Sachlich, nervenstark, zuverlässig. Bodenständig, bescheiden, geradeaus. Oder, wie es einst das Fachmagazin Kicker formulierte: „Einer der vorbildlichsten Kämpen, die je auf dem Fußballrasen standen.“ Am 23. Oktober feiert JOCHEN MEINKE seinen 90. Geburtstag. Herzliche Glückwünsche an einen großen HSVer, der seit einem Dreivierteljahrhundert Vereinsmitglied ist und noch länger die Raute ganz tief in seinem Herzen trägt.
»Jochen«, »Jocki«, »Jogi«, »Jochenfritz«, »Fritze«
Als die HSVlive-Redaktion in Rahlstedt anklingelt, nimmt Erika Meinke den Hörer ab. „Warten Sie mal kurz, ich hole Jochen.“ Dann ruft sie ins Haus: „Jogi! Der HSV ist am Telefon!“ Wir fragen direkt nach: „Jogi?“ Der Jubilar lacht: „Ja, so nennt mich meine Frau. Das hat aber nichts mit unserem Bundestrainer zu tun. Auch Hermann Rieger, mit dem ich zu gemeinsamen Zeiten in Ochsenzoll viel zu tun hatte, hat mich immer so genannt.“
„Jochenfritz“ hingegen, die in Geburtsurkunde und Personalausweis vermerkte Langversion, war im Prinzip nie gebräuchlich. Nicht einmal die Eltern, die diesen Namen ausgesucht haben, haben ihn so gerufen. „Der ist erst neuerdings wieder aufgekommen, nachdem das mal irgendwo in der Zeitung gestanden hatte“, sagt Meinke. „Die meisten sprechen mich mit ,Jochen‘ an. In Fußballer-Kreisen auch gerne mal mit ,Jocki‘. Und das ist auch völlig in Ordnung so.“
Und doch: Wir haben bei unserer Meinke-Recherche auch einen „Fritz“ entdeckt. Ja sogar einen „Fritze“. So jedenfalls kündigte der FC Burnley den Hamburger „Half-Back“ in seinem Programmheft zum Freundschaftsspiel im April 1952 an (siehe Ausriss).
Auf dem (Programm-)Zettel: Achtung, Fritze!
Hamburger Jung
Die Eltern stammten aus Stralsund, doch Jochen ist ein richtiger „Hamburger Jung“, der sein ganzes Leben in der Hansestadt verbrachte: Geboren am 23. Oktober 1930 in Hamm, aufgewachsen am Goldbekufer in Winterhude. Hier besuchte er die Grundschule in der Forsmannstraße, später dann das Heinrich-Hertz-Realgymnasium am Grasweg (1937 in „Oberschule am Stadtpark für Jungen“ umbenannt). Ein Kriegskind. Als Jochen neun Jahre alt war, war der große Weltbrand entflammt. Die Bilder sind ihm noch sehr präsent. Dem Abendblatt erzählte er Ende 2017: „Ich weiß noch genau, wie das war, als der Krieg ausgebrochen ist. Als Kinder wussten wir das aber nicht richtig einzuschätzen, wir bekamen bis 1943 nur Siegesmeldungen zu hören. In der Schule mussten wir Vorträge halten, wie weit unsere Soldaten im Osten und in Afrika vorgedrungen waren.“ Dass das womöglich nicht die ganze Wahrheit war, ahnte Meinke früh. Vater Kurt wurde 1940 zur Wehrmacht eingezogen, nach 1941 sah ihn die Familie erst wieder, als er 1949 aus polnischer Gefangenschaft heimkehrte. Mutter Käthe, eine starke Frau, brachte Jochen und seine beiden Geschwister gut durch. Für zwei Jahre nahmen die Meinkes noch eine vierköpfige Familie auf, deren Haus zerstört worden war. Acht Personen auf Dreieinhalb-Zimmern – prägende Zeiten.
(Fast) nur der HSV!
Der Fußball, speziell der des HSV, spielte im Hause Meinke schon immer eine zentrale Rolle. Die Eltern waren begeisterte Anhänger und Stammbesucher im Stadion am Rothenbaum. Und Klein-Jochen durfte schon früh mit zu den großen Spielen, auch ohne Eintritt zu bezahlen. Sich hinterm väterlichen Rücken an den Ordnern vorbeizumogeln, die in schwierigen Zeiten gewiss auch nicht ganz so scharf hinguckten, klappte eigentlich immer. Nachdrücklich im Gedächtnis ist ihm das „Gesellschaftsspiel“ gegen den englischen Spitzenklub FC Brentford vom Mai 1937 geblieben. Die „busy Bees“ (fleißigen Bienen) aus West-London zeigten große Fußballkunst und pieksten den HSV mit Größen wie Torwart Walter Warning, Richard und Friedo Dörfel, Werner Höffmann, Rudi Noack und Guschi Carstens bei ihrem 3:0-Sieg kräftig.
Völlig logisch: Auch Jochen sollte und wollte eine Rothose werden. 1943 war es schließlich so weit. Meinke erzählt: „Ich hatte den Mitgliedsantrag schon fertig ausgefüllt. Als Eintrittsdatum war Montag, der 26. Juli 1943 eingetragen.“ Doch unmittelbar zuvor, in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli 1943 starteten alliierte Fliegerverbände mit der „Operation Gomorrha“ die bis dahin schwersten Angriffe in der Geschichte des Luftkrieges. Die Flächenbombardements entfachten insbesondere in den östlichen Hamburger Stadtteilen einen verheerenden Feuersturm, dem schätzungsweise 34.000 Menschen zum Opfer fielen. Für Meinke hatte sich das Thema HSV damit zunächst erledigt. Mutter Käthe verhängte ein HSV-Verbot! Nachvollziehbarerweise, denn der 14 Kilometer lange Weg vom heimischen Winterhude zum Training nach Ochsenzoll war zu weit und – in Zeiten von Fliegerangriffen – damit auch zu gefährlich. Organisiert Fußball spielte Meinke aber ab Sommer 1943 trotzdem und meldete sich stattdessen beim nahegelegenen SC Sperber an. Der trainierte unweit der Schule, auf den Grandplätzen der „Neuen Welt“ im nördlichen Stadtpark, die es noch immer gibt.
Der HSV blieb trotzdem das Ziel. Aufgeschoben, nicht aufgehoben.
Verbindungen fürs Leben: Jochen Meinke mit seinen Fußballkumpels Uwe Seeler, Herbert Kühl und Willi Christoph (ca. 1945) und mit Ehefrau Erika (2009).
Wenige Wochen nach Kriegsende klappte es. Jochen Meinke wechselte zum ersten und einzigen Mal den Klub. Seit dem 1. Juli 1945 ist er ganz offiziell ein HSVer. Mitgliedsnummer: 23930. Sein erstes Spiel? Meinke muss bei dieser Frage nicht überlegen (und man ahnt, warum ihn seine langjährigen Mitspieler heute liebevoll „unser Lexikon“ nennen und bei kniffligeren dokumentarischen Nachfragen gerne auf ihn verweisen): „8. Juni 1945. Mit der 1. Schülermannschaft gegen den WFC. Wir haben 2:1 gewonnen.“ Wo? Wieder kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Oelmühlenweg.“
Was damals in Wandsbek niemand ahnen konnte: Es ist der Auftakt einer der längsten und erfolgreichsten Karrieren innerhalb des an langen und erfolgreichen Karrieren nicht gerade armen HSV. Doch es ist noch viel mehr als das, nämlich der Ausgangspunkt für lebenslange (Ver-)Bindungen: In der HSV-Jugend etwa lernte Meinke Dieter Seeler kennen. Sympathie quasi auf den ersten Kick. „Komm doch mal nach Eppendorf“, lautete die Einladung schon im August 1945. Meinke kam. Immer wieder. Nachmittagelanges Bolzen auf den kaum befahrenen Straßen, Trümmergrundstücken oder der Wiese im Hayns Park mit den Jungs aus dem spielstarken Straßenteam der „Fricke“. Zu dem gehörte neben Dieter auch dessen fünf Jahre jüngerer Bruder Uwe und Herbert Kühl, der beim SC Victoria und später beim FC St. Pauli spielte. Im Elternhaus seiner HSV-Kumpels in der Schnelsener Straße 16 (heute: Winzeldorfer Weg) ging Jochen Meinke ein und aus, auch weil dessen Türen weit offen standen. Gastfreundschaft wurde bei den Seelers ganz großgeschrieben. Ein zweites Zuhause. „Das Essen war zwar knapp, aber bei den Seelers gab es immer was, auch weil ,Vadder‘ Erwin im Hafen arbeitete und immer irgendwas organisierte.“
Beim HSV – wo sonst? – lernte Jochen Meinke schließlich auch seine große Liebe kennen. Die spielte genau wie Gertrud „Purzel“, die Schwester der beiden Seelers, und Uwes spätere Ehefrau Ilka im HSV Handball. „1950 haben Erika und ich uns das erste Mal getroffen.“ Und seit 66 Jahren sind die beiden mittlerweile schon miteinander verheiratet. Eine mit Gold, Platin und Diamanten ausgezeichnete – ja mittlerweile schon „eiserne“ – Partnerschaft. Die offizielle „Familienzugehörigkeit“ zum HSV jährte sich in diesem Sommer sogar schon zum 75. Mal. Dafür gab es die Goldene Nadel mit Eichenkranz. Auch das eine Ehrung, die nicht sehr oft vergeben wird.
(Ober-)Liga-Spieler: Dauerbrenner, Allrounder, Rekordmann
Zur Saison 1949/50, im Alter von knapp 19 Jahren wurde Jochen Meinke aus dem Nachwuchs der „Rothosen“ in die Liga-Mannschaft übernommen. Neuzugänge am Rothenbaum waren außer ihm neben Trainer Georg Knöpfle u.a. auch Mittelläufer Jupp Posipal von Arminia Hannover, der spätere Weltmeister und „Held von Bern“, sowie aus Braunschweig die Stürmer Werner Harden und Rolf Rohrberg. „Für mich ging ein Traum in Erfüllung“, erinnert sich Meinke. „Als junger Buttje guckte ich bei jedem Spiel zu, nun durfte ich mitmachen. Ich hatte einen Riesen-Respekt und habe zu Anfang meine Mitspieler gesiezt. Das haben die mir aber ganz schnell abgewöhnt: ,Hör‘ auf damit, du bist ja nicht ganz dicht‘!“ Besonders Posipal nahm den Youngster unter seine Fittiche. „Der beste Kollege, den man sich vorstellen kann. Ein großer Spieler sowieso. Überragender Kopfball, fantastisches Stellungsspiel, einzigartig sein Blick zum Ball. Von ihm habe ich mir im Laufe der Jahre einiges abgeguckt.“
Schnörkelloser, sachlicher Stopper: Jochen Meinke im April 1958 gegen Holstein Kiels Stürmer Peter Hoffmann.
Am 9. Oktober 1949, dem vierten Spieltag, feierte Meinke beim 5:2-Heimerfolg über Hannover 96 am Rothenbaum sein Debüt in der Oberliga Nord. Der Nachwuchsmann wurde auf halbrechts in der Sturmreihe aufgeboten, zwischen Rechtsaußen Rohrberg und Mittelstürmer Posipal. Das Abendblatt notierte: „Der junge Meincke (sic!) braucht noch viel, um sich in diesen Angriff einzufügen (…)“ Die Gelegenheit dazu bot sich jedoch zunächst nicht. Eine schwere Meniskusverletzung stoppte das aufstrebende Talent, das so in seiner Premieren-Saison und auch in der darauffolgenden Spielzeit auf jeweils nur drei Punktspiel-Einsätze kam. Schlimmer noch: Durch den Knieschaden verpasste Meinke auch die spektakuläre „Goodwill-Reise“ des HSV im Sommer 1950 in die USA, rückblickend die größte Enttäuschung seiner Laufbahn: „Ich lag im Krankenhaus und musste am Radio mitanhören, wie der Abflug der Mannschaft kommentiert wurde. Das war sehr hart. Wenigstens hat Paul Hauenschild dafür gesorgt, dass man mir alle Souvenirs mitbrachte.“
Doch Kämpfertyp Meinke kam nach seinem Stotterstart wieder ins Rollen. Und wie: Als mit dem Torwart, Freund und langjährigen Zimmergenossen auf Auswärtsreisen Horst Schnoor zur Serie 1952/53 der nächste leistungsstarke Jugendspieler erfolgreich in den HSV-Ligakader nachrückte, gelang ihm auf der Position des Außenläufers mit 33 Oberliga-Einsätzen und vier Toren endgültig den Durchbruch zum Stammspieler. Meinke lief und lief. Im Wortsinn. „Ich konnte schon immer marschieren. Kondition war meine große Stärke“, beschreibt er rückblickend seine Qualitäten. „Ich war auch recht antrittsschnell, gut auf den ersten drei bis fünf Metern. Und – allein schon wegen meiner Größe – im Kopfball nur schwer zu bezwingen.“ Schlaks Meinke spielte deshalb lieber gegen großgewachsene als gegen kleine, wendige Stürmer. Seine Lieblings-Kontrahenten? „Der Hannoveraner Erich Loth. Auch gegen Werders „Pico“ Schütz habe ich eigentlich immer ganz gut ausgesehen.“
Ein weiterer Trumpf: Meinkes Vielseitigkeit. Sie machte ihn zur unverzichtbaren Allzweckwaffe und letztlich mit 307 Spielen zum Oberliga-Rekordmann des HSV. 52-mal lief Meinke zudem für den HSV in Endrundenspielen um die Deutsche Meisterschaft auf. Ein Wert, den im ewigen Ranking lediglich die fünf Schalker Fritz Szepan, Ernst Kuzorra. Otto Tibulski, Ernst Kalwitzki und Hans Bornemann, in den 1930er und 40er Jahren Dauergäste in der Endrunde, sowie vereinsintern Torwart Schnoor (54) toppten.
Positionsbestimmung: Allrounder Jochen Meinke war bei seinen 307 Oberliga-Einsätzen im damals üblichen „W-M-System“ fast überall im „M“ unterwegs.
In Mittelfeld und Abwehr hat Jochen Meinke quasi alles gespielt. Für zehn Minuten sogar im Tor. Im April 1955 war das, in Altona, als sich Keeper Günther „Moni“ Wolf, der Onkel von Uwe und Dieter Seeler, das Wadenbein brach. Das „Lexikon“ erinnert sich noch genau und verschweigt auch nicht, dass er noch den Treffer zum 2:3-Endstand kassierte. Die Presse vermerkte nachsichtig, dass den 25-Meter-Schuss von Heinrich Feldmann wohl „nur ein ,gelernter‘ Tormann gehalten hätte“. Der eigene Offensivdrang hielt sich dagegen in Grenzen. Zwischen 1952 und 1955, als Meinke vornehmlich als rechter Läufer aufgestellt wurde, taucht sein Name insgesamt zehnmal in den Torschützenlisten auf, in den weiteren acht Oberliga-Jahren jedoch steht die Null. An der Mittellinie war Schluss, „Grenzverletzungen“ gab es nicht. „Das machte mir nichts“, sagt Meinke. „Fürs Toreschießen hatten wir ja genügend andere, die das sehr gut und erfolgreich machten.“
Als Jupp Posipal nach der Saison 1957/58 seine aktive Laufbahn beendete, beerbte Jochen Meinke sein Vorbild nicht nur in der Rolle des Mittelläufers und Abwehrchefs, sondern auch in der des Kapitäns. „Auf, ihr Männer!“ Fünf Jahre ging Meinke beim HSV voran, führte die Mannschaft 1960 zur langersehnten Deutschen Meisterschaft und danach in ihre ersten bis heute legendären Europacup-Spiele.
Die Rekordspieler der Oberliga Nord (1947-63)
Die Rekordspieler der Oberliga Nord (1947-63)
Die Einführung der landesweiten Elite-Spielklasse im Jahr 1963 markierte auch für Meinke eine Zäsur. „Mit der Bundesliga begann ja eine neue Zeit im Fußball. Dazu fühlte ich mich mit 32 Jahren zu alt. Ich hatte eine Tankstelle, die Kinder sind zur Schule gekommen. Ich hätte in meinem Alter kaum noch Bäume ausreißen können.“ Bereits zur Rückrunde 1962/63 wurde mit dem 22-jährigen Hubert Stapelfeldt ein Nachfolger aufgebaut und eingesetzt. Am 3. Februar 1963 absolvierte Jochen Meinke, „der Immertreue“, wie ihn der Journalist Günther Rackow nannte, beim 1:2 gegen Altona 93 am Rothenbaum sein 400. und letztes Pflichtspiel für den HSV. Eine Marke, die nach ihm nur noch neun weitere HSVer knackten (siehe Tabelle). Ein Legenden-Klub, der wohl für immer so illuster und nur zehnköpfig bleiben wird, da er eine Verweildauer von mindestens zehn bis zwölf Jahren auf sportlichem Top-Niveau voraussetzt.
Bis 1965 zählte Meinke zwei Bundesliga-Spielzeiten lang mit einem „Ehrenvertrag“ weiterhin zum Kader der Liga-Mannschaft, trainierte fleißig mit und stand als Backup für Notfälle zur Verfügung. Schöne Pointe: Die 1950 noch so schmerzlich verpasste Amerikareise konnte er dabei im Mai 1964 nachholen. Mehr noch: Meinke zog noch einmal ganz groß auf, insbesondere im Spiel gegen den frischgebackenen englischen Meister FC Liverpool in New York. Trainer Georg Gawliczek hatte angeordnet: „Jochen, Sie spielen Libero!“ Die auf die irritierte Rückfrage („Was ist das denn?“) folgenden Instruktionen setzte Meinke derart gut um, dass Gawliczek nach dem 2:0-Sieg sagte: „Sie sind mein Mann!“ Doch Meinke lehnte das Angebot zum Wiedereinstieg dankend ab. „Nach so einem Erlebnis konnte es ja eh nur noch abwärts gehen.“
400+: Die meisten Pflichtspiele für den HSV
400+: Die meisten Pflichtspiele für den HSV
Ganz lassen konnte Meinke vom Fußball aber natürlich nicht. Mit alten Mitspielern aus der Meistermannschaft wie Uwe Reuter, Franz „Lolli“ Klepacz und später auch Klaus „Micky“ Neisner verabredete er sich regelmäßig zum Kicken im Stadtpark. Anschließend zog die Trainingsgemeinschaft dann weiter in eine nahegelegene Lokalität in Winterhude: Eugens erstes Block House in der Dorotheenstraße 57. In geselliger Runde entstand bei Steak und Pils die Idee, nicht nur auf der Wiese zu spielen. Aus lockeren Anfragen für ein freundschaftliches Kräftemessen wurden konkrete Spielabschlüsse − die „HSV-Altliga“ war geboren. Es muss im späten Frühjahr oder Sommer 1967 gewesen sein, da sind sich alle Beteiligten einig, als die Mannschaft ihren ersten offiziellen Auftritt feierte. Engagierte Initiatoren und Motoren des langlebigen Erfolgsprojekts waren Horst Eberstein und Charly Schumacher.
Backup mit „Ehrenvertrag“: Meinke im HSV-Bundesliga-Kader der Saison 1964/65 (mittlere Reihe, 3.v.l.).
Titelsammler
Normalzustand: Abo-Meister. Der HSV holte zwischen 1947 und 1963 15 von 16 möglichen Nord-Meisterschafften. Allein 13-mal war Jochen Meinke mit dabei, z.B. 1960 (hintere Reihe, Mitte).
Jochen Meinkes persönlicher Trophäenschrank ist prall gefüllt. In 15 von 16 Spielzeiten der Oberliga Nord stand der HSV am Ende ganz oben in der Tabelle. An 13 dieser 15 Meisterschaften wirkte Meinke mit – unerreicht. Die am schönsten funkelnde Silberware konnte er aber 1960 einsortieren. Aller guten Dinge waren damals vier: Drei große Endspiele in Serie hatte Jochen Meinke mit dem HSV schon vergeigt: 1957 das DFB-Pokal-Finale gegen den Karlsruher SC (1:3), 1957 und 1958 die Spiele um den DM-Titel gegen Borussia Dortmund (1:4) bzw. Schalke 04 (0:3). Am 25. Juni 1960 aber klappte es: Mit einer nahezu ausnahmslos aus Hamburger Jungs bestehenden Mannschaft griff sich der HSV in Frankfurt am Main durch ein 3:2 über den 1. FC Köln erstmalig die Salatschüssel. 100.000 Menschen empfingen den neuen Meister tags darauf am Dammtor und machten den Autocorso zum Rothenbaum zu einem einzigen, unvergesslichen Triumphzug. Kapitän Jochen Meinke, der immer wieder stolz die Trophäe in die Luft reckte, erklärte: „Kann man es uns verdenken, wenn wir sagen, dass wir als Mannschaft so glücklich sind wie noch nie? Einmal musste es doch gelingen.“
Jochen Meinkes persönlicher Trophäenschrank ist prall gefüllt. In 15 von 16 Spielzeiten der Oberliga Nord stand der HSV am Ende ganz oben in der Tabelle. An 13 dieser 15 Meisterschaften wirkte Meinke mit – unerreicht. Die am schönsten funkelnde Silberware konnte er aber 1960 einsortieren. Aller guten Dinge waren damals vier: Drei große Endspiele in Serie hatte Jochen Meinke mit dem HSV schon vergeigt: 1957 das DFB-Pokal-Finale gegen den Karlsruher SC (1:3), 1957 und 1958 die Spiele um den DM-Titel gegen Borussia Dortmund (1:4) bzw. Schalke 04 (0:3). Am 25. Juni 1960 aber klappte es: Mit einer nahezu ausnahmslos aus Hamburger Jungs bestehenden Mannschaft griff sich der HSV in Frankfurt am Main durch ein 3:2 über den 1. FC Köln erstmalig die Salatschüssel. 100.000 Menschen empfingen den neuen Meister tags darauf am Dammtor und machten den Autocorso zum Rothenbaum zu einem einzigen, unvergesslichen Triumphzug. Kapitän Jochen Meinke, der immer wieder stolz die Trophäe in die Luft reckte, erklärte: „Kann man es uns verdenken, wenn wir sagen, dass wir als Mannschaft so glücklich sind wie noch nie? Einmal musste es doch gelingen.“
Ausnahmezustand: Großer Bahnhof am 26. Juni 1960 für Kapitän Meinke, Torwart Schnoor und Trainer Mahlmann (v.l.) am Dammtor.
Kapitän und Ehrenmann
In guter Gesellschaft: Als Nachfolger seines Vorbilds Jupp Posipal und Vorgänger seines Freundes aus Kindertagen Dieter Seeler führte Jochen Meinke fünf Jahre lang den HSV als Kapitän an. Er war dabei kein Lautsprecher, aber einer, dessen Wort Gewicht hatte und gehört wurde. Sein Amt füllte Meinke so aus, wie er sich als Spieler auf dem Platz präsentierte: zuverlässig, geradeaus, hanseatisch. Uwe Seeler begrüßt ihn noch heute bei jedem Wiedersehen mit den Worten: „Moin, mein Kapitän!“ Meinke sagt: „Das freut mich immer sehr!“
Hanseatischer Anführer: HSV-Kapitän Jochen Meinke im März 1959 im Kieler Holstein- und im November 1960 im Berner Wankdorf-Stadion.
24. Juni 1959: Goldene Nadel (rund)
für „außerordentliche Leistungen und Verdienste für den Verein“ (zugl. Ehrenmitgliedschaft gem. § 8 Ziff. 5 der Satzung)
1963-1965: Ehrenvertrag,
Mitglied des HSV-Bundesliga-Kaders
23. Januar 1967: Goldener Ehrenring mit Lapislazuli und Brillanten
(als 2. HSVer nach Jupp Posipal 8/1958)
Juli 1970: Silberne Nadel (klein, eckig)
für 25 Jahre HSV-Mitgliedschaft
Juli 1995: Goldene Nadel (klein, eckig)
für 50 Jahre HSV-Mitgliedschaft
Dezember 1999: Nominierung für die „100 besten Hamburger Fußballer des Jahrhunderts“
(Rang 40; Hamburger Abendblatt, 29.12.1999)
8. August 2007: Fußabdruck auf dem „Walk of Fame“
April 2019: Nominierung als Abwehrchef der Top-Elf aus gebürtigen Hamburgern
(HSVlive #9, 2018/19)
Juli 2020: Goldene Nadel mit Eichenkranz
für 75 Jahre HSV-Mitgliedschaft
Der Auswahlspieler
Meinke für Deutschland? Das forderten viele, die regelmäßig die starken Leistungen den HSVers in der Oberliga verfolgten. Und tatsächlich: Beinahe wäre aus dem Lokalhelden auch eine nationale Ikone geworden, ein „Held von Bern“ oder zumindest WM-Teilnehmer. 1952/53 wurde der Hamburger zu DFB-Lehrgängen eingeladen, und als Bundestrainer Sepp Herberger Anfang März 1954, gut dreieinhalb Monate vor dem Start des Turniers in der Schweiz, einen vorläufigen, 54-köpfigen Kader benannte, war der Name Meinke mit dabei. Die große Bewährungsprobe stieg am 24. April 1954: B-Länderspiel gegen die Schweiz. Von den 14 damals in Offenburg eingesetzten Akteuren wurden neun für den 22-Mann-starken WM-Kader nominiert. Meinke gehörte nicht mehr dazu. Zu Recht, wie er rückblickend bestätigt: „Meine Leistung in diesem Spiel war nix.“
Das Abendblatt attestierte dem links in der Läuferkette mit dem Kölner Paul Mebus sowie dem Kasseler Karl Hutfleß aufgebotenem Meinke zwar gutes Timing, mit zunehmender Spieldauer aber auch einige Ungenauigkeiten. Zur Halbzeit wurde Meinke, wie vorher geplant, gegen den Sodinger Gerhard Harpers ausgewechselt.
Der Weltklasse ganz dicht auf den Fersen bzw. den Füßen: Meinke und seine Gegenspieler Di Stéfano (Real Madrid, 1959), Eusébio (Benfica Lissabon, 1962) und Pelé (FC Santos, 1962, von oben nach unten).
45 Minuten also für Deutschland. Immerhin. Meinke hadert nicht, ist eher stolz, dass er mehrfach für die Auswahlen von Norddeutschland und Hamburg auflaufen durfte. Die große internationale Bühne enterte er auch so, im Dress des HSV. Von Ende der 1950er Jahre bis zum Bundesliga-Start lud sich der HSV zahlreiche Top-Klubs zu Freundschaftsspielen ein, das Volksparkstadion avancierte zum „Wohnzimmer der Weltklasse“. Hinzu kamen 1960/61 die Spiele im Europacup der Landesmeister. Bern, Burnley, Barcelona – bestes Ballyhoo. Und Meinke wurde mit Verspätung doch noch zum „Helden von Bern“: Die Premiere, ein 5:0 über die Young Boys im Wankdorf, war für ihn der beste Auftritt. „Ein sagenhaftes Spiel. Leider wurde es damals nicht im Fernsehen übertragen und bekam somit in der Öffentlichkeit nicht den gebührenden Stellenwert.“
Beruf und Berufung
Fußball nach dem Krieg und vor der Bundesliga – die Zeit der Vertragsspieler und Halbprofis. Jochen Meinke begann nach der Schule im Jahr 1949 eine Ausbildung als Drogist bei der Post-Drogerie Hans Harder am Mühlenkamp. Nach seinem Abschluss 1951 fand er eine Anstellung beim Großhandel Alfred Becker & Co. an der Burchardstraße. Trainiert wurde beim HSV zweimal wöchentlich, dienstags und donnerstags von 17 bis 19 Uhr am Rothenbaum. Chefs und Kollegen halfen mit, dass Meinke auch seine Fußball-Termine wahrnehmen konnte. Auch wenn die Summen mit denen heutiger Tage natürlich nicht im Ansatz vergleichbar sind, war das monatliche Gehalt, das es als Oberliga-Spieler gab, weit mehr als ein bisschen „Beigeld“. Meinke hat die Zahlen noch genau präsent: 1951 gab es 320, später dann 360 und 400, wenn die Spiele um die Deutsche Meisterschaft anstanden sogar 600 Mark. Zum Vergleich: Als Angestellter vierdiente Meinke 150 bis 180 Mark. Dazu kamen die Prämien: 50 Mark pro Sieg. „Die gab es unter der Woche nach dem Training direkt auf die Hand“, erinnert sich Meinke und lacht: Heute darf man das ja zugeben. Das Beste: Die Prämien bekamen alle Spieler des Kaders, auch die, die nicht zum Einsatz gekommen waren. „Alle bekamen das gleiche Geld, das war uns sehr wichtig. Neid gab es nicht, wir waren eine verschworene Gemeinschaft.“ Was gönnte man sich damals? Ein bisschen Luxus? Jochen Meinke erinnert sich an einen grünen Ledermantel: „Heinz Spundflasche trug als erster so einen. Der kostete bei Leder Teichert 360 Mark. Ich hatte das Geld nicht ganz zusammen, wollte aber unbedingt auch diesen Mantel haben und nahm deshalb einen Kredit auf, den ich mit 50 Mark monatlich wieder abgestottert habe. Später habe ich mich geärgert, dass ich diese Schulden hatte.“
Tiger im Tank: Genügend Sprit hatte Konditionswunder Meinke immer.
1953 wechselte Jochen Meinke ins elterliche Geschäft. Vater Kurt betrieb am Hachmannplatz, direkt am Hauptbahnhof, eine Tankstelle und war anschließend Chef eines Autohofs in der Süderstraße, nahe der Elbbrücken. Hier befindet sich noch heute eine große Shell-Tankstelle. Meinke erzählt eine Anekdote, die für diese Zeit typisch für das Verhältnis von Arbeit und Fußball war: „Wir spielten im Juni 1956 in der Deutschen Meisterschaft beim VfB Stuttgart. Das Spiel war sonntags, und wir sind nachts noch mit dem Zug zurückgefahren und morgens um sieben am Hauptbahnhof in Hamburg angekommen. Ich bin dann direkt zur Tankstelle gefahren. Mittags kamen dort die ersten LKW aus Stuttgart an. Ein Fahrer guckte mich völlig verdattert an: ,Wieso, du hast doch gestern gespielt!‘ Ich entgegnete: ,Ja, und?‘ Das konnte der überhaupt nicht begreifen.“
1972 übernahm er die Geschäftsführung des Autohofs vom Vater. 1979 schließlich die Rückkehr zum HSV, den er nie verlassen hatte. Nun aber in offizieller, beruflicher Mission. Meinke wurde Nachfolger von Jockel Krause und amtierte bis 1992 als Leiter und Verwalter des Leistungszentrums und Trainingsgeländes in Ochsenzoll.
Wieder ganz dicht dran am Ball, ein Blick auf und Handreichung für Talente, die den Weg in die Bundesliga fanden, etwa Torwart Richard Golz, Stefan Schnoor, Thomas Hinz oder André Golke.
Wer sich mit Jochen Meinke unterhält, merkt schnell, dass ihn der Fußball nie losgelassen hat. Nicht nur wenn er als lebendes und vor allem lebendiges HSV-Lexikon brilliert und als pointensicherer Geschichtenerzähler von alten Zeiten berichtet. Gemeinsam mit Ehefrau Erika besucht er, wann immer es geht, die HSV-Heimspiele im Volksparkstadion. Einen Operation-Marathon ab April 2019 mit sieben z.T. großen Eingriffen binnen zehn Monaten hat er erstaunlich gut bewältigt. Regelmäßiges Schwimmen und Lesen haben den 90-Jährigen fit gehalten. „Man muss immer in Gang bleiben, nicht nur im Sessel hängen. Und: Ich treffe noch immer meine früheren Mitspieler, auch die von Sperber. Freundschaft ist ein großer Wert für mich.“ Ebenso wie die Treue – sei es zu Ehefrau Erika oder zu seinem HSV. Der dankt einem großen HSVer und vor allem einem besonderen Menschen für so viele Jahre und Jahrzehnte Freundschaft und Treue. Und gratuliert herzlich zum 90. Geburtstag. Alles Gute, lieber Jochen!