In der Rubrik „Meine Wurzeln“ spricht in jeder Ausgabe ein HSVer über seine Anfänge als Fußballer. Dieses Mal: Innenverteidiger STEPHAN AMBROSIUS.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass ich früher immer alles wie mein Bruder machen wollte. Michael ist zwei Jahre älter als ich und ich habe ihm in allen Dingen nachgeeifert. Deshalb hat meine Mutter mich auch irgendwann zu den Gummiplätzen mitgenommen, auf denen er immer mit den Kids aus der Nachbarschaft Fußball gespielt hat. Da habe ich einfach mitgespielt, auch wenn er das gar nicht so cool fand. Klar, wer will schon immer seinen kleinen Bruder mitschleppen. Auf den Plätzen war immer großer Betrieb, den ganzen Tag lang, bis unsere Eltern uns reingerufen haben. Anfangs haben sie mich als Jüngsten oft ins Tor gestellt, aber das kennt ja jeder von früher, da mussten wir alle mal durch. Ich erinnere mich aber auch, dass ich das überhaupt nicht schlimm fand. Ich war froh, dass ich mitspielen konnte. Und irgendwann haben auch die Älteren mitbekommen, dass ich recht gut kicken kann und ich durfte dann immer öfter im Sturm spielen. So hat für mich alles angefangen.

Parallel dazu haben wir dann auch im Verein angefangen, und zwar bei uns um die Ecke: SV Einigkeit Wilhelmsburg. Erst mein Bruder, ich dann später, denn ich war anfangs noch zu jung. Meine Mutter hat dann einfach neben dem Trainingsplatz mit mir ein bisschen gekickt, während mein Bruder Training hatte. Als ich endlich alt genug war, war es für mich zu Beginn gar nicht so einfach. Denn auf dem Gummiplatz war ich Stürmer und da hat man auch viel gedribbelt und allein gemacht, was in der richtigen Mannschaft nicht so gut ankam …
Ich war damals schon sehr kräftig und schnell und ich kannte es von der Straße nicht anders, deshalb habe ich auch im Verein so gespielt. Ich glaube, meine Mitspieler hatten nicht so viel Spaß mit mir, weil ich den Ball nie abspielen wollte. Die Jungs lachen heute in der Kabine immer, wenn ich von damals erzähle. Ich als eigensinniger Stürmer… heute bin ich ja genau das Gegenteil von damals.

Damals aber war das so. Und nach zwei Jahren bin ich zum SV Wilhelmsburg gewechselt, weil sich meine Mitspieler immer so über mich aufgeregt haben. Außerdem war der SV die bessere Mannschaft, da wollte ich dabei sein. Die haben sich auch extrem gefreut, dass ich zu ihnen gewechselt bin. Dort habe ich auch meinen bis heute besten Freund Jose kennengelernt und habe mich insgesamt total wohlgefühlt, auch wenn das damals innerhalb von Wilhelmsburg ein Wechsel zum absoluten Rivalen war. Zu der Zeit hatten wir eine richtig gute Mannschaft und wir haben große Erfolge gefeiert. Als Mannschaft, aber auch ich persönlich. Da habe ich auch das erste Mal gemerkt, dass ich richtig großen Ehrgeiz habe. Ich wollte unbedingt weiterkommen, noch einen nächsten Schritt machen und am liebsten zum HSV wechseln. Ich war damals elf oder zwölf Jahre alt und bin einfach zum HSV-Training gefahren und habe gesagt, dass ich gern dort spielen würde. Aber ich habe erst nach ein paar Wochen gemerkt, dass ich gar nicht in der 1. Mannschaft meines Jahrgangs gelandet war, sondern in einer Breitensportmannschaft des HSV. Dort sollte ich dann erst einmal ein halbes Jahr spielen und mich beweisen, aber das wollte ich nicht. Ich wollte direkt hoch und in der höchsten Liga spielen – und bin deshalb statt zum HSV zum FC St. Pauli gewechselt. Ich wollte mich eben schon damals immer mit den besten Spielern messen. Trotzdem blieb mein Ziel, irgendwann für den HSV zu spielen.

Bei St. Pauli wurde ich etwas später zum Verteidiger umgeschult. Mein damaliger Trainer musste sich bei den Stürmern zwischen einem Mitspieler und mir entscheiden, denn nur einen von uns konnte er in den nächsten Jahrgang übernehmen. Deshalb hat er mich zum Ende der auslaufenden Saison einfach mal als Verteidiger ausprobiert – und fand mich dort sehr gut. So blieb ich bei St. Pauli und war glücklich, denn genau wie früher auf dem Gummiplatz war es mir egal, auf welcher Position ich spiele, die Hauptsache für mich war, dass ich dabei bin. Obwohl ich beim großen Konkurrenten gespielt habe, war ich mit Vitaly Janelt und Khaled Mohssen vom HSV sehr gut befreundet. Die haben gesagt, sie legen beim Trainer mal ein gutes Wort für mich ein. Von da an habe ich dann noch einige Male gegen den HSV gespielt – und war in diesen Spielen immer besonders gut. Und dann kam am Ende der U14 der Anruf von Daniel Petrowsky, ob ich mir vorstellen könnte, zur nächsten Saison zu ihm und zum HSV zu wechseln. Da habe ich zu meinen Mitspielern beim FC gesagt: Sorry, ich muss meine Sachen packen, ich gehe zum HSV!

Hier war dann alles viel größer, meine Mitspieler waren technisch weiter, aber ich konnte der Mannschaft trotzdem etwas geben, was ihr fehlte: die Mentalität, den Willen und das Vorangehen. Aber ich musste unglaublich viel lernen, denn die Technik und Dinge wie Stellungs- und Positionsspiel, die fehlten mir, da waren mir die Mitspieler voraus. Ich wurde dann auch erstmal als Linksverteidiger aufgestellt, weil ich dort nicht so viel gestört habe. Dort habe ich meinen Job gemacht, habe meine Seite beackert und habe so meinen Teil dazu beigetragen, dass wir zwei Jahre in Folge Meister wurden. Und ich habe extrem viel gelernt in dieser Zeit, in den Spielen, aber vor allem auch dank meines Trainers Daniel Petrowsky. Ihm bin ich bis heute extrem dankbar, dass er mich zum HSV geholt und mich so sehr gefördert hat. Und dass er meine Eigenwilligkeit ertragen hat. Er hat schon damals immer gesagt, dass ich auf dem Platz manchmal Dinge mache, die man nicht unbedingt nachvollziehen kann…

Das ist übrigens bis heute so geblieben. Manchmal gehen dann die Gäule mit mir durch und ich marschiere nach einem Ballgewinn durch das Mittelfeld und will wie früher durch alle hindurchdribbeln. Aber ich komme immer besser klar und habe das mehr und mehr im Griff. Gerade jetzt bei den Profis ist das natürlich immens wichtig. Dort zu spielen, ist für mich natürlich sehr besonders. Zumal ich diesen ganz klaren Wunsch Profifußball eigentlich gar nicht in der Form hatte wie viele andere Jungs in meinem Alter, die schon früh ihren großen Vorbildern nachgeeifert haben. Ich habe erst mit 15 oder 16 Jahren so richtig angefangen, Fußball im Fernsehen zu schauen und Spieler wie Jerome Boateng oder Antonio Rüdiger zu verfolgen. Bis dahin wollte ich immer nur selbst kicken. Und wenn ich mir was abschauen wollte, dann hatte ich ja meinen Bruder als großes Vorbild, der heute übrigens in der Regionalliga für Germania Halberstadt spielt. Und ich habe heute großartige Mitspieler, von denen ich jeden Tag extrem viel lernen kann. Dafür bin ich sehr dankbar. Und auch mein Bruder freut sich sehr für mich.