In eindrucksvoller Manier hat sich MANUEL WINTZHEIMER beim HSV zurückgemeldet. Der Angreifer ist im zweiten Anlauf so richtig im Volkspark angekommen und fühlt sich in seiner Rolle als ackernder Angreifer rundum wohl. Im HSVlive-Interview spricht der U21-Nationalspieler über seine Einstellung zum Fußball und zum Leben

Als Manuel Wintzheimer im Sommer 2020 von seiner Leihe zum VfL Bochum zurückkehrte, war er eine der Unbekannten im Kader des HSV. Nun, zum Ende des Jahres, gehört der 21-Jährige zu den Konstanten. Eine Entwicklung, die sich Wintzheimer selber erarbeitet hat – und das im wahrsten Wortsinne. Immer voll da, immer 100 Prozent, immer am Ackern – das ist der Manuel Wintzheimer, der Trainer Daniel Thioune und alle HSV-Fans restlos überzeugt hat, auch dank seiner bereits acht Torbeteiligungen in der aktuellen Saison. Doch wie tickt dieser ruhige Kerl, der bereits im Alter von 14 Jahren sein Zuhause verließ, vor zweieinhalb Jahren aus dem ganz tiefen Süden in den hohen Norden kam und scheinbar nur auf dem Platz voll aus sich herausgeht? Im HSVlive-Interview spricht Manu Wintzheimer über seine noch junge und dennoch bereits sehr spannende Karriere und sein Leben nach Feierabend, wenn die Arbeit getan ist.

Manu, du wirst im Januar 22 Jahre alt, spielst deine dritte Saison im Herrenbereich und zählst bei Daniel Thioune aktuell zum festen Stamm. Fühlst du dich mittlerweile fußballerisch erwachsen?

Ja, das könnte man so sagen. Ich fühle mich auf jeden Fall fußballerisch gereift, nachdem ich in der letzten Saison an den VfL Bochum ausgeliehen war und dort viel gespielt und gelernt habe. Jetzt bin ich aber auch extrem froh, wieder beim HSV zu sein und mit den Jungs anzugreifen.

Bis zu deinem 19. Lebensjahr hast du ausschließlich in deiner bayerischen Heimat gelebt. Nun hast du in den vergangenen beiden Jahren mit Hamburg und Bochum zwei ganz neue Ecken und vielleicht auch Kulturen kennengelernt. Wie war das für dich? 

Ich muss ganz ehrlich sagen: komplett anders als ich es bislang kannte. Im Ruhrgebiet waren die Leute wirklich extrem direkt, die sagen dir ins Gesicht, was sie von dir halten oder gerade denken. Das ist schon speziell. In Hamburg ist der Schlag Mensch nochmal wieder etwas anders. Hier hatte ich das Gefühl, dass die Schale zu Beginn vielleicht auch mal etwas härter ist, die Menschen dann aber sehr offen und herzlich sind. Ich fühle mich hier sehr wohl und freue mich auch wirklich, wieder hier oben im Norden zu sein, obwohl ich ja aus dem tiefsten Süden stamme.

Aufgewachsen bist du in der unterfränkischen Kleinstadt Arnheim, einer 8.000-Seelen-Gemeinde, ehe du nach München und später nach Hamburg gegangen bist. Fühlst du dich eher als Dorfkind oder als Stadtjunge?

Bis zu meinem 14. Geburtstag war ich wirklich das totale Dorfkind und habe das auch sehr genossen, auch wenn der Bus nur alle zwei Stunden mal fuhr. Mit 14 bin ich dann nach München ins Internat des FC Bayern gezogen und war plötzlich in einer anderen Welt. Ich finde beides schön und könnte aktuell gar nicht sagen, ob ich später mal in der Stadt oder auf dem Dorf leben möchte. In der Stadt ist natürlich alles größer, lebendiger, flexibler. Das gefällt mir. Dafür mag ich es auf dem Dorf, dass alles so persönlich ist und jeder irgendwie jeden kennt. Ich mag beides.

An Weihnachten reist du nach Hause. Ist das dann immer ein großes Hallo in Arnstein?

Ich habe zumindest das Gefühl, dass ich immer sehr willkommen bin. Viele Menschen dort kennen mich und ich werde auch oft angesprochen und gefragt, wie es mir geht, was beim HSV so los ist und wie es weitergeht. Ich freue mich immer darauf, nach Hause zu kommen – sei es im Sommer oder jetzt über Weihnachten – und die Zeit daheim und mit meiner Familie zu verbringen.

Welche Art von Gefühlen löst solch eine Heimreise in dir aus?

Ich genieße es, bei meinen Eltern zu sein, meine Brüder wiederzusehen und sauge wirklich jede Sekunde, jeden Moment auf. Ich bin mit 14 Jahren zu Hause ausgezogen, deshalb genieße ich diese Zeit wahrscheinlich ganz besonders.

Wie viele Brüder warten zu Hause auf dich?

Ich habe zwei Brüder und ich war das Sandwich-Kind. Da war bei uns früher immer ordentlich was los, da hat sich
vor allem meine Mutter gefreut, wenn wir drei Jungs mal wieder Quatsch gemacht haben. (lacht) Wir haben wirklich ein tolles Verhältnis, sie arbeiten beide in der gleichen Firma bei uns zu Hause in Schweinfurt. Mein kleiner Bruder hat in der Jugend auch mal bei Greuther Fürth im Nachwuchs gespielt, hat sich dann aber in der U19 zur Rückkehr zu unserem Heimatverein und für seine Berufsausbildung entschieden. Mein großer Bruder hatte nicht so viel mit Fußball im Sinn. Er war schon immer der schlauste von uns, ist wirklich sehr intelligent und hat studiert. So geht jeder von uns seinen eigenen Weg, aber das finde ich auch genau richtig und gut.

Und trotzdem klingt es nach großem Zusammenhalt.

Absolut, auch mit meinen Eltern. Ich bin wirklich froh, so eine tolle Familie zu haben.

In der dein Vater deine Fußballbegeisterung von Anfang an geteilt hat und dein großer Förderer war. Aber auch dein größter Kritiker, wie du mal verraten hast.

Ja, mein Vater ist ein typischer Franke, der sieht immer erst das Negative. (lacht) Aber mittlerweile lobt er mich auch sehr viel, gerade zuletzt. Im Ernst: Mein Vater war wirklich mein größter Kritiker – und dadurch mein größter Förderer. Denn seine Meinung hat mir über all die Jahre sehr geholfen und mich extrem weitergebracht. Ohnehin bin ich ihm unglaublich dankbar. Mein Vater schaut noch heute alle meine Spiele an – live im Stadion. Das macht er, seit ich in der Jugend zu den Bayern gewechselt bin. Auch damals waren es schon immer 300 Kilometer hin und noch einmal 300 Kilometer zurück, und das jedes Wochenende, nur um mich Fußball spielen zu sehen. Und das macht er bis heute. Gerade dürfen keine Zuschauer in den Stadien dabei sein, da geht es natürlich nicht, aber ansonsten fährt er aus dem tiefsten Frankenland zu jedem Heimspiel nach Hamburg. Samstagmorgen los, Samstagabend zurück. Das ist alles andere als selbstverständlich. Und dafür bin ich extrem dankbar.

Sportlich hast du dich als Leihspieler beim VfL Bochum und als Rückkehrer zum HSV eindrucksvoll im Profifußball etabliert. In der 2. Liga stehen mittlerweile in 39 Spielen beachtliche acht Tore und acht Assists zu Buche. Wie bewertest du deine eigene Entwicklung?

Der Schritt aus dem Jugend- in den Herrenfußball ist wirklich sehr, sehr groß. Ich habe ihn nicht unterschätzt und mir war klar, dass ich trotz meiner Torquote in der U19-Bundesliga alles Schritt für Schritt angehen muss. Dafür braucht man Spiele, Spiele, Spiele. Das habe ich nach der ersten HSV-Saison gemerkt, in der ich sieben Partien gemacht und dabei gemerkt habe, dass ich mich dem höheren Niveau anpassen kann. Deshalb war das Jahr beim VfL Bochum für mich goldrichtig. Dort habe ich 20 Spiele machen können und habe mich endgültig an das Spiel in der 2. Liga gewöhnt.

Und zählst jetzt beim HSV zu den Spielern mit den meisten und beständigsten Einsatzzeiten.

Ja, darüber bin ich extrem froh, denn wie gesagt: Um sich zu entwickeln, ist Spielpraxis das A und O, die ist durch nichts zu ersetzen. Kein Training der Welt kann dir diese Erfahrungen bieten. Deshalb bin ich gerade sehr happy, wie alles läuft, kann das aber auch gut einordnen.

Also keine Gefahr, abzuheben?

Quatsch, warum auch? Ich bin gar nicht der Typ, der abhebt, sich in den Vordergrund drängt oder aus irgendwelchen Gründen den großen Macker macht. Das bin nicht ich. Ich bin Arbeiter. Durch meine Arbeit komme ich überhaupt erst ins Spiel, denn ich bin nicht der filigrane Zehner oder pfeilschnelle Flügelspieler, sondern ich bin derjenige, der sich in jeden Ball und jeden Zweikampf wirft, jede Laufdistanz abreißt und sich in jedem Spiel bis zum Abwinken für die Mannschaft reinhaut.

Und der den Torriecher hat. Deine Trefferquote und deine Torbeteiligungen sind jedenfalls überdurchschnittlich.

Ja, ich habe ein gewisses Gespür dafür. Und es stimmt schon, dass man das nicht komplett lernen kann. Aber man kann sich Dinge abschauen. Gerade bei solchen Stürmern wie Simon Terodde, der absolut diesen Riecher hat. Aber auch von den anderen Mitspielern, den anderen Stürmern, von Bobby Wood und Lukas Hinterseer. Von jedem kann man lernen, weil sie alle super Stürmer sind. Wir sitzen uns gegenseitig im Nacken und pushen uns. Das braucht man, um besser zu werden, sich weiterzuentwickeln. Ich bin überzeugt davon, dass Konkurrenzkampf entscheidend ist, um sich als Spieler und damit auch als gesamte Mannschaft weiterzuentwickeln. Denn niemand hat jemals ausgelernt, man kann sich immer verbessern und noch einen nächsten Schritt machen.

Wo siehst du bei dir Verbesserungsbedarf?

Da gibt es vieles. Mein Kopfballspiel zum Beispiel.

Und was hast du anderen voraus?

Meine Beidfüßigkeit. Mein Vater hat mir damals im Garten eine Holzwand gezimmert, auf der ein Tor aufgemalt war und gegen die ich immer gebolzt habe. Er hat mir damals schon immer eingetrichtert, auch den linken Fuß zu benutzen. Hinzu kam, dass ich in der U16 extreme Probleme im rechten Knie bekam, ich konnte es nicht durchstrecken und hatte große Schmerzen. Nach drei Monaten haben sich die Probleme als Meniskuseinriss herausgestellt, der dann operiert werden musste, aber bis dahin habe ich in dieser Zeit wirklich alles mit links gemacht. Schießen, passen, alles. In der Zeit ist mein linker Fuß nahezu gleichwertig geworden. Dies ist natürlich ein großer Vorteil, weil man viel schwerer auszurechnen ist.

Diese Stärken haben auch dazu geführt, dass du jüngst erstmals für die U21-Nationalmannschaft nominiert wurdest. War dies ein besonderer Moment für dich?

Das ist so. Als ich die Einladung bekommen habe, war ich schon ein bisschen stolz, weil ich damit dann jede einzelne Jugendnationalmannschaft durchlaufen hatte. Das hat mir viel bedeutet. Dass mir dann in meinem ersten Spiel auch direkt noch ein Tor geglückt ist und wir uns für die Europameisterschaft qualifiziert haben, war natürlich umso schöner.

Also nächstes Ziel: erstes Bundesliga-Spiel?

Ja, das wäre schön. (lacht) Klar, das ist mein Ziel und das Ziel von uns allen. Wenn du in die Kabine gehst und dort nachfragst, dann wirst du niemanden finden, der sagt: Nein, danke, möchte ich nicht. Wir wissen alle, dass es ein langer Weg und harte Arbeit ist, aber ich bin überzeugt, dass man mit diesem Stadion, den Fans und der ganzen Stadt im Rücken richtig was stemmen kann. Weil dieser Club einfach besonders ist. Ich war als Kind oder Jugendlicher nie in Norddeutschland, ich hatte keinerlei Bezug zu Hamburg und war Bayern-Fan – und trotzdem habe ich in der Zeitung immer gelesen, was dort über den HSV steht. Weil dieser Verein einfach anziehend ist. Und als ich dann das erste Mal hier war, das erste Mal in diesem Stadion dabei sein durfte, das war einfach brutal. Dieses Gefühl ist bis heute nicht weggegangen. Deshalb bin ich extrem heiß darauf, mit dem HSV etwas Besonderes zu schaffen.