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DIE KIDS MÜSSEN WISSEN:

Willst du etwas erreichen, musst du etwas investieren!

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Von nichts kommt nichts. Das weiß kaum jemand besser als Tim Walter, der sich als Trainer bis in den Profi­bereich hochge­arbeitet hat, ohne selbst Fußball­profi gewesen zu sein. Diese Leiden­schaft, diese Begeisterung und diese Bereit­schaft erhofft sich der HSV-Coach auch von jungen Nach­wuchs­kickern, die sich für den Fuß­ball entscheiden. Wobei der Spaß niemals zu kurz kommen sollte, wie Walter im Interview zum Titel­thema dieser HSVlive-Ausgabe betont.

Wer Tim Walter in der 96. Spiel­minute des jüngsten HSV-Heim­spiels gegen den SV Sand­hausen beobachtet hat, der konnte sie sehen und eigent­lich sogar spüren: Diese Energie, die sich entlud, als Moritz Heyer den Ball in der letzten Minute der Nach­spielzeit zum 2:1-Sieg­treffer im Netz unter­brachte und das Volks­park­stadion zu explodieren schien. Dieser Moment, in dem Walter die Faust in den Hamburger Abendhimmel reckte, nein: boxte. Der Moment, in dem er sich sofort danach umdrehte und sein Trainer­team fast erdrückte. Diese Energie, die von diesem Trainer einfach ausgeht, die sich auf seine Spieler und das gesamte Team inklusive Staff überträgt. Diese Energie ist es, die den Fußball für Tim Walter so besonders macht und die auch seine besondere Spiel­weise charakte­risiert. Spektakel – dieser Begriff fällt immer wieder. Und, dass dieses Spiel nur funktioniert, wenn alle Spieler an einem Strang ziehen, als Gruppe funktionieren. Quasi als Familie auf dem Feld. 

Womit wir bei der Über­leitung zum Thema dieser HSVlive-Ausgabe ange­kommen wären. Denn es geht um den HSV und seine Kids, um den Nach­wuchs, um junge Menschen. Und hierfür ist Tim Walter der absolute Experte, denn der ehe­malige Nach­wuchs­trainer managt nicht nur mit seinem Trainer­team die jüngste Mann­schaft der gesamten 2. Liga, sondern daheim mit seiner Frau auch die Familie. Und die ist – ganz der Papa – ziemlich Fuß­ball-verrückt. Wie man diese viel­fältige und intensive Arbeit mit jungen Menschen im Beruflichen und im Privaten händelt und welche Parallelen es vielleicht sogar zwischen Mann­schaft und Familie gibt, das wollten wir vom 45-jährigen Familien­vater und Fußball­lehrer wissen. Ein Gespräch über Individualität, Team­work und über die Waage zwischen Spaß und Ernst

Tim, ganz egal ob auf dem Trainings­platz oder am Spiel­feldrand – wenn man dich beobachtet, kann man förmlich greifen, wie sehr du den Fuß­ball in jedem Augen­blick lebst. Streifst du das nach Feier­abend mit dem Betreten der Haus­tür ab oder kommt der Fußball mit zu dir nach Hause?

Das bin ich. Ich bin einfach so energie­geladen, gerade wenn es um Fuß­ball geht, deshalb nehme ich den Fuß­ball auch überall mit hin, auch nach Hause. Aber meine Kinder sind mein Puffer, die schaffen es tatsächlich, dass ich herunter­komme. Und sie bringen mich zum Lachen, wenn ich mal zu sehr ange­spannt bin. 

Ist bei euch zu Hause der Fuß­ball also ein ständiger Begleiter?

Ja, absolut. Alle fiebern total mit, meine große Tochter hat sogar schon mal geweint, wenn der Papa verloren hat. Über­haupt ist die ganze Familie sowieso immer Fan von dem Verein, bei dem der Papa arbeitet. Die Kinder identi­fizieren sich auch voll und ganz mit dem HSV, tragen andauernd ihre HSV-Trikots und speziell mein Sohn als absoluter Fuß­ball-Fan hat natürlich auch seine Lieblings­spieler beim HSV. Aber er ist auch immer noch Bayern-Fan, schließlich lebt die Familie in München und ich habe ja auch mal im Nach­wuchs des FC Bayern gearbeitet. Daher gehört der FCB neben dem HSV zu seinen Favoriten.

Egal ob mit der Familie bei Hagenbeck, oder mit seinem Trainerteam oder mit seinen Spielern auf dem Platz: Tim Walter sucht die Nähe, die Kommunikation und den gemeinsamen Spaß. „Es geht immer darum, den Spagat zu schaffen, dass jeder Einzelne zufrieden ist und gleichzeitig die Gruppe als Ganzes funktioniert“, sagt Walter – und meint damit sowohl das Familienleben als auch das Wirken als Trainer. 

Deine Familie lebt weiterhin in München, du arbeitest beim HSV, ihr telefoniert aber jeden Tag ausgie­big. Fragt dein Sohn dann auch mal nach der Aufstellung fürs Wochen­ende?

Er möchte schon manch­mal gern wissen, ob denn seine Lieblings­spieler am Wochen­ende dabei sind, das ja. Das freut ihn dann natürlich immer.

Ist dein nicht ganz all­täg­licher Beruf auch ein Thema bei seinen Freunden?

Die finden es schon ganz cool, dass der Vater vom Lennart einen etwas besonderen Beruf hat. Da kann man mal ein paar Auto­gramme für die Jungs mitbringen. (lacht) Für Lennart selbst ist das aber normal, er kennt es ja auch nicht anders. Er freut sich eher darüber, dass er so oft ins Stadion gehen und Fuß­ball gucken kann.

In den Sommer­ferien hat dein Sohn an einem Camp der HSV-Fußball­schule teilge­nommen. Wie hat es ihm gefallen?

Lennart war begeistert! Es hat ihm viel Spaß gemacht, was mich besonders deshalb freut, weil er in einer neuen Umgebung zu Beginn eigent­lich immer sehr schüchtern ist und sich erstmal zurecht­finden und ankommen muss. Das scheint in der HSV-Fuß­ball­schule sehr gut und sehr schnell geklappt zu haben, denn er hat mir, wenn ich ihn vom Camp abgeholt habe, jeden Tag begeistert erzählt, was alles gemacht wurde und was er erlebt hat. Er ist dabei förmlich aufgeblüht.

Und hinterher geht’s dann zu Hause im Wohn­zimmer oder im Garten gleich weiter mit Fußball?

Ja, so sieht es aus. Bei uns liegen daheim überall Bälle herum, denn neben meinem Sohn spielen auch meine beiden Töchter sehr gern Fußball, die kleinere jetzt sogar auch im Verein. Und neben Fuß­bällen fliegen auch überall Hockeybälle herum, denn Hockey ist das zweite große Thema in unserer Familie. Die Wochen­enden sind jeden­falls immer voll: Fußball, Hockey, Fußball, Hockey. Ich weiß gar nicht, wie meine Frau das alles unter einen Hut und so reibungs­los organisiert bekommt. Das ist schon groß­artig.

Nebenbei schaut die Familie ja auch noch gern dem Papa im Stadion zu. Haben deine Kids bei gemeinsamen Stadion­besuchen vor den Corona-Beschränkungen schon mal ein richtig volles Haus erlebt?

Ja, die Kinder wissen schon aus den Zeiten in München, Kiel und in Stuttgart, wie sich ein volles Stadion anfühlt und was 50.000 Menschen gerade emotional mit einem machen können. Sie finden das extrem cool, wenn das Stadion richtig voll ist und die Stimmung einen mitreißt, egal wie nervös oder unsicher man selbst vielleicht gerade ist. Wir hoffen alle gemeinsam, dass wir das ganz bald wieder erleben können. Denn das aus­verkaufte Volks­park­stadion mit dieser ein­maligen Stimmung, das wollen sie auch unbedingt kennen­lernen.

Fußball und Familie sind in deinem Leben auf jeden Fall die beiden Haupt­rollen. Siehst du auch Parallelen zwischen ihnen? Eine Mann­schaft ist ja im Ideal­fall auch wie eine große Familie.

Es gibt im Fußball definitiv Parallelen dazu, wie ich zu Hause mit meiner Familie umgehe oder wie ich meine Kinder erziehe. Entscheidender Unter­schied ist die Tatsache, dass ich im Fußball konsequenter sein muss, selbst dann, wenn ich auch in meiner Mann­schaft immer zuerst den Menschen und nicht nur den Sportler sehe. Aber zu Hause geht es eben auch mal, dass ich mich von meinen Kindern um den Finger wickeln lasse, wenn sie vor mir stehen und mich mit großen Augen anschauen. Das geht als Trainer nicht, da musst du deine Linie haben und konsequent sein, das ist extrem wichtig. Das liegt natürlich auch an der Anzahl der Personen in der Gruppe. In der Kabine habe ich mehr als 20 Kinder, wenn man es so nennen möchte, zu Hause sind es nur drei. Das bedeutet ein anderes Handling der Situationen, das sich jedoch in der Art und Weise gar nicht so sehr unterscheidet.

Wo genau siehst du die entscheidenden Gemeinsam­keiten beziehungs­weise Unter­schiede?

Deine eigenen Kinder begleitest du dein Leben lang und versuchst sie best­möglich auf ihr eigenes Leben vorzu­bereiten. Bei meinen Spielern ist es in den aller­meisten Fällen eine temporäre Beziehung. Dennoch finde ich es wichtig, immer erst den Menschen zu sehen und so mit meinen Jungs umzugehen, dass wir eine Beziehung mit großer persönlicher Verbindung aufbauen. Aus meiner Sicht ist das die beste Weise, seine Mann­schaft zu führen. 

Mitten­drin statt nur dabei: Tim Walter und sein Team – das bedeutet für den Trainer, gemein­sam hart für die Weiter­entwicklung und das Erreichen der Ziele zu arbeiten, den Spaß an der gemein­samen Arbeit aber nicht zu kurz kommen zu lassen. Scheint ihm zu gelingen und seinen Jungs zu gefallen.

Wie eine Familie auf Zeit?

Ja, sozusagen. Es ist ja auch wie in der Familie. Ich muss es als Familien­ober­haupt schaffen, jeden Spieler separat zu sehen und zu behandeln, genau wie zu Hause mit den Kindern. Die Interessen sind unter­schiedlich, die Heran­gehens­weise an Dinge und auch die Art, welche Ansprache jemand braucht. Es ist immer indivi­duell, niemand tickt genauso wie der andere. Und zusätzlich geht es darum, den Spagat zu schaffen, dass jeder Einzelne zufrieden ist und gleich­zeitig die Gruppe als Ganzes funktioniert.

Du arbeitest jetzt mit einer sehr jungen Mann­schaft zusammen, warst früher beim FC Bayern auch Jugend­trainer und hast on top drei Kinder zu Hause. Im Umgang mit jungen Menschen bist du entsprechend geübt, daher die Frage: Wie lautet dein ultimativer Tipp an alle fußball­begeisterten Kids?

Immer alles geben, immer das Maximum anstreben und immer an die eigenen Grenzen gehen. Natürlich steht zu Beginn erstmal im Vorder­grund, dass die Kinder Spaß haben an dem, was sie machen. Wenn ich bei meinen Kindern merken würde, dass dies nicht mehr der Fall ist, würde ich sie dabei unter­stützen, eine neue Sportart auszu­probieren. Aber sobald man etwas gefunden hat, das einem liegt und an dem man Spaß hat, müssen die Kids wissen: Wenn du etwas erreichen willst, dann musst du auch etwas investieren. Das gilt für den Fußball genau wie für jede andere Sportart. Und auch fürs ganze Leben.

Der Sport als Lebens­schule?

Ja, denn die Kinder müssen ja wissen und lernen, dass es gewisse Dinge braucht, um später im Leben gut klarzu­kommen und etwas zu erreichen. An seine Grenzen und daran auch noch Spaß haben – das ist das Ziel. Aber im Sport lernt man eben auch, dass es bei allem Spaß auch immer mal Momente geben wird, die auch mal wehtun. Wenn ich aber weiß, wofür ich es tue und dass es einfach dazu­gehört, dann hilft das sehr. Und wo kann ich das besser lernen als im Sport? Sport ist deshalb einfach wichtig, besonders Mann­schafts­sport. Das verbindet und schult. Man trainiert gemeinsam für etwas, man lernt das Mit­einander, es bilden sich Hierarchien, die man einzu­schätzen lernt. Und man hat – trotz der Arbeit, die hinter jedem Erfolg steckt – gemein­sam einfach unglaub­lich viel Spaß. Das ist das, was ich sowohl meinen Kindern als auch meinen Spielern jeden Tag vermitteln möchte.