Walters Weg 

Trainer TIM WALTER sorgte in der Vergangenheit mit einer besonderen Spielidee und einem selbstbewussten Auftritt für reichlich Aufsehen im deutschen Profi-Fußball. Nun tritt der 45-jährige Fußballlehrer beim Hamburger SV eine neue Aufgabe an. Mit viel Mut möchte er seinem Weg treubleiben und die Rothosen in die richtige Richtung führen.  

Die Hand­schrift von Fuß­ball­trainer Tim Walter, die während seiner vergangenen beiden Profi-Stationen bei Holstein Kiel (2018-19) und dem VfB Stuttgart (2019) ersichtlich wurde, hat sich trotz ihrer Komplexität nach­haltig verfestigt: Walter steht für offensiven Ball­besitz­fuß­ball. Er betrachtet es als Sinn des Spiels, Tore zu erzielen, sagt von sich selbst, dass er ein „Fuß­ball-Gestalter“ und „kein Zerstörer“ ist. Mit seiner ganz eigenen Spiel­idee, die mit einer Reihe taktischer Konventionen, vor allem der Positions­treue, bricht, machte sich Walter im deutschen Profi-Fußball schnell einen Namen. Das Fußball-Kultur-Magazin 11Freunde schrieb im Sommer 2019 in diesem Zusammen­hang gar von einer „mittel­schweren Taktik­revolution“ und taufte den Spiel­stil des gebürtigen Bruch­salers auf den Namen „Walter­ball“. Um eine solch anspruchs­volle und moderne Spiel­weise auch gegen Wider­stände und Rück­schläge durch­drücken zu können, bedarf es einer gehörigen Portion Selbst­bewusst­sein, die Walter zweifels­frei inne­wohnt, ihm aber in der Vergangen­heit nicht nur positiv ausge­legt wurde und mit­unter für ein streit­bares Image sorgte. So wurde ihm sein Wirken schon mal als impulsiv, laut­hals oder gar arrogant ausgelegt. Walter selbst betrachtet sich dagegen als leiden­schaftlich, mutig und meinungs­stark, was nur allzu deutlich macht, dass ein vorge­fertigtes Image immer auch einer ständigen Über­prüfung Bedarf – vor allem dann, wenn es unter dem Brenn­glas der Öffentlich­keit entsteht. 

Den jüngsten Ein­druck, für welche Art von Fußball der Trainer Walter steht und welche Art von Typ hinter dem Menschen Tim Laszlo steckt, konnte die Öffentlich­keit am 25. Mai dieses Jahres gewinnen, als Tim Walter offiziell als neuer Chef­trainer der Rot­hosen vorge­stellt wurde. Der 45-Jährige musste dabei schmunzeln, als ein Journalist gleich mit der ersten Frage aus­führlich seinen Spiel­stil wie ein Klischee umriss. Walter bedankte sich anerkennend, stellte dann aber klar: „Es ist richtig, dass ich gern den Ball habe, aber die Grund­voraus­setzung ist dennoch immer die Defensive. Das heißt: Wenn wir den Ball nicht haben, ist es noch viel wichtiger, aggressiv und intensiv dagegen zu arbeiten. Hierfür ist nicht die Qualität der Spieler entscheidend, sondern ihre Bereitschaft.“ Auch im Hinblick auf seinen Charakter weichte Walter sein vermeintliches Image selbst­reflektiert auf: „Ich weiß, dass mir ein gewisser Ruf vorauseilt, aber in den Gesprächen mit Jonas Boldt und Michael Mutzel stand die Menschlich­keit im Fokus. Spieler wollen abgeholt und mitge­nommen werden. Dafür braucht man die Bereit­schaft der Jungs und auch großen Zusammen­halt und Mut im ganzen Verein. Das bin ich als Typ: Ich versuche, aus den Spielern das Maximale rauszuholen, sie zu fordern und zu fördern.“

Von Bruch­sal über Bayern zum HSV

Ein Spieler im aktuellen Kader der Rot­hosen, der beide Aspekte bereits hautnah mit­erlebt hat, ist Angreifer Manuel Wintz­heimer. Im Nach­wuchs des FC Bayern München kreuzten sich die Wege von ihm und dem Trainer erstmals in der U17 des deutschen Rekord­meisters, der Walter zur Saison 2015/16 nach dessen erfolgreicher Jugend­arbeit beim Karls­ruher SC verpflichtete. Wintz­heimer bezeichnet Walter als „coolen Typen“ mit einer ganz besonderen Spiel­idee, die er konsequent durchzieht, bedingungs­los von seinen Spielern einfordert und ihnen dabei helfend zur Seite steht. In der Jugend habe diese Philosophie sehr erfolg­reich funktioniert, was nicht zuletzt der Gewinn der deutschen B-Junioren-Meister­schaft im Jahr 2017 auch faktisch unterstreicht. Walter übernahm im Anschluss daran mit der 2. Mann­schaft des FC Bayern Münchens erst­mals auch eine Herren­mann­schaft, war als Vize­meister der Regional­liga Bayern erneut erfolg­reich und absolvierte parallel dazu die Aus­bildung zum Fußball-Lehrer an der Hennes-Weis­weiler-Akademie. Nur folge­richtig setzte sich Walters Weg im Profi-Fuß­ball bei den eingangs erwähnten Stationen in Kiel und Stuttgart fort. Wieder mit Erfolg: Die Saison 2018/19 beendete er mit den Nord­deutschen auf Platz 6, in der darauf­folgenden Halbserie stand er mit den Süd­deutschen ab dem 3. Spiel­tag immer mindestens auf dem dritten Platz, ehe er erst­mals in seiner bisherigen Lauf­bahn vor dem Vertrags­ende von seinen Aufgaben ent­bunden wurde.

Seinen jugend­lichen An­strich hat der am 8. November 1975 im baden-württem­bergischen Bruch­sal zur Welt gekommene Tim Laszlo Walter als Trainer und Mensch während seiner Tätig­keiten im Herren­fußball nicht verloren. Im Gegen­teil: Walter, der als studierter Sport­wissen­schaftler seine Fußball­arbeit an einer Fußball­schule in Karls­ruhe begann, ist bekannt dafür, gern mit jungen Spielern zu arbeiten. „Der HSV lebt davon, eine Jugend­arbeit zu haben und ich stehe dafür, junge Spieler zu entwickeln und ein besonderes Augen­merk auf sie zu haben. Doch auch ältere Spieler, die bereit sind, sich zu entwickeln, fallen nicht hinten herunter“, bestätigte er bei seiner Vorstellung. Tim Walter will seine Schütz­linge dabei mündig erziehen, ist ein absoluter Verfechter davon, Spieler in ihrer Ent­scheidungs­findung zu bestärken. Sein Credo: Vor allem durch defensive taktische Zwänge werden Spieler zu Schülern gemacht, worunter die Kreativität und der Spaß am Kicken leiden. Mit seinem Wunsch nach mehr Indi­vidualität und Kreativität befüllt er dabei ausge­rechnet ein zuletzt deutlich erkenn­bar gewordenes Vakuum im deutschen Nach­wuchs­fußball.

Familien­vater und Trainer mit klarer Vision 

Junge Menschen, namentlich seine drei Kinder Maxima, Lara und Lennart, beschäftigten Tim Walter auch während der vergangenen andert­halb Jahre ohne Job im Fußball intensiv. „Ich habe mich viel um meine Familie gekümmert. Jeder, der Kinder hat, weiß, was Home-Schooling bedeutet. Es war oft schwieriger, mit seinen eigenen Kindern umzugehen und sich zu regulieren, als die Spieler in der Kabine abzu­holen. Es war eine spannende und starke Heraus­forderung“, erklärt der Familien­vater, der seit knapp 13 Jahren mit der früheren Hockey-Bundes­liga­spielerin Katrin verheiratet ist und gern persönliche Armbänder seiner Kinder ums Hand­gelenk trägt. 

Darüber hinaus nutzte Walter selbst­verständ­lich auch die Zeit, um sich fuß­ballerisch weiterzubilden, wenn auch unter erschwerten Bedingungen, wie er berichtet: „Es war extrem schwierig, während der Corona-Zeit irgendwo zu hospitieren oder ins Stadion zu kommen. Dennoch habe ich mich viel mit Menschen aus dem Bereich des Fuß­balls ausge­tauscht.“ Dabei standen nicht nur taktische und sportliche Aspekte im Vorder­grund, sondern Walter legte ebenfalls Wert darauf, sich persönlich zu reflektieren und weiter­zuent­wickeln. So ging der 45-Jährige mit ehemaligen Spielern, anderen Trainern und auch Medien­vertretern in den Austausch, um deren Wahr­nehmung und Darstellungs­weise besser zu verstehen. „Wenn man sich reflektiert, offen ist und auch andere Leute mit ins Boot nimmt, die einen beurteilen, dann kommen Dinge heraus, die man versucht, bei seiner nächsten Station ein Stück weit zu ändern“, schluss­folgert Walter und stellt zugleich klar: „Wichtig ist dabei aber immer, dass man sich selbst nicht verlieren darf.“ 

Und das soll der Badener bei seiner neuen Heraus­forderung im Volks­park auch nicht. Denn gerade sein hohes Maß an taktischer Variabilität, seine gezielte Arbeit mit entwicklungs­willigen Spielern und sein mutiger Auftritt – Aspekte, die Walters bisherige Trainer­lauf­bahn kenn­zeichneten – decken sich mit dem vom HSV zu Beginn der Vorsaison eingeschlagenen Kurs der Entwicklung. „Der HSV ist ein Club, der immer kurz davor ist, richtig auszu­brechen. Ich hoffe, dass wir das in die richtige Richtung schaffen“, erklärt Walter. Er ist dabei mehr als gewillt, den HSV auf seinem Weg mitzu­nehmen. Auf Walters Weg. Mit ganz viel Mut und einem gewissen Risiko – „denn ohne beides werde ich im Leben nicht weiter­kommen.“

Tim Walters Team

Pünktlich zum Start in die Vorbereitung auf die neue Saison hat der HSV sein neues Trainerteam zusammengestellt. HSVlive stellt die Coaches vor.

Nicht nur Chef­trainer Tim Walter – auf den voran­gegang­enen Seiten aus­führlich vor­gestellt – ist neu beim HSV, sondern mit ihm auch das Trainer­team. Die neuen Co-Trainer Filip Tapalovic und Julian Hübner sowie Torwart­trainer Sven Höh und dazu mit Merlin Polzin auch ein bekanntes Gesicht wurden in der Woche vor dem Trainings­start vorgestellt. „Zunächst einmal möchte ich mich aber bei Hannes Drews und Kai Rabe für die Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren bedanken“, betonte HSV-Vorstand Jonas Boldt bei der Verkün­dung des neuen Trainer­teams, dem der bisherige Co-Trainer Drews sowie der bisherige Torwart­trainer Rabe nicht mehr angehören. „Wir haben uns bewusst Zeit gelassen mit der Auswahl unseres Trainer­teams“, so Boldt, „dieser Prozess war eng abge­stimmt mit unserem Chef­trainer Tim Walter. Mit Filip Tapalovic, Julian Hübner, Sven Höh und Merlin Polzin verfügen wir über ein Trainer­team, das sehr gut zu unserem Weg der Ent­wicklung passt: Alle vier bringen neben ihrem Know-How auch die nötige Erfahrung mit.“ Wo sie diese gesammelt haben, erfahrt ihr in unserem Quick­check.

Filip Tapalovic

Der frühere Mittel­feld­spieler absolvierte u.a. für den VfL Bochum, TSV 1860 München und Schalke 04 insgesamt 138 Bundes­liga-Spiele und war zuletzt als Co-Trainer beim australischen Erst­ligisten Melbourne Victory tätig. Zuvor war der 44-jährige Deutsch­kroate, der die UEFA-Pro-Lizenz besitzt und gemeinsam mit Tim Walter die Ausbildung zum Fußball­lehrer ab­schloss, als Nachwuchs­trainer bei den Münchener Löwen (2013-15) sowie als Co-Trainer beim Melbourner Liga­konkurrenten Adelaide United (2017-19) aktiv. 

Julian Hübner

Der 37-jährige Inhaber der UEFA-A-Lizenz war viele Jahre im Nach­wuchs des Karls­ruher SC tätig und sollte ursprüng­lich zur Saison 2021/22 als neuer Trainer des Verbands­ligisten SV Rülz­heim fungieren, stellt sich nun aber der Heraus­forderung beim HSV. Maß­geblich beein­flusst wurde seine Ent­scheidung zu diesem Wechsel vom neuen Chef­trainer Tim Walter, unter dessen Leitung Julian Hübner unter anderem in der U19 des Karlsruher SC als Co-Trainer fungierte. „Julian und ich kennen uns schon sehr lange, wir werden im Team sehr gut zusammen­arbeiten.“

Merlin Polzin

Das einzige bekannte Gesicht im neuen Trainer­team gehört Merlin Polzin. Der 30-Jährige kam vor einem Jahr als Co-Trainer von Daniel Thioune zum HSV und bleibt als einziges Mit­glied der vergangenen Saison auch im neuen Trainer­team dabei. „Merlin und ich haben schnell das gemeinsame Gespräch gesucht und dabei gemerkt, dass es passt“, fasst Tim Walter die Ent­scheidung zusammen, die dafür sorgt, dass mit Polzin weiterhin ein wasch­echter Hamburger und lang­jähriger HSV-Fan dem Team der Coaches ange­hört. 

Sven Höh

Der 37-jährige gebürtige Kaisers­lauterer ist der neue Torwart­trainer und wechselte vom 1. FCK nach Hamburg. Bei den Pfälzern war Höh seit 2009 haupt­verant­wortlicher Torwart­trainer des Nachwuchs­leistungs­zentrums mit engem Kontakt zu den Profis und rückte 2020 fest zur ersten Mann­schaft auf. Chef­trainer Tim Walter begründet die Entscheidung pro Höh: „Wir wollten nicht nur einen Torwart­trainer für die Profis, sondern jemanden, der für diese Position auch die direkte Verbindung zum Nach­wuchs hat.“ Gefunden!