1988 war das Volksparkstadion schon einmal EM-Spielort. Für Teamchef Franz Beckenbauer und seine Spieler war Hamburg damals Endstation, im Halbfinale gegen die Niederlande erlebten sie ihr oranjes Wunder. Erzählt die EURO 2024 ein Sommermärchen? Schau’n mer mal!

VOLKS(PARK)FESTE

Straßen­feger, Klassen­kampf, Debü­tanten­ball – 40 zum Teil hoch­interessante Kapitel um­fasst die Hamburger Länder­spiel-Geschichte mittler­weile. Ab Mitte Juni kommen bei der Europa­meister­schaft fünf weitere Episoden dazu.

Flaggen, Hymnen, Feier­­gesichter. Allein 33 Auftritte der DFB-Auswahl. Ledig­lich in Berlin waren es mehr. Los ging’s, als Altona noch kein Bezirk Hamburgs, sondern eine eigen­­ständige Stadt war und der Arena ihren Namen gab. Volle Ränge, z.T. mit temporären Zusatz­­tribünen, und reich­lich Tore gegen Gäste aus Skandi­­navien. So auch im November 1953, als die imposante Beton­­schüssel erstmals bei einem Länder­spiel unter dem Namen „Volks­­park­­stadion“ firmierte. 5:1 in der WM-Quali über Nor­wegen, eine wichtige Etappe auf dem Weg zum epochalen Triumph in Bern etwas mehr als ein halbes Jahr später.

22 der 40 Partien, in denen sich bisher A-National­­mann­schaften im Volks­­park begegneten, waren Pflicht­­spiele. Sieben­mal WM- und sechs­mal EM-End­­runden-Bewerbungen. Ein absoluter Höhe­­punkt dabei sicherlich 1969, das dramatische 3:2 über Schott­land, als 500.000 (!) Karten­wünsche beim DFB ein­gingen, auf dem Schwarz­­markt statt 6,60 Mark (Steh­platz) bzw. 30 Mark (günstigste Tribünen­­karte) Summen von 60 bzw. 150 Mark gezahlt wurden, das Fernsehen eine nahezu unglaub­liche Ein­schalt­­quote von 88 Prozent ver­zeichnete und Stan Libuda mit seinem Tor das Ticket zur WM in Mexiko löste. Dazu kommen drei große Turniere mit zusammen neun Spielen. Mit­­unter extrem brisante An­gelegen­heiten, allen voran 1974 das WM-Spiel „Wir gegen uns“: das zum „System­­vergleich“ und „Klassen­­kampf“ hoch­­stilisierte einzige Duell der A-National­­mann­­schaften der BRD und DDR. Oder das EM-Halb­­finale 1988: alles andere als das erhoffte Heim­­spiel für die DFB-Auswahl, für den Gegner aber ein zucker­süßer Sieg weit über das Sport­liche hinaus.

Auch die 18 Freund­­schafts­­spiele sind gespickt mit Anekdoten: Etwa 1953, als Altonas Lokalmatador Werner Erb seinen neuerlichen Nicht-Einsatz im Brass gegenüber Welt­­meister-Trainer-Denkmal Sepp Herberger mit dem Götz-von-Berlichingen-Zitat quittierte, sich ein Taxi bestellte und in der Halb­­zeit­­pause einfach Stadion und Veran­­staltung verließ. Oder 1962, als Uruguays Aus­wahl­­kicker in der Halb­­zeit­­pause beim verdutzten Ex-HSV-Torwart und Kabinen-Gastronom Walter Warning Cognac orderten. 1994 – das Spiel gegen England, das es gar nicht gab, unsen­sibel am Hitler-Geburtstag terminiert und aus Angst vor Nazi- und Hooligan-Auf­­­märschen wieder ab­gesagt. 2011 gab es „Kunst und Magie“ (kicker) bei der 3:0-Gala über die Nieder­­lande, 2014 ein tristes 0:0 gegen Polen – eigentlich ein Grusel-Kick zum Vergessen, für gleich ein sattes Dutzend (!) Debüt-National­­­spieler aber trotzdem ein denkwürdiges Karriere-High­light, mit dem 21,8 Jahre alten Julian Draxler als jüngstem Spiel­­führer aller DFB-Zeiten.

Welche Geschichten wohl das kommende Turnier im Juni und Juli schreibt? Tschechien spielt gleich zwei­mal in Hamburg, auch die nieder­­ländische Elftal dribbelt wieder auf (schon zum vierten Mal – Rekord-Gast!), und vielleicht gibt es ja ein Wieder­­­sehen mit den zwei Ex-HSVern Georgi Chakvetadze (Georgien) und Klaus Gjasula (Albanien). Wir sind schon mächtig gespannt und voller Vor­freude auf die nächsten Volks(park)feste!

GANZ BESON­DERE HEIM­SPIELE

Mit der Raute und dem Adler (bzw. ein­­mal auch dem tschechischen Löwen) auf dem Herzen: 17 HSVer kamen bislang im Volks­­park zu Länder­­spiel-Ehren.

„Papp­kameraden“:

Gleich vier­mal – jeweils als Kapitän – darf Uwe Seeler als National­spieler im Volks­park­stadion auf­laufen und ist damit auch in dieser Kategorie HSV-Rekord­mann. Stets mit dabei: Willi Schulz – 1961 gegen Uruguay und 1963 gegen Brasilien noch als Schalker, 1967 gegen Jugos­lawien und 1969 gegen Schott­land als HSVer.

Die Ersten:

Torwart Wilhelm „Fiete“ Blunk und Verteidiger Albert „Ali“ Beier halten 1929 gegen Finnland den DFB-Kasten sauber; Jürgen Werner sorgt per verwandeltem Foulelfmeter 1963 gegen Brasilien für die HSV-Länderspieltor-Premiere im Volkspark.

Der (bislang) Letzte:

Dennis Aogo (Foto l., hintere Reihe, 4.v.l.)  trägt 2011 zum berauschenden 3:0 über die niederländische Elftal bei. Sein Länderspiel-Outfit vermacht der Linksverteidiger anschließend dem HSV-Museum  (Foto r., mit dessen damaligem Leiter Dirk Mansen).

Kurios:

Mit dem „Moldauhafen“ besitzt Tschechien infolge des Versailler Vertrags seit 1929 ein 30.000 Quadratmeter großes Stück Hamburg; seit 2006 infolge des WM-Vorrunden- Spiels gegen Italien mit David Jarolim (Foto, gegen Andrea Pirlo und Fabio Grosso) auch einen HSV-Volkspark- Nationalspieler.

DAS »VERGESSENE« LÄNDERSPIEL

Wandertag mit Fußballfest: Im April 1969 empfing Deutschlands Schüler-Nationalmannschaft die Auswahl Englands – im pickepackevollen Volksparkstadion.

Länder­spiele abseits der A-National­mann­schaft der Männer? Man sucht sie in der Stadion­geschichte vergeblich. Die erfolg­reichen DFB-Frauen spielten bislang erst zweimal in Hamburg (1999 an der Hagen­beck­straße und 2011 am Millern­tor), und für die Kicks der Junioren-Teams ist der „Rahmen Volks­park“ schlicht zu groß. Doch halt! Das ist nicht ganz richtig. Einmal bot die Arena in Bahren­feld doch die großartige Kulisse für ein Jugend-Fußball­fest der Extra­klasse.

Der Hinter­grund: Im Jahr 1956 hatten der DFB und der englische Schul­fußball-Verband ESFA ent­schieden, dass es elf Jahre nach dem Ende des Zweiten Welt­krieges eine gute Idee im Sinne der Völker­verständigung junger Menschen sei, fortan regel­mäßig Länder­spiele der Schüler-National­mann­schaften auszutragen – immer im Wechsel auf der Insel und in Deutsch­land. Es ent­wickelte sich eine schöne Tradition, die mehr als 40 Jahre Bestand hatte und zu insge­samt 70 Länder­spiel-Ver­gleichen führte. 1959 erfuhren diese Duelle ihren ersten Höhe­punkt, als die Eng­länder entschieden, die Partie im Londoner Wembley-Stadion auszu­tragen. Schulk­lassen aus ganz England reisten mit Sonder­zügen und Bussen an und sorgten für eine mit an­nähernd 100.000 Fans aus­verkaufte Arena. Ein elektri­sierendes Erlebnis für alle Be­teiligten. Die Fuß­ball-Kathedrale von Wembley wurde fortan zum gern genutzten Aus­tragungs­ort. Und der DFB zog nach und bereitete dem Schüler-Ver­gleich ebenfalls die ganz große Bühne: die Olympia­stadien von Berlin und München, Dort­munds West­falen-, Düssel­dorfs Rhein- oder Frankfurts Wald­stadion.

Die deutsche Schüler-National­mann­schaft am 29. April 1969 vor dem Spiel gegen England, v.l.: Selke (FTSV Neuhof; später 2x BL für den HSV), Wunder­lich (Wacker Ahlen), Loos (TuS Griesheim; im BL-Kader von Kickers Offen­bach), Röhl (SV St. Ingbert), Geiling (SpVgg Nieder­sachsen-Döhren), Nobs (SuS Northeim; 5x BL für den HSV), Michallok (SF Union Salz­gitter), Worm (MSV Duisburg; 380x BL für Duisburg und Braun­schweig, 7 A-Länder­spiele), Bruckmann (GW Holten; 193x BL für Lever­kusen und Duisburg), Torwart Roleder (SV Ebers­bach; 280x BL für den VfB Stuttgart), Kapitän Korst (SV Beeden), Trainer Hedder­gott und das Hamburger Schieds­richter-Gespann mit Nie­mann, Picker und Ohmsen.

Am 29. April 1969 wurde erst- und einmalig auch das Volks­park­stadion zur stimmungs­vollen Kulisse eines „Schüler-Länder­spiels“. Die Hamburger Schul­behörde hatte die Arena zum „Wander­tag“-Ziel bestimmt. Die DFB-Schüler auf dem Rasen, mit den beiden späteren HSVern Günter Selke und Edgar Nobs und drei weiteren künftigen Bundes­liga-Spielern in der Start­formation, verschossen zwar einen Elf­meter und unter­lagen mit 0:1, der Be­geisterung der rund 70.000 Mädchen und Jungen auf den Rängen tat das jedoch keinerlei Ab­bruch. Von wegen unter­kühlte Nord­deutsche ohne Tempera­ment! Der Reporter des Abend­blatts registrierte eine geradezu „süd­ländische Stimmung“ in einem „akustischen Hexen­kessel“ und fasste den Nach­mittag im Volks­park treffend zusammen, indem er einen 15-Jährigen zitierte (und dechiff­rierte): „War ein Hammer (über­setzt: großartige Sache). Unser Pauker ging prima mit. Im Sport ist er aber auch ein dufter Eumel (übersetzt: prima Kerl).“ 

HSV-Spieler Jimmy Hartwig im Duell mit UdSSR-Angreifer Oleg Blochin. Die Partie im Mai 1981 verlieren die Hamburger knapp mit 2:3.

»HSV-LÄNDER­SPIELE«

Der HSV als attrak­tiver Sparrings­partner für A-National­mann­schaften.

Das Kuriosi­täten-Kabinett, ganz hinten links in der Ecke des gut sortierten HSV-Archivs, hält in der Kategorie „Länder­spiele“ manch interessantes Fund­stück bereit. In der 1919 begonnenen und bis heute auf mehr als 6.000 Spiele der HSV-Liga­mann­schaft ange­wachsenen Sammlung finden sich bei­spiel­weise auch etwa 50 Ver­gleiche mit z.T. hoch­karätig besetzten Aus­wahl­teams – „HSV-Länder­spiele“ sozu­sagen. Sagen­umwoben die Duelle mit den Olympia-Teams von Chile (1928, 3:4 am Rothen­baum) oder Indien (1952, 5:3, z.T. bar­fuß auf Grand im Berge­dorfer Billtal); sportlich hoch­interessant die Spiele gegen den amtierenden Welt­meister Deutsch­land mit einigen verbliebenen „Helden von Bern“ (1956, 1:4 am Rothen­baum), die starken Ungarn (1963, 2:2 vor 75.000 in Hannover) oder den „Voetbal Totaal“ zele­brierenden, kommenden Vize-Welt­meister Nieder­lande (1974, 1:2 in Hengelo); rekord­verdächtig in Sachen Anreise, Ergebnis und Publikums­interesse die Trips nach Brasilien (1972w, 0:2 vor 40.000 in Belo Horizonte bzw. 1:4 vor 110.000 in Porto Alegre) oder in den Mittleren Osten nach Kuwait (1980, zwischen zwei Bundes­liga-Spielen, 5:5) und in den Iran (1993, 1:2 vor 90.000 in Teheran).

Auch im Volks­park­stadion stiegen einige dieser ganz besonderen Begegnungen (siehe Tabelle). Besonders denk­würdig dabei sicher­lich die beiden Auf­einander­treffen mit der DFB-Auswahl: Im Dezember 1961 erlebten 65.000 bei peitschendem Regen und Wind­stärke 9, wie der HSV durch Tore von Uwe Seeler (3) und Klaus „Micky“ Neisner einen 0:3-Pausen­rück­stand in ein 4:3 verwandelten. Und im Juni 1982 verfolgten 30.000, wie Franz Becken­bauer in An­wesenheit seiner Vorgänger Fritz Walter und Uwe Seeler zum dritten Ehren­spiel­führer der National­mann­schaft ernannt wurde. An­schließend unterlag der „Kaiser“ mit dem HSV in einer ver­bissen geführten Partie der DFB-Auswahl, in der kurz vor dem Abflug zur WM in Spanien noch um die Stamm­plätze gekämpft wurde, mit 2:4. Der Geehrte traf dabei gleich doppelt: zunächst per Eigen­tor zum 0:3, was die Stadion­regie auf der Anzeige­tafel respekt­voll ver­schwieg, dann ins richtige Netz zum End­stand.