AMADOU ONANA, ist gerade 19 Jahre alt, gehört aber bereits zu den festen Größen im Kader des HSV. Wie er seine Rolle im Team der Rothosen sieht, was ihn so sehr am HSV fasziniert und welchem Ziel er alles unterordnet – im großen HSVlive-Interview verrät er es.

Wer sich mit Amadou Onana unterhält, der hat nicht das Gefühl, mit einem 19-Jährigen zu sprechen. Zu klar und reflektiert kommt der im Senegal geborene Mittelfeldmann daher, der über Belgien und die TSG Hoffenheim zum HSV kam und sich direkt in seinem ersten Herrenjahr einen festen Platz im Kader der Rothosen nicht nur erkämpft, sondern vor allem auch erspielt hat. Denn Onana verfügt trotz seiner knapp zwei Meter Körperlänge über sehr gute technische Fähigkeiten und darüber hinaus über ein großes Spielverständnis und eine beeindruckende Dynamik. Bestaunen konnte man die ganze Farbpalette seiner Talente in der Entstehung seines Treffers gegen den SV Sandhausen, als er mit raumgreifenden Schritten davoneilte, im höchsten Tempo den Überblick behielt und technisch anspruchsvoll vollendete.

Die Vielzahl seiner Talente und sein unbedingter Wille, immer wieder den nächsten Entwicklungsschritt zu gehen, haben den Anstoß gegeben, mit Amadou Onana genau darüber zu sprechen: Was genau bedeutet Talent im heutigen Fußball, wie viel ist es wert und wie macht man das Beste daraus, um sich stetig zu entwickeln und die bestmögliche Version seiner selbst zu werden. Ein sehr erwachsenes Gespräch mit einem jungen Mann, der trotz seiner gerade einmal 19 Jahre bereits extrem viel erlebt hat und nun beim HSV die nächsten Schritte gehen möchte. Wie genau er sich dies vorstellt, was dabei seine Ziele sind und weshalb er diese unbedingt beim HSV erreichen wollte und will, das erklärt „Ama“ Onana im ausführlichen HSVlive-Interview.

Ama, du zählst beim HSV zu den ganz großen Talenten, hast zudem lange Zeit auch Basketball auf sehr hohem Niveau gespielt und sprichst fünf Sprachen fließend. Gibt es eigentlich überhaupt irgendetwas, das du gar nicht kannst?

Kochen. (lacht) Aber ich arbeite daran und versuche, Online-Kurse zu belegen, viel zu Hause zu kochen und jeden Tag etwas besser zu werden. Jetzt in Hamburg bin ich auf mich selbst gestellt, ich wohne nicht mehr zu Hause oder im Internat. Deshalb muss ich für mich selbst sorgen, daran arbeite ich. Aber es gibt in diesem Bereich auf jeden Fall viel Entwicklungspotenzial.

In unserem Gespräch soll es um genau diese Themen wie Entwicklung und Talent gehen. Deshalb: Wie würdest du für dich den Begriff Talent definieren?

Talent bedeutet für mich, dass ich Fähigkeiten besitze, die es mir erlauben, hier beim HSV sein zu dürfen. Aber so schön und wichtig Talent auch ist, so ist es doch nur ein sehr kleiner Teil von den notwendigen Faktoren einer erfolgreichen Karriere. Für mich zählt Fleiß mehr als Talent, denn irgendwann wird sich Talent allein nicht mehr auszahlen.

Hast du von klein auf an diesem Talent gearbeitet? Oder ist es einfach gewachsen, weil du in deiner Kindheit nicht nur Fußball, sondern vielfältige Sachen ausprobiert hast?

Ich habe vielleicht die technischen und körperlichen Voraussetzungen mit auf den Weg bekommen, um ein guter Spieler zu werden, aber man muss sich dennoch alles erarbeiten. Das habe ich getan. Gleichzeitig habe ich aber auch viele Dinge spielerisch erlernt. In Dakar gab es nahe unserem Zuhause einen Sportplatz mit einem Fußballtor und einem Basketballkorb. Damals habe ich mir gar nicht so viele Gedanken gemacht, was für mich am besten ist, ich habe einfach jeden Tag mit Freunden gespielt und Spaß gehabt. Egal ob Fußball oder Basketball.

Weil du nicht von Beginn an direkt im Verein gespielt hast, lag der Fokus mehr auf dem Spaß am Spiel?

Definitiv. Vielleicht war es sogar ein Vorteil, viel freier zu sein und viele Dinge ausprobieren und ohne Druck spielen zu können. Viele meiner späteren Mitspieler haben mir schon mit 13 oder 14 erzählt, dass sie unbedingt Profi werden wollen. Aber keiner von ihnen hat es gepackt. Es bis in den Profifußball zu schaffen, ist so facettenreich. Man muss natürlich das
Talent haben und zudem hart arbeiten, aber es braucht auch viel Glück, man muss richtige Entscheidungen treffen und verletzungsfrei bleiben. Es gehört sehr viel dazu.

Du bist später aus Dakar nach Brüssel gezogen, wo du dann auch in die renommierte Talentschmiede des RSC Anderlecht gewechselt bist. Wie hast du die Umstellung vom Bolzplatz zum Akademie-Fußball wahrgenommen?

Das war schon eine andere Welt für mich. Man kommt vom Kicken vor der eigenen Haustür, wo nur der Spaß zählt, zu einem Club, wo deine Mitspieler es mit allen Mitteln schaffen wollen, Profi zu werden. Da fängt es dann an mit der Konkurrenz. Für jemanden, der aus einer ganz anderen Kultur kommt, nämlich aus dem Senegal und vom Bolzplatz, ist das erst einmal ein Schock. Zudem musste ich zum Training eine Stunde lang mit dem Zug hin und zurückfahren und währenddessen auch noch meine Hausaufgaben machen. Das war viel Neues auf einmal. Zeit für Spaß blieb da erst einmal wenig.

Aber du hast es dir selbst ausgesucht? Es kam sozusagen aus dir heraus?

Hätte ich nicht gewollt, hätte ich es nicht gemacht. Ich war derjenige, der all das angetrieben hat. Meiner Mutter war es eigentlich gar nicht so recht, für sie war die Schule viel wichtiger. Mit einem Diplom hat man eine sichere Grundlage für die Zukunft, wohingegen beim Fußball eine Verletzung ausreichen kann, um deine Karriere zu beenden. Ich musste meiner Mutter daher versprechen, trotz des Aufwands rund um den Fußball fleißig in der Schule zu sein und gute Noten zu schreiben. Das habe ich getan, aber es war hart. Da kommt wieder der Begriff Entwicklung ins Spiel, denn ein solches Programm als 14-jähriger Teenager plötzlich zu meistern, das war eine ganz neue Erfahrung und somit schon auch eine große Entwicklung.

In dieser Zeit in Anderlecht hast du auch mal sechs Spiele als Torwart gespielt. War das tatsächlich eine Option oder nur eine Notlösung, um der Mannschaft zu helfen?

Wir hatten drei Torhüter, die sich alle gleichzeitig verletzt haben. In meiner Kindheit habe ich gern im Tor gespielt, deshalb habe ich dem Trainer meine Dienste angeboten, bis die anderen drei wieder fit sind. Ich war wohl ziemlich gut. (lacht) Aber im Ernst: Mir hat es viel Spaß gemacht und der Torwarttrainer wollte mich anschließend überreden, Torwart zu werden. Und ich habe wirklich überlegt. Aber am Ende habe ich mich für das Mittelfeld entschieden, das ist einfach meine Position.

Trotzdem passt es zu deinem Werdegang, denn du hast ja immer wieder mal etwas Neues ausprobiert. Wie bereits angesprochen auch Basketball, was du sehr erfolgreich und hochklassig gespielt hast. Hast du hierbei auch Dinge gelernt, die dir heute beim Fußball helfen?

Auf jeden Fall, allerdings eher unbewusst. Dass ich permanent den Kopf oben halte, um den Überblick zu haben und Mitspieler zu suchen, und dass ich den Ball sehr gut schütze und abschirme, würde ich dem Basketball zuschreiben. Ich habe Basketball auch wirklich gern gespielt, aber irgendwann kam ich an den Punkt, dass ich mich zwischen Fußball und Basketball entscheiden musste. Und ich habe meine Entscheidung voller Überzeugung zugunsten des Fußballs getroffen.

Dein Wechsel zur TSG Hoffenheim im Jahre 2017 war ebenfalls eine ganz bewusste Entscheidung. Warum hast du dich für diesen Schritt entschieden?

Für mich geht es immer um die Entwicklung. Daher habe ich bewusst diesen Schritt nach Deutschland gemacht, um mich selbst zu testen. Erstens meine sportlichen Fähigkeiten, denn ich hatte Erfolg in Belgien und wollte sehen, wie ich im Vergleich mit der internationalen Konkurrenz abschneide. Und zweitens meine mentalen Fähigkeiten: Wie bereit bin ich, etwas für das große Ziel zu opfern – beispielsweise, weit von der Familie entfernt zu sein. Aber ich wusste, dass Hoffenheim eine sehr renommierte Akademie hat und ich dort sehr viel lernen werde. Ich bin sehr dankbar für meine Zeit bei der TSG. Für mich war dies wieder ein nächster Schritt in meiner Entwicklung.

Fiel dir dieser Schritt leicht?

Es war leichter für mich als für viele andere Jugendliche, die nie zuvor so eine Umstellung hatten, denn ich war ja bereits aus dem Senegal nach Belgien gegangen. Diese Erfahrungen haben mich für die ersten Wochen in Sinsheim vorbereitet. Und die waren nicht einfach. Ich kam neu in eine bestehende Mannschaft und wurde erst einmal beäugt; ich saß abends in meinem Zimmer und musste ohne meine Familie klarkommen; und ich musste auf ein deutsches Gymnasium gehen, obwohl ich kein Wort Deutsch konnte. All das war alles andere als leicht. Dass ich es geschafft habe, hat mir die Überzeugung gegeben: Du bist bereit für eine Fußballkarriere.

Welche Erlebnisse haben dich noch so sicher gemacht, den Sprung schaffen zu können?

Beispielsweise die Spiele in der UEFA Youth League 2019. Das war das erste Mal, dass wir wirklich mit Druck umgehen mussten. Wir haben unter anderem gegen Real Madrid gespielt – vor ausverkauftem Haus. Das war eine ganz andere Hausnummer als unsere normalen Spiele. Und es war wieder eine Herausforderung, hinter die ich einen Haken machen und mich auf den nächsten Schritt konzentrieren konnte.

Dieser führte dich schließlich 2020 nach Hamburg. Und er brachte wieder Neues mit sich: Herrenfußball und einen großen Club mit ebenso großer Strahlkraft. Wie bist du den Schritt vom Kapitän und Leistungsträger in der Hoffenheimer U19 zum HSV-Talent in der 2. Bundesliga angegangen?

Ich habe diese Drucksituation gezielt ausgewählt. Drucksituationen sorgen dafür, dass ich mich wieder anpassen und das Beste aus mir rausholen muss. Wie stark bin ich mental, wie gehe ich mit der Situation um? Man kommt schließlich nicht zum HSV, um Zehnter zu werden… Aber ich war der Neue, der Jüngste. Ich musste mich hintenanstellen. Doch ich wusste, dass ich mit viel Fleiß und harter Arbeit vorankommen würde, zumal mir Jonas Boldt und Michael Mutzel einen klaren Plan aufgezeigt haben, wie ich mich wieder ein Stück weiterentwickeln kann und soll. Das fühlte sich einfach unglaublich gut an, deshalb habe ich mich für den HSV entschieden.

Und wie lautet dein Zwischenfazit?

Ich habe im Training hart gearbeitet und habe den Trainern und meiner Mannschaft gezeigt, dass ich kämpfen kann und dass ich alles für das Team gebe. Dadurch habe ich viele Einsätze gehabt, habe sogar häufig von Anfang an gespielt, und im DFB-Pokal und auch der Liga schon getroffen. Das ist sehr okay für den Anfang. Gleichzeitig weiß ich aber auch, dass ich noch sehr viel Arbeit vor mir habe. Aber ich liebe diese Arbeit mit dem Team. Ich wurde hier unglaublich herzlich aufgenommen und kann mir nicht vorstellen, dass viele Mannschaften in der Liga solch einen Teamgeist besitzen wie wir ihn in der Kabine haben.

Klingt, als würdest du dich in Hamburg und beim HSV absolut wohlfühlen.

Hamburg und der HSV haben es mir sehr leichtgemacht, mich wohlzufühlen. Die Menschen sind so freundlich, es ist eine tolle Stadt, die ich neu entdecke, und die Mannschaft ist super. Und alle schwärmen mir davon vor, wie unglaublich die Stimmung ist, wenn das Volksparkstadion voll ist. Darauf freue ich mich riesig, denn es ist so schade, dass ich das noch nicht mitgemacht habe. Aber das kommt schon noch, ich habe ja noch ein paar HSV-Jahre vor mir. Ich möchte hier noch so viel erleben.

Das gilt auch für dein Leben abseits des Fußballplatzes. Bist du weiterhin akribisch dabei, dich weiterzubilden?

Ja. Momentan mache ich online mein Abitur, das ich nach dem Umzug von Belgien nach Deutschland noch nicht abgeschlossen habe. Meine Mutter hat die Bedeutung der Schule immer betont. Mittlerweile braucht sie es mir nicht mehr zu sagen, die Motivation kommt aus mir heraus, sie ist intrinsisch. Ich versuche, es in diesem Jahr abzuschließen.

Sprachbegabt bist du ebenfalls. Französisch, deine Heimatsprache Wolof, Flämisch, Deutsch und Englisch beherrschst du bereits. Sollen es noch weitere Sprachen werden?

Ich denke, dass man nie zu viele Sprachen sprechen kann. Die nächste, die ich lernen möchte, ist Spanisch. Und vielleicht kommen dann auch noch welche hinzu. (lacht) Mir ist es wichtig, eine Beschäftigung neben dem Fußballplatz zu haben. Ich würde jedem empfehlen, nebenbei etwas zu machen, das einen auch intellektuell weiterbringt. Es geht immer darum, sich weiterzuentwickeln, und zwar in jedem Bereich des Lebens. Das ist meine Motivation.