Wie könnten Sie sich das neue Normal vorstellen? Fußballspiele mit Abstand, Maske und eine teil- und schrittweise Zulassung von Fans im Stadion?
Von einer teil- und schrittweisen Rückkehr von Zuschauern sollten wir ausgehen, das Coronavirus wird ja nicht über Nacht verschwinden. In dieser Zeit wird sicherlich die eine oder andere zusätzliche Maßnahme, sei es das Maskengebot oder besondere Abstandsvorkehrungen, Bestand haben. Das neue Normal tritt aber erst dann ans Licht, wenn die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung der Vergangenheit angehören. Ich glaube, dass auch aus Freiwilligkeit so manche neue Erscheinung von Dauer sein kann. Die Abstandsgebote sind in unseren Köpfen fest verankert. Daher erwarte ich schon, dass Menschenansammlungen nicht für jeden sofort eine annehmbare Einladung darstellen. Gleiches gilt für das Tragen von Masken, was wir bisher ja nur dem asiatischen Raum zugeordnet haben. Daran werden wir uns aber gewöhnen, genauso wie an den Umstand, weniger Hände zu schütteln.
Apropos Fans: Wie verfolgen Sie als Finanzexperte eigentlich als Zuschauer ein HSV-Spiel? Sind Sie wie ein echter Fan mit Leib und Seele dabei oder haben Sie während einer Partie eher auch wirtschaftliche Aspekte im Hinterkopf?
Wirtschaftliche Überlegungen finden während eines Spiels nicht statt. Dann bin ich auch HSV-Fan mit üblichen Reaktionen je nach Spielverlauf. Das ist auch nicht immer filmreif, wenngleich ich um Beherrschung bemüht bin. Ganz selten muss ich mich während des Spiels mit organisatorischen Dingen beschäftigen, wenn abseits des Spielfelds besondere Situationen auftreten. Aber das ist die Ausnahme, auch hier haben unsere Stadion- und Organisationsverantwortlichen die Prozesse fest in der Hand.
Wie verhält es sich abseits des HSV-Kosmos’? Konsumieren Sie viel Fußball, schalten Sie beispielsweise unter der Woche auch mal bei der Champions League rein? Oder kicken Sie gar selbst?
Meine eigene Karriere, wahrlich keine bedeutende, war mit einer unkontrollierten Grätsche – meiner einzigen – im Alter von 25 Jahren beendet. Bis dahin habe ich mit Leidenschaft und meinen Freunden für unseren Heimatverein in der Kreisklasse gekickt, dem ich auch heute noch sehr verbunden bin. In der Jugend habe ich ein bisschen höher gespielt und bin auch auf Gegenspieler wie Carsten Jancker oder Pablo Thiam getroffen, die später zu fußballerischem Ruhm gelangt sind. Heute bin ich nur noch Zuschauer, wobei ich aus gegebenem Anlass mehr die 2. Bundesliga als andere Wettbewerbe sehe. Wenn ich Champions League schaue, dann erledige ich meist andere Dinge parallel zum Spiel.
Vor rund einem Monat haben Sie den Bericht für das Geschäftsjahr 2019/20 veröffentlicht. Sie haben in diesem Zuge gesagt, dass der HSV bis zu Beginn der Pandemie dem Ziel einer nachhaltigen schwarzen Null sehr nahe war, letztlich lag der Jahresfehlbetrag aufgrund der Corona-bedingten Einbußen aber bei 6,7 Millionen Euro. Wie zufrieden sind Sie vor diesem Hintergrund mit dem Abschluss?
Ein Jahresabschluss ist die Zusammenfassung der geschäftlichen Aktivitäten einer Saison. Es sind nicht die Zahlen, die schlecht sein können, sondern es ist in diesen Fällen der Geschäftsverlauf. Mit dem verpassten Aufstieg ist niemand zufrieden und die Unzufriedenheit wäre auch nicht weniger, wenn das Jahresergebnis besser ausgefallen wäre. Es ist auch nicht mein Anspruch, Bilanzierungsentscheidungen zu treffen und Bewertungswahlrechte oder Gestaltungsmaßnahmen auszuüben, nur damit andere, bessere Zahlen kommuniziert werden können. Wir veröffentlichen in jeder Saison frühzeitig den vollständigen Jahresabschluss und unseren Lagebericht auf hsv.de, ohne dass wir hierzu verpflichtet sind. So schaffen wir Transparenz, die weder gesetzlich vorgeschrieben noch von vielen Clubs gelebt wird. Jeder Interessierte kann sich auf diesem Weg sein eigenes Bild über den Geschäftsverlauf machen und ist nicht auf meine Einschätzung angewiesen.
Gut leben kann ich allerdings damit, dass uns drei Jahre 2. Bundesliga und mehr als ein halbes Jahr Spiele ohne Zuschauer nicht den Boden unter den Füßen weggerissen haben, wie es viele prognostiziert haben und es möglicherweise in früheren Zeiten der Fall gewesen wäre.
Ein Sprichwort besagt, dass in jeder Krise bekanntlich auch eine Chance steckt. Inwieweit konnten und können Sie der Corona-Pandemie privat wie beruflich oder auf die Fußball-Branche allgemein bezogen etwas Positives abgewinnen? Oder halten Sie ein solches Denkmuster für Augenwischerei?
Ich hätte auf das Virus und seine Folgen und die damit verbundenen Erfahrungen gerne verzichtet. Allein der gesamtgesellschaftliche Konsens hinsichtlich der notwendigen Maßnahmen und die große Mehrheit in der Bevölkerung, die die Einschränkungen entsprechend akzeptieren, empfinde ich als positiv. Uns und den folgenden Generationen wünsche ich jedoch, dass es kein vergleichbares Phänomen mehr geben wird.
Wie nachhaltig wird die Corona-Pandemie den HSV und den Fußball allgemein finanziell auch in den kommenden Jahren beeinflussen?
Der Staat, die Wirtschaft und wir Steuerzahler werden über viele Jahre mit den Folgen zu kämpfen haben. Rettungspakete, Steuer- und Einnahmeausfälle müssen in der Folge kompensiert werden. Das gilt auch für den professionellen Fußball, der von staatlichen Rettungsschirmen ausgeschlossen ist. Wir kämpfen um den Erhalt vieler Arbeitsplätze beim HSV, aber auch bei Dienstleistern und im Umfeld. Unser Kerngeschäft sind nun einmal unsere Heimspiele mit Zuschauern. Und wenn die Zuschauer fehlen, wir andererseits aber Verträge einhalten wollen und müssen, weil wir auch in Zukunft als verlässlicher Vertragspartner wahrgenommen werden wollen, dann müssen wir in der jetzigen Phase Liquidität von außen zuführen und diese zukünftig wieder zurückzahlen. Dieses Phänomen betrifft viele Branchen und den gesamten Ligasport. Hinzu kommen aber auch die reduzierten Erlöserwartungen aus der ligaweiten TV-Vermarktung, die uns in den folgenden vier Jahren beeinflussen. Zumindest mittelfristig wird es im Fußball kein Wachstum geben, die Frage ist, wie stark uns der Abschwung trifft.