Nach zehn Jahren ist Levin Öztunali zurück bei seinem Jugendclub und läuft erstmals im Trikot der Profimannschaft für den HSV auf. Für den 27-jährigen Mittelfeldspieler ist es das nächste Kapitel einer einzigartigen Laufbahn, in der er mit einem besonderen Background seinen ganz eigenen Weg gegangen, dabei in mehrere Trikots geschlüpft und jetzt wieder im HSV-Outfit angekommen ist.

Levin Öztunali ist zurück. Zurück in seiner Heimat­stadt Hamburg. Und zurück beim HSV – dem Verein, mit dem er schon als Junge aufwuchs, bei dem er als Teenager seine fuß­ballerische Aus­bildung genoss und den er als Profi­fuß­baller in den vergangenen zehn Jahren nie aus den Augen verloren hat. Nach Stationen bei Bayer 04 Lever­kusen, beim SV Werder Bremen, 1. FSV Mainz 05 und 1. FC Union Berlin schlug der gebürtige Hamburger im Sommer dieses Jahres mit 190 Bundes­liga-Spielen im Gepäck wieder in seiner Heimat auf und unter­schrieb einen Drei­jahres­vertrag bei den Rothosen. Zum Saison­auftakt gegen den FC Schalke 04 (5:3) debütierte der Rück­kehrer mit der Rückennummer 21 für die HSV-Profis und erlebte einen unver­gesslichen Abend, wie er im Gespräch mit dem HSVlive-Magazin verrät: „Das Ein­laufen in ein volles Stadion zählt bis heute zu den schönsten und größten Momenten, die ich als Fuß­baller erleben darf. An diesem Tag war es ganz besonders. Denn ich habe erst­mals für die Profis die Raute auf der Brust getragen, und zwar in dem Stadion, in dem ich einst als Ball­junge gestanden habe – das war ein groß­artiges Gefühl.“

Besonderer Back­ground

Levin Öztunali und der HSV – dass diese Verbindung besonders ist, macht sich schnell bemerkbar, als der 27-Jährige zum Interview- und Foto­termin für diese Ausgabe des HSVlive-Magazins erscheint und zahl­reiche HSV-Trikots aus den verschiedenen Epochen des Clubs griff­bereit aus­liegen. Unter den rund 25 Trikots aus dem HSV-Museum fällt dem Mittel­feld­spieler direkt ein Heim­trikot mit dem ikonischen TV Spielfilm-Schriftzug ins Auge. Den gebürtigen Hamburger versetzt das Jersey prompt in die eigene Kindheit zurück. Denn rund um die Jahr­tausend­wende nimmt er die HSV-Spiele und damit verbunden die Rot­hosen in den Shirts mit dem Aufdruck der Programm­zeit­schrift erstmals bewusst wahr und beginnt beim Norder­stedter Stadt­teil­club TuRa Harks­heide selbst mit dem organisierten Kicken. „Das war eine super­schöne Zeit, in der ich mit vielen Schul­kameraden zusammen­gespielt habe und der Spaß an oberster Stelle stand. Ich wollte damals einfach nur Fuß­ball spielen und hatte als kleines Kind enorm viel Energie“, blickt Öztunali zurück.

Nicht nur viel Spaß und Energie, sondern auch eine Menge Talent und Fein­gefühl im rechten Fuß zeichnen den kleinen Butscher aus dem Kreis Sege­berg aus, der durch seinen Großvater schon qua Familien­stamm­baum mit dem Fußball fest ver­wurzelt ist.Uwe Seeler – schon damals der größte HSVer aller Zeiten und eine absolute Legende des deutschen Fuß­balls – ist für den jungen Levin aber vor allem eines: sein Großvater. „Im End­effekt war mein Opa für mich immer nur mein Opa. Natürlich habe ich mitbe­kommen, dass er ganz Großes geleistet hat, aber für mich war er ein Teil der Familie und ich habe es sehr genossen, mit ihm Zeit zu verbringen. Wir haben Tür an Tür, Garten an Garten gewohnt und er hatte immer ein offenes Ohr für mich und einen guten Ratschlag parat“, erzählt er. Einzig die Stadion­besuche mit dem Opa konnten sich schon einmal in die Länge ziehen und als Kind etwas an­strengend werden. Denn für die Hamburger war Uwe Seeler „Uns Uwe“, ein Volks­held und ihr großes Fußballidol. „Mein Opa hat im Stadion immer viele Auto­gramme gegeben und Fotos gemacht. Dabei hat er sich stets viel Zeit genommen und jeden gleich behandelt. Das hat ihn ausge­zeichnet“, erinnert sich Öztunali. „Als Kind habe ich das vielleicht gar nicht so krass wahr­genommen, aber jetzt im Nach­hinein bekomme ich das immer wieder als Feedback von Menschen zuge­spielt, die ihn selbst kennen­gelernt haben.“

Wie es vermeintlich das Schicksal, aber doch viel mehr sein Können am Ball will, landet Levin Öztunali im WM-Jahr 2006 nach einer Zwischen­station bei Ein­tracht Norder­stedt (2005-06) bereits im Alter von zehn Jahren im Nachwuchs des HSV. Und dort beginnt sich sein fuß­ballerischer Alltag zu verändern. „Beim HSV wurde alles profes­sioneller. Auch wenn es den Campus am Volks­park­stadion zu meiner Zeit noch nicht gab und wir noch in Norder­stedt trainiert haben, war alles ein Stück weit größer als bei TuRa Harks­heide oder Eintracht Norder­stedt.“ Zudem lernt der Rechtsfuß schnell, was es bedeutet, auf den Hamburger Plätzen die Raute auf der Brust zu tragen. „Spiele mit dem HSV waren immer besonders. Es war egal, gegen wen du in der Hamburger Jugend ge­spielt hast – den HSV wollten alle schlagen. Am Ende hatten wir zum Glück aber immer eine gute Truppe zusammen, sodass das nicht häufig passiert ist“, verrät der 27-Jährige und muss dabei lächeln. 

Während seiner sieben Jahre in der HSV-Jugend (2006-13) schafft Öztunali parallel auch den Sprung in die Junioren-National­mannschaft. Fast ein Jahr­zehnt (2010-19) lang durchläuft er von der U15 bis zur U21 sämtliche DFB-Teams, absolviert 74 Länder­spiele (elf Tore) und wird unter anderem 2014 U19- und 2017 U21-Europameister. Dabei stellt der gebürtige Hamburger fest, dass das schwarz-weiße Trikot der Nationalelf noch einmal anders wiegt. „Es ist eine Auszeichnung, überhaupt in der Jugend­national­mann­schaft dabei zu sein. Dort im Trikot des DFB aufzu­laufen und die National­hymne zu hören, das ist ein Moment, der fürs ganze Leben bleibt“, bestätigt er heute. 

Eigener Weg

Der Enkel von Uwe Seeler im Trikot des HSV und der National­mann­schaft – in der noch wilden und prägenden Jugend­phase seiner fußballe­rischen Lauf­bahn ist Levin Öztunali häufig mit diesem Thema konfrontiert. Auf die Frage, inwie­weit der Legenden-Status seines Groß­vaters damals eine Ehre oder Bürde dar­gestellt hat, findet er rückblickend aber eine sehr auf­ge­räumte Antwort: „Für einige Leute und die Medien war das sicherlich ein Thema. Ich habe dies­be­züglich aber keinen Druck verspürt und auch von Vereins­seite gab es das nicht. Wir haben letztlich auch auf ganz unter­schied­lichen Positionen zu ganz unterschied­lichen Epochen gespielt. Im End­effekt bin ich meinen ganz eigenen Weg gegangen.“

Und dieser führt ihn im Sommer 2013 rund 350 Kilo­meter Luft­linie südwärts von der Elbe an den Rhein zu Bayer 04 Lever­kusen. Ein gewisser Jonas Boldt, der ihn zehn Jahre später zum HSV zurück­holen sollte, ist damals in Diensten der Werks­elf entscheidend an der Ver­pflichtung des Offensiv­talentes beteiligt. Im Alter von 17 Jahren und 146 Tagen feiert Öztunali gegen den SC Frei­burg (3:1) sein Bundes­liga-Debüt und avanciert damit zum bis dato jüngsten Debü­tanten des Clubs. Auf dem Rücken prangt hierbei die Nummer 15. „Als junger Spieler nimmst du die Zahl, die frei ist und die dir gegeben wird, versuchst deine Spiel­minuten zu sammeln und alles aufzu­saugen“, gibt Levin dafür eine einfache Erklärung, und schiebt erneut lächelnd nach: „Am Ende habe ich in Lever­kusen 15 Bundes­liga-Spiele absolviert. Das hat also doch auch irgend­wo gepasst mit der Nummer.“

Das Lever­kusen-Trikot, sein erstes im Profi­bereich, hat in jedem Fall einen besonderen Platz bekommen. Ebenso wie die vielen weiteren Öztunali-Trikots, die er an­schließend in Bremen (Rücken­nummer 11), Mainz (8) und zuletzt Berlin (7) getragen, gesammelt und bis heute als An­denken aufbewahrt hat. „Es handelt sich dabei vor allem um Trikots, die für mich Meilen­steine markieren: Von meinem ersten Bundes­liga-Spiel bis jetzt zu meinem ersten Spiel für den HSV. Das sind Momente, die mir keiner mehr nehmen kann und die durch ein Trikot noch einmal in guter Erinnerung bleiben“, gewährt der Rechts­fuß einen Blick in seine Trikot­sammlung, deren Exemplare teil­weise aufgehängt an der Wand, in Kisten gut verstaut oder an Freunde und Familien­mit­glieder als Geschenke verteilt sind. Dabei handelt es sich nicht nur um eigene Shirts, sondern auch die von ehe­maligen Weg­gefährten, die später zu Gegnern wurden. „Im Laufe meiner Karriere habe ich natürlich auch einige Trikots getauscht – vor allem mit ehe­maligen Mit­spielern, um später mal zu sehen, mit wem ich alles in der Jugend zusammen­gespielt habe. Mir fallen zum Bei­spiel spontan Trikots von Niklas Süle oder Timo Werner ein. Das ist dann schon etwas Persönliches.“

Nur der HSV

Persön­lich fühlte sich nach 190 Bundesliga-Spielen und zehn Jahren in der Fremde nun auch seine Rück­kehr nach Hamburg an. „Ich bin mit dem HSV groß geworden und habe hier alle Nach­wuchs­teams durchlaufen. Deshalb habe ich mich sehr gefreut, wieder hier zu sein“, erklärt Öztunali. „Am Ende ist es etwas Besonderes, hier zu spielen.“ Und so sehr anders als in der Jugend fühlt es sich eine Dekade später im Trikot der Profis auch nicht an, wie der Rück­kehrer nach den ersten Pflicht­spielen gemerkt hat: „Es ist wie in der Jugend: Gegen den HSV sind alle hoch­motiviert, dir wird nichts geschenkt. Wir müssen daher in jedem Spiel unsere Leistung bringen und voll da sein.“

Als eta­blierter Profi, der sich im besten Fuß­baller­alter befindet, bringt der 1,84 Meter große Offensiv­spieler dabei die passende Mischung aus Klasse und Erfahrung mit, um den mitunter jungen HSV-Kader zu verstärken. „Ich habe in den letzten zehn Jahren bei jeder Station etwas mitge­nommen, meine Erfahrungen und Spiele gesammelt“, sagt er. „Ich versuche, der Mann­schaft mit dieser Erfahrung zu helfen und werde auf jeden Fall auch den Mund auf­machen und Dinge an­sprechen.“

Der bisher zurück­gelegte Weg hat ihn dabei auch zu seiner ganz eigenen Persönlichkeit geführt. Levin Öztunali erscheint im Gespräch nicht als Laut­sprecher oder Geschichten­erzähler, sondern mehr als introvertierter und nachdenklicher Mensch, der dann etwas sagt, wenn er etwas zu sagen hat. Seine Aussagen wählt er im Zeitalter schnell­lebiger Medien und einem damit verbundenen ständigen Brennglas auf die eigene Branche mit Bedacht. Dabei agiert er bestimmt, aber zu­gleich stets freundlich, boden­ständig und profes­sionell.

Der HSV-Mann­schaft können die frischen Impulse, die der Mittel­feld­spieler auf und abseits des Platzes gibt, für das seit Jahren gesetzte große Ziel nur gut­tun. Und dieses große Ziel hat selbst­ver­ständ­lich auch der Neu­zu­gang selbst voll ins Visier genommen: „Wir wollen einen Platz besser sein als im Vor­jahr. Ich denke, dass es für alle Menschen, die hier tag­täg­lich arbeiten, ein Traum ist, wenn wir am Ende belohnt werden für das, was wir Tag für Tag investieren. Wir geben alles, um es dieses Mal möglich zu machen.“ Damit das HSV-Trikot künftig wieder die 1. Bundes­liga schmückt.

Dass dieses Trikot damals wie heute – und unab­hängig von der Liga – ein Blickfang ist, das ist für den gebürtigen Hamburger beim Blick auf die zahl­reichen HSV-Jerseys, die das Setting des Termins mit Leben füllen, selbst­er­klärend. „HSV-Trikots sind alle schön“, sagt er und streift sich für das Foto­shooting eigen­ständig gleich mehrere ikonische Shirts über. „Das BP-Trikot aus den erfolg­reichen 80er-Jahren oder das Hitachi-Trikot in Rosa – das sind Kult­objekte, und jedes dieser Trikots steht für eine besondere Ära in der großen Geschichte des HSV“, sagt Levin Öztunali. Bereit, im Trikot mit der Rücken­nummer 21 seine ganz eigene Geschichte zu schreiben. So wie er es schon immer getan hat.