Nach dem ersten schweren Rück­schlag seiner noch jungen Fußball­karriere ist STEPHAN AMBROSIUS zurück bei den Profis. Gestärkt, gereift, gewachsen – und mit einer besonderen Entschlossen­heit in seinem Spiel und seiner Einstellung. „Ich habe keinen Plan B. Ich will mich unbedingt als Profi durch­setzen und werde alles dafür tun“, sagt der gebürtige Hamburger, der den Fuß­ball mit jeder Faser liebt und lebt.

Rückwärts­gang. Die Augen weit aufge­rissen. Ball und Gegen­spieler fest im Blick. Sechs schnelle Schritte zurück, fünf stämmige Schritte zur Seite, die Grätsche genau im tödlichen Moment – rums! Gegen­spieler blitzsauber abgeräumt, Torchance vereitelt, erfolgreich zur Ecke geklärt. Anschließend den Stutzen hoch­ziehen, ohne Ab­feiern einmal mit den Kollegen abklatschen und „weiter geht’s!“. Stephan Kofi Ambrosius ist im letzten Härtetest der Vorbe­reitung gegen Hertha BSC in seinem Element. 1,83 Meter groß, 80 Kilogramm schwer – trotz seiner erst 21 Jahre besitzt der Innen­verteidiger nicht nur die Statur eines Halbschwer­gewicht-Boxers, sondern geht auf dem Platz auch mit einer vergleichbaren Determiniert­heit zu Werke. Er lebt für dieses Spiel. Und das ist schon Zeit seines Lebens so.

Abgeräumt: Im Vorbereitungs­testspiel gegen Hertha BSC (2:0) stoppte Ambrosius Angreifer Daishawn Redan mehr­fach mit einer exzellenten Zweikampf­führung.   

Robuster Zwei­kämpfer und lustiger Spaß­vogel

Am 18. Dezember 1998 wird Ambrosius als Sohn ghanaischer Eltern in Hamburg geboren und wächst im südlichen Wilhelms­burg auf. Im flächen­mäßig größten Stadtteil der Hanse­stadt, der um die Jahrtausend­wende eher als hartes Pflaster gilt, bestimmt der Fußball von klein auf sein Leben: Auf einem kleinen Käfig­platz lernt er an der Seite seines zwei Jahre älteren Bruders Michael, sich gegen größere und stärkere Gegen­spieler durchzu­setzen. Zusätzlich stellen die fußball­verrückten Geschwister mit dem runden Leder lautstark die Wohnung auf den Kopf – und zwar sehr zum Leid­wesen der häufig vorstellig werdenden Nachbarn. Nicht zuletzt deshalb tritt Stephan mit fünf Jahren erstmals einem Verein bei und geht fortan im Hamburger Jugendfußball einen kontinuierlichen Weg: Über Einigkeit Wilhelmsburg, den SV Wilhelmsburg und den FC St. Pauli landet er 2012 im Alter von 13 Jahren im Nachwuchs­leistungszentrum des HSV.

„Herr Petrowsky war damals mein Trainer. Er hat mich zum HSV geholt. Dafür bin ich ihm bis heute sehr dankbar“, erklärt Ambrosius. Gemeint ist Daniel Petrowsky, der damalige U15- und heutige U19-Trainer der Rothosen, der sich nur allzu gut an den jungen Ambrosius zurück­erinnert: „Stephan war damals schon sehr robust: ein engagierter und kompromiss­loser Zweikämpfer. Er wollte immer gewinnen und hat immer mit 100 Prozent Einsatz gespielt. Dieser unbändige Wille ist sein Marken­zeichen.“ Jene extreme Einsatz­bereitschaft war dabei nicht ausschließlich ein Segen für sein Spiel. „Bisweilen hat er am Ball auch etwas zu wild gespielt, hatte auf dem Platz Ideen, die einem Trainer nicht unbedingt gefallen“, sagt Petrowsky schmunzelnd, ohne zu vergessen, welchen Wert sein einstiger Schützling für das Mannschafts­gefüge hatte. „Stephan ist ein unglaublich lustiger Typ, ein Spaß­vogel mit einer unverwechsel­baren Lache. Wo er war, war es nicht nur laut, sondern die Stimmung meist auch ausge­lassen und gut.“

Schneller Aufstieg und schwerer Fall

U15, U16, U17, U19, U21 – Ambrosius nimmt, zum Groß­teil an der Seite von Petrowsky, auch im HSV-Nachwuchs den Parade­weg und schnuppert Anfang 2018 erstmals Profiluft. In einem Test­spiel mit der U21 gegen die Bundesliga-Mannschaft drängt sich der kompromiss­lose Innen­verteidiger förmlich für höhere Aufgaben auf. „Der Junge spielt mit Herz“ stellt der damalige HSV-Trainer Bernd Hollerbach fest und zieht ihn sofort hoch. Wenige Wochen später feiert Ambrosius unter dessen Nachfolger Christian Titz, der ihn zuvor als U21-Trainer aufgebaut hatte, im Alter von 19 Jahren, drei Monaten und 13 Tagen sein Bundesliga-Debüt. 45 Minuten in der Beletage des deutschen Fußballs – der Fuß scheint in der Tür zu sein. Auf sein nächstes Ligaspiel für die Rothosen muss Ambrosius aller­dings 820 Tage und damit mehr als zwei Jahre warten.

Ein Kreuzbandriss lässt ihn für lange Zeit von der Bildfläche des Profifußballs verschwinden. Die Karriere des Shooting­stars, den das Hamburger Abend­blatt kurz zuvor zum Protagonisten seiner Serie „Projekt Profi“ macht, gerät ins Stocken, bevor sie richtig an Fahrt aufge­nommen hat. „Anfangs ging es für mich immer nur bergauf. Ich bin durch die Jugendmann­schaften marschiert und von der U21 direkt zu den Profis. Dann kam die schwere Verletzung und plötzlich habe ich gemerkt, dass es auch anders gehen kann“, blickt Ambrosius heute in seinen eigenen Worten zurück. Mit tiefer Stimme spricht der 21-Jährige dabei ruhig und sachlich, aber nicht weniger ziel­strebig wie auf dem Platz. Er gerät wenig bis kaum ins Plaudern, trifft zugleich aber präzise und reflektierte Aussagen. „Ich habe in dieser Zeit viel über mich und mein Umfeld gelernt. Wenn es gut läuft, dann gibt es viele Schulter­klopfer und plötzlich wollen alle deine besten Freunde sein. Wenn es allerdings mal nicht so gut läuft, dann merkst du erst, wer wirklich für dich da ist. Für mich war es wichtig, mal so eine Erfahrung zu sammeln, um zu sehen, wer an meiner Seite steht und wie über­haupt meine Einstellung zum Fußball ist.“

An seiner Seite steht vor allem seine Mutter – seine bis heute größte Bezugs­person, mit der Stephan noch immer bewusst unter einem Dach wohnt und vor drei Jahren Wilhelms­burg verlassen hat. Sie ist auch für seinen christlichen Glauben verant­wortlich, der ihn bis heute trägt. „Meine Mutter ist sehr christlich und geht oft in die Kirche. Das mache ich nicht. Aber ich bete jeden Abend, jeden Tag. Denn Gott hilft mir. Er hat für jeden einen Plan“, ist Ambrosius überzeugt.

Bewegte Rück­kehr und nächste Chance

Sein Plan war, ist und bleibt die Profikarriere als Fußballer. Mit seinem großen Arbeits­willen hat sich der gebürtige Hamburger nach seinem Kreuz­bandriss über die zweite Mannschaft Stück für Stück zurück­gekämpft und dabei für sich keine Zweifel an seinem Come­back aufkommen lassen: „Ich bin fest davon ausgegangen, dass ich wieder zurück­kommen werde. Es war mein festes Ziel, wieder hier anzukommen.“ Hier – das bedeutete in seinem Fall die Bundesliga-Mann­schaft und das Volkspark­stadion, in dem er im letzten Spiel der Vor­saison gegen Sandhausen nicht nur sein Come­back, sondern auch sein Heim-Debüt für die HSV-Profis gab. „Für mich war das ein komischer Moment. Auf der einen Seiten war ich durch den Ausgang des Spiels extrem traurig. Anderer­seits war es für mich persönlich auch ein gutes Gefühl, in so einem wichtigen Spiel das Vertrauen zu bekommen. So etwas muss man sich hart erarbeiten und das habe ich über mehrere Monate gemacht. Ich habe alles gegeben, damit ich wieder meine Chance bei den Profis bekomme“, sagt der 21-Jährige. Mit seinem Come­back hat er auch seinen früheren Trainer und Förderer Daniel Petrowsky bewegt: „Es spricht für Stephan und seinen besonderen Willen, dass er auch nach dieser Verletzung wieder zurückge­kommen ist. Er ist damit ein Vorbild für jeden aufstrebenden Nachwuchs­spieler, der früh eine schwere Verletzung hinnehmen muss. Ich drücke ihm die Daumen, dass er sich nun weiter bei den Profis festspielen kann.“

Die nächsten Schritte sind dafür bereits eingeleitet. So hat Stephan Ambrosius auch in den vergangenen Wochen und Monaten der Vorbereitung auf die neue Zweitliga-Saison die Chance bekommen, auf sich aufmerk­sam zu machen. Unter Neu-Trainer Daniel Thioune absolvierte der Rechtsfuß in den sechs Testspielen 446 von 540 möglichen Spiel­minuten, wusste sowohl in der Dreier- als auch in der Vierer-Abwehrkette zu gefallen und hofft nun auf weitere Einsatz­minuten im Profi­bereich. „Niemand bekommt etwas geschenkt. Jeder muss beweisen, was er draufhat. Ich habe gelernt, dass es einzig und allein an mir liegt, ob ich die 100 Prozent gebe. Wenn das am Ende nicht reicht, dann kann ich mir nichts vor­werfen“, sagt Ambrosius ent­schlossen, seinen Plan vom Profi­fußball fester denn je im Blick. Es ist sein einziger Plan, wie er ganz unum­wunden zugibt: „Um ehrlich zu sein, hatte ich nie einen Plan B. Alle Menschen, die mich näher kennen, sagen, dass ich einfach ein Fuß­baller bin. Ich will mich unbedingt durch­setzen und werde alles dafür tun.“ Wenn er dabei weiterhin so kompromiss­los die Gegen­spieler vom Tor fernhält, sollte dem Vorhaben – und damit ihm selbst – nichts im Wege stehen.