ROBERT GLATZEL ist besonders. In der Saison 2013/14 kickte er in der Bezirks­liga, 2021/22 hat er kein einziges HSV-Pflicht­spiel verpasst, 23 Tore in der 2. Liga sowie im DFB-Pokal erzielt und sich zu einem absoluten Leistungs­träger und Führungs­spieler ent­wickelt. All das schafft man nur, wenn man un­er­schüt­ter­lich an sich glaubt. Diesen Glauben lebt der 28-Jährige Tag für Tag vor – und spricht darüber. Im HSVlive-Interview.

Wenn sich ein Spieler damit auskennt, immer weiter­zumachen, weiter­zuarbeiten, sich nicht selbst aufzu­geben oder abzu­schreiben und einen uner­schütter­lichen Glauben in sich selbst zu haben, dann ist es Robert Glatzel. Der 28-Jährige lebt all diese Attribute vor. Nach einem schlechten Spiel folgt im nächsten ein Doppel­pack, nach Rück­schlägen für die ganze Mann­schaft pusht er sein Team in den nächsten 90 Minuten zu einer kämpfer­ischen Höchst­leistung. Und genau so präsentiert sich der treff­sicherste HSV-Akteur auch im HSVlive-Interview, das einen Tag nach dem Aus im Halb­finale des DFB-Pokals geführt wurde.

Man muss dazu wissen: Wohl kein Spieler im Kader der Rot­hosen hat eine solch spezielle Vita wie „Bobby“ Glatzel, die exakt auf diesen Tugenden fußt. Denn stets angetrieben vom großen Traum, irgendwann Profi zu werden, sah der gebürtige Münchner 2013 plötzlich seinen Traum platzen. Bei 1860 München aus­sortiert, an­schlie­ßend zum Regional­ligisten SV Heim­stetten gewechselt, dort zeit­weilig erstmal in der 2. Mann­schaft geparkt, sprich: Bezirks­liga. Sehr weit weg vom Profifuß­ball. Doch dort, wo andere ihren Traum begraben, hat Robert Glatzel sein Herz in beide Hände genommen und härter gearbeitet, weiterge­macht und uner­schütter­lich an sich und seinen Traum ge­glaubt.

Heute, rund acht Jahre später, sitzen wir im Volks­park­stadion, in der Luft liegt gefühlt noch immer das Flirren des Vor­abends, als 57.000 Zu­schauer einen Fußball­tempel erzeugt hatten, und sprechen über dieses besondere Erlebnis sowie die Hoffnungen auf und den Glauben an einen der vorder­sten Tabellen­plätze. Und in solchen Momenten kommt er dann wieder durch, der Robert Glatzel, der sich von der Bezirks­liga bis in die Bundes­liga zum 1. FSV Mainz 05, zum DFB-Pokal-Helden mit seinem Hattrick für den 1. FC Heiden­heim beim FC Bayern München und bis auf die Insel ins Mutter­land des Fuß­balls zum Car­diff City FC hochge­arbeitet hat. Und dieser Robert Glatzel spricht offen, ehrlich und selbst­kritisch, aber eben auch kämpfer­isch und hoffnungs­voll über die sich auf der Ziel­geraden befind­liche Saison.

Robert, herrschte nach dem Pokal-Aus bei dir die pure Ent­täuschung über das verpasste Finale? Oder war da auch recht schnell schon wieder Platz für Stolz, so weit ge­kommen zu sein?

Stolz war ich vorher, dass wir es bis ins Halb­finale geschafft haben. Aber wenn du dann so weit gekommen bist, dann willst du auch den letzten Schritt gehen und das Finale erreichen. Deshalb, ganz ehrlich: Es fühlte sich hinter­her einfach nur scheiße an. Wir waren unfassbar ent­täuscht, da es auch ein ganz bitterer Spiel­verlauf war. In der ersten Halb­zeit lief ge­fühlt alles gegen uns, was gegen einen laufen kann. Dreimal VAR, dreimal gegen uns, immer ging es um wenige Zentimeter – das ist schon extrem un­glücklich. Da ist es dann natürlich schwer, nochmal wieder zurück­zukommen. Da ist jeder Bundes­ligist zu gut, um einen nochmal so richtig ran­kommen zu lassen, auch wenn wir es permanent versucht haben und uns ja zumindest ein kleines bisschen mit dem Ehren­treffer belohnt haben. Insofern blieb nach dem Spiel aber nur die große Enttäuschung, denn es war eine vielleicht einmalige Chance, einmal das Finale in Berlin zu spielen.

Du persönlich hast auch in diesem Spiel getroffen, kein anderer Spieler hat im dies­jährigen Pokal­wettbe­werb so viele Tore erzielt wie du. Dazu kommt noch deine starke Quote in der Liga, in der lediglich zwei Spieler ligaweit öfter getroffen haben. Wenn du jetzt mal nicht das große Ganze betrachtest, sondern nur deine persönliche Situation, bist du dann zufrieden?

Insge­samt gesehen bin ich schon zufrieden. Vor allem war es für mich wichtig, dass ich komplett gesund geblieben bin, denn so habe ich kein einziges Spiel verpasst. Wenn man dann regelmäßig spielen kann und darf, weil einem der Trainer das Vertrauen schenkt, dann ent­wickelt man sich weiter, das ist ganz klar. Insofern ist es für mich gut ge­laufen und ich bin zufrieden, dass es so gut geklappt hat. Aber die Saison ist noch nicht zu Ende, abge­rechnet wird am Schluss. Und egal, wie es jetzt in der Tabelle aus­schaut, wollen wir – und auch ich persönlich – das Maximum heraus­holen und deshalb bis zum Schluss Vollgas geben. Und dann gucken wir, was dabei herum­kommt und wie dann das Fazit ausfällt.

Haben sich aber deine persönlichen Er­wartungen an einen Wechsel zum HSV erfüllt?

Das würde ich schon so sagen. Wenn mir vor einem knappen Jahr jemand gesagt hätte, dass ich per­sön­lich bei einer solchen Treffer­quote stehe, wir als Mann­schaft einen spannenden Fußball spielen, oben dabei sind und das Halbfinale im DFB-Pokal erreichen, dann hätte ich das wohl so unter­schrieben. Aber wie gesagt: Noch ist die Saison nicht vorbei, es ist noch nicht die Zeit für Fazits, denn wir wollen bis zum Ende in jedem Spiel das Maximum heraus­holen und schauen, was noch geht. Es zählt immer die Tabelle nach dem 34. Spieltag, erst dann wird abge­rechnet.

Korrekt. Aber ob sich deine Erwartungen an den HSV, den du vorher immer nur von außen betrachtet hast, erfüllt haben, das kannst du ja sicherlich auch zum jetzigen Zeit­punkt beant­worten. 

Ja, die haben sich erfüllt. Vor allem habe ich mich im Vorwege so unglaub­lich auf die Fans gefreut, auf die Unter­­stützung, von der ich immer und über­all gehört hatte, von der Stimmung im Volks­­park­­stadion. Das alles selbst als Teil dieses besonders Clubs zu erleben, das war meine aller­­größte Vor­freude. Denn das ist für mich das Geilste überhaupt, was man als Fuß­­baller erleben kann. Ein Tor vor mehr als 50.000 Zuschauern zu schießen, den Jubel zu hören, all das mit den Fans zu erleben, diese Energie zu spüren – das ist es, was mich an­treibt und wovon ich bei meinem Wechsel zum HSV ge­träumt und worauf ich mich so gefreut habe. Und ich bin glück­lich und dank­bar, dass ich das wirk­lich erleben darf

Die Unterstützung der Fans und der große Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft sind zwei der Faktoren, aufgrund derer Robert Glatzel seinen Wechsel zum HSV im Nachhinein als „absolut richtige Entscheidung“ bezeichnet.

Dann war das Heim­spiel gegen den SC Freiburg ja wahr­scheinlich nicht nur aus sportlicher Sicht ein sehr beson­deres für dich.

Ja, absolut. Das sind die Momente, die ich erleben will, wegen derer ich auch unbe­dingt beim HSV spielen wollte. Spiele wie jetzt im DFB-Pokal, bei dem ich wusste, dass das Stadion ausver­kauft sein wird, da kriege ich schon ein paar Tage vorher echtes Kribbeln im Bauch oder auch mal Herz­rasen. Das sind einfach Augen­blicke, die man im normalen Leben, im Alltag so ja nicht erlebt. Da geht dann das Kopf­kino auch schon mal ein paar Tage vorher los und ich stelle mir vor, wie es dann sein wird, in dieses volle Stadion einzulaufen. Und dann kommt der Moment und ich sehe diese riesige Choreo und du spürst diese Vibration, diese Energie – das ist schon krass. Und das fühlte sich ja auch in den vor­herigen Spielen nicht anders an, auch wenn da etwas weniger Zuschauer da waren. Allein dafür war es die absolut richtige Ent­scheidung, zum HSV zu wechseln. 

Auch in diesem Spiel ist dir wieder ein Kopf­ball­tor gelungen, es war bereits das elfte in dieser Saison. Eine unglaub­liche Quote! Dabei hattest du in deinem ersten HSVlive-Interview zu Saisonbeginn gesagt, dass genau dies der Bereich ist, in dem du selbst am meisten Entwicklungspotenzial siehst. Dann scheinst du daran ja fleißig gearbeitet zu haben.

Ich denke, es sind drei Kompo­nenten, die hier zusammen­kommen. Erstens ist unser System darauf ausgelegt, denn wir spielen viel über die Außen­bahnen. Zweitens haben wir wirklich gute Flanken­geber im Team, ich habe schon von Sonny, Baka, Miro oder auch von Mo Heyer Kopf­ball­tore aufgelegt bekommen. Und drittens: Ja, ich arbeite auch viel dafür, dass ich – wie angekündigt – mein Kopfball­spiel verbessere. Ich nehme mir jede Woche ein paar Mal einen der Kollegen, der mir dann nach dem Training eine Viertel­stunde lang die Bälle von links und rechts rein­schlägt, damit ich sie mit dem Kopf verwerte. Daher gefällt mir diese Quote natürlich gut, denn das Kopfball­spiel war trotz meiner Körper­größe wirklich nie meine Stärke. Aus diesem Grund freut mich ein Kopf­ball­tor schon auch immer nochmal ein bisschen mehr als ein Tor mit dem Fuß.

Ist jedes Tor für dich die reine Freude? Oder schwingt auf­grund deines speziellen Karriere­weges auch immer ein bisschen Genugtuung mit?

Ganz ehrlich? Beides. Natürlich ist das die pure Freude, aber es war wirklich auch schon immer so, dass es für mich ein sehr großer Antrieb war, es den Menschen zu zeigen, die damals nicht an mich ge­glaubt haben. Und im Fuß­ball kreuzen sich über all die Jahre so oft die Wege, das heißt: Ich spiele häufiger mal gegen ehemalige Mit­spieler, die damals zwei, drei Stufen über mir standen oder schon erste Bundes­liga-Ein­sätze hatten, als ich noch Ersatz­spieler in der Regional­liga war – und ich habe mich durch diese Erinne­rungen immer motiviert, ich wollte immer beweisen, dass ich heute auf dem gleichen oder sogar einem noch höheren Niveau spiele. Deshalb: Es war immer – und ist es bis heute – ein Ansporn, diesen Menschen zu beweisen, dass sie falsch lagen und dass ich es schaffe, mich bei den Profis durch­zusetzen und auch dort meine Tore zu schießen und für meine Mann­schaft wichtig zu sein.

Zu deinem Job gehört neben dem Tore­schießen oder -köpfen auch das Arbeiten gegen den Ball. Zu Saison­beginn sagtest du im HSVlive-Interview, dass du gern den ersten Vertei­diger gibst. Hilft dir dabei auch die weitest­gehend unbekannte Tat­sache, dass du früher Innen­ver­teidiger warst? Und ist das Pressing im heutigen Fußball uner­lässlich?

Natür­lich gibt es Mann­schaften, die sehr tief stehen, für die ist das Pressing sicherlich nicht elemen­tarer Bestand­teil ihres Spiels. Aber in unserem System ist es definitiv uner­läss­lich. Wir definieren uns schon sehr darüber, hoch zu ver­teidigen und mög­lichst frühe Ball­gewinne zu erzielen. Das kann wirklich Spaß machen, wenn die ganze Mann­schaft mit­zieht, und ich selbst habe da auch echt Bock drauf. Ob mir meine Vergangen­heit als Abwehr­spieler dabei hilft, das wage ich aller­dings zu bezweifeln, da es ein gänzlich anderes Verteidigen ist. Mir hat die Zeit damals aber viele andere Dinge gebracht, von denen ich heute noch zehre. Bei­spiels­weise Ballan- und -mit­nahme und eine gewisse Ruhe am Ball, denn als Innen­ver­teidiger hat man fast immer die meisten Ball­kontakte aller Spieler auf dem Feld. Und in diesem Bereich bin ich heute nicht so schlecht. Aber dass mir das Pressing Spaß macht, mag schon seinen Ur­sprung darin haben, dass ich früher selbst als Ver­teidiger gespielt habe, das ist schon richtig.

Pressing funktioniert nur im Team. Sobald einer aus­schert oder nicht mitmacht, bricht das gesamte System zusammen. Spürst du diesen Teamplay-Gedanken bei euch auf dem Platz und auch abseits dessen in besonderer Weise?

Ja, ich erlebe es schon als sehr speziellen Zusammen­halt, was unsere Mann­schaft auszeichnet. Ich nehme mal Anssi Suhonen als Beispiel: Der ist neu dabei, kommt aus dem Nachwuchs, wird aber von Anfang an so aufge­nommen, als wäre er schon seit Jahren dabei und ein fester Bestand­teil des Teams. Und jetzt, da er seine ersten Start­elf-Einsätze bekommt, sich voll rein­haut und toll spielt, da freut sich wirklich die komplette Mann­schaft für ihn. Jeder einzelne Spieler gönnt es ihm von Herzen. Genau das gleiche war es vor ein paar Wochen bei Maxi Rohr, als er von Anfang spielen durfte und sich alle so unfass­bar für ihn gefreut haben. Das ist schon besonders, ich habe das so noch nicht erlebt. Der Trainer lebt diesen Team­gedanken aber auch total vor, und wir alle ziehen voll mit. So macht es auch einfach mehr Spaß.

Eine weitere These von dir im Saison­start-Interview war, dass es eine „geile Liga“ wird, und dass es „sicherlich schwer werden wird, sich in der Tabelle oben zu behaupten, aber das Zeug dazu haben wir“. Siehst du dich in deiner Ein­schätzung bestätigt?

Dass es schwer ist, sieht man ja nicht nur bei uns, sondern auch bei den anderen favorisierten Teams, denn ansonsten wären ja auch schon Mann­schaften vollends enteilt, so wie es in der Bundesliga Jahr für Jahr der Fall ist. Und wenn ich an Schalke, Werder oder die Stadtderbys denke – das waren schon sehr coole Spiele, auch wenn noch nicht so viele Zuschauer dabei sein durften. Das macht schon enorm Spaß. Für uns als Mann­schaft, vor allem aber auch für die Fans, die diese großen und traditions­reichen Spiele natürlich genießen. Insofern wurden meine Erwartungen vollends erfüllt.

Trifft dies auch für eure privaten Erwar­tungen als Familie zu? Neue Stadt, erst­mals ganz oben im hohen Norden, anderer Schlag Menschen hier…

Das stimmt alles, aber ich würde sogar sagen, dass unsere Erwartungen über­troffen wurden. Wir wohnen in einer sehr netten Gegend mit vielen Familien, unsere Kinder gehen hier um die Ecke in die Kita und wollen nach­mittags immer draußen mit ihren Freunden spielen – das haben wir so in dieser Form auch noch nicht erlebt. Da fühlt man sich dann als Eltern natürlich auch extrem wohl, das wissen wir sehr zu schätzen und sind in Hamburg und bei den Menschen hier absolut glücklich.

Dann fehlt ja nur noch ein positives Saison­finale. Meinst du, dass trotz der zwischen­zeit­lichen Delle mit wenigen Siegen noch etwas möglich ist. Und gehören derartige Rück­schläge einfach dazu und helfen sogar dabei, sich langfristig zu entwickeln und zu verbessern?

Ja, wahrscheinlich gehören solche Phasen dazu, wenn eine Mann­schaft sehr jung und neu zusammen­gestellt ist. Aber ich muss schon auch ehrlich sagen, dass Spiele wie gegen Pader­born oder in Kiel echte Rück­schläge waren. Das fühlte sich einfach besch… an, das kann man nicht anders sagen. Aber: Wir sind schon so oft in dieser Saison nach schlechten Phasen oder schlechten Spielen – und die gab es, so ehrlich müssen wir uns selbst gegen­über sein, sonst würden wir ja weiter oben stehen – wieder aufge­standen und haben nie aufge­geben. Das soll jetzt auch für die restlichen Spiele gelten. Abge­rechnet wird am Schluss, und über­haupt ist aufzu­geben nie eine Option. Damit kenne ich mich ja ein bisschen aus.  

In der aktuellen Ausgabe des jüngsten Mitglieds der HSVlive-Familie, dem Kids-Magazin der Rothosen, hat Robert Glatzel kürzlich die Fragen der lütten HSV-Fans beantwortet. Die hatten einem ihrer absoluten Lieblingsspieler ein Loch in den Bauch fragen dürfen und bekamen spannende Antworten geliefert. So erfuhren sie beispielsweise erstmals, dass der heutige Torjäger früher als Innenverteidiger gespielt hat und dass seine Töchter riesige Fans von Dino Hermann sind. Und Robert selbst natürlich auch… 🙂 Sehr spannend, nicht nur für Kids – also schaut gern mal rein!

Das HSVlive Kids-Magazin ist in und um Hamburg in vielen REWE-Filialen kostenlos erhältlich und kann zusätzlich digital auf HSV.de im Bereich „Kids“ abgerufen werden.