Im HSVlive-Interview spricht Flügel­spieler BAKERY JATTA über seine famose Ent­wicklung vom absoluten Neu­ling zum Zweitliga-Rekord­spieler der Rot­hosen, der bald dem illustren Kreis der HSV-Spieler mit mehr als 200 Pflicht­spielen angehören wird. Ein Gespräch über eine un­wirkliche Reise sowie deren besondere Weg­begleiter und Höhepunkte.

Baka“, wenn du an unser erstes Kennen­lernen im Sommer 2016 in Bremen zurück­denkst, als wir dich in deinem damaligen Zuhause für einen ersten HSV-Medien­termin besucht haben: Hättest du dir damals vorstellen können, dass du bald dein 200. Pflicht­spiel für den HSV absolvieren wirst?

(lacht) Nein, das hätte ich natürlich niemals gedacht. Der liebe Gott hat mir geholfen und ich bin mit der Unter­stützung von vielen Verant­wort­lichen, Trainern, Mit­spielern und Mit­ar­beitern des Vereins diesen Weg gegangen. Ich würde niemals sagen, dass ich das alles allein geschafft habe. Ohne diese Unter­stützung wäre ich definitiv nicht hier.

Ist diese Reise mit all ihren Meilen­steinen, die du Zeit für Zeit hier erreicht hast, in der Rückschau nicht völlig verrückt?

Ja, irgendwie schon. Wenn ich mal daheim einen ruhigen Moment habe und über all das nach­denke, meine Anfänge hier beim HSV und diese mit dem Hier und Jetzt ab­gleiche, dann gibt es Situationen, in denen ich emotional werde und innerlich schmunzeln muss. Es gibt diese Geschichte von meinem ersten Tag beim HSV, als ich mich nach dem ersten Training in der Kabine in eine Ecke hinter der Sauna hin­gelegt habe und einge­schlafen bin. Als ich auf­ge­wacht bin, habe ich vor Müdig­keit und Kälte meine Beine nicht mehr gespürt und Wärme­salbe in die Stutzen ge­schmiert, um für das zweite Training des Tages irgend­wie wieder ein­satz­fähig zu sein. Auch heute noch sind meine Beine nach einem intensiven Training völlig im Eimer und ich erinnere mich dann mit einem Lächeln an die Szene von damals zurück. Natürlich ist mein Körper durch all die Jahre heute aber an diese Be­lastungen gewöhnt und ich kann viel besser damit umgehen.

Die Adaption an die Belastung ist das eine, deine sportliche Ent­wicklung das andere. Wie blickst du auf diesen Aspekt zurück?

(schmunzelt) Wie sagt man im Deutschen: „Übung macht den Meister!“ Ich denke, dass ich hierfür ein sehr gutes Bei­spiel bin. Ich mache sehr viele Dinge besser als noch in der Vergangen­heit. Zum Bei­spiel bin ich am Ball ein viel ruhigerer Spieler geworden. Ich bin nicht mehr so hektisch, sondern fokussierter und ruhiger, um den Ball genau dorthin zu spielen, wo er auch hingehört. Das gelingt mir nicht immer zu 100 Prozent, aber ich habe riesige Fort­schritte gemacht. Ich bin ein lern­williger Mensch, der sich immer und immer weiter verbessern möchte.

Nun hast du diese Entwicklung nicht nur fuß­ballerisch genommen, sondern auch im Hinblick auf deine Rolle im Team: Zu Beginn warst du „der Neue“, jetzt bist du nach Tom Mickel der dienst­älteste Spieler im Team. Wie nimmst du diese Verän­derung wahr?

Ich registriere diese Entwicklung, aber ich bin generell kein Typ, der viel redet oder gar ein Laut­sprecher in der Kabine ist. Wenn ich etwas sehe und denke, dass das so nicht okay ist, dann spreche ich das bei unserem Kapitän „Bascho“ (Sebastian Schon­lau, Anm. d. Red.) an, um Dinge im Sinne des Teams zu verändern. Selbst­verständlich schnappe ich mir auch mal einen jungen Spieler, wenn ich der Meinung bin, dass ich ihm in seiner Entwicklung helfen kann. Bei mir war es damals ähn­lich: Mir haben anfangs Spieler wie Aaron Hunt, Johan Djourou oder Albin Ekdal unter die Arme gegriffen. Später waren es Gotoku Sakai und Tom Mickel, der ja auch immer noch hier ist. Er kennt mich wirklich ganz genau. Unterm Strich versuche ich, das Team auf meine Art und Weise zu unterstützen. Ich habe dies­be­züglich mehr Ver­ant­wortung über­nommen und helfe vor allem mit meiner positiven Energie.

Du hast bereits angerissen, wie sehr dir die Unterstützung von Ver­ant­wortlichen, Trainern und Mit­spielern bei deiner Ent­wicklung geholfen hat. Wie sieht heut­zu­tage der Austausch mit ehe­maligen Weg­gefährten aus?

Ein ständiger Aus­tausch besteht nicht. Dieter Hecking habe ich in den vergangenen Jahren durch die Spiele gegen Nürn­berg mehrfach getroffen. Dann kommt es immer zu einem herz­lichen Wieder­sehen, bei dem wir kurz quatschen und uns gegen­seitig das Beste wünschen. Am Ende des Tages trage ich all diese Leute, die mir auf meinem Weg geholfen habe, im Herzen. Das ist für mich das Wichtigste. Wenn Menschen dir Liebe gegeben haben, dann darfst du sie niemals vergessen. Da spielt es keine Rolle, ob du täg­lich mit ihnen sprichst. Menschen wie Dietmar Beiers­dorfer, Bruno Labbadia, Dieter Hecking, Jonas Boldt und viele, viele mehr – sie befinden sich alle hier bei mir. (zeigt auf sein Herz) Ich bin ihnen dank­bar für all das, was sie für mich getan haben.

Jetzt hast du dich Anfang des Jahres ent­schieden, deinen Weg beim HSV weiter­zugehen. Heißt: Es sind nicht nur die einzelnen Personen von früher oder aus der jetzigen Mann­schaft, sondern es ist der ganze Verein, der dir so am Herzen liegt.

Ja, so ist es: Es passt alles perfekt für mich. Die Stadt Hamburg und der Verein HSV – das bedeutet mir unglaub­lich viel. Mein Herz ist hier. Ich kann das gar nicht so richtig in Worte fassen. Der Club ist mein Leben, ich liebe es, hier zu sein. Deshalb habe ich mich dazu ent­schieden, hier weiter­zumachen. Ich bin einfach glücklich.

Wie stolz macht es dich, dass du schon eine so lange Zeit ein Teil dieses Clubs bist und womög­lich bei der Erfüllung deines neuen Vertrags zu einer noch größeren Identi­fikations­figur wirst, als du es ohne­hin schon bist?

Ich kann nur dank­bar dafür sein. Nicht jeder Spieler findet eine solche Situation vor, dass er bereits sieben Jahre in einem Club spielt und dann die Chance erhält, einen Fünf­jahres­vertrag zu unter­schreiben. Das ist sicher­lich nicht mehr alltäglich. So etwas kann einen nur mit Stolz er­füllen. Es gibt dazu fast keine Steigerung. Normaler­weise ist es un­realistisch, dass man über einen so langen Zeit­raum ein derartiges Ver­trauen von den Verant­wort­lichen genießt.

Es gibt nur 40 Spieler, die 200 oder mehr Pflicht­spiele für den HSV absolviert haben. Wenn es für dich in der ver­bleibenden Spiel­zeit normal läuft, dann wirst du nicht nur der 41. Akteur sein, sondern aus­gerechnet Dietmar Beiers­dorfer, der dir deinen ersten HSV-Vertrag gegeben hat, und Horst Hrubesch, eine Club­ikone, die dich auch als Trainer ge­coacht hat, überholen. Was macht das mit dir?

(lacht) Das ist eine besondere Gesell­schaft, die mich sehr ehrt. Beide sind großartige Legenden, die diesem Club eine Menge gegeben haben. Im Fuß­ball wie im Leben weiß man nie, was die Zukunft bringt. Sofern ich gesund bleibe und weiter meine Leistung abrufe, kann ich auf dieser Liste sicher­lich noch ein paar Plätze gut­machen. Ich kann mich noch daran erinnern, wie Tom Mickel mir einmal gesagt hat, dass ich morgen mein 100. Spiel für den HSV machen werde. Damals habe ich gedacht: „Wow, 100 Spiele – das ist eine Menge.“ Nun stehe ich vor der nächsten Hunderter-Marke und denke weiter­hin Schritt für Schritt. Für den Moment darf man es aber sicher­lich auch genießen, seinen Namen unter all diesen Legenden zu lesen. Nicht jeder hat diese Ehre und es sind solche Momente, die den Unter­schied im Leben machen.