Im ausführlichen HSVlive-Interview spricht der ehemalige Profi und jetzige Scouting-Leiter CLAUS COSTA über die hohe Professionalisierung seines Tätigkeitsfeldes, seinen eigenen, nahtlosen Übergang vom Spielfeld an den Schreibtisch und die Eigenschaften, die man in dem vermeintlichen Traumjob des Fußball-Scouts mitbringen sollte.

Wenn Claus Costa über den Fußball im Allgemeinen und das Scouting im Speziellen spricht, dann wird seine Begeisterungsfähigkeit allzu schnell sichtbar: Seine Augen, mit denen er durchgängig Blickkontakt hält, fangen an zu strahlen, seine Worte rattern druckreif gesprochen in den Raum und seine präzisen Aussagen bleiben mit Nachdruck im Gedächtnis haften. Das Gespräch ist lang, doch die Zeit vergeht wie im Flug. Zu spannend erzählt der 36-Jährige von seiner Welt, scheint seine Berufung als Leiter der Scouting Abteilung, als der er seit Ende August 2019 beim HSV fungiert und jüngst seinen Vertrag verlängerte, längst gefunden zu haben. Dabei hat der ehemalige Fußballprofi, der für den VfL Bochum, Fortuna Düsseldorf und den VfL Osnabrück unter anderem 55 Zweitliga- und 92 Drittliga-Spiele absolvierte, bereits einen fußballerischen Karriereweg hinter sich. Doch Costa, der schon gegen Ende seiner aktiven Laufbahn die Zusammenstellung von Teams hinterfragt und noch als aktiver Spieler anfängt, als Praktikant in der Scouting-Abteilung von Bayer Leverkusen zu arbeiten, hat sich mit großem Fleiß und Beharrlichkeit neben dem vergänglichen Spielbein auch ein nachhaltiges Standbein im Fußball aufgebaut. Welche Rolle auf diesem besonderen Weg Sportvorstand Jonas Boldt spielt, welchen Reiz die Aufgabe eines Scouts bei ihm auslöst und warum man für diesen vermeintlichen Traumjob nicht zwingend Fußballer sein muss – all das verrät Claus Costa im Gespräch mit dem HSVlive-Magazin.     

Claus, wenn du in deiner jetzigen Funktion als Scouting-Leiter dein jüngeres Ich rund um die Jahrtausendwende scouten würdest, welche Stichpunkte stünden in deinem Notizblock?

(schmunzelt) Das Bild wäre schnell relativ eindeutig: Ich war ein defensiver Mittelfeldspieler, der sich eher über die Arbeit gegen den Ball definiert hat. Ich glaube, dass ich durch meine Lauf-, Zweikampf- und Kopfballstärke defensiv einen großen Mehrwert für viele Mannschaften haben konnte. Mein fußballerisches Talent hingegen war eher überschaubar, so dass ich im Spiel mit dem Ball nicht den großen Input für ein Team hatte. Wenn man also einen klassischen Abräumer gesucht hätte, der sich voll in den Dienst der Mannschaft stellt, hätte ich eine Lösung sein können.

Würdest du dich mit diesen Erkenntnissen heute selbst verpflichten?

Das ist eine Frage des Blickwinkels, für welches Spielniveau man mich holen würde. Ich habe auch zwei Jahre in der 2. Liga bei Fortuna Düsseldorf verbracht, bin damals mit der Mannschaft in diese Liga aufgestiegen. Das war aber letztlich auch mein oberes Limit. Ich glaube nicht, dass mich ansonsten ein Zweitligist verpflichtet, geschweige denn Geld für mich bezahlt hätte. Ich war dann schon eher ein Drittliga-Spieler. Aber wie gesagt: Teamplayer können auch eine Liga höher ihre Wertigkeit haben, wenn sie mit hochschwimmen. 

Was sind heutzutage die wichtigsten Merkmale, die ein Spieler mitbringen muss, um dich zu begeistern und in deinem Notizbuch zu landen?

Als Scout geht es zunächst und vorrangig immer darum, auf welcher Position man einen Spieler braucht und welche Art von Spielertyp man sucht, so dass sich die Frage nicht pauschal beantworten lässt. Grundsätzlich ist der Fußball heutzutage so athletisch und dynamisch geworden, dass vor allem die körperlichen Voraussetzungen ins Auge springen. Wenn ein Spieler ein gutes Tempo oder eine kraftvolle Spielweise hat, dann bringt er schon einmal diese Facette des modernen Spiels mit. Ansonsten hängt es aber stark davon ab, was man sucht, was man braucht und worauf man Wert legt.

Worin hat sich der Fußball in dem Zeitraum der vergangenen 20 Jahre in deinen Augen noch verändert?

Durch die damalige Schaffung der Nachwuchsleistungszentren hat sich im Hinblick auf die technische Qualität und vor allem auch auf die Taktik eine Menge verändert. Die Spieltags-Taktik, sprich: die ausführliche Vor- und Nachbereitung eines Spiels, an der heutzutage ganze Abteilungen arbeiten, ist viel komplexer und detaillierter geworden. Diesbezüglich war es früher sicherlich auch mal so, dass der Trainer eher gesagt hat: „Geht raus und spielt Fußball. Wir spielen heute 4-4-2.“ Zumindest habe ich das so als Spieler wahrgenommen. Die mannschaftstaktischen Anforderungen haben sich doch stark weiterentwickelt.    

Wie sehr hat sich damit einhergehend dein jetziger Tätigkeitsbereich, das Scouting, weiterentwickelt?

Allein durch die Digitalisierung ist dieses Feld viel moderner und professioneller geworden. Durch Schilderungen von Jonas (Sportvorstand Jonas Boldt, Anm. d. Red.) weiß ich, dass zu Beginn seiner Zeit noch VHS-Kassetten aus Südamerika geschickt wurden. Die Spiele wurden dann nochmal umgewandelt und aufbereitet, so dass man sich letztlich über zwei VHS-Kassetten und zwei Spiele ein Bild von einem Spieler gemacht hat, der nicht hier im Umfeld spielt. Heutzutage hat man über die Scouting-Plattformen die Möglichkeit, jedes Spiel zu sehen. Die Scouting-Welt ist gläsern geworden. Du hast die Chance, alle Spiele und alle Spieler, die es auf dieser Welt gibt, in deinem Büro in Hamburg zu gucken. Dieser Aspekt hat sich gewandelt und damit einhergehend auch der Umfang und die Intensität in diesem Bereich. Früher gab es vielleicht nur ein paar Vereine, die mit einer vernünftigen Scouting-Abteilung gearbeitet haben, während andere Clubs über Zuruf und Netzwerk verpflichtet haben. Heutzutage steckt ein richtiger Apparat dahinter.

Von 2003 bis 2016 stand Claus Costa selbst als Fußballprofi auf dem Platz. Heute arbeitet er als Leiter der Scouting-Abteilung an der Verpflichtung der Spieler mit.

Heißt im Umkehrschluss: Die fußballromantische Sicht, dass irgendwo dort draußen noch jemand steckt, den keiner auf den Zettel hat, gibt es heute nicht mehr?

Im Jugendbereich mag es im Alter von 13, 14 oder 15 Jahren noch unentdeckte Talente geben, aber der Markt ist so gläsern geworden, dass es nicht mehr darum geht, einen Spieler zu entdecken, sondern darum, Überzeugung zu entwickeln. Denn einen Spieler, der in der U19-Bundesliga spielt, kennt heutzutage jeder – die Scouting-Abteilung vom FC Bayern München und Borussia Dortmund genau so gut wie die vom 1. FC Nürnberg oder Fortuna Düsseldorf. Es geht vielmehr darum, dass man vermitteln kann, dass man in dem Spieler etwas sieht, genau dieses Spielerprofil im Kader benötigt und vor allem die Überzeugung besitzt, dass er seine Entwicklung nehmen kann. Einen positiven Bericht werden auch alle anderen Clubs über den Spieler angefertigt haben, aber diesen nächsten Schritt zu gehen, einen Spieler wirklich verpflichten zu wollen, ist heute entscheidend.        

Weil du den Bericht über einen Spieler ansprichst: Wie detailliert sieht dieser aus? Die Beobachtung des Spielers in Spielen ist sicherlich der eine, den Menschen in seiner kompletten Persönlichkeit zu durchleuchten ein ganz anderer Aspekt.   

Genau. Wir haben einmal das rein objektive, messbare Bild eines Spielers, das wir im Lizenzspielerbereich durch die vorliegenden Daten erheben können. Dazu kommt das individuelle Auge beim Beobachten des Spielers und am Ende kommt es dazu, dass man sich mit dem Spieler auch mal eine Stunde unterhält und ein Gefühl dafür entwickelt, was sich hinter dem Sportler für ein Mensch verbirgt. Ganz häufig ist es dann so, dass, wenn man einen Spieler schon oft gesehen und auf dem Spielfeld gewisse Verhaltensmuster beobachtet hat, man selten überrascht ist, wenn der Mensch einem gegenübersitzt. Oft sind Spielerpersönlichkeit und die Persönlichkeit neben dem Platz nicht voneinander zu trennen. Natürlich gibt es Typen, die ein krasses Wettkampf-Ich haben und abseits des Rasens deutlich ruhiger sind, aber den Charakter eines Menschen kann man auf dem Fußballplatz nur sehr schwer verbergen.

Entscheidet man sich diesbezüglich auch mal gegen einen Spieler, wenn er zwar den optischen und datenbasierten Test besteht, im Hinblick auf seinen Charakter aber Zweifel bleiben?

Absolut, ja. Denn darum geht es eben auch. Man kann noch so viel von dem Spieler gesehen und ihn datenbasiert ausgewertet haben, am Ende geht es vor allem auch um das richtige Gefühl und die eigene Menschenkenntnis. Spätestens zu diesem Zeitpunkt der Rekrutierung steigen in unserem Fall mit Jonas Boldt und Michael Mutzel auch die sportlich Verantwortlichen ein. Gerade Michael, der tagtäglich bei der Mannschaft ist, kann dann am besten beurteilen, welche Charaktere die Mannschaft benötigt. Manchmal braucht es einen Spieler, der polarisiert und etwas Extravagantes hat, manchmal eher einen Soldaten, der durchs Feuer geht und arbeitet. Diese Entscheidungen werden in enger Zusammenarbeit und Absprache gefällt und dabei kann es vorkommen, dass man aufgrund der Persönlichkeit, des Habitus, des ganzen Verhaltens eines Spielers eher Bauchschmerzen hat und von einer Verpflichtung absieht.            

Du selbst hast zum Ende der Saison 2015/16 deine aktive Spielerkarriere im Alter von 31 Jahren beendet. Wie und wann bist du erstmals mit dem Scouting in Berührung gekommen?

Ich habe relativ früh, noch als Spieler, Interesse daran gehabt, wie eine Scouting-Abteilung funktioniert. Beim VfL Osnabrück habe ich mit Marco Neppe zusammengespielt, der damals über verschiedene Kanäle ein Praktikum im Scouting bei Bayer Leverkusen gemacht hat. Ich habe gemerkt, wie sehr er darin aufgeht und habe mich selbst brennend für das Thema interessiert. Im Alter von 28 Jahren war es dann so, dass mein Vertrag beim VfL Osnabrück ausgelaufen war und ich vor der Entscheidung stand, in der 3. Liga einen neuen Club zu finden oder zurück ins Rheinland, wo ich mit meiner Frau damals heimisch geworden war, zu ziehen. Dort hatte ich ein Angebot von Viktoria Köln, einem aufstrebenden Regionalligisten, vorliegen. In diesem Sommer war für mich klar, dass ich mich gedanklich konkreter damit auseinandersetzen möchte, wo der Weg nach der aktiven Laufbahn hingehen könnte. Und genau in diesem Sommer habe ich viel Zeit mit Marco, der auch nach der gemeinsamen Osnabrücker Zeit ein richtig guter Freund geworden war, in Düsseldorf verbracht. Dabei habe ich über ihn Jonas Boldt kennengelernt und daraufhin kam eins zum anderen.

Inwiefern?

Für mich ging es damals darum, in den Scouting-Bereich reinzuschnuppern. Deshalb hatte ich mich bei Fortuna Düsseldorf für ein Praktikum beworben. Davon hatte Jonas Wind bekommen und gesagt, dass ich mich als geringfügig Beschäftigter in Leverkusen ausprobieren darf. Sein Credo war: „Die Tür machen wir dir auf, durchgehen musst du selbst.“ Das war der Einstieg und während meiner Zeit bei Viktoria Köln, drei Jahre als Spieler und ein Jahr als Co-Trainer, habe ich in meiner Freizeit somit nebenbei als Praktikant in der Scouting-Abteilung von Bayer Leverkusen Gas gegeben.         

Was hat dich an diesem Aufgabengebiet so sehr interessiert?

Das waren mehrere Aspekte: Zum einen habe ich als Spieler mit Mitte 20 irgendwann angefangen zu hinterfragen, warum die Verantwortlichen ausgerechnet diesen oder jenen Spieler verpflichten. Da wurden im Winter zum Teil drei Spieler nachverpflichtet und ich habe mich gefragt: Warum? Wir haben den gleichen Spielertypen doch schon im Kader. Ich habe versucht, diese Entscheidungen für mich zu interpretieren und zu durchleuchten. Darüber hinaus fand ich es generell spannend, wie Spieler zu einem Club kommen, wie der Prozess dahinter aussieht. Letztlich hat es mich im nächsten Schritt unglaublich gereizt, dass ich – wenn auch nur zu einem Prozentpunkt – daran mitarbeiten kann, dass ein Spieler am Ende verpflichtet wird und bei Bayer Leverkusen spielt. Der Hunger darauf hat mich total angetrieben. Nach meiner Zeit bei Viktoria Köln wurde eine Koordinationsstelle im Scouting bei Bayer Leverkusen frei, die mir Jonas angeboten hat. Ich durfte als kommunikatives Bindeglied zwischen Sportdirektor Jonas Boldt, Chefscout Laurent Busser und einer richtig guten Abteilung vor Ort fungieren. Dort habe ich unfassbar viel gelernt und ein großes Netzwerk in kürzester Zeit aufbauen dürfen und müssen.

Eingespieltes Team: Sportvorstand Jonas Boldt, Scouting-Leiter Claus Costa und Sportdirektor Michael Mutzel. (v.l.)

Der Name Jonas Boldt ist nun schon einige Male gefallen. Wie entscheidend war er für deinen zweiten Karriereweg?

Jonas ist ein Mensch, der gern Chancen ermöglicht und Türen öffnet, aber er ist sicherlich kein Typ, der Geschenke oder Freifahrtsscheine verteilt, nur weil man privat mit ihm auf einer guten Basis ist. Besonders im Fußball vermischt sich häufig Privates mit Beruflichem. Ich möchte dieses vertrauensvolle Verhältnis nicht abstreiten und es ist auch gut und selten im Fußball. Dennoch kann ich sagen, dass ich selbst durch diese Tür, die Jonas mir geöffnet hat, gegangen bin und sie vielleicht sogar mit Leidenschaft und Ehrgeiz geradezu aufgetreten habe.

Nach zwei Jahren in deiner neuen Position bei Bayer Leverkusen ging es Ende August 2019 zum HSV.

Hierbei war Sportdirektor Michael Mutzel die Triebfeder. Jonas hat die Idee initiiert, aber entscheidend war, wie die Chemie zwischen Michael und mir ist, da der Kommunikationsweg fortan ja über ihn laufen würde. Wir kannten uns bis dahin nur flüchtig, so dass er mich zu einem Kennenlerngespräch nach Hamburg eingeladen hat. Da war mir nach den ersten Momenten unseres knapp dreistündigen Gesprächs klar, dass es richtig gut passt. Wir waren sofort auf einer Wellenlänge, hatten die gleiche Auffassung vom Scouting und Fußball. Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte ich diesen Schritt nicht gemacht.

Welche Reize hat der HSV als Club darüber hinaus bei dir ausgelöst?

Es klingt vielleicht abgedroschen, aber es war wirklich die Strahlkraft dieses Clubs. Es macht etwas mit einem, wenn man für den HSV arbeitet. Ich bin stolz für den HSV zu arbeiten und habe deshalb auch mit voller Überzeugung und Freude meinen Vertrag hier verlängert. Darüber hinaus spürt man einen Aufbruch. Es ist eine klare Idee vorhanden. Die Leute krempeln die Ärmel hoch. Ich habe dieses Feuer in mir gespürt, dass ich richtig Bock habe, etwas mitanzuschieben. Dabei muss jeder immer seinen Tanzbereich kennen, aber wenn ich gemeinsam mit meiner Abteilung etwas dazu beitragen kann, dass es in die richtige Richtung geht, dann ist das ein großer Antrieb für mich.

Und dabei spielt es keine Rolle, dass du statt für einen Champions-League-Anwärter für einen ambitionierten Zweitligisten tätig bist?

Nein, die Ligazugehörigkeit spielt für mich persönlich wirklich eine untergeordnete Rolle. Denn die inhaltliche Scouting-Arbeit ist komplett gleich. Du arbeitest lediglich auf einem anderen Level, sozusagen in einem anderen Regal. Du hast immer Mitbewerber in deinem Angelbereich. Wenn man sagt, dass es in Leverkusen einfacher ist, weil man 15-Millionen-Transfers tätigen kann, dann vergisst man häufig, dass Wolfsburg, Mönchengladbach und vielleicht auch Dortmund und München an diesem Spieler dran sind. Vielleicht ist es im Zuge des neutralen Betrachters attraktiver, wenn man ein Champions-League-Spiel statt eines Drittliga-Spiels live vor Ort sehen kann, aber der Kern und Reiz der Arbeit, in deinem Markt den bestmöglichen Spieler zu finden, bleibt identisch.

Gibt es rückblickend in deiner noch jungen Scouting-Laufbahn einen Spieler, den speziell du entdeckt hast oder auf dessen Verpflichtung du besonders stolz bist?

Ich würde euch gern ein paar Namen nennen, aber weigere mich immer, diese Frage zu beantworten. Ich war als Spieler ein Teamplayer und ich bin auch jetzt Teamplayer. Spielertransfers sind immer eine Mannschaftsleistung. Das fängt beim 450-Euro-Scout an, der mehr oder weniger in seiner Freizeit einen Bericht über einen Spieler schreibt, und hört beim Sportvorstand auf, der letztlich den Vertrag unterzeichnet. Dazwischen hängt eine riesige Kette an Entscheidungsträgern, Abläufen und Diskussionen. Vor diesem Hintergrund ist es allen anderen Beteiligten gegenüber ungerecht, zu sagen: Diesen Spieler habe ich entdeckt, das war mein Transfer. Ich mag diesen „Der Entdecker von…“-Stempel nicht, da man sich dann mit den Federn einer ganzen Abteilung schmückt.        

Wo du die Scouting-Abteilung und die Vielfalt des Transfer-Prozesses ansprichst: Wie muss man sich eure tägliche Arbeit vorstellen?

Hinsichtlich der täglichen Arbeit kann man heruntergebrochen sagen, dass die Hauptaufgabe darin besteht, Spiele vor Ort im Stadion oder via Video zu Hause zu schauen und daraufhin Berichte über die Spieler zu schreiben. Im Detail versuchen wir unsere Kernmärkte so zu durchleuchten, dass wir die Spieler herauskristallisieren, die erstens leistungsmäßig auffallen, zweitens noch Entwicklungspotential besitzen und drittens im Idealfall ablösefrei sind oder eine günstige Vertragssituation vorweisen. Daraus entstehen Schattenkader für die jeweiligen Positionen, die wir versuchen so detailliert darzustellen, dass wir bestmöglich mit Kandidaten gerüstet sind, wenn Bedarf herrscht und der Fall der Fälle eintritt. Ich sehe uns diesbezüglich als eine Art internes Dienstleistungsunternehmen. Wenn Jonas, Michael oder der Trainer festlegen, welcher Spielertyp noch gebraucht wird, müssen meine Abteilung und ich Antworten präsentieren. Das ist unsere Aufgabe und unser Antrieb.

Wie viel Frustration kann auch in dieser Arbeit stecken? Schließlich beschäftigt ihr euch mit ganz vielen Spielern, die niemals für den HSV auflaufen werden.

Die Frustration hält sich diesbezüglich in Grenzen. Es gibt sicherlich eine kurzfristige Enttäuschung, wenn man ganz lange auf allen Ebenen an einem Transfer gearbeitet hat und letztlich hört, dass sich der Spieler doch für einen anderen Club entschieden hat. Doch damit muss man umgehen und diesen Fall relativ schnell abhaken können. Dafür ist das Geschäft viel zu schnelllebig.

Inwieweit finden Überprüfungsprozesse und auch ein permanentes Scouting des eigenen Kaders statt?

Die Überprüfung ist ein stetiger und dynamischer Prozess. Nur in langfristigen Potentialen zu denken, ist aufgrund der Tagesaktualität nicht möglich. Das Idealbild vom Scouting ist, dass du einen 18-Jährigen ablösefrei findest und ihn zwei Jahre später für 40 Millionen nach England verkaufst. Davon träumt jede Scouting-Abteilung, aber die Realität sieht eben anders aus. Und nur mit zehn 18-Jährigen wirst du in keiner Liga den gewünschten Erfolg haben. Dementsprechend brauchst du immer eine Achse. Hier sind wir gefordert: Wir können nicht nur nach 18- bis 21-jährigen Spielern Ausschau halten, sondern müssen auch sehen, welche ablösefreien, älteren Spieler zur Verfügung stehen und uns sofort weiterhelfen. Es ist ein breites Spektrum an Anforderungen, die wir unter einen Hut bringen müssen.

Wie fällt diesbezüglich euer Zwischenfazit zum aktuellen Kader aus?    

Im Prinzip gut, da wir von allen Spielern das bekommen haben, was wir erwartet haben. Wenn man diesbezüglich seine Arbeit gut gemacht hat, dann ist man allerdings auch selten total überrascht. Wir haben mit Sven Ulreich, Toni Leistner, Klaus Gjasula und Simon Terodde erfahrene Spieler verpflichtet, die der Mannschaft eine Achse sein sollten. Außerdem haben wir mit Moritz Heyer aufgrund seiner Flexibilität eine Art Schweizer Taschenmesser für die Defensive erhalten und mit Amadou Onana einen jungen Spieler gewonnen, der bereits angedeutet hat, dass man noch viel Spaß an ihm haben wird.

Inwieweit wohnt einem als Scout dennoch ein ständiger Optimierungsdrang inne?

Hier bewegen wir uns im Übergang zwischen Scouting und Kaderplanung. Als Scouting-Abteilung versuchen wir immer zu optimieren und Spieler zu finden, die etwas Spezielles haben, was wir noch nicht im Team haben. Die Kaderplanung differenziert sich dann davon. Da geht es darum, was die Gruppe benötigt, wie die Chemie innerhalb der Mannschaft ist und welchen finanziellen Spielraum man hat. Hier muss man auch mal Ruhe und Vernunft walten lassen und den eigenen Optimierungsdrang hintenanstellen.

Anschließend daran: Kannst du die HSV-Spiele am Wochenende ganz normal verfolgen, oder bist du zu der Zeit scouten?

Da verhält es sich 50:50. Ich versuche relativ häufig, die Heimspiele zu gucken, um auf dem Stand zu bleiben und mir mein eigenes Bild von der Mannschaft zu machen. Zugleich ist das Wochenende die Hauptarbeitszeit, in der wir normalerweise ohne die Corona-Pandemie unterwegs sind. In der Regel ist es eher so, dass man in einem anderen Stadion sitzt und das eigene Spiel später über Video verfolgt. Und das ist letztlich ja auch unser Job, denn das eigene Spiel sehen schon genug Leute, mit denen man sich im Nachhinein ausführlich austauschen kann.

Erschwert euch Corona noch eure Arbeit?

Ja, definitiv. Natürlich gibt es wie überall auch Lehren für die eigene Arbeit, die man aus dieser Pandemie ziehen kann. In puncto Effektivität und Digitalität kann man noch Prozesse optimieren, doch am Ende des Tages geht es bei allen Daten und Videos, die man zu einem Spieler hat, noch immer darum, einen Live-Eindruck von ihm zu bekommen. Wie spielt er? Wie wärmt er sich auf? Wie verhält er sich vor und nach der Partie? Wie reagiert er auf verschiedene Situationen? Besonders auch unter dem Einfluss von 30.000 Zuschauern. Hinzu kommt das Netzwerken vor Ort im Stadion. Diese Dinge kann man aktuell nicht vollständig abdecken. Zudem verrate ich kein Geheimnis, dass ein Highlight des Scouting-Jobs darin besteht, Spiele live vor Ort verfolgen zu dürfen. Das macht am meisten Spaß.           

Abschließend: Du deutest es an und sicherlich ist es für viele Fußball-Fans da draußen ebenfalls ein absoluter Traumjob, als Scout bei einem Bundesligisten arbeiten zu dürfen. Hat theoretisch auch der normale Fußball-Fan die Chance, in diesem Bereich zu arbeiten?

Theoretisch ja. Wie überall benötigt man natürlich das Glück, um im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und in diesen Bereich reinzurutschen, aber Scouting ist in erster Linie Fleiß, Neugierde und Disziplin. Ein Fußballspiel zu gucken und einmal zu schauen, wer der Beste ist, das kann eigentlich jeder, aber dann die Übersicht und Vergleichbarkeit herzustellen, schafft man nur, wenn man beharrlich bleibt, immer wieder guckt und seinen Horizont permanent erweitert. Das ist nicht in zwei Wochen getan, sondern für eine richtig gute Marktkenntnis muss man über Jahre in diesem Job arbeiten, um auch Entwicklungen und Trends beurteilen zu können. Es ist sicherlich kein Hexenwerk, aber definitiv ganz viel Arbeit und Fleiß.