Im HSVlive-Interview spricht XAVIER AMAECHI über die Lerneffekte und Herausforderungen seines ersten Jahres in Hamburg sowie seinen großen Willen, in der zweiten Saison den nächsten Schritt zu machen und den Durchbruch zu schaffen.

„Alles gut bei euch?“ – Xavier Amaechi begrüßt die HSVlive-Redaktion zum Interviewtermin sehr offen und vor allem direkt auf Deutsch. Es ist nur ein kleiner Moment, aber dieser zeigt die Entwicklung des 19-jährigen Engländers, der in seinem ersten Jahr in der Hansestadt, beim HSV und in der Zweiten Liga viel erlebt hat. Wobei sein erstes Jahr im Profifußball – so ehrlich sollte und darf man sein – „nicht wie erhofft gelaufen ist“, so Amaechi. Vier Einsätze für die Profis und fünf Spiele für die U21 in der Regionalliga konnte der Außenbahnspieler seit seinem Wechsel aus dem Nachwuchs von Arsenal Londons an die Elbe für sich verbuchen. Xav, wie ihn die Mannschaftskameraden nennen, und auch der HSV hatten sich mehr erwartet. Allerdings ist dies auch nur die halbe Wahrheit. Denn wie die Begrüßung zeigt, war Amaechis erste Saison in Deutschland und im Herrenfußball trotz gering ausgefallener Spielzeit durchaus lehrreich – und zwar auf und neben dem Platz. Schritt zwei soll nun folgen. Was genau das bedeutet und wie sein Fazit des ersten Jahres fernab der Heimat ausfällt, das erklärt Xavier Amaechi im großen HSVlive-Interview.

Xavier, wie läuft es mit dem Deutschunterricht?
Sehr gut, danke. Ich habe kein Wort Deutsch gesprochen, als ich zum HSV kam. Mittlerweile geht es aber schon ganz gut. Ich glaube, ich bin ziemlich gut im Erlernen von Fremdsprachen. Vor dem Corona-Lockdown hatte ich zweimal pro Woche Einzelunterricht in der Schule, jetzt machen wir den Unterricht über Skype. Und ich gucke viele Shows auf Netflix auf Deutsch mit englischen Untertiteln, das ist eine besondere Art, Fremdsprachen zu lernen, die großen Spaß macht. In jedem Fall traue ich mir mittlerweile immer öfter zu, mit meinen Mitspielern auf Deutsch zu reden. Auf dem Platz sowieso, denn gerade beim Training ist es enorm wichtig, die Sprache zu können, deshalb fühle ich mich jetzt auch deutlich wohler als letztes Jahr.

Wie würdest du dieses erste Jahr in Hamburg und beim HSV bewerten?
Ich habe keinen Druck gespürt, ich war zu Beginn einfach nur aufgeregt und habe mich riesig auf die neue Herausforderung gefreut. Natürlich habe ich mir insgesamt mehr Einsätze erhofft, dennoch würde ich mein erstes Jahr alles in allem positiv bewerten. Mit den Profis zu trainieren, in einem professionellen Umfeld zu sein, eine neue Sprache zu lernen – all das waren Herausforderungen und ganz neue Erfahrungen für mich. Aber klar ist: Ich bin hergekommen, um zu spielen, um möglichst in der Startelf zu stehen und in einer schwierigen Liga zu bestehen. Ich hoffe, ich kann dies in dieser Saison öfter als bisher umsetzen.

Das klingt nach großem Tatendrang.
Ja, ich habe viel vor. Und es gibt auch keinen Grund, nicht positiv zu sein. Ich wusste schließlich, dass es Zeit in Anspruch nehmen würde, mich an verschiedene Aspekte zu gewöhnen: Der Übergang aus der Jugend in den Herrenbereich, eine ganz andere Art von Fußball, eine andere Philosophie, dazu eine andere Sprache. Es ist schwierig, direkt nach einem solchen Wechsel durchzustarten und in der Startelf zu stehen, egal wie alt du bist. Man braucht Zeit, sich in einem neuen Umfeld erstmal zurechtzufinden. Ich bin deshalb geduldig geblieben und kam nach ein paar Monaten immer mehr auf Betriebstemperatur. Dass es am Ende dennoch nicht mehr Profieinsätze geworden sind, war schwer für mich, aber das damalige Trainerteam hat die Entscheidungen getroffen. Und ich respektiere diese Entscheidungen. Aber jetzt habe ich das Gefühl, dass ich in der Lage bin, mehr Spielzeit zu bekommen.

Du hast die verschiedenen Fußballphilosophien angesprochen. Was sind für dich die größten Unterschiede zwischen dem deutschen und dem englischen Fußball?
Die deutschen Mannschaften fokussieren sich mehr auf das Defensivverhalten. Man arbeitet hier entsprechend im Training auch mehr ohne den Ball und feilt an verschiedenen taktischen Aspekten.
Es gibt auf jeden Fall eine andere taktische Herangehensweise, als ich es bei Arsenal gelernt habe. Ich würde aber sagen, dass sowohl der Fußball in England als auch der in Deutschland sehr von Körperlichkeit geprägt sind.

War diese Körperlichkeit auch speziell für dich ein Thema? Du hast schließlich nicht nur den Sprung von England nach Deutschland gewagt, sondern gleichzeitig auch den Schritt vom Jugend- zum Herrenfußball vollzogen.
Es versteht sich von selbst, dass es hier ein ganz anderes Niveau ist als in der Jugend oder der U23 von Arsenal. Ich habe zwar einige Male mit den Profis bei Arsenal trainieren dürfen, aber das tagtäglich zu machen, ist dann doch nochmal ein anderes Level. Für mich und meine Entwicklung ist es auf jeden Fall vielversprechend, dass ich den Wechsel gewagt habe. Es war die richtige Entscheidung und ich fühle mich mittlerweile angekommen.

Was war dein größter Lerneffekt?
Immer positiv zu bleiben. Neben allen fußballerischen Aspekten war dies die größte Lehre meines ersten HSV-Jahres. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht von negativen Erfahrungen beeinflussen lassen darf. Ich bin noch sehr jung, und wenn ich meine ehemaligen Mitspieler aus der Arsenal-Jugend oder den englischen U-Nationalmannschaften anschaue, dann gibt es nur sehr wenige, die bei einer Profimannschaft regelmäßig in der Startelf stehen. Ich bin zum HSV gekommen, um derjenige zu werden, der das schafft. Dafür arbeite ich jeden Tag. Aber ich habe gelernt, dass man als junger Spieler geduldig, auf dem Boden und bescheiden bleiben muss. Und wenn die Chance kommt, dann muss man zupacken und sie nutzen.

Ist dies deine tägliche Motivation?
Ja. Ich muss mich auf mich konzentrieren, denn ich möchte mich stetig verbessern. Ich bin weit entfernt davon, perfekt zu sein, daher will ich immer an den verbesserungswürdigen Aspekten meines Spiels arbeiten. Gleichzeitig brauche ich aber natürlich auch die Chance, mich zu entwickeln, sprich: Spielzeit. Deshalb ist es für mich auch immer eine positive Erfahrung, in der U21 zu spielen, um Spielpraxis und Rhythmus zu bekommen. Und um Selbstvertrauen zu tanken, wie beispielsweise durch meinen Doppelpack gegen Altona 93. Aber klar ist auch: Mein Ziel ist es, bei den Profis regelmäßig zu spielen.

Xavier Amaechi in Aktion: Im Training zählt der englische Junioren-Nationalspieler immer zu den fleißigen Akteuren, die auch gern im Anschluss an die Einheiten noch Sonderschichten einlegen. 

Wichtiger Ansprechpartner hierbei: Assistenztrainer Merlin Polzin, der gern und viel mit Amaechi arbeitet und ihn gezielt fördert. 

Ganz zur Freude von Sportchef Michael Mutzel, der große Stücke auf das Nachwuchstalent hält und ihm stets mit Rat und Tat zur Seite steht.

Xavier Amaechi in Aktion: Im Training zählt der englische Junioren-Nationalspieler immer zu den fleißigen Akteuren, die auch gern im Anschluss an die Einheiten noch Sonderschichten einlegen. Wichtiger Ansprechpartner hierbei: Assistenztrainer Merlin Polzin (Foto Mitte), der gern und viel mit Amaechi arbeitet und ihn gezielt fördert. Ganz zur Freude von Sportchef Michael Mutzel (Foto rechts), der große Stücke auf das Nachwuchstalent hält und ihm stets mit Rat und Tat zur Seite steht.

Die haben seit dieser Saison einen neuen Trainerstab um Chefcoach Daniel Thioune. Wie schätzt du die bisherige Zusammenarbeit ein?
Das Training hat mich beeindruckt. In den ersten Wochen haben wir viele taktische Elemente durchgesprochen, vor allem im defensiven Bereich, um weniger Tore zu kassieren. Zudem habe ich auf drei verschiedenen Positionen gespielt und konnte mich dadurch in verschiedenen Bereichen verbessern und entwickeln. Genau wie durch die Zusammenarbeit mit Merlin Polzin. Er schneidet mir oft Videos von Trainingseinheiten oder einem Spiel zusammen und zeigt mir, wo und wie ich mich verbessern kann. Meiner Meinung nach muss man an genau diesen kleinen Aspekten arbeiten, um Fortschritte zu erzielen.

Es fällt auch auf, dass du beim Training meist einer der Letzten auf dem Trainingsplatz bist.
Hart zu arbeiten war immer von größter Bedeutung für mich. Mit dieser Einstellung bin ich groß geworden. Ich versuche immer mehr zu machen, egal ob auf dem Trainingsplatz oder im Kraftraum. Das ist normal für mich, das ist mein Wille, mich zu verbessern. Ich möchte mich unbedingt beim HSV durchsetzen.

Sportdirektor Michael Mutzel war einer der größten Befürworter für deinen Wechsel zum HSV. Welche Rolle hat er in den vergangenen Monaten für dich gespielt?
In den ersten Monaten haben wir sehr viel geredet und ich konnte ihn immer und überall um Rat fragen, er war einfach immer für mich da. Mittlerweile habe ich mich eingelebt, habe Freunde kennengelernt und bin daran gewöhnt, über Social Media mit meiner Familie und meinen alten Kumpels zu kommunizieren. Das ist gut, zumal Michael auch tausende andere Dinge zu tun hat.

In der Länderspielpause warst du für die englische U20-Nationalmannschaft im Einsatz und hast mit einem wunderschönen Tor für Aufsehen gesorgt. Aber unabhängig von diesem Treffer: Sind die Länderspiele immer etwas Besonderes für dich?
Ohne Zweifel. Für England zu spielen, ist immer besonders. Zuletzt ganz besonders, da ich meine Kollegen der Nationalmannschaft seit November letzten Jahres nicht mehr gesehen hatte. Es war schön, meine Mitspieler wiederzusehen.

Was denken die darüber, dass du in Deutschland spielst?
Es ist für englische Spieler nicht Gang und Gäbe, von England aus ins Ausland zu gehen. Es passiert mittlerweile öfter, aber als ich die Entscheidung getroffen habe, gab es wenige Spieler, die diesen Weg eingeschlagen haben. Der bekannteste von ihnen ist natürlich Jadon Sancho vom BVB. Meine Mitspieler waren deshalb schon überrascht, aber jeder von uns geht seinen eigenen Weg, um erfolgreich zu sein. Und dies ist mein Weg.

Und welches Ziel verfolgst du auf deinem Weg in dieser Saison?
Einfach regelmäßig Fußball zu spielen. Ich möchte mich in jedem Training anbieten, einen guten Eindruck hinterlassen und jede Chance nutzen, die ich bekomme. Alles andere wird sich dann von allein ergeben, sowohl für mich persönlich als auch für uns alle gemeinsam als Mannschaft und Club.