Vereinstreue im modernen Profifußball – das mag auf den ersten Blick wie ein kühner Traum aus dem Lager der Fußball-Romantiker klingen. Denn allein in der Bundesliga kam es laut transfermarkt.de in der laufenden Saison 2023/24 zu satten 605 Transferbewegungen (319 Abgänge, 286 Zugänge). Im Schnitt sollen die Clubs dabei 58,9 Millionen Euro durch veräußerte Spieler eingenommen und wiederum 46,3 Millionen Euro in neue Spieler investiert haben. In der 2. Bundesliga waren es ähnlich viele Transferbewegungen, 553 an der Zahl (296, 257), auch wenn die durchschnittlich erzielten bzw. verwendeten Summen für Abgänge (4,6 Mio. €) und Zugänge (1,2 Mio. €) deutlich geringer ausgefallen sein sollen. Es ist also kein Geheimnis, dass sich das Transferkarussell im Profifußball rasant dreht und auch längst wieder Geschwindigkeiten wie vor der Corona-Pandemie aufgenommen hat. Und da haben wir den mitunter finanziellen Größenwahn im europäischen und internationalen Fußball – allein in der Saudi Pro League wurden in dieser Spielzeit geschätzt fast eine Milliarde Euro für 323 Neuzugänge investiert – noch gar nicht berücksichtigt.
Vielleicht ist das, nicht nur aus Sicht der Fußball-Romantiker, auch besser so. Denn es gibt sie bei allen Rechenspielen ja wirklich noch: Profifußballer, die mehrere Jahre in Folge das gleiche Trikot tragen und in diesem mehrere hundert Spiele für einen Club absolvieren. Auch hier lohnt sich ein Blick in die beiden höchsten deutschen Profiligen: Dort wäre an vorderster Stelle der Ur-Bayer Thomas Müller zu nennen: In Oberbayern geboren, im Nachwuchs des FC Bayern München ausgebildet und seit 2008 bei den Profis des Rekordmeisters als unberechenbarer Angreifer auf Tore- und Titeljagd. Mit mehr als 690 Pflichtspielen ist Müller mittlerweile das absolute Aushängeschild des Clubs und wird unter Umständen noch in dieser Spielzeit den bisherigen FCB-Rekordspieler Sepp Maier (706 Spiele) ablösen. Keine Frage, mehr Vereinstreue geht nicht – zumindest nicht im aktuellen deutschen Profifußball!
Auf Platz 2 dieser „Treueliste“ folgt mit Mats Hummels (35) ein weiteres Eigengewächs des FC Bayern. Seine mehr als 490 Pflichtspiele für einen Club hat der Innenverteidiger allerdings für Borussia Dortmund absolviert. Ironischerweise mit einer Unterbrechung von 2016 bis 2019 beim – na klar – FC Bayern München. 72 Pflichtspiele gingen dabei ebenso wie die makellose schwarz-gelbe Weste drauf. Den dritten Platz auf dem Treppchen besteigt mit Mönchengladbachs Patrick Herrmann (33) dann wiederum ein Fohlen durch und durch: Seit seinen Jugendtagen und nunmehr fast 16 Jahren lang trägt der Flügelspieler die Raute der Borussia auf der Brust und ist damit ebenso wie die beiden zuvor genannten Weltmeister sowie VfL-Eigengewächs Maximilian Arnold (29) einer von vier aktiven Bundesliga-Spielern, die mehr als 400 Pflichtspiele für ihren Club absolviert haben. Auch die Durchschnittswerte der aktiven Rekordspieler im Oberhaus des deutschen Fußballs lassen sich durchaus sehen: Im Schnitt weisen die „Club-Dauerbrenner“ der 18 Bundesliga-Vereine mehr als 333 Pflichtspiele vor, Respekt!
Und wie sieht’s in der 2. Bundesliga aus? Dort liegt der Spitzenreiter fast genau im besagten Mittel der Bundesliga-Profis. Die Rede ist von Hannovers Schlussmann Ron-Robert Zieler (35), der bisher 336 Pflichtspiele für die Roten absolviert hat. „Immer bei dir, 96 – HSV!“ galt für den gebürtigen Kölner dabei aber nicht. So stehen fünf weitere Profistationen in der Vita (Manchester United, Northampton Town, Leicester City, VfB Stuttgart und 1. FC Köln) des – welch überraschende Parallele zum Spitzenreiter-Duo Müller/Hummels – Weltmeisters von 2014.
Ihm folgen in Liga 2 auf dem Treppchen Schalkes Schlussmann Ralf Fährmann (35) und Wiesbadens Sascha Mockenhaupt (32). Während Fährmann ebenso wie Zieler zwischenzeitlich auch andernorts unter Vertrag stand, gilt für Mockenhaupt zumindest seit 2017 ununterbrochen: „Das W vereint“. Und HSV-Rekordspieler Bakery Jatta? Der ist durch und durch „Nur der HSV“ und reiht sich mit seinen bis dato 196 Pflichtspielen in der „Treueliste“ der 2. Liga auf Rang 8 ein. Damit liegt er im wahrsten Sinne des Wortes im Mittelfeld. Denn im Schnitt kommen die in dieser Kategorie beständigsten Akteure der jeweils 18 Zweitligisten auf 192 Pflichtspiele für ihren Club. Das sind durchschnittlich fast 150 Partien weniger als bei den Bundesliga-Profis. Mögliche Erklärungsansätze: In der 2. Liga herrscht durch Auf- und Abstiege ganz allgemein eine höhere Fluktuation. Zudem ist die Hauptvoraussetzung für Langlebigkeit und Kultstatus in einem Verein eine entsprechend hohe Platzzeit und hier machen spielstarke Zweitliga-Spieler wohl auch schlicht schnell auf sich aufmerksam, womit wir wieder beim Anfang des Gedankens und dem drehenden Transferkarussell wären. Doch der kleine Ausflug durch die zwei höchsten deutschen Spielklassen beweist: Es gibt sie noch, die Identifikationsfiguren, bei denen das Küssen des Vereinswappens wirklich von Herzen kommt.