Neuwied, Leverkusen, Gladbach, Dortmund, Paderborn, Fürth, Hamburg – KHALED NAREYS Fußballreise ist bereits lang und vielfältig und hat ihn als Menschen immer wieder entscheidend geprägt. Das große Ziel steht dabei noch offen, aber ist ganz klar gesteckt. Der Flügelspieler der Rothosen im Portrait.

Rapper Ferris MC (*1973), Schauspieler Christian Ulmen (*1975), Olympia-Teilnehmer Simon Kirch (*1979) Wetten, dass..?-Kandidat und Buch-Autor Samuel Koch (*1987) oder NBA-Spieler Isaac Bonga (*1999) – die Liste der in Neuwied geborenen Persönlichkeiten ist überraschend lang und vielfältig und in ihr reiht sich mit Khaled Narey (*1994) auch ein aktueller HSV-Spieler ein. Die rheinland-pfälzische Stadt, die unweit von Koblenz gelegen ist und mit ihren knapp 65.000 Einwohnern nicht wirklich den Eindruck einer Brutstätte prominenter Persönlichkeiten erweckt, spielt im heutigen Leben des 26-Jährigen zwar nur noch im Personalausweis eine Rolle, bildet aber den eher zufälligen Ausgangspunkt seiner fußballerischen Laufbahn. Genauer gesagt zeichnet hierfür die damalige neuwied’sche Nachbarin der Nareys verantwortlich, an die sich Khaled schmunzelnd erinnert: „Ich war damals ein sehr aktives Kind, habe in der Wohnung immer in ein kleines Netz geschossen und das ist unserer Nachbarin nicht verborgen geblieben. (lacht) Sie hat meinen Eltern damals empfohlen, mich bei einem Fußballverein anzumelden.“ Gesagt, getan – in der Bambini-Mannschaft der örtlichen SG 99 Andernach kann sich Khaled fortan richtig austoben, tauscht das kleine Netz im Wohnzimmer gegen die großen, echten Fußballnetze aus.

Aufgewachsen unter dem Bayer-Kreuz

Neuwied bleibt in der Folge aber nur der Ausgangspunkt seines Fußballabenteuers, da sein Vater ein Jobangebot im knapp 100 Kilometer entfernten Leverkusen erhält und früh im Leben der erste Umzug ansteht. Für den damals noch jungen Khaled eine Herausforderung, muss er sich doch in einem komplett neuen Umfeld zurechtfinden. Der Fußball bildet dafür den Klebstoff und findet zunächst wieder in der Nachbarschaft statt. Und zwar innerhalb der Siedlung auf einer großen Wiese zwischen den Hochhäusern, wo er seinem großen Vorbild, dem brasilianischen Ronaldo, in dessen Trikot mit der Rückennummer 9 nacheifert. „Dort habe ich fast täglich mit vielen anderen Kindern gekickt. Die meisten von ihnen hatten ebenfalls einen Migrationshintergrund“, sagt Narey, dessen Eltern ursprünglich aus dem westafrikanischen Togo stammen und Anfang der 90er-Jahre nach Deutschland gekommen sind. Leverkusen ist bis heute Khaleds Heimat geblieben. Nicht zuletzt deshalb, weil seine Eltern, seine ältere Schwester und sein jüngerer Bruder noch immer dort wohnen, so dass er häufig zu Besuch ist. „Meine Familie ist meine Heimat“, sagt der Flügelspieler und weiß, was er besonders seinen Eltern zu verdanken hat: „Sie sind damals nach Deutschland gekommen, um hier die Chance auf ein besseres Leben zu haben. Meine Eltern hatten es nicht immer leicht, aber sie haben immer hart gearbeitet, um sich um mich und meine beiden Geschwister zu kümmern. Wir sind dadurch eine sehr positive Familie geworden, die sich immer gegenseitig hilft und unterstützt.“

Als Kind war Fußballprofi noch sein großer Traum, in dieser Saison spielt Khaled Narey unter Trainer Daniel Thioune eine wichtige Rolle, durfte als Torschütze wieder jubeln und hat richtig Spaß beim HSV.   

Anpassungsfähig, fleißig und zielstrebig, gleichzeitig aber durchweg positiv und lebensfroh eingestellt – diese Attribute färben früh auf Khaled ab und zeigen sich auch im Umfeld des SV Bergfried Leverkusen, wo er seine fußballerische Laufbahn als Neunjähriger im Verein fortsetzt. Jugendtrainer Günter Krebs nimmt für den Jungen dabei eine besondere Rolle ein und wird zu seinem großen Förderer, zu dem noch heute Kontakt besteht. „Er bedeutet mir viel, da ich ihm echt viel zu verdanken habe. Er hat mir damals in vielen Belangen geholfen, mich zum Beispiel oft mit dem Auto zum Training abgeholt, wenn meine Eltern aufgrund der Arbeit zeitlich eingespannt waren“, erinnert sich Narey, dessen größte Stärke schon damals seine enorme Geschwindigkeit ist. Für den pfeilschnellen Offensivspieler, der bereits bei den Bundesjugendspielen immer als Schlussläufer seiner Klasse eingesetzt wird, folgt nach lehrreichen Jahren unter Coach Krebs im jungen Teenager-Alter der nächste Vereinswechsel zum SV Bergisch Gladbach 09. Dort gelingt Khaled der wichtige Sprung in die Mittelrhein-Auswahl, wo er unter anderem an der Seite von Dominik Kohr (heute Eintracht Frankfurt), Yannick Gerhardt (VfL Wolfsburg) und Mitchell Weiser (Bayer 04 Leverkusen) auf sich aufmerksam macht und schließlich im Nachwuchs der Werkself landet. Von 2010 bis 2013 erhält er dort in der U17 und U19 den fußballerischen Feinschliff.

Hartnäckige Entwicklung zum Profi

Eine Garantie für eine Karriere als Fußballprofi ist die Ausbildung beim regelmäßigen Champions League-Teilnehmer allerdings nicht. Das weiß auch Khaled, ordnet dem Fußball alles unter und konzentriert sich darüber hinaus auf sein Abitur. Wenn die Freunde aus der Siedlung am Wochenende auf Partys unterwegs sind, bleibt der gläubige Muslim, der sehr wohl als humorvoller und geselliger Typ gilt, lieber daheim. Ein Verzicht, der sich im Nachhinein auszahlt. „Ich habe in der Jugend etliche Mitspieler gehabt, die richtig gut kicken konnten und denen ich eher als mir selbst zugetraut hätte, irgendwann einmal Profi zu werden“, blickt Narey zurück. „Ich war schon immer sehr zielstrebig, aber es kommt ganz oft auch auf andere Faktoren an, nicht zuletzt auch auf das nötige Quäntchen Glück.“ Diesbezüglich bleibt ihm bis heute eine Geschichte aus seiner Zeit bei der 2. Mannschaft von Borussia Dortmund, zu der er nach ersten Schritten im Herrenbereich bei der Zweitvertretung von Bayer Leverkusen zur Saison 2014/15 wechselt, in Erinnerung: „Beim BVB haben sie uns erzählt, dass Erik Durm Stürmer in der 2. Mannschaft war, aufgrund einer Verletzung aber nicht mit seinem Team unterwegs war, sondern stattdessen sein Aufbautraining bei den Profis absolvierte. Als dort plötzlich ein Rechtsverteidiger ausfiel, bat man ihn, den Part hinten rechts zu übernehmen. Dabei hat er Jürgen Klopp so gut gefallen, dass der ihn direkt bei den Profis behalten und vom Stürmer zum Außenverteidiger gemacht hat. Und als der wurde Erik Durm dann 2014 Weltmeister. So spielt das Leben manchmal.

Für Khaled Narey spielt das Leben in Dortmund nicht ganz so glücklich. Zwar bestreitet er in der 3. Liga fast jedes Spiel für die 2. Mannschaft, wird schnell für die Profis berücksichtigt und steht sechsmal im Bundesliga-Kader der Schwarz-Gelben,
doch die Konkurrenzsituation in der traditionell hochwertig besetzten BVB-Offensive verhindert erstmalige Bundesliga-Ehren. Die Zeit in Dortmund und unter Jürgen Klopp, der ihn damals nur „Kalle“ nennt, ist dennoch prägend und wegweisend. „Spätestens nach dieser Zeit war mir klar, dass ich nicht aufgeben werde, um mir meinen Traum irgendwann zu erfüllen“, wird Narey wenige Jahre später zitiert. Der Traum ist und bleibt dabei die Bundesliga. Er beschließt dafür, als Leihspieler beim damaligen Bundesliga-Absteiger SC Paderborn 07 in der 2. Liga anzugreifen, um sich im Profifußball zu festigen und für höhere Aufgaben zu empfehlen. Mit Erfolg: Nach einer Saison bei den Ostwestfalen und zwei weiteren Spielzeiten bei der SpVgg Greuther Fürth folgt 2018 der Wechsel zum HSV, wo Narey einen Vier-Jahres-Vertrag bis Juni 2022 erhält.

Aktiv, abschlussstark und anpassungsfähig

Auch auf höherem Profiniveau ist Nareys Geschwindigkeit sein größter Trumpf. „Seine Schnelligkeit, sein Abschluss – das sind brutale Waffen. Wenn er in guter Position zum Abschluss kommt und das lange Eck anvisiert, dann macht’s regelmäßig boom. Da ist er wirklich ganz stark drin“, bestätigt Teamkollege Jeremy Dudziak, der Khaled bereits aus gemeinsamen Tagen beim BVB kennt. Der 1,80 Meter große Flügelspieler beackert dabei nicht nur unermüdlich den rechten Offensivkorridor, sondern weist zudem auch eine gute Arbeit gegen den Ball auf, weshalb er mitunter auch als Rechtsverteidiger eingesetzt wird. Seine hohe Anpassungsfähigkeit kommt ihm dabei zugute und wurde in den vergangenen Jahren ebenfalls auf die Probe gestellt. So erlebte Narey im Herrenfußball in mehr als 200 Partien von David Wagner (34 Spiele) bis Stefan Effenberg (4) bereits 15 unterschiedliche Trainer und damit verbunden ganz verschiedene Spielansätze und Ansichten. So auch während seiner noch jungen HSV-Zeit: Nach einer guten Premieren-Saison beim HSV, in der er sowohl unter Christian Titz als auch unter Hannes Wolf gesetzt war und mit elf Scorerpunkten (sieben Tore, vier Vorlagen) aufhorchen ließ, spielte er in der Vorsaison unter Coach Dieter Hecking vor allem in der Rückrunde nur noch eine untergeordnete Rolle, fiel zudem im bitteren Saisonendspurt mit einer Knieverletzung lange aus.

Statt aber den Kopf in den Sand zu stecken, blieb Narey positiv und wagte in der diesjährigen Sommervorbereitung in Top-Verfassung einen Neustart. Erneut mit Erfolg: Im dynamischen und variablen Spielsystem der Rothosen blüht der gebürtige Neuwieder wieder auf und spürt das Vertrauen von Trainer Daniel Thioune, der ihn mit Ausnahme des Saisonauftaktes gegen Düsseldorf in jedem Ligaspiel von Beginn an aufbot. Auch für das Teamgefüge abseits des Platzes ist der Deutsch-Togolese gewohnt von großer Bedeutung, verkörpert mit seiner Art einen ebenso angenehmen wie gesunden Mix aus Professionalität und Spaß. „Khaled ist neben Gyambo der witzigste Mensch, den ich kenne. Seine Mimik, seine Gestik – wenn man seinen Humor versteht, dann ist es wirklich richtig, richtig witzig mit ihm. Darüber hinaus ist er ein herzensguter Mensch, der immer für einen da ist und auf den man sich verlassen kann“, verrät Dudziak, der seinem altbekannten Mitspieler und Kumpel eines voraus, was den zielstrebigen Narey auf seiner Fußballreise weiterhin rastlos lässt: „Jerry“ kam damals beim BVB zu drei Bundesliga-Einsätzen. Zurück ins Fußball-Oberhaus wollen sie als ehrgeizige Sportler beide, Narey dann erstmals, womit sich ein Kreis für ihn schließen würde. Denn einen Fußball-Bundesliga-Spieler weist die Liste der in Neuwied geborenen Persönlichkeiten nur mit einem Sternchen aus. Innenverteidiger Tobias Nickenig (*1984) kam am 13. Dezember 2008 für den 1. FC Köln einmalig für wenige Bundesliga-Sekunden zum Einsatz.