Die Diagnose Kreuzbandriss hat Innenverteidiger RICK VAN DRONGELEN, den HSV und alle Rothosen-Fans im letzten Jahr geschockt. Aber der Niederländer hat sich zurückgekämpft – und in der Reha sehr viel über Körper und Geist gelernt. Im HSVlive-Interview spricht der 22-Jährige über seine Leidenszeit, Leidensgenossen und den richtigen Umgang mit einer derartigen Verletzung.
Es war ein handelsüblicher Zweikampf, wie er in jedem Fußballspiel zigfach vorkommt. Rick van Drongelen wollte Gegenspieler Kevin Behrens vom SV Sandhausen im Luftduell einfach nur an der Ballannahme hindern. Beim Aufkommen verdrehte sich der Niederländer aber so unglücklich das Knie, dass die Schreie, die anschließend durch das beinahe menschenleere Volksparkstadion hallten, nichts Gutes vermuten ließen. Noch am selben Abend erhielt der Innenverteidiger die niederschmetternde Diagnose: Kreuzbandriss im linken Knie. Für den Linksfuß war es die erste schwere Verletzung seiner immer noch jungen Karriere – und für den HSV und alle Fans der negative Höhepunkt eines rabenschwarzen Tages, der aufgrund der 1:5-Niederlage gegen den SVS im Nicht-Aufstieg mündete.
Genau 158 Tage nach diesem vermaledeiten 28. Juni 2020 führt Rick van Drongelen seine Laufgruppe beim HSV-Training mit einem breiten Grinsen an. Der Ehrgeizling aus der Kleinstadt Axel hat nur etwas mehr als fünf Monate gebraucht, um sich wieder zurückzukämpfen. Der 3. Dezember war die Belohnung für all den Aufwand in der Reha, die ertragenen Schmerzen und den unerschütterlichen Glauben an sich selbst. Darüber hinaus war es aber auch der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Denn als der Fanliebling erstmals nach seiner Verletzung wieder Teile des Teamtrainings absolvieren konnte, tat er dies mit einem neuen Mindset. Im HSVlive-Interview erklärt die Nummer 4 der Rothosen, warum genau das vor allem auf mentalen Aspekten beruht, wer ihm auf seinem Weg zur neuen, alten Stärke inspiriert hat und welche Ziele er sich für das neue Jahr gesetzt hat.
Rick, auf einer Skala von 1 bis 10: Wo würdest du deinen derzeitigen Gesundheitszustand einordnen?
Ich würde mir eine gute 8 geben. Es fühlt sich alles schon sehr gut an, aber noch nicht perfekt. Bis ich 10 sagen kann, werden noch ein paar Wochen vergehen.
Am 28. Juni 2020 hast du dir ausgerechnet im letzten Saisonspiel gegen den SV Sandhausen das Kreuzband gerissen. War dir in dem Moment des Aufpralls nach dem Zweikampf sofort bewusst, dass es sich um eine schwere Verletzung handelt?
Ja, ich habe sofort gespürt, dass irgendwas kaputt ist, weil ich den Knacks in meinem Knie gehört habe. So etwas habe ich noch nie erlebt, daher wusste ich, dass da etwas passiert ist. Der Schmerz war in dem Moment enorm. Als ich vom Platz gegangen bin, dachte ich für einen kurzen Augenblick, dass ich eventuell noch weiterspielen kann, aber da war ich schon längst ausgewechselt. Die Ärzte haben sofort erkannt, dass ich mich wahrscheinlich schwer verletzt habe.
Wie hast du reagiert, als dir die Diagnose Kreuzbandriss final überbracht wurde?
Ich musste weinen. Es war ein Schock, weil ich vor dieser Verletzung nie gesundheitliche Probleme hatte. Ich habe mal einen Schlag auf den Knöchel bekommen oder hatte eine Beule am Kopf, aber das hat mich dann höchstens ein bis zwei Spiele gekostet. Ein Kreuzbandriss hat eine ganz andere Dimension.
Welche Teamkollegen und Funktionäre waren in den Tagen danach besonders für dich da?
Vor allem unsere Mannschaftsärzte rund um Dr. Welsch und Dr. Schillings haben mich sehr gut aufgefangen. Auch das Physiotherapie-Team war sofort für mich da, weil sie natürlich wussten, dass ich in den kommenden Monaten viel Zeit mit ihnen verbringen werde. Das gleiche gilt für unseren Reha-Trainer Sebastian Capel und Daniel Müssig, der das Athletik-Training steuert. Aus der Mannschaft haben sich im Prinzip alle Spieler bei mir gemeldet, Timo Letschert war sogar bei mir zuhause. Am Tag der Operation waren zudem meine Eltern im Krankenhaus. Nach der OP kam auch Jan Gyamerah vorbei. Ich denke, dass er gefühlt hat, dass es für mich ein schlimmer Moment ist, weil er im Jahr davor auch selbst schwer verletzt war. Nachdem er bei mir war, wurde mir bewusst, dass ich auch stärker zurückkommen kann.
Timo Letschert hat selbst auch schon einen Kreuzbandriss erlitten. Konntest du dir bei ihm weitere Inspiration für den Weg zum Comeback holen?
Absolut. Ich habe in den Wochen danach viel mit ihm gesprochen, auch über seine Knie-Verletzung. Schon zuvor habe ich gesehen, dass er sich deswegen immer präventiv auf die Trainingseinheiten vorbereitet hat. Nach meinem Kreuzbandriss wusste ich, dass das für mich in Zukunft auch ganz wichtig sein wird. Als er am Tag der Verletzung bei mir war, ging es aber weniger um das Thema Knie, sondern vielmehr um ein Zeichen von ihm, dass ich in diesem schweren Moment nicht allein bin. Das war stark.
Hast du dich auch noch auf anderen Wegen mit dem Thema Kreuzbandriss auseinandergesetzt?
Mein Landsmann Memphis Depay hatte ebenfalls einen Kreuzbandriss und hat seinen Reha-Prozess bei Instagram für die Außenwelt geteilt. Er ist sehr schnell zurückgekommen, das hat mich fasziniert. Außerdem gibt es in den Niederlanden eine Website (www.fckruisband.nl, Anm. d. Red.), die sich nur mit dem Thema Kreuzbandriss beschäftigt.
Was hast du dort gelesen und welchen Mehrwert hatte das für dich?
Da gibt es viele Geschichten über Fußballer und andere Sportler, die ihren Weg nach dem Kreuzbandriss beschreiben. Es geht um die Höhen und Tiefen, die du in der Reha erlebst. Ich habe wirklich viel gelesen und hatte danach das Vertrauen, dass ich es packen kann.
War das dann auch der Punkt, an dem du wieder positiv in die Zukunft geschaut hast?
Ich war immer positiv und habe nicht einmal gemeckert. Ich wollte so schnell wie möglich operiert werden, damit das Knie wieder gesund wird. Schon eine Woche nach der OP habe ich kleine Übungen gemacht und dann weiter gesteigert. Natürlich gab es mal den einen oder anderen Moment, an dem man sich gedacht hat, dass es jetzt ruhig etwas schneller gehen könnte. Auf das Training habe ich mich aber immer gefreut.