diesem Gebiet bin ich sicherlich nicht der Experte, deshalb werden unsere Zweikampfmonster wie Stephan Ambrosius und Klaus Gjasula wahrscheinlich besser beschreiben können, was das Erfolgsrezept für einen erfolgreichen Zweikampf ist. Aber das ist eben meine Einstellung und Herangehensweise, die ich in den vergangenen Monaten und Jahren entwickelt habe. Ich sage mir: Okay, der kommt jetzt nicht an mir vorbei.

Eine weitere Grundvoraussetzung für einen erfolgreichen Zweikampf ist neben dem Mindset der eigene Körper. In diesem Bereich scheinst du dabei so robust wie nie zu sein. Täuscht der Eindruck oder bist du auch körperlich in besonders guter Verfassung?

Das stimmt, ich habe seit dem vergangenen Sommer in diesem Bereich mein Training nochmal verändert und auch an Körpergewicht zugelegt. Dadurch konnte ich nochmal ein paar Prozentpunkte aus mir herausholen und bin dadurch auch selbstbewusster geworden, wenn es darum geht, in die Zweikämpfe zu gehen.

Was waren das konkret für Veränderungen?

Ich habe zum Beispiel meine Ernährung umgestellt, gehe noch bewusster und noch strenger als in den Jahren zuvor mit allen Dingen um, die ich zu mir nehme. Ein guter Freund von mir kennt sich auf diesem Gebiet sehr gut aus und hat diesbezüglich auf mich eingeredet. Ich habe dann beschlossen, dem Ganzen eine Chance zu geben und habe schnell festgestellt, dass das für mich der richtige Weg ist und ich mich fitter fühle. Gleichzeitig habe ich nach Absprache mit unseren Athletiktrainern Daniel (Müssig, Anm. d. Redaktion) und Sebastian (Capel) nochmal ein gezieltes Kraft-Programm draufgepackt, das mich noch stabiler macht und alle Körperbereiche abdeckt, die man im Fußball benötigt. Wie sagt man immer so schön: Der Körper ist unser Kapital. Ich denke, über kurz oder lang sind das alles zusätzliche Faktoren, die dafür sorgen, dass du dich fit und gut fühlst, um erfolgreich und lange Fußball spielen zu können.

Kittel hat im vergangenen Jahr im Kraftraum Masse zugelegt und geht dementsprechend robust in die Zweikämpfe. Doch auch die fußballerischen Zusatzschichten, wie etwa Abschlüsse, kommen im Training nicht zu kurz.  

Inwieweit ist dieser Aspekt der körperlichen Fitness im modernen Fußball immer wichtiger geworden?

Es ist heutzutage auf jeden Fall eine ganze andere Zeit. Wenn ich an meine Anfänge als Profi zurückdenke, dann haben Kraft- und Athletiktraining keine so gewichtige Rolle gespielt. Und das ist ja gar nicht mal so lange her, etwa zehn Jahre. Man spürt die Veränderungen deutlich. Die Jugendspieler, die heutzutage zu den Profis kommen, haben bereits drei oder vier Jahre Kraft- und Athletiktraining im Gepäck und befinden sich damit körperlich meist auf einem ähnlichen Niveau wie die Profis.

Du hast mal verraten, dass du durch deine schweren Knieverletzungen die Trainingsbelastung auf dem Platz gezielt steuern musst. Setzt du etwaige überschüssige Energie dadurch auch verstärkt im Kraftraum ein und hast dafür sozusagen eine besondere Affinität entwickelt?

Für mich sind beide Aspekte wichtig. Ich muss einfach aufpassen, dass ich nicht zu viel mache, um nicht in die Überbelastung zu kommen. Diesbezüglich haben wir es aber aktuell gut im Griff. Ich habe hier in Hamburg eine sehr gute medizinische Abteilung vorgefunden und in dieser Saison haben wir gemeinsam nochmal etwas draufgepackt. Und natürlich bleibe ich auch immer wieder gern nochmal länger draußen auf dem Platz, schnappe mir zum Beispiel mit „Leibe“ und „Ulle“ noch ein paar Bälle und übe Abschlüsse. Auch hier bin ich nicht kürzergetreten, auch wenn ich in jüngeren Jahren sicherlich nochmal eine ganz andere Power hatte.       

Auf der einen Seite Künstler, auf der anderen Seite Kämpfer – das bedeutet manchmal auch einen schmalen Grat. In der Hinrunde hast du beim Heimspiel gegen Hannover 96 mit einer Gelb-Roten-Karte den ersten Platzverweis deiner Karriere hinnehmen müssen. Wie hast du dieses Ereignis, in dessen Nachgang du scharf kritisiert wurdest und das für dich eine Art Wendepunkt in der Saison bedeutete, rückblickend verarbeitet?

In erster Linie habe ich mich seither bewusst nirgendwo mehr öffentlich geäußert, auch nicht zu dieser Sache. In meinen Augen wurde die Foulsituation recht übertrieben dargestellt. Ich weiß, dass ich meinen Gegenspieler kaum bis gar nicht berührt habe, aber aufgrund der Gesamtsituation, dass ich mit gelb vorbelastet war und das Foul unmittelbar vor der gegnerischen Bank passiert ist, kann ich den Schiedsrichter und seine Entscheidung verstehen. Es war für mich eine Lehre, cleverer in solchen Situationen zu sein. Die anschließende Kritik habe ich im ersten Moment gar nicht wirklich mitbekommen. Erst im Nachhinein habe ich von Mitspielern, Freunden und meiner Familie davon erfahren.

Wie bist du damit umgegangen?

Mich persönlich interessiert es nicht mehr, was andere über mich schreiben. Meine Social-Media-Kanäle beispielsweise hatte ich schon vorher gelöscht, es wurde dann aber so dargestellt, als hätte ich sie wegen des Platzverweises und der negativen Reaktionen abgestellt. Da habe ich mir schon gedacht: Wenn schon zu diesem Thema etwas geschrieben wird, dann bitte die Wahrheit. Ich möchte einfach Fußball spielen und der Mannschaft helfen. Das ist das Wichtigste für mich. Wie mich fremde Leute beurteilen oder bewerten, ist mir nicht wichtig, sondern einzig das Feedback meiner Familie und Freunde zählt für mich.

Mit ihnen bist du dann auch aus dieser Situation gestärkt hervorgekommen?

Genau, ich habe einfach weiter mein Ding gemacht. Ich glaube, wir hatten damals mit der ganzen Mannschaft eine schwache Phase und der Platzverweis hat das Fass einfach zum Überlaufen gebracht, so dass ich der perfekte Sündenbock war. Doch mit mir hat das nichts gemacht. Im Gegenteil: Mich hat das nur noch mehr angespornt.

In der Folgezeit hast du eine starke Saisonphase gespielt und zuletzt auch ein großes Lob vom Trainer erhalten. „Sonny hat gezeigt, dass er ein Führungsspieler sein will“, waren seine Worte. Ist das für dich der nächste Schritt, den du in deiner Karriere gehen möchtest?

Ja, auf jeden Fall. Allein aufgrund meines Alters bin ich in einer Situation, in der man das von mir erwarten und einfordern kann. Auch aufgrund meiner Qualitäten habe ich kein Problem damit, Verantwortung zu übernehmen. Ich denke, das klappt bisher ganz gut, ohne diesen Aspekt überbewerten zu wollen. Ich bin mittlerweile schon ein paar Jahre im Profifußball dabei, wenn dann einige Spieler im Team jünger sind, dann schauen sie automatisch auf die Dinge, die du als etablierter Profi machst. So war es bei mir als junger Spieler auch, so dass ich überhaupt kein Problem mit dieser Rolle habe. Aber auch diesen Aspekt kann ich für mich persönlich ganz gut einordnen, ich mache mich deshalb nicht verrückt.

Abschließend: Der Saisonendspurt steht an: Eigentlich hattet ihr nach der Derby-Niederlage eine gute Reaktion gezeigt, dann kamen das 3:3 in Hannover und die 1:2-Niederlage gegen Darmstadt. Wie schätzt du die Situation ein?

Wir sind als Team in dieser Saison wirklich sehr eng zusammengewachsen. Wir haben super Typen in der Mannschaft und es macht einfach richtig Spaß, für jeden von ihnen auf dem Platz alles zu geben. Wenn einer den Ball verliert, dann hauen sich direkt zwei rein und holen den Ball wieder. Diese Einstellung müssen wir einfach in jedem Spiel an den Tag legen. Denn genau das spüren auch die Gegner. Sie wissen, dass wir nicht nur schön Fußball spielen können, sondern dass es auch wehtut, gegen uns zu spielen. Diese Vielfalt und die Geschlossenheit geben uns Mut, nach Rückschlägen, die im Fußball dazugehören, wieder aufzustehen. Man hat nicht das Gefühl, dass nach Niederlagen etwas wegbrechen könnte. Im Gegenteil: Es ist so viel Motivation, Ehrgeiz und Gier da, es im nächsten Spiel wieder besser zu machen, dass es mir ein sehr gutes Gefühl für den Endspurt gibt.