Der HSV geht mit einem neuen Trainer in seine dritte Zweitliga-Saison. Doch wer genau ist dieser Coach, wie tickt DANIEL THIOUNE und was ist seine Idee des Spiels? Drei Fragen, viele Antworten. Und ganz viel Fußball-Vielfalt.

Gespräche mit Daniel Thioune können Zeit in Anspruch nehmen. Und das nicht, weil sie lang­atmig oder gar langweilig sind, ganz im Gegenteil. Viel­mehr liegt es daran, dass der 46-jährige Fußball­lehrer seine Gesprächs­partner mitnimmt, dass er sie teilhaben lässt an seinen Gedanken, seinen Ideen und – ja, auch das gibt es im modernen Fußball – an seinen Prinzipien. Die stellen nämlich einen elementaren Punkt dar in dem Gesamt­bild, das Thioune von seiner Fußball­idee malt. Es ist ein buntes Gemälde mit vielen Farben und Facetten und man kann sich stunden­lang damit beschäftigen. Daher dauert es eben seine Zeit, wenn man mit dem neuen HSV-Trainer über Fußball spricht, über die nun endlich beginnende Saison, über Themen wie Menschen­führung oder über ebendiese Menschen, die am Ende das große Ganze, nämlich das Team, ausmachen. Und so wartet das HSVlive-Magazin – pünktlich zum 1. Spieltag der Saison 2020/21 – mit einer großen Portion Fußball-Vielfalt auf, denn Daniel Thioune spricht über …

… seine neue Mann­­schaft: Ich habe von Anfang an viele Gespräche mit den Spielern geführt. Dabei ging es natürlich vor­rangig um Fußball, aber auch um private Dinge. Ich finde es wichtig, auch den Menschen zu kennen, nicht nur den Sportler, weshalb ich in meiner Bewertung auch immer streng zwischen der Person und der Sache unter­scheide. Und ich muss sagen: Ich habe nur gute Jungs kennen­gelernt und eine sehr offene Mann­schaft erlebt, die große Lust hat, diesen neuen Weg mit uns zu gehen. Für mich waren hierbei alle Spieler Neu­zugänge und wir haben die Saison gemeinsam bei null begonnen. Unser Team darf mit den bisherigen vier Neuzu­gängen genauso wachsen wie mit allen anderen Spielern, die schon länger die Raute auf der Brust tragen. Entscheidend ist, dass wir als Mann­schaft weiter zusammen­wachsen und sich ein echter Team­geist entwickelt.   

… die Ver­pflichtung der erfahrenen Spieler: Ich habe bei meiner Ankunft eine sehr spannende Mann­schaft vorgefunden, die allerdings im Hinblick auf die Charaktere und die Alters­struktur sehr heterogen aufgestellt war. Für uns war es deshalb wichtig, den Kader mit Erfahrung und Führungs­stärke zu bereichern. Wir haben mit den Neuzu­gängen Spieler hinzuge­wonnen, die schon etwas mehr gesehen haben und in der einen oder anderen Stress- und Drucksituation resistenter sind als andere Spieler. Und das hilft am Ende der Mann­schaft in ihrer Gesamtheit.

… den Leistungs­­stand nach der Vorbereitung: Die Mann­schaft hat eine große Leistungs­bereitschaft gezeigt. Wir haben gut gearbeitet und sind mit der Entwicklung zufrieden, auch wenn klar ist, dass wir nicht in sechs Wochen komplett all das erarbeiten können, was uns neun Monate lang durch die Saison tragen soll. Aber wir arbeiten kontinu­ierlich weiter, um die bisherige Entwicklung weiterhin Stück für Stück voran­zutreiben. Dass die Mann­schaft dazu in der Lage ist, haben mir die Test­spiele gezeigt, in denen wir die Dinge nach und nach besser umge­setzt haben. Im Nach­hinein bin ich froh, dass wir so qualitativ hoch­wertige Gegner gewählt haben, denn dadurch wurden uns unsere Heraus­forderungen und Entwicklungs­potenziale deutlich aufgezeigt. Das hat uns in dieser Phase geholfen und die Mann­schaft ist sehr gut damit umgegangen.

… sein bevorzugtes Spiel­system: Ich möchte es dynamisch halten und immer flexibel bleiben. Deshalb zeigen wir den Spielern verschiedene Systeme und Grund­ordnungen auf, in denen wir agieren können. Das kann auch mal während eines Spiels wechseln, wie gegen Hertha BSC als, wir in einem 3-5-2 begonnen haben und noch während der ersten Hälfte auf 4-4-2 umge­stellt haben, um mehr Zugriff zu bekommen. Da haben wir den Jungs mitunter ganz schöne Aufgaben mitgegeben, das muss man schon sagen. Aber sie haben es sehr gut umgesetzt und wenden die vorge­gebenen Prinzipien an, durch die es am Ende weniger wichtig wird, in welchem System wir uns gerade bewegen. Wir wollen im Spiel gegen den Ball Zugriff haben und im Spiel mit dem Ball den Gegner unter Stress setzen – und zwar unabhängig davon, ob wir im 4-3-3 oder 3-5-2 oder einem ganz anderen System agieren. Und wir wollen unberechenbar bleiben. Niemand soll mit dem Finger auf uns zeigen können und sagen: Ich weiß, wie ihr spielt. Denn wir wollen unsere Gegner immer wieder vor neue Heraus­forderungen stellen.

… das Spiel gegen den Ball: Zu Beginn der Vorbereitung ging es vorrangig darum, eine gewisse Resistenz und Mentalität zu entwickeln. Da gehört ein gewisses Maß an Wille, Bereitschaft und auch Leiden­schaft dazu. Gegen den HSV zu spielen, muss nicht immer nur schön sein, sondern darf auch mal eklig sein. Und dass wir eklig sein können, haben wir im Test gegen Hertha BSC bewiesen. Das war ein sehr ordentliches Spiel, speziell gegen Ball haben wir sehr gut gearbeitet und nur wenig zugelassen. Das war gut, wobei uns aber natürlich klar ist, dass wir in der Liga nicht oft auf so offensiv ausge­richtete Teams treffen und die Spiele eher einen anderen Ansatz haben werden, da Mann­schaften gegen den HSV oftmals versuchen werden, erstmal das eigene Tor zu schützen.

… seine Idee des Offensiv­­spiels: Wir haben bereits viele Punkte aufgesetzt, wie wir mit dem Ball spielen wollen. Da gibt es ein paar Prinzipien und im besten Fall entwickeln sich diese Prinzipien zu Auto­matismen. Trotzdem sollte uns – wie bereits erwähnt – allen klar sein, dass wir in den rund sechs Wochen der Vorbe­reitung nicht all das trainieren konnten, was wir in den kommenden neun Monaten brauchen werden. Das ist ein längerer Prozess, in dem man zwischen­durch ganz sicher auch mal stolpert und dann eben beharrlich bleiben und weiter­machen muss. Diese Geduld ist vorhanden. Es ist nur wichtig, dass jeder einzelne Spieler so motiviert ist, dass er wachsen möchte und dafür alles tut. Dann werden wir auch im spieler­ischen Bereich Schritte nach vorn machen.

… die personelle Situation vor dem Saison­­start: Rick van Drongelen und Bakery Jatta fehlen bekanntlich verletzt, für Jan Gyamerah und Ewerton kam nach ihren Verletzungen der Pflicht­spielstart im DFB-Pokal noch zu früh. Ansonsten sind alle Spieler fit und viele von ihnen heben mit ihren Leistungen in den Trainings­einheiten den Finger bezüglich einer Startelf­nominierung. Zudem beobachten wir natürlich den Transfer­markt, in den aber aufgrund der aktuellen Situation noch keine Dynamik gekommen ist.

… seine Wunsch­elf: Wir haben eine gute Breite im Kader, was mir Möglich­keiten gibt. Meine Aufgabe ist es, alle mitzu­nehmen. Ich will, dass sich jeder Spieler für die Sache, das Team und für die Raute zerreißt. Ich will spüren, dass es ein Privileg ist, in unserer Mann­schaft und für den HSV zu spielen. Und ich will sehen, dass die Spieler wollen, dass sie unbe­dingt wollen. Und sich für ihr Team gegen alle Wider­stände auflehnen. Das ist neben der fußballer­ischen Komponente für mich das Haupt­kriterium. Und nach diesen Prinzipien muss ich schluss­endlich die elf Spieler auswählen, die die Chance, das Spiel zu gewinnen, am deutlichsten erhöhen. Das ist dann unab­hängig vom Spiel­system, dem Namen oder der Vergangen­heit. Wir sind im Hier und Jetzt und nur darum geht es.

… Tim Leibold als neuen Mannschafts­­kapitän: Wir haben die Spieler den Mannschafts­rat wählen lassen. Die Stimmen­verteilung hierbei war recht deutlich, so dass keine knappe Entscheidung gefällt werden musste. Tim Leibold, Klaus Gjasula, Toni Leistner, David Kinsombi und Tom Mickel wurden gewählt, diese Fünf werden unser Team führen. Und aus dieser Gruppe habe ich Tim Leibold zum Mannschafts­kapitän bestimmt, als Stell­vertreter werden Klaus Gjasula und Toni Leistner fungieren. Die Gruppe wird es gut machen, genauso wie Tim ein guter Kapitän sein wird. Denn sein Wort hat Gewicht, das konnte ich in den letzten Wochen fest­stellen. Zudem hat er auch sportlich eine tolle Entwick­lung genommen und ich möchte ihn in seiner Rolle noch weiter nach vorn schieben. Er wird es sehr gut machen.

… die Rolle des bisherigen Kapitäns Aaron Hunt: Aaron und ich hatten sehr gute Gespräche und er hat immer betont, dass er das Amt des Mannschafts­kapitäns oder einen Sitz im Mann­schaftsrat nicht braucht, um voran­zugehen. Er tut dies mit seinem großen Erfahrungs­schatz und seiner Qualität als Führungs­spieler und wollte daher bei der Besetzung der Ämter etwas zurücktreten.

… seine Einschätz­ung der 2. Liga: Ich glaube schon, dass die Spitze in der Liga breiter geworden ist und dass sich mehr Clubs Chancen aus­rechnen dürfen, oben mit dabei zu sein. Clubs wie Darm­stadt 98 oder der VfL Bochum haben nach der Corona-Pause viele gute Ergebnisse erzielt und werden neben den beiden Absteigern sowie den großen Clubs wie Hannover 96 oder dem 1. FC Nürn­berg auch zum großen Favoriten­kreis zu zählen sein. Und zu dem zählen wir uns selbst­verständlich auch. Ich erwarte eine enge und spannende Saison und verspüre eine riesige Vor­freude.