Im HSVlive-Interview spricht Neuzugang MORITZ HEYER über den väterlichen Ursprung seiner Beidfüßigkeit, seine vielseitigen Defensivfähigkeiten und seine rasante Entwicklung in den vergangenen Jahren – die nun beim HSV ihren nächsten Schritt erfährt.

Polyvalent – Trainerlegende Jupp Heynckes ließ diesen eher etwas sperrigen Begriff einst im Fußball Einzug erhalten. Bereits zu seiner Zeit in Leverkusen vor rund zehn Jahren sprach er von polyvalenten Spielern, bezeichnete später als Bayern-Coach vor allem FCB-Weltmeister Thomas Müller so – und beschrieb damit im Prinzip einen vielseitig einsetzbaren Spieler, der gleich mehrere Positionen bekleiden kann. Eine Zustands­beschreibung, die auch auf HSV-Neuzugang Moritz Heyer absolut zutreffend ist. „Moritz kann Innenverteidiger, Außenverteidiger, Sechser oder Achter spielen. Ihn zeichnet eine Polyvalenz aus, die uns variabler macht“, bestätigt Cheftrainer Daniel Thioune, der den 25-Jährigen bereits in der Vorsaison beim VfL Osnabrück trainierte. Wie variabel der beidfüßige Defensivspezialist unterwegs ist, zeigte er dann auch gleich in seinem HSV-Debüt gegen Fortuna Düsseldorf (2:1), als er rund 24 Stunden nach der Unterschrift unter seinem neuen Dreijahresvertrag einen Einstand nach Maß feierte. „Moritz hat gespielt, als wäre er schon fünf Jahre hier“, lobte Sportdirektor Michael Mutzel, der zuletzt einen weiteren Beleg für die Vielseitigkeit Heyers erhielt, als dieser für den verletzten Kapitän Tim Leibold den Posten des Linksverteidigers übernahm. Wo die Wurzeln für seine besondere Polyvalenz und große Anpassungs­fähigkeit liegen und warum der HSV für ihn die nächste große Stufe in einer von Bodenständigkeit geprägten Karriereleiter ist, darüber spricht Moritz Heyer im großen Interview mit dem HSVlive-Magazin.         

Moritz, in unserem Gespräch soll es unter anderem um deine Vielseitigkeit gehen. Dazu zählt auch, dass du mit links wie rechts gut mit dem Ball umgehen kannst. Wie bekommt man zwei so gute und nahezu gleichwertige Füße?

(schmunzelnd) Puh, gute Frage. Ein großer Aspekt ist sicherlich das Training. Mein Vater hat mich frühzeitig darauf gepolt, auch meinen linken Fuß zu trainieren. Diesen Ratschlag habe ich über all die Jahre immer beherzigt und bin glücklich, dass es so gut geklappt hat. Mein linker Fuß ist zwar nicht gleich gut, aber er ist schon nicht so schlecht.

Als Kind stellt man zumeist ja früh fest, welcher Fuß der starke ist. Inwieweit kannst du dich noch an deine ersten Gehversuche mit dem Ball erinnern? 

Viele Erinnerungen habe ich an meine Anfänge nicht mehr, aber mir wurde erzählt, dass ich auch schon in jungen Jahren mal mit links ein Tor gemacht habe. Es war wohl nie so, dass ich nur mit rechts schießen konnte, sondern ich habe immer mit beiden Füßen gearbeitet. Sicherlich wurde mir das auch in puncto Veranlagung ein Stück weit in die Wiege gelegt.    

Durch wen bist du damals zum Fußball gekommen?

Der Einfluss kam ganz klar durch meinen Vater. Als ich im Kleinkindalter war, hat er als Spielertrainer in der Bezirks- oder Landesliga gekickt. Ich habe damals kein Spiel von ihm verpasst und ihm immer zugesehen. Ich weiß noch, dass er eigentlich ein offensiver Spieler, meist Stürmer oder Zehner, war, ehe er mit dem Alter irgendwann zum Libero wurde. Mit drei oder vier Jahren habe ich dann selbst angefangen, Fußball zu spielen. Ich habe immer versucht, mir etwas von meinem Vater abzugucken und habe in der Halbzeit oder nach dem Abpfiff seiner Spiele auf dem Platz gebolzt.

Du bist in Ostercappeln, einer 10.000-Einwohner-Gemeinde im Süden Niedersachsens, geboren und in ganz jungen Jahren ins benachbarte Bramsche gezogen. Welche Erinnerungen hast du an deine Kindheit dort?

Bramsche ist mit rund 30.000 Einwohnern nicht wirklich groß, aber das war mir als Kind völlig egal, solange es einen Sportplatz gab. Und an den erinnere ich mich noch ganz genau: Ein klassischer Bolzplatz, auf dem es anfangs keine Tore gab, so dass wir irgendwelche Schuhe als Torpfosten aufstellen mussten. Mit meinem Vater oder mit ein paar Freunden habe ich dort unzählige Stunden verbracht. Im Verein habe ich zunächst vor Ort beim 1. FCR Bramsche angefangen, ehe ich zum benachbarten TSV Wallenhorst gewechselt bin. Dort haben wir in der zweithöchsten Jugendliga gespielt und mein Vater war einer der Trainer. Nach drei Jahren ging es dann weiter zum VfL Osnabrück in die höchste Jugendliga.

Perfekter Start: In seinem HSV-Debüt gegen Fortuna Düsseldorf stellte der 1,84 Meter große Innenverteidiger gleich seine Defensivqualitäten unter Beweis.   

Du bist also nicht nur durch deinen Vater zum Fußball gekommen, sondern er war gleichzeitig lange Zeit auch dein Trainer und Förderer. Wie ist die Beziehung zwischen euch einzuordnen? 

Mein Vater ist bis heute einer meiner schärfsten Kritiker. Er sagt mir nicht so gern, wenn ich ein gutes Spiel gemacht habe. (lacht) Wenn er nach dem Spiel nichts sagt, dann ist das zumeist schon ein Lob und Indiz dafür, dass ich nicht so viel verkehrt gemacht habe. Meine Mutter fängt das wiederum auf und ist immer voll des Lobes. Ich kann diese Kritik aber richtig einordnen und bin auch dankbar über die kritische Stimme meines Vaters. Denn es tut nie gut, wenn man immer nur gesagt bekommt, was man alles toll macht.

Wie hast du das damals während eurer gemeinsamen Zeit als Trainer und Spieler gesehen?

Damals war ich ab und zu mal sauer nach einem Spiel, wenn mich mein Vater auf der gemeinsamen Rückfahrt im Auto kritisiert hat. Das hört man als Sohn dann doch nicht so gern. Wir hatten einfach dieses typische Trainer-Spieler-Verhältnis, wenn der Trainer zugleich der eigene Vater ist. Ich wurde nie bevorzugt, sondern eher etwas härter rangenommen. Und wenn dann mal wieder während einer Ansprache in der Ecke gequatscht wurde, dann war ich meistens derjenige, der zur Rede gestellt wurde, auch wenn ich gar nicht beteiligt war. (lacht) Da ist aber keinerlei böses Blut zwischen uns geflossen und auch nichts hängengeblieben. Generell bin ich meinen Eltern für ihren Support unglaublich dankbar. Sie haben mich sowohl in Wallenhorst als auch in Osnabrück immer zum Training gebracht, was ich im Nachhinein sehr zu schätzen weiß. Ohne sie hätte ich es niemals so weit geschafft.

Mit 13 Jahren ging es für dich zum VfL Osnabrück, dem großen Fußballclub in unmittelbarer Nähe zu deiner Heimat. War es immer dein bewusstes Ziel, Fußballprofi zu werden?

Nein, ich habe mir darüber grundsätzlich gar keine großen Gedanken gemacht, sondern wollte einfach eine Liga höher spielen und mich weiterentwickeln. Natürlich war es ein Traum, aber im Unterbewusstsein war mir immer klar, dass es sehr schwierig werden würde, sich gegen so viele gute, gleichaltrige Spieler durchzusetzen. Schließlich gibt es ja nicht nur die Spieler im Osnabrücker Raum, sondern Talente in ganz Deutschland, die zudem an größeren Standorten ausgebildet werden.

Wer waren zu dieser Zeit deine fußballerischen Vorbilder?

Ich kann mich vor allen Dingen an Michael Ballack und Zé Roberto erinnern, weil ich sowohl ihr Spiel als auch ihr Auftreten als Typ gut fand. Zudem war ich wie wahrscheinlich jeder junge Kicker in meinem Alter Fan von Ronaldinho. Er war natürlich ein ganz anderer Spielertyp, aber ihn habe ich unglaublich gern spielen sehen.

Bei der 2. Mannschaft des VfL Osnabrück hast du deine ersten Schritte im Herrenbereich gemacht, ehe du zu den Sportfreunden Lotte, wieder ein Club in unmittelbarer Umgebung, gewechselt bist. Gab es damals auch die Möglichkeit, deine Heimat zu verlassen?

Es gab schon die Möglichkeit, aber ich habe in Absprache mit meinen Eltern entschieden, dass für meine sportliche Entwicklung der Wechsel nach Lotte der nächste Schritt ist. Ich wollte erstmal in der Regionalliga Fuß fassen. Im Nachhinein ist es für mich optimal gelaufen, da wir in meinem zweiten Jahr in die 3. Liga aufgestiegen sind. Es waren unterm Strich sehr lehrreiche und erfolgreiche Jahre in Lotte. Nicht nur für mich persönlich, sondern auch für den Verein, mit dem Aufstieg in die 3. Liga und dem DFB-Pokal-Highlight 2017, als wir erst im Viertelfinale gegen den BVB ausgeschieden sind.

Bist du generell ein heimatverbundener Mensch, der auch heute noch seine Kumpels von damals hat?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe relativ viele Schulfreunde, mit denen ich auch jetzt immer noch in Kontakt stehe. Ich hoffe, dass sie mich trotz der derzeitigen Lage rund um Corona irgendwann auch mal hier in Hamburg besuchen können. Ansonsten versuche ich immer, Treffen einzurichten, wenn ich mal in Osnabrück bin – und sei es nur auf einen Kaffee. Mir ist sehr wichtig, Freundschaften zu pflegen, nicht abzuheben und immer zu wissen, wo ich herkomme.

Die Komfortzone Heimat hast du das erste Mal 2018 verlassen, als du für eine Spielzeit zum Drittligisten Hallescher FC gewechselt bist. Wie ist es dazu gekommen?

Ich bin in erster Linie wegen des Sportdirektors Ralf Heskamp nach Halle gewechselt. Ihn kannte ich noch aus dem Nachbardorf und hatte auch mal mit seinem Sohn zusammengespielt. Gleichzeitig wollte ich bewusst das erste Mal von meinem Zuhause weg. Halle bedeutete zwar auf Anhieb eine große Entfernung, aber das Jahr hat mir in meiner Entwicklung unglaublich gutgetan. Ich musste meinen eigenen Haushalt schmeißen, selbst kochen, selbst waschen, selbst zurechtkommen. Es war eine geile Erfahrung, zumal wir eine gute Saison gespielt haben.

In Halle folgte auch sportlich eine entscheidende Umstellung, als du vom defensiven Mittelfeld in die Innenverteidigung gestellt wurdest. Wie hast du das aufgenommen?

Anfangs war das eine Notlösung, weil Sebastian Mai, der jetzt Kapitän bei Dynamo Dresden ist, für mehrere Spiele gesperrt wurde. Es hat dann relativ gut geklappt, so dass Basti später als Stürmer und Zehner eingesetzt wurde. Für mich war es dabei grundsätzlich keine so große Umstellung, da ich früher auch schon ab und zu in der Innenverteidigung gespielt habe. Aber ich habe für mich festgestellt, dass mir diese Position am besten liegt, da ich das Spiel dann vor mir habe.

Perfekter Start: In seinem HSV-Debüt gegen Fortuna Düsseldorf stellte der 1,84 Meter große Innenverteidiger gleich seine Defensivqualitäten unter Beweis.   

Für einen Innenverteidiger bist du mit 1,84 Metern nicht unbedingt groß, aber sehr zweikampfstark, besonders auch in der Luft. Worin liegt das Geheimrezept?

Ich versuche mir den Gegenspieler in den Luftduellen immer bestmöglich zurechtzulegen. Ich springe oder arbeitete dann in ihn hinein, um besser zum Ball zu stehen und gleiche damit das Größendefizit aus. Auch ein gewisses Maß an Sprungkraft und Timing ist dabei sicherlich hilfreich und bei mir vorhanden.

Dein neuer, alter Trainer Daniel Thioune hat dich im Zuge deiner Vorstellung als HSV-Neuzugang als polyvalenten Spieler bezeichnet, der taktisch flexibel einsetzbar ist. Interessierst du dich selbst auch für Fußballtaktik oder machst du dir darüber weniger einen Kopf?

Als Spieler will man immer die taktischen Anweisungen des Trainerteams bestmöglich umsetzen, das ist klar. Aber manchmal muss man auch in Sekundenbruchteilen eine intuitive Entscheidung treffen, da bleibt dann nicht viel Zeit zum Nachdenken. Grundsätzlich versuche ich mir nicht zu viele Gedanken zu machen. Wenn ich als Privatperson ein Fußballspiel gucke, dann achte ich ohnehin weniger auf taktische Aspekte, sondern will einfach nur das Spiel gucken und genießen. Dann würde es mich eher verrückt machen, wenn ich die ganze Zeit analysiere, wie die Teams mit und gegen den Ball spielen.

Tore verhindern statt selbst Tore zu schießen – fiel dir diese Umstellung einst eigentlich schwer, da du in der Jugend im Sturm angefangen hast?

Ach, das ist schon so lange her. (lacht) In der D-Jugend müsste ich zuletzt richtig weit vorn gespielt haben. Als Kind möchte man natürlich immer die Tore schießen, aber ich konnte mich recht schnell damit identifizieren, auch andere Aufgaben zu übernehmen. Letztlich ist es auch reizvoll, defensiv zu spielen. Die Offensive ist gezwungen, die Initiative zu ergreifen, die Verteidigung muss auf diese Aktionen bestmöglich reagieren.

Das eine schließt das andere nicht aus, wie deine letzte Saison im Dress des VfL Osnabrück gezeigt hat, als du auf Anhieb mit sechs Treffern zum torgefährlichsten Innenverteidiger der Zweiten Liga avanciertest. War das eher eine Ausnahme?

Schwer zu sagen. Man muss vielleicht dazu sagen, dass ich in Osnabrück auch einige Spiele auf der Sechs gemacht habe und das eine oder andere Mal einfach richtig stand, so dass ich unbedrängt abschließen konnte. Natürlich würde ich mir wünschen, dass es so bleibt, aber ich bilde mir nichts darauf ein, dass ich in einer Saison mal sechs Tore gemacht habe.

Bei all deinem Understatement – die Laufwege nach vorn muss man trotzdem machen, so wie du es bei deinem 1:1-Ausgleichstreffer im Rückspiel der Vorsaison hier im Volksparkstadion vorgemacht hast.

Na gut, da muss ich dazu sagen, dass ich den Ball eigentlich gar nicht richtig getroffen habe und er wahrscheinlich nur deshalb reingegangen ist. (lacht)    

Fortan darfst du gern häufiger so treffen, denn seit einigen Wochen bist du selbst ein Teil des HSV. Wie hast du deinen Wechsel aus Osnabrück nach Hamburg wahrgenommen?

Der HSV ist ein großer Club,  den ich schon immer als solchen wahrgenommen habe. Früher hätte ich niemals gedacht, dass ich mal für so einen Verein spielen würde. Ich habe vor einigen Jahren zum Teil noch in der Landesliga gespielt und jetzt laufe ich für so einen traditionsreichen Club in so einem riesigen Stadion auf. Ich weiß gar nicht, wie ich das in Worte fassen soll. Ganz ehrlich: Das ist teilweise schon extrem, ein surreales Gefühl.

Inwieweit kannst du dich noch an deine erste Reaktion erinnern, als du vom Interesse des HSV gehört hast?

Der erste Kontakt lief über meinen Berater. Kurze Zeit später rief mich Daniel Thioune an und brauchte mich gar nicht mehr groß zu überreden, da ich ihn als Trainer kenne und schätze und total Bock auf den HSV habe. Das Gespräch hat daher nicht lange gedauert, ehe ich nochmal mit meinem Vater Rücksprache gehalten und ihm gesagt habe, dass ich das unbedingt machen will. Ich bin froh, dass der Wechsel dann auch in so kurzer Zeit über die Bühne ging. Wenige Stunden später stand dann ja sogar schon das erste Spiel an, so dass ich mich während dieser Tage wie in einer Zeitmaschine gefühlt habe. (lacht)

Wie bist du seitdem allgemein hier angekommen und von Mannschaft aufgenommen worden?

Zu Beginn hat mich die Größe etwas erschlagen. Ich habe zum Beispiel manchmal etwas länger gebraucht, um alle Räumlichkeiten zu finden, da hier im Vergleich zum VfL Osnabrück alles eine Nummer größer ist. Ich wurde aber super von der Mannschaft aufgenommen und habe mich schnell eingelebt und wohlgefühlt. Die Jungs sind super, die Arbeit auf dem Platz macht viel Spaß und ich freue mich unfassbar, jetzt ein Teil des HSV zu sein.