Manche Trainer bestimmen ihren besten Spieler zum Kapitän, einige den erfahrensten, andere den dienst­ältesten. Für HSV-Trainer TIM WALTER geht es weniger um die genannten Werte, sondern viel mehr um das Tragen von Verant­wortung. Mit der Raute auf der Brust und der Binde am Arm – die HSV-Kapitäne der aktuellen Saison im Über­blick.

Verantwortung ist ein großer Begriff. Und einer, der das Leben prägt. Man lernt früh, Verant­wortung für sein Handeln zu über­­nehmen, und später dann auch, Verant­wortung für andere zu tragen. Das Thema Familie ist ein sehr passendes Beispiel. Zwei Menschen, die bisher ledig­lich für sich selbst verant­­wortlich waren, schließen sich zusammen – und tragen auf einmal Verantwortung für Kinder und die ganze Familie. Was das mit Fuß­ball zu tun hat? Nun ja, eine ganze Menge.

HSV-Trainer Tim Walter be­zeichnet sich selbst manch­­mal lächelnd als „Papa der Spieler“, wie er es in dieser Saison auch schon einmal öffentlich ausdrückte, als Vater der Mannschaft, als Oberhaupt der Gruppe. Und in dieser Rolle übernimmt der Coach Verantwortung. Verantwortung für „meine zweite Familie“, wie er seine Mann­schaft in der bereits ange­sprochenen Interview-Situation nannte. Doch während der 90 Minuten schwindet der Einfluss des Trainers aufgrund der Distanz zwischen Coaching-Zone und beispiels­­weise Links­­außen­­position, das Team muss vermehrt selbst Ent­­scheidungen treffen und Vor­gaben umsetzen. Daher hält der Coach große Stücke auf seinen Kapitän. „Gerade in der heutigen Zeit betrachte ich die Wahl des Kapitäns als sehr wichtig, weil es weniger Spieler gibt, die Verant­wortung über­nehmen“, sagt Walter, „und wenn ich einen Kapitän habe, der diese Rolle wirklich gut aus­füllt, dann habe ich in ihm einen verlänger­ten Arm auf dem Spielfeld.“

Wenn ein Trainer in die neue Saison startet, dann hat er in den aller­­meisten Fällen seinen Kapitän bereits bestimmt. Und in der Regel auch einen oder zwei Stell­vertreter, die den Käpt’n bei einer möglichen Ab­wesen­­heit – sei es auf­grund einer Verletzung oder einer Sperre – auf dem Platz als Mann­­schafts­­führer ersetzen und dem Coach als Führungsspieler und verlängerter Arm zur Seite stehen. Ergänzt wird dieses Kapitänstrio meist durch einen Mann­schafts­rat, der sich aus erfahrenen oder von der Mann­schaft gewählten Spielern zusammen­­setzt, die Interessen des Teams vertritt, als Ansprech­­partner dient und auch für den Coach ein wichtiger Sparrings­­partner in der Kabinen­­kommuni­­kation ist. Beim HSV besteht dieser Mann­schafts­rat aus Kapitän Sebastian Schonlau und seinen Stellvertretern Ludovit Reis und Jonas Meffert sowie zusätzlich aus Top-Torjäger Robert Glatzel und den beiden Keepern Daniel Heuer Fernandes als Nummer 1 und Tom Mickel als HSV-Urgestein. So weit, so gut. Und auch so normal.

Doch beim HSV durfte in dieser Saison fast nahezu der gesamte Mann­schafts­rat das Team bereits einmal als Kapitän aufs Feld führen, was dann doch eher unge­­wöhn­lich ist. Geschuldet ist dies natürlich vorrangig der lang­wierigen Verletzung von Sebastian Schonlau, durch die Ludovit Reis als erster Stell­­vertreter die Binde über­nahm und sie sich über den Arm streifte – doch genau dieser Arm wurde zum Problem von Reis, der sich zum wiederholten Male die Schulter auskugelte, verletzt aus­fiel und jüngst operiert wurde. Somit kam mit Jonas Meffert Vertreter Nummer zwei ins Spiel, der die Binde nicht nur nach Reis‘ verletzungs­bedingter Aus­wechslung übernahm, sondern auch in den folgenden Spielen trug. Als Meffert jedoch im DFB-Pokal bei Arminia Biele­feld nicht in der Startelf stand und auch der Vertreter-Vertreter Robert Glatzel aufgrund einer Schonungs­­pause nicht von Beginn an auf­lief und ent­­sprechend nicht die Binde über­nehmen konnte – was er in dieser Saison aber bereits im DFB-Pokal bei Rot-Weiss Essen getan hatte –, füllte Links­vertei­diger Miro Muheim auf der Bielefeld Alm das Kapitänsamt aus, das am darauffolgenden Spieltag in Liga 2 gegen den 1. FC Magde­burg schließlich zumindest kurzzeitig auch Keeper Daniel Heuer Fernandes zuteil werden sollte. Er war damit in dieser Saison bereits der sechste HSV-Profi, der in einem Pflicht­spiel die Kapitäns­­binde trug. Eine Crew, sechs Kapitäne – „es zeigt“, sagt Tim Walter, „dass wir mittlerweile mehrere Spieler im Team haben, die Verant­wortung über­­nehmen wollen und können.“ HSVlive stellt das Sextett der verlängerten Arme vor.

Der Kapitän, der seit seinem Wechsel zum HSV im Sommer 2021 die Binde und in allen Lagen auch große Verant­wortung trägt. Er ist der verlängerte Arm von Trainer Tim Walter, ist in der Mann­schaft ebenso wie im Staff und dem gesamten Club hoch­geschätzt und etabliert und nimmt auch trotz seiner der Verletzung geschuldeten Abwesen­heit auf dem Rasen zumindest in der Kabine und im Verein großen Einfluss. Als zentraler Abwehr­spieler und Fixpunkt in der Mann­schaft des HSV ist der 29-jährige Schonlau als Spieler, vor allem aber auch als Persönlichkeit eine absolute Säule.

Dem Nieder­länder wurde vor der aktuellen Saison das Amt des stell­vertretenden Kapitäns über­tragen. Der Mittel­feld­spieler durfte dies sowohl als Bestäti­gung und Belohnung für seine bis dato erbrachten Leistungen wie auch als Motivation für die Zukunft verstehen. Denn Reis soll noch mehr Verant­wortung für das Spiel der Rothosen über­nehmen, um sich sowohl als Spieler als auch als Person und Führungsfigur weiterzuentwickeln. Der 23-Jährige ist auch während seiner Verletzungs- beziehungs­weise Reha-Zeit ein wichtiger Ansprechpartner in der HSV-Kabine.

In der ver­gangenen Saison war der 29-jährige Mittel­feld­motor der Vertreter von Sebastian Schonlau. Als Mr. Zu­ver­­lässig ist ihm diese Rolle auch nahezu wie auf den Leib geschneidert. „Meffo“ ist immer da, immer verläss­­lich und stellt sich immer zu 100 Prozent in den Dienst der Sache und des Vereins. So stellt man sich einen stell­vertretenden Mann­­schafts­­kapitän vor. Eben diese Rolle füllt er auch in dieser Saison aus, aller­dings als zweiter Stell­­vertreter, da Meffert – auch dies entspricht seinem Naturell als Team­player – dem jungen Kollegen Ludovit Reis den Vor­tritt ließ als erster Vertreter Schonlaus, um eben­falls dessen Weiter­­ent­wicklung zu unter­­stützen. So denkt und handelt nur ein echter Mann­­schafts­­spieler und Spielführer.

Der Top-Torjäger des HSV besticht weniger durch Worte, dafür aber umso mehr durch Taten. In den vergangenen beiden Spiel­­zeiten war er mit 22 bzw. 19 Treffern jeweils der erfolg­­reichste HSV-Tor­­schütze, der sich aber keines­­wegs nur auf seiner Rolle als Tor­jäger und seinen erzielten Treffern aus­­ruht, sondern sich in jedem Spiel von der ersten bis zur 90. Minute zu 100 Prozent in den Dienst der Mann­­schaft stellt. Kaum ein Spieler ackert defensiv wie offensiv mehr fürs Team und definitiv kein Spieler steht so zuver­­lässig auf dem Platz wie der 29-Jährige, der mit 80 Punkt­­spielen am Stück die längste Serie aller Zweit­­liga-Spieler hält. Durch diese Attribute hat sich Robert Glatzel das Vertrauen seiner Mit­­spieler und des Trainer­­teams erarbeitet und zählt dement­­sprechend auch zum erweiterten Kreis der Kapitäne.

Wenn einer der Rück­halt dieser Mann­schaft ist, dann ist es Daniel Heuer Fernandes. „Ferro“ trägt nicht nur die 1 auf dem Rücken, sondern gilt auch für seine Mit­spieler als die Nummer 1 unter den Torhütern der 2. Liga. Mit ebenso beein­druckenden wie beständigen Leistungen hat der 31-Jährige seinen Status als heraus­ragender Torhüter unter­mauert, überzeugt mit harter Arbeit und dem absoluten Teamgedanken. Diesen lebt er in der Kabine als Führungs­spieler und Motivator und füllt ent­sprechend auch seine Rolle als Kapitäns­vertreter verläss­lich aus.

Der Schweizer durfte im DFB-Pokal bei Arminia Biele­feld den HSV als Mann­schafts­kapitän aufs Feld führen. Nach dem Spiel stand er Rede und Antwort und erklärte, dass es für ihn das erste Mal und eine riesen­große Ehre gewesen sei. Unter­mauert hatte der 25-jährige Linksverteidiger die Ernen­nung zum Kapitän zuvor in den 120 Minuten sowie im Elf­meter­schießen mit einer wieder einmal bärenstarken Leistung. Von denen hatte Muheim in den vergangenen Monaten mehrere am Stück abge­liefert, wodurch sein Standing stetig anwuchs und in der Ernen­nung zum Stell­vertreter-Kapitän mündete.