Im HSVlive-Interview spricht JEREMY DUZIAK über sein Bekenntnis zum HSV, seine persönliche Entwicklung und die Jetzt-erst-recht-Mentalität innerhalb der Mannschaft.
Dynamisch, dribbelstark, durchsetzungsfähig – Jeremy Dudziak wusste in seiner Premieren-Saison für den HSV mit seiner erfrischenden Spielweise zu überzeugen. 28-mal kam der gebürtige Hamburger, der im Sommer 2019 vom Stadtrivalen in den Volkspark wechselte, in der Zweiten Liga zum Einsatz, 23-mal stand er in der Startelf. Fast immer agierte der Linksfuß dabei als „Achter“ im zentralen Mittelfeld, schien seinen Platz nach vielen Jahren als flexibel einsetzbarer Allzweckspieler, der während seiner Zeit beim BVB (2013-15) und FC St. Pauli (2015-19) mit Ausnahme der Torwart- und Innenverteidigerposition jede erdenkliche Position auf dem Spielfeld abgedeckt hatte, beim HSV endlich gefunden zu haben. Die gute Entwicklung des Deutsch-Tunesiers, der einst am 21. März 2015 unter Jürgen Klopp sein Bundesliga-Debüt feierte und insgesamt drei Einsätze bzw. 60 Bundesliga-Minuten in seiner Vita stehen hat, weckte im Sommer dementsprechend Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz. Doch statt womöglich im Fußball-Oberhaus die eigene Spieluhr weiterzudrehen, entschied sich der 119-fache Zweitliga-Spieler für einen Verbleib beim HSV. Eine bewusste Entscheidung, wie der 25-Jährige im Gespräch mit dem HSVlive-Magazin verrät.
Gehen voller Tatendrang in ihre zweite HSV-Saison: Tim Leibold, Jeremy Dudziak und Sonny Kittel (v.l.).
Jerry, aufgrund einer Ausstiegsklausel gab es für dich im Sommer die Möglichkeit, den Club zu wechseln und dich womöglich in der Bundesliga zu empfehlen. Warum fiel deine Entscheidung nach dem verpassten Aufstieg dennoch für den HSV aus?
Ich bin im vergangenen Jahr mit dem Ziel und der Perspektive hergekommen, dass wir hier gemeinsam etwas aufbauen. Nur weil es mit dem Aufstieg im ersten Jahr nicht geklappt hat, heißt das für mich persönlich nicht, dass ich direkt abhaue. Es hat mich extrem traurig gemacht, dass wir den Aufstieg noch verspielt haben. Das kann ich nicht einfach auf mir sitzen lassen. Ich habe dadurch einen Extra-Antrieb entwickelt: erstens, um hier zu bleiben und zweitens, um in dieser Saison noch mehr zu investieren, noch mehr zu geben und an noch mehr Stellschrauben zu drehen.
Wie lange hast du gebraucht, um den Nicht-Aufstieg zu verkraften? Wie gehst du mit so einem Erlebnis um?
Ich würde sagen, dass ich das schneller hinter mir lassen kann als andere. Ich bin ein Typ, der seinen Fokus schnell auf das legt, was vor ihm liegt. Und das ist in diesem Fall die neue Saison und damit verbunden eine neue Aufgabe und eine neue Herausforderung. Was passiert ist, können wir nicht mehr ändern. Und das konnten wir bereits nach dem Abpfiff gegen Sandhausen nicht mehr. Natürlich tut ein solches Negativerlebnis unheimlich weh, aber als Sportler gilt es, immer wieder aufzustehen und den Blick nach vorn zu richten.
Mit Daniel Thioune führt euch ein neuer Trainer in die kommende Saison. Welche Rolle hat er bei deinem Entscheidungsprozess gespielt?
Ich hatte unmittelbar zu Beginn der Sommerpause ein sehr gutes Gespräch mit dem Trainer. Er hat mir ein gutes Gefühl gegeben und einen detaillierten Plan vorgestellt, wie es jetzt weitergeht. Wir haben darüber philosophiert, wie die letzte Saison verlaufen ist, welche Dinge besser, aber auch schlechter hätten laufen können. Dabei ging es auch darum, dass ich verstärkt die Rolle als Leader und Führungsspieler einnehmen soll und darin gepusht werde, mehr voranzugehen. Es hat mir unterm Strich einfach gefallen, dass mir der Trainer mehr Verantwortung geben will und diesen Schritt für mich vorsieht.
Steckt diese Leader-Qualität in dir?
Ich bin jetzt kein Typ, der viel rumschreit oder redet oder sonst irgendwas Außergewöhnliches anstellt. Aber ich bin jemand, der mit Leistung vorangeht, mit seiner Arbeit auf dem Platz. Dementsprechend traue ich mir zu, diese Rolle auf meine Art und Weise auszufüllen.
»Sobald wir uns wiedergesehen haben, kam direkt wieder eine Art Euphorie auf – sozusagen eine Jetzt-erst-recht-Mentalität«
Mit dem neuen Trainer fand also schon im Vorfeld ein ausführlicher Austausch statt, wie hast du nun in den vergangenen Vorbereitungswochen seine Arbeit auf dem Platz wahrgenommen?
Wir arbeiten sehr viel im Detail, sei es im Passspiel oder in der Defensive oder Offensive. Es sind unglaublich viele Kleinigkeiten, auf die der Trainer Wert legt. Das gefällt mir. Denn in meinen Augen sind im Fußball die Kleinigkeiten entscheidend. Sie machen häufig den Unterschied zwischen Sieg und Niederlage. Dementsprechend finde ich dieses Konzept und auch die klare Ansprache des Trainerteams sehr gut.
Du hast eine gute Premieren-Saison im HSV-Dress gespielt. Was sind aus deiner Sicht dennoch Aspekte an deinem Spiel, die du noch verbessern kannst?
Da gibt es viele Punkte. (schmunzelt) In erster Linie möchte ich an meiner Torbeteiligung arbeiten. Ich muss diesbezüglich beim Tore-Schießen einfach besser werden und arbeite auch gezielt daran. Ich gehe zum Beispiel im Nachhinein per Video die Situationen durch, in denen ich zu Abschlussmöglichkeiten gekommen bin und analysiere kritisch, welche Entscheidung ich getroffen habe und ob ich am Ende vielleicht besser mit dem anderen Fuß hätte abschließen oder sogar nochmal den Pass hätte spielen sollen.
In der vergangenen Saison wurdest du 18-mal ausgewechselt und hast damit – sicherlich auch begünstigt durch die Corona-bedingte Wechselregel – einen HSV-Rekord eingestellt. Inwiefern ist es auch ein Ziel von dir, noch häufiger über die volle Distanz deine Leistung abzurufen?
Unabhängig von dieser Statistik ist das immer ein Ziel von mir. Denn ich ärgere mich jedes Mal extrem, wenn ich ausgewechselt werde. Daher arbeite ich immer daran, dem Trainer zu keinem Zeitpunkt das Gefühl zu geben, dass man ausgewechselt werden darf, kann oder muss.
Gehen wir auf das Team ein: Vier Neuzugänge und drei Rückkehrer stehen zehn Abgängen gegenüber. Wie schätzt du die Mannschaft nach der zurückgelegten Vorbereitung ein?
Wir sind gut aufgestellt und haben eine gute Mischung aus jungen unerfahrenen, jungen erfahrenen und alten erfahrenen Spielern in der Truppe. Jeder kann von dem anderen etwas lernen, jeder kann sowohl etwas mitnehmen als auch etwas mitgeben. Es ist wichtig, dass wir in dieser Konstellation bestmöglich zusammenfinden und einen besonderen Teamgeist entwickeln. Die ersten Wochen geben mir das Gefühl, dass wir hier auf einem guten Weg sind.
Neben dir gehen unter anderem mit Sonny Kittel und Tim Leibold weitere Stammspieler in ihr zweites Jahr beim HSV. Täuscht der Eindruck oder ist auch trotz des Nicht-Aufstiegs eine gefestigte Gemeinschaft zwischen euch entstanden?
Wir haben uns in der letzten Saison schon auf Anhieb sehr gut verstanden. Die Jungs sind ähnlich gepolt wie ich. Auch sie stecken bei einem Negativerlebnis nicht gleich den Kopf in den Sand, sondern arbeiten weiter auf ihr eigentliches Ziel hin. Sobald wir uns zur Vorbereitung wiedergesehen haben, kam direkt wieder eine Art Euphorie auf – sozusagen eine Jetzt-erst-recht-Mentalität.
Wie wichtig ist es, dass man dieses Erlebnis auch einmal zusammen durchgemacht hat, damit überhaupt ein Lernprozess in sportlich schwierigen Situationen entstehen kann?
Das ist sicherlich ein wichtiger Faktor, denn eine solche Saison schweißt alle noch einmal fester zusammen. In meinen Augen kann man vor allem am Ende einer Saison als Mannschaft sehr, sehr viel mitnehmen. Und zwar im Hinblick auf den Zusammenhalt und auch das Denken innerhalb des Teams. Erst dann lernst du die Typen richtig kennen. Das war bei uns in der vergangenen Saison der Fall, so dass Typen wie Sonny, „Leibe“ und ich noch enger zusammengerückt sind. Daraus können und werden wir auch noch sehr viel Kraft schöpfen.
Worauf wird es in deinen Augen in der kommenden Saison ankommen?
Es wird entscheidend sein, dass wir einen klaren Kopf bewahren und uns nicht zu viel Druck aufhalsen, weil wir jetzt den nächsten Anlauf nehmen. Wir sollten immer an dem festhalten, was wir uns vornehmen, kontinuierlich an unserem Spiel arbeiten und – so abgedroschen es auch klingt – von Spiel zu Spiel denken. Denn wir haben nicht zuletzt in der vergangenen Spielzeit gesehen, dass immer erst am Ende abgerechnet wird.
Zum Saisonauftakt trefft ihr am Freitagabend auf Fortuna Düsseldorf. Im Normalfall wäre das ein Flutlicht-Spiel vor ausverkauftem Haus. Doch Corona-bedingt ist auch dieses Mal alles anders. Wie sehr vermisst du es, in ein volles Stadion einzulaufen?
Natürlich vermisst man diese gigantische Atmosphäre. Dieser Zustand ist und bleibt extrem ärgerlich. Man kann kein Tor und keinen Sieg mit den Fans feiern – das
ist einfach scheiße. Letztlich müssen wir die Ist-Situation aber annehmen und bestmöglich damit umgehen.
Findet bei euch in den Abläufen vor dem Spiel in irgendeiner Form eigentlich eine Gewöhnung an diese Situation statt oder ist es immer noch total komisch, wenn nahezu niemand auf der Tribüne sitzt?
Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, so dass man sich irgendwo, irgendwie, irgendwann auch daran gewöhnen kann, dass dieser Zustand gegenwärtig normal ist, auch wenn er natürlich niemals normal werden sollte. Ich spiele lieber vor einem vollen Haus als vor leeren Rängen. Diese Atmosphäre, dieses Feeling auf dem Platz – das ist durch nichts zu ersetzen.