Stolzer Kapitän: Jochenfritz Meinke präsentiert am 26. Juni 1960 auf dem Sportplatz am Rothenbaum die tags zuvor in Frankfurt gegen den 1. FC Köln errungene Meisterschale (links hinter ihm: Franz Klepacz, Uwe Reuter, Trainer Günther Mahlmann und Torwart Horst Schnoor; rechts neben ihm: Präsident Carl-Heinz Mahlmann).

Eine Dekade oder sogar noch länger erste Wahl: 36 HSVer machten es bislang zweistellig und schafften es, in zehn oder noch mehr Spielzeiten zum Kader der Liga-Mannschaft zu zählen.

Außer den auf den vorherigen Seiten in Kurzporträts vorgestellten 40 Bundesliga-Spielern, die es auf mindestens 200 Pflichtspiel-Einsätze im Trikot mit der Raute brachten, gab es auch einige HSVer, die sich vor dem Start der deutschen Profi-Liga im Jahr 1963 das Etikett „Club-Inventar“ erspielten. Dies trifft auf knapp die Hälfe aller von der HSVlive-Redaktion ermittelten 36 Kicker zu, die als Aktive den Dauerbrenner-Status mit zehn oder mehr Saisons im Kader der ersten Mannschaft erreichten (siehe Tabelle). Es waren Fußball-Liebhaber im Wortsinn: „Amateure“, zu Zeiten aktiv, in denen vor allem das Spiel und nicht so sehr der Kommerz im Vordergrund stand, in denen Vereinszugehörigkeit und -treue bzw. die Verweildauer in einem Club vor allem eine Frage des Geburtsorts und der Anbindung an den „Hauptberuf“ und nicht von Berater-Interessen, Handgeldern und Ablösesummen war.

An elf dieser Spieler, die noch an der alten HSV-Heimat am Rothenbaum für Furore und Furor sorgten und nachhaltige Spuren im HSV-Gesichtsbuch hinterließen, sei hier erinnert.

Tull Harder (*1892; †1956) & Asbjørn Halvorsen (*1898; †1955) – Leistungsträger der frühen HSV-Jahre, der eine als Mittelstürmer mit besonderer Torquote, der andere als Mittelläufer ein genialer Strippenzieher und Stabilisator des HSV-Spiels. Episch das Siegerfoto von der ersten Deutschen Meisterschaft des HSV im Jahr 1923, auf dem die beiden gemeinsam im Lorbeerkranz posieren. Doch die Wege trennten sich, auch die Einstellungen und Überzeugungen, wofür sich zu kämpfen lohnte. Harder wurde im Nazi-Regime als Mitglied der NSDAP und Waffen-SS sowie KZ-Kommandant zum Täter und 1947 als Kriegsverbrecher verurteilt, Halvorsen zum Opfer, das 1955 im Alter von nur 56 Jahren an den Spätfolgen seiner KZ-Inhaftierung starb.

Albert Beier (*1900; †1972) war der herausragende Protagonist der HSV-Defensive in den erfolgreichen 1920er-Jahren und 1928 in Amsterdam der erste HSV-Fußballer bei Olympia. Im Hauptberuf Kaufmann und später Inhaber eines Feinkost- und Delikatessen-Geschäfts in Lokstedt kredenzte „Ali“ auf dem Rasen eher Rustikales und war als eisenharter Mann gefeiert und gefürchtet. Legendär: Im März 1923 erzielte der Rechtsverteidiger im letzten Saisonspiel aus „Aberglauben“ (damit in der Abschlussstelle nicht „die böse 13“ bei den Gegentoren stehenblieb), per absichtlichem Eigentor das erste St.-Pauli-Tor der Stadtderby-Geschichte.

Erwin Seeler (*1910; †1997) – charismatische Arbeitersport-Ikone, die ab 1932 auch beim „bürgerlichen“ SC Victoria und ab 1938 beim HSV begeisterte. Vorbild in Sachen Einstellung und Engagement. Unermüdlicher und unverwüstlicher Antreiber und „kompromissloser Haudegen“. Auf dem Platz respektiert und gefürchtet, als findiger Organisator, Kümmerer und „guter Geist“ des Vereins in den Kriegs- und Nachkriegsjahren hochverehrt. „Vadder“ von Dieter (*1931; †1979) und Uwe (*1936; †2022), die zu „Old Erwins“ Stolz ebenfalls zu großen HSV-Spielführern wurden und den Stammhalter an Jahren in der HSV-Ligamannschaft sogar noch übertrafen.

Richard Dörfel (*1911; †1965) ist der Älteste aus der vierköpfigen Harburger Dynastie, die am Rothenbaum für reichlich Furore sorgte. Anders als sein jüngerer Bruder Friedo (*1915; †1980) und die Neffen Gert „Charly“ (*1939) und Bernd (*1944) kam er trotz großer fußballerischer Klasse als Einziger nicht zu Nationalmannschaftsehren, angeblich weil er in der Nazi-Zeit den „Führergruß“ verweigerte. Beim HSV dagegen wurde er hochdekoriert: als „König Richard“ geadelt und zum Ehrenspielführer ernannt.

Rudi Noack (*1913; †1947) – Glaubt man den schwärmerischen Berichten von Augenzeugen, die den „schwarzen Teufel“ spielen sahen, der vielleicht beste Fußballer des HSV. Ein kreativer Freigeist und technisch herausragender, beidfüßig schussstarker „Rastelli am Ball“, der, meist auf halblinks aufgeboten, als Spielmacher und zugleich Torjäger glänzte. Der „König im Rothenbaum-Fußballreiche“ („Hamburger Nachrichten am Mittag“), 1934 in Italien erster WM-Fahrer des HSV, starb 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft.

Walter Warning (*1917; †2002) startet seine erfolgreiche Sportbiografie als Leichtathlet und im Handballtor der Sportvereinigung Polizei, ehe er zum Fußball wechselte. Schon mit 18 Jahren wurde er zum Stammtorwart beim HSV und behauptete diesen exponierten Platz zwischen den Pfosten mit kriegsbedingten Unterbrechungen für 16 Jahre – länger als jeder andere Schlussmann.

Heinz Spundflasche (*1919; †1972) – Der begnadete Ballartist und hochgradig spielintelligente Stratege avancierte in seiner Zeit als HSV-Kapitän (1948-52) zum ersten Hamburger Sportidol der Nachkriegszeit. Der Journalist Gerhard Seehase adelte „Spund“ als „König zwischen den Strafräumen“, der in unnachahmlicher Manier und mit viel Übersicht die Angriffsfäden zieht, mit Traumpässen und Ideen glänzt und in Sachen Schusspräzision und Kopfballstärke Maßstäbe setzt. Ein stets fairer und bescheiden auftretender Sportmann, dem die „Mopo“ „stolzes hanseatisches Understatement und Hamburger Arbeitertemperament“ attestierte.

Jupp Posipal (*1927; †1997) – Der „glänzende Techniker mit der ungeheuren Schnelligkeit und beinahe einmaligen Sprungkraft“ („Sport Hamburg“) verdiente sich durch seinen glanzvollen Auftritt in der FIFA-Auswahl 1953 in Wembley den Beinamen „Kontinentstopper“ und holte als „Held von Bern“ bei der WM 1954 gemeinsam mit Fritz Labend (*1925; †1982) den wertvollsten Fußball-Titel eines HSVers überhaupt. Mit dem HSV zwar achtmal Nordmeister, als dessen Kapitän aber mit einem geradezu tragischen Endspiel-Hattrick und drei verlorenen Finals in Serie (DFB-Pokal 1956, DM 1957 + 1958). So flossen bei Jupp die Tränen, die wenig später aber schon wieder getrocknet waren, als ihn der HSV mit einem zünftigen „Privatspiel“ gegen Sparta Prag vor 20.000 am Rothenbaum sowie dem Goldenen Ehrenring mit HSV-Wappen, 16 Brillanten, vier blauen indischen Saphiren und einem Onyx verabschiedete.

Jochenfritz Meinke (*1930; †2022) – Nahtloser Posipal-Nachfolger als honoriger Kapitän und zuverlässiger Mittelläufer. Mit 307 Einsätzen in Punkt- und 52 in DM-Endrundenspielen Oberliga-Rekordmann des HSV. Führte die Mannschaft 1960 zum dritten Deutschen Meistertitel und zur ersten „Salatschüssel“ sowie bei der Europapokal-Premiere auf den Rasen des Berner Wankdorf-Stadions.