Ein bisschen versteckt liegt das Reich von Miroslav Zadach, hinten links zwischen Fitness- und Aufenthaltsraum, und Unbefugte gelangen ohnehin nicht bis hierhin. Denn die Kabine ist – jeder Mannschaftssportler kann dies bestätigen – absolut heilig. Es ist das private Refugium der Spieler, die hier unter sich sind. Und wenn man von der Kabine, dem Herzstück des Mannschaftstraktes im Inneren des Volksparkstadions, noch einmal links und anschließend einmal rechts abbiegt, dann steht man in der hintersten Ecke der Katakomben – und damit vor der Tür, hinter der die Schätze lagern: Miros Reich.
Miro Zadach hat in den vergangenen knapp 20 Jahren alle HSV-Spieler und -Trainer hautnah erlebt, tagtäglich, bei der Arbeit und privat. Kaum ein Erlebnis, das er nicht geteilt hat, kaum ein Kabinengeheimnis, das er nicht kennt. Zumal Zadach auch noch als Busfahrer der Rothosen fungiert. Die gute Seele des innersten Kreises, sozusagen, wenn auch nie verlegen um einen kernigen Spruch, den der gebürtige Pole hier und da gern mal fallen lässt, ihn dabei aber niemals böse meint. Stattdessen pflegt er ein überaus enges und herzliches Verhältnis zu seinen Jungs, wie er die Spieler nennt. Die mögen ihn und seine ebenso lustige wie direkte Art, mit der er schon HSV- und Fußballgrößen wie Ruud van Nistelrooy oder Mladen Petric zum Lachen brachte.
Ja, die gute alte Zeit – für Miro Zadach war sie eine sehr arbeitsintensive. „Das waren andere Zeiten damals“, erinnert sich der Zeugwart, „damals hatten die Spieler eine unbegrenzte Anzahl an Trikots zur Verfügung und haben pro Spiel immer zwei bis drei Trikots mit den gegnerischen Spielern getauscht.“ Für ihn bedeutete dies: „Ich war die ganze Woche mit der Nachproduktion beschäftigt, damit jeder Spieler am kommenden Wochenende wieder seine drei Trikots zur Verfügung hatte, denn in der Halbzeit wird das durchgeschwitzte Shirt gegen ein sauberes getauscht, und eines habe ich immer in Reserve für Notfälle dabei, falls dem Spieler das Trikot in der zweiten Hälfte mal reißt.“
Gewissenhafte Arbeit: Miroslav Zadach an der Flock-Maschine und in seinem Büro vor den Trikots seiner polnischen Landsleute und Weggefährten.
An dieser Dreier-Regel hält Zadach auch heute noch fest, Vorsicht ist schließlich die Mutter der Porzellankiste. Aber er muss nicht mehr so viele Trikots nachproduzieren. „Heute bekommt jeder Spieler pro Saison fünf Trikots vom Verein zur Verfügung gestellt“, erklärt Zadach und ergänzt: „Viele von den Jungs halten das Kontingent ein, manche nehmen aber auch ein paar mehr, die sie dann allerdings selbst bezahlen müssen. Bobby Glatzel zum Beispiel tauscht ganz gern, Ludo Reis auch, aber das ist alles im Rahmen, die Jungs sind da sehr vernünftig. Absolut kein Vergleich zu früher.“
Das Lager von Miro Zadach ist dennoch proppevoll. Ausrüster adidas hat gerade neue Trainingskleidung und natürlich reichlich neue Trikots angeliefert. „Das gesamte Material für die neue Saison, ich muss dringend Ordnung schaffen“, sagt Zadach schmunzelnd, während ihn in seinem kleinen Büro von der Wand aus die Trikots seiner Landsleute und heute sogar Kumpels Lukas Podolski und Lukasz Piszczek anlächeln. Ja, er hat viele große Persönlichkeiten kennengelernt in diesen aufregenden Jahren, in denen er mit dem HSV in Dortmund, München, natürlich auch international und allein in rund 40 Trainingslagern in aller Welt unterwegs war. Der einzige Fauxpas in zwei Jahrzehnten aber, der ereilte ihn quasi direkt vor der Haustür. „Beim Spiel in Kiel kam Jan Gyamerah in der Halbzeit zu mir und sagte: Miro, mein Name steht falsch auf dem Trikot. Und tatsächlich, dort stand Gaymerah statt Gyamerah. Der arme Kerl war ganz aufgeregt. Das tat mir schon leid, zumal ich ihm in dem Moment kein neues Trikot geben konnte, denn alle Trikots waren falsch. Ein Buchstabendreher bei den von einer externen Firma angelieferten Flocks – das war eine absolut einmalige Geschichte, mir ist so etwas in all den Jahren nie begegnet, daher hatte ich da beim Beflocken der Trikots kein Auge drauf. Aber die Story bleibt natürlich hängen.“
Der HSV machte das Beste daraus, versteigerte dieses Unikat-Trikot für einen guten Zweck und sammelte so stolze 4.000 Euro ein. Dennoch, für Miro Zadach war es ein Zeichen, dass nicht nur auf dem Platz, sondern auch in den heiligen Hallen in den Katakomben des Volksparkstadions immer hundertprozentige Konzentration vonnöten ist. „Man darf nicht vergessen, dass so viele Menschen zuschauen, die Medien sehen alles und am Ende kann jede Kleinigkeit zu einer Peinlichkeit oder sogar einem Skandal werden“, sagt der Mann, der seinen Jungs Woche für Woche vor dem Spiel akkurat die Kabine vorbereitet. „Ich habe für mich und meine Arbeit den Anspruch, dass alles optimal und perfekt sein muss, es muss alles stimmen, deshalb geht es für mich um Genauigkeit und totale Konzentration. Und so geht die Aufregung, die ich früher in der Anfangszeit verspürt habe, irgendwann zurück, es wird über die Jahre zu einem Job.“ Den er aber liebend gern und mit totaler Hingabe verrichtet – da hinten links und rechts ums Eck in seinem Reich: den heiligen Hallen der Volksparkstadion-Katakomben.